Saturday , November 23 2024
Home / Ökonomenstimme / Marktkonform oder artgerecht – die Kosten des Marktes

Marktkonform oder artgerecht – die Kosten des Marktes

Summary:
Auch der Markt kostet, wie bereits Ronald Coase festgestellt hat. Dieser Beitrag fragt daran anschliessend, welche Tätigkeiten dem Markt unterstellt werden sollen und welche anderen Ordnungskräften. Markt kostet, produktive Tätigkeiten kann man auch anders organisieren. Ronald Coase hatte es in der Hand, aus der Ökonomie eine Wissenschaft zu machen. Er hat es versiebt. Höchste Zeit für einen Neubeginn. Da stimmt doch etwas nicht. Die meisten Ökonomen merken es nie, doch Ronald Coase ist es schon 1932 aufgefallen: Gemäss Lehrbuch maximieren die Wirtschaftssubjekte ihren Nutzen, indem sie Waren gegen Geld tauschen. Alle Wirtschaftssubjekte? Nein, es gibt auch solche, die sich zu Firmen zusammenschliessen und die Arbeit hierarchisch organisieren. Warum? " Im Sommer 1932" so schrieb die "ZEIT", "fand Coase die Antwort: Die Nutzung des Preismechanismus kostet Geld. Wer etwa Autos bauen und verkaufen will, muss Modelle entwickeln, Vorprodukte einkaufen, Arbeiter einstellen, kontrollieren, ausliefern, Informationen sammeln, Verträge aushandeln etc. Um diese Transaktionskosten gering zu halten, werden auf Dauer angelegte Tätigkeiten aus dem Markt herausgenommen und einer Hierarchie unterstellt." Auch der Markt kostet Der Markt kostet, andere Koordinationsmechanismen kosten weniger.

Topics:
Werner Vontobel considers the following as important:

This could be interesting, too:

Cash - "Aktuell" | News writes Saudi Aramco will mit einer Milliarde Dollar bei US-Software-Entwickler einsteigen

Cash - "Aktuell" | News writes Putin kündigt Serienproduktion neuer Rakete an

Cash - "Aktuell" | News writes Jeder vierte junge Deutsche kann sich unter Aktien nichts vorstellen

Cash - "Aktuell" | News writes Rücktritt bei US-Börsenaufsicht SEC gibt Trumps Republikanern Mehrheit

Auch der Markt kostet, wie bereits Ronald Coase festgestellt hat. Dieser Beitrag fragt daran anschliessend, welche Tätigkeiten dem Markt unterstellt werden sollen und welche anderen Ordnungskräften.

Markt kostet, produktive Tätigkeiten kann man auch anders organisieren. Ronald Coase hatte es in der Hand, aus der Ökonomie eine Wissenschaft zu machen. Er hat es versiebt. Höchste Zeit für einen Neubeginn.

Da stimmt doch etwas nicht. Die meisten Ökonomen merken es nie, doch Ronald Coase ist es schon 1932 aufgefallen: Gemäss Lehrbuch maximieren die Wirtschaftssubjekte ihren Nutzen, indem sie Waren gegen Geld tauschen. Alle Wirtschaftssubjekte? Nein, es gibt auch solche, die sich zu Firmen zusammenschliessen und die Arbeit hierarchisch organisieren. Warum? " Im Sommer 1932" so schrieb die "ZEIT", "fand Coase die Antwort: Die Nutzung des Preismechanismus kostet Geld. Wer etwa Autos bauen und verkaufen will, muss Modelle entwickeln, Vorprodukte einkaufen, Arbeiter einstellen, kontrollieren, ausliefern, Informationen sammeln, Verträge aushandeln etc. Um diese Transaktionskosten gering zu halten, werden auf Dauer angelegte Tätigkeiten aus dem Markt herausgenommen und einer Hierarchie unterstellt."

Auch der Markt kostet

Der Markt kostet, andere Koordinationsmechanismen kosten weniger. Welche produktiven Tätigkeiten sollen wir also über den Markt koordinieren, und wo lassen wir lieber andere Ordnungskräfte walten? Mit dieser Fragestellung hätte Coase aus der schon damals sehr auf den Markt fixierten Ökonomie eine echte Humanwissenschaft machen können. "Grundzüge einer artgerechten Menschenhaltung" von Ronald Coase, Träger des Nobelpreises.

Nun Coase hat seinen Nobelpreis für ein mindere Leistung erhalten. Er machte aus seinen Beobachtungen eine Theorie der optimalen Grösse einer Firma als Funktion der zunehmenden Kosten der Hierarchie. Das war aber schon damals nicht wirklich relevant. Grösse bringt Marktmacht, da fallen die Kosten der Bürokratie nicht ins Gewicht.

