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Geoökonomische Risiken einer Nutzung von SWIFT als Waffe

Summary:
Die Nutzung von SWIFT als Sanktionsinstrument ist verführerisch. Nicht vernachlässigt werden sollten aber die langfristigen ökonomischen Risiken, die mit der Nutzung dieser Waffe einhergehen. Im Kontext des russischen Krieges gegen die Ukraine ist das Interesse an Zahlungsinformationssystem SWIFT (Society for Worldwide Interbank Financial Telecommunication) deutlich gestiegen.[1] Nachdem der Ausschluss von Banken aus dem SWIFT-Netzwerk bereits früher vom Westen als Sanktionsinstrument eingesetzt wurde – insbesondere im Fall des Streits um das iranische Nuklearprogramm – haben die verschiedenen Sanktionspakete der Europäischen Union im Ukraine-Konflikt dazu geführt, dass erstmals auch internationale Großbanken wie die Sberbank in den Wirkungskreis dieser Sanktion gerieten.

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Die Nutzung von SWIFT als Sanktionsinstrument ist verführerisch. Nicht vernachlässigt werden sollten aber die langfristigen ökonomischen Risiken, die mit der Nutzung dieser Waffe einhergehen.

Im Kontext des russischen Krieges gegen die Ukraine ist das Interesse an Zahlungsinformationssystem SWIFT (Society for Worldwide Interbank Financial Telecommunication) deutlich gestiegen.[1] Nachdem der Ausschluss von Banken aus dem SWIFT-Netzwerk bereits früher vom Westen als Sanktionsinstrument eingesetzt wurde – insbesondere im Fall des Streits um das iranische Nuklearprogramm – haben die verschiedenen Sanktionspakete der Europäischen Union im Ukraine-Konflikt dazu geführt, dass erstmals auch internationale Großbanken wie die Sberbank in den Wirkungskreis dieser Sanktion gerieten.

Kurzfristige Vorteile der Nutzung von SWIFT als Waffe

Verglichen mit anderen Sanktionen ist der Ausschluss russischer (und belarussischer) Banken aus dem global dominierenden Zahlungsinformationssystem zumindest auf den ersten Blick sehr attraktiv. Er behindert nicht nur den Zahlungsverkehr, sondern auch den internationalen Handel Russlands. Zudem ist die Gefahr deutlich geringer, sich selbst mit den Sanktionen mehr zu schaden als dem sanktionierten Land – wie das im Energiesektor droht. Hilfreich für den Westen ist schließlich auch, dass SWIFT eindeutig unter der Kontrolle der Europäischen Union und der USA steht, wobei die Kontrolle durch die USA eher informell ist, im Gegensatz zur formellen Zuständigkeit der Europäischen Union und der belgischen Regierung.

Auf den zweiten Blick ist die Lage allerdings nicht so einfach. Zunächst ist SWIFT ja nur ein –wenn auch prominenter – Teil der globalen Zahlungsinfrastruktur (Nölke 2022b). SWIFT wickelt selbst keine Zahlungen ab. Es ist ein reines Informationssystem, das seit den 1970er Jahren das zuvor dominierende Telexsystem für die Kommunikation zwischen Banken abgelöst hat. Das Zentrum der grenzüberschreitenden Zahlungsinfrastruktur besteht hingegen aus dem Netzwerk von Korrespondenzbanken, die bereit sind, grenzüberschreitende Zahlungen abzuwickeln. Unterstützt wird dieses Netzwerk angesichts der hohen Anzahl von Transaktionen zumeist durch ein automatisiertes Clearinghaus, bei dem das US-basierte CHIPS (Clearing House Interbank Payment System) das wichtigste System für größere Zahlungen darstellt.

Aus diesem Zusammenhang ergibt sich bereits, dass der Ausschluss russischer Banken aus SWIFT alleine nur eine Sanktion von begrenzter Wirksamkeit ist. Zahlungsinformationen lassen sich auch auf anderem Weg austauschen, wohingegen sich Korrespondenzbanken bisher kaum umgehen lassen. Die SWIFT-Sanktionen werden daher von Maßnahmen ergänzt, die in der Öffentlichkeit weitaus weniger präsent sind, nämlich dem Ausschluss russischer Institutionen aus dem System von Korrespondenzbanken.

Weitergehende Sanktionsmöglichkeiten

Aber auch dieser Ausschluss ist noch nicht das schärfste Schwert, das dem Westen im Bereich des grenzüberschreitenden Zahlungsverkehrs zur Verfügung steht. Die wirkungsvollste Maßnahme besteht in der Verhängung von sogenannten Sekundärsanktionen gegen Korrespondenzbanken, die weiterhin Geschäftsverkehr mit russischen Banken unterhalten (Flatley 2022). Solche Sekundärsanktionen bedrohen die Existenzgrundlage jeder international tätigen Bank.

Sollten Sekundärsanktionen verhängt werden und eine Bank trotz entsprechender Sanktion überführt werden, droht diese ihre Lizenz für den amerikanischen Finanzplatz zu verlieren, was angesichts der Bedeutung des Zugangs zum US-Dollar für diese Banken lebensbedrohend ist. Die französische Bank BNP Paribas konnte sich 2014 angesichts eines Verstoßes gegen Sekundärsanktionen nur durch die Zahlung einer Strafe von 9 Milliarden US-Dollar gegen diesen Verlust wehren (Raymond 2015).

Sekundärsanktionen gegen Korrespondenzbanken wurden von den USA im Fall des Irans verhängt und haben dazu geführt, dass keine größere europäische Bank mehr bereit war, Transaktionen mit iranischen Banken abzuwickeln, obwohl sie von den EU-Regierungen explizit dazu aufgefordert wurden. Die Etablierung von INSTEX als alternative Plattform für die Abwicklung des europäischen Handels mit dem Iran - wenn auch nicht erfolgreich –  war die direkte Folge dieser Sanktion (De Goede und Westermeier 2022).

In Bezug auf Russland ist die US-Regierung mit der Verhängung von Sekundärsanktionen bisher noch sehr zurückhaltend (Lichfield et al. 2022). Solche Sanktionen könnten die Beziehungen mit den europäischen Verbündeten belasten und die Spannungen mit China sowie anderen großen Schwellenländern deutlich intensivieren, auch wenn sie stärkere Wirkungen als ein SWIFT-Ausschluss haben würden.

Langfristige Risiken einer Etablierung alternativer Infrastrukturen

Jenseits der begrenzten Wirksamkeit eines Ausschlusses aus dem SWIFT-Netzwerk geht Letzterer in langfristiger Perspektive mit erhöhten geoökonomischen Risiken einher. Je mehr der