Vielleicht war aber einfach die Zeit noch nicht reif: Die hohen Kosten des Marktes werden erst heute politisch relevant. Und auch die Alternativen zum Markt sind heute viel besser erforscht. Neurologen, Ethnologen, Evolutionsforscher und die experimentelle Ökonomie haben zumindest schon mal die wichtigsten Grundlagen einer Theorie der artgerechten Organisation von Wirtschaft und Gesellschaft zusammengetragen. Das sind die wichtigsten Bausteine.

Die Grösse unseres Gehirns erlaubt uns, in Gruppen von 150 bis 500 (Horde) so zusammenzuleben, dass wir uns zur gegenseitigen Hilfe verpflichtet fühlen. Etwa zwei Drittel unseres Gehirns werden zum Bewältigung der sozialen Interaktionen gebraucht. Sozialer Stress – etwa Zurückweisung – wird von unserem Belohnungs-System genau gleich behandelt wie physischer Schmerz. Um sozialen Stress abzubauen und entsprechende Energieverluste zu vermeiden, verbringen Menschen und Menschenaffen täglich etwa zwei Stunden mit "Kraulen", bzw. vertrauten ziellosen Zusammensein. Die Evolution opfert dafür einen grossen Teil der wachen Zeit.

Weiter: Um unser Verhalten für die anderen berechenbar zu machen, haben wir – gemäss Alan Page Fiske[ a ] – vier typische Modalitäten der sozialen Interaktion entwickelt: Gemeinschaft, Hierarchie, Gegenseitigkeit (wie Du mir, so ich Dir) und Markt bzw. Preismechanismus. Diesen gibt es nur bei den Menschen und dies auch bloss seit gut 10'000 Jahren. Zusammen mit dem Marktmodus hat uns die Evolution das "Gen" der starken Reziprozität geschenkt: Wir mögen es nicht, wenn Dritte übervorteilt werden und stürzen uns in Unkosten, um Trittbrettfahrer zu bestrafen. Ob sich eine Gruppe solidarisch verhält, hängt – in Experimenten – davon ab, ob die Spielregeln eine Bestrafung von Trittbrettfahrern erlauben. Und noch ein Punkt: Im Marktmodus zählt nur die Beute, doch die Evolution hat uns so programmiert, dass Spass an der gemeinsamen Jagd oft mehr Glückshormone frei als der dritte Nachschlag Mammut-Steak.

Dass die Menschen nicht artgerecht gehalten werden, ist offensichtlich: Tiefe Geburtenraten, Scheidungen, immer mehr Einpersonen-Haushalte, hektischer Wechsel des Wohnorts, Übergewicht, Medikamentenmissbrauch, eine Epidemie chronischer Entzündungen. Zu viel Cortisol, zu wenig Endorphine, zu viel Stress im Stall. Klar ist auch, dass eine Überdosis Markt daran zumindest mitschuldig ist: Unser soziales Leben wird immer mehr durch den Kampf um die bezahlte Arbeit vergiftet.

Coase hat nur die in Geld messbaren Kosten des Marktes gesehen, doch selbst die hat er weit unterschätzt. Nehmen wir etwa den Finanzsektor. Im Marktmodus wird die Beute immer doppelt verteilt: Einmal physisch (durch den Konsum) und einmal rechtlich durch den Erwerb von finanziellen Ansprüchen auf das BIP. Wenn das Mammut verzehrt ist, bleibt ein Rattenschwanz von Forderungen und Guthaben zurück, die gehandelt, verwaltet und abgesichert werden. In der Schweiz beansprucht das inzwischen fast einen Sechstel des BIP. Im Marktmodus bedienen sich die Aasgeier vorab.

Koordinationskosten: Im Modus der Selbstversorgung reagiert die Gruppe unmittelbar auf die eigenen Bedürfnisse. Im Marktmodus muss man erst die Nachfrage Dritter befriedigen, bevor man an die eigenen Bedürfnisse denken kann. Dieser Umweg ist mit Werbekosten, Transport, Umweltverschmutzung und mit Rechtshändel und mit unnötigem Luxuskonsum gepflastert. Immer öfter verliert der Markt vor lauter monetärer Nachfrage die vitalen Bedürfnisse aus den Augen.

Inzwischen dürften die Kosten des Marktes einen Viertel des BIP beanspruchen. Doch die Ökonomen machen da keinen Unterschied. BIP ist BIP und schafft Beschäftigung. Jobs zu schaffen ist längst zum Hauptzweck der Wirtschaft geworden. Deshalb subventioniert eine staatliche Arbeitsmarkt- und Sozialbürokratie die Marktlöhne bis weit unter das Existenzminimum, werden die Arbeitsmärkte immer weiter flexibilisiert, streben alle den Endsieg im Standorte an. Um externe Nachfrage befriedigen zu können, werden interne Bedürfnisse systematisch unterdrückt – Löhne runter, Steuern runter, und die Umwelt hat auch keinen Preis – jedenfalls nicht in den Entwicklungsländern. Deutschlands Kanzlerin will sogar die Demokratie "marktkonform" gestalten. Der Markt kostet – doch seit Coase hat kein Ökonom mehr nach seinem Preis gefragt.

Neustart?

Der Widerstand regt abseits des Mainstreams. Immer mehr Menschen versuchen, sich den Zwängen der Marktgesellschaft zu entziehen. Sie schaffen lokale Währungen und schliessen sich zu Genossenschaft zusammen. Zu den Organisationen, die ihre praktischen lokalen Lösungen auch als volkwirtschaftliche Konzepte denken, gehört "neustart.schweiz". Ihr auf praktischer Erfahrung gestütztes Konzept sieht so aus:

Die kleinste Einheit ist die Nachbarschaft für 500 bis 700 Bewohner auf 1 bis 1,5 Hektaren. Dazu gehört auch eine (nahe gelegene) Landbasis von ca. 60 Hektaren, die etwa 70% des Kalorien- und Eiweissbedarfs deckt. Kost und Logis gehören zusammen. Etwa 60 Prozent der überbauten Fläche dienen dem Wohnen. Der individuelle Wohnraum ist mit 20 bis 25 Quadratmeter pro Person knapp bemessen, dafür gibt es viel öffentlichen Raum, Kantine, Lounge, Kulturräume. Daneben ist Platz für Gewerberäume, Gemeinschaftsküche, Magazin etc.

Ein Teil der Miete und des Kostgelds wird durch Gratisarbeit – in der Landbasis, Küche, Restaurant, Reinigung, Unterhalt etc. finanziert. Ärzte halten Vorträge und beantworten Fragen, Handwerker helfen in der Werkstatt mit, Juristen stellen sich dreimal pro Quartal für Gratiskonsultationen zur Verfügung, Pensionierte dürfen auch ein wenig mehr arbeiten. Da man sich als Nachbarn und Arbeitskollegen gut kennt, funktioniert das so, dass die gelegentliche Reibereien zur Lebensqualität beitragen.

Etwa ein Dutzend Nachbarschaften bilden ein Quartier. Der Existenzbedarf wird im Wesentlichen vom Quartier für das Quartier gedeckt: Wohnen, Essen, Unterhaltung, Kindererziehung, Altenbetreuung, Verkehr (alles in Gehdistanz), Unterhaltung, ein Teil der Energieversorgung, Kleingewerbe etc. Das funktioniert wie ein Grundeinkommen oder wie eingebautes Sharing Die Abhängigkeit von einem Markteinkommen sinkt. Der Sozialstaat wird entlastet.

Durch die Einsparungen bei Energie, Bauten, Transport etc. werden der Konsum, der ökologischer Fussabdruck und damit auch der Arbeitsaufwand gesenkt. Gleichzeitig wird Arbeit vom bezahlten in den unbezahlten Bereich zurück transferiert. Der Aufwand für die Nahrung und deren Zubereitung nimmt zwar global ab, doch wir dürfen uns jetzt die Hände vermehrt selber schmutzig machen. Zurück zur Natur. Der Importbedarf sinkt stark: Weniger Energie, Nahrungsmittel, Autos, die 3-D-Technologie bringt Industrie-Jobs ins Inland zurück.

Punkto Arbeitsvolumen sieht das gemäss den vorläufigen Schätzungen von "neustart.schweiz" etwa so aus. Aktuell arbeiten die über 15 jährigen Schweizer pro Woche im Schnitt 46 Stunden, bei einer Bandbreite von 20 bis 72 (Mütter mit kleinen Kindern). 22 der 46 Stunden sind bezahlt. (hier)[ b ] Im Szenario Nachbarschaft/Landbasis nimmt nach Schätzungen von neustart.schweiz die unbezahlte Arbeit leicht zu, sie wird gemütlicher und verteilt sich gleichmässiger auf Jung und Alt, Mann und Frau. Die bezahlte Arbeit sinkt auf 10 bis 15 Stunden Gut 80 Prozent der Arbeit (fast 100% der unbezahlten und gut die Hälfte der bezahlten) findet im Quartier für das Quartier statt. Nur noch gut 3 (heute noch rund 7) Arbeitsstunden werden für den Export, bzw. zur Finanzierung der Importe gebracht. Ein starker Franken macht uns nicht mehr schwach.

Ist dieses Szenario realistisch? Gegenfrage: Ist der gegenwärtig laufende Feldversuch mit der globalen Marktgesellschaft artgerecht? Das sind wichtige Fragen. Wenn die Ökonomie dazu einen vernünftigen Beitrag leisten will, muss sie den Unterschied zwischen Markt und Wirtschaft begreifen. Ronald Coase war vor 85 Jahren schon mal nahe dran.

©KOF ETH Zürich, 24. Mär. 2017

Werner Vontobel
Ökonom und Wirtschaftsjournalist

Leave a Reply

Your email address will not be published. Required fields are marked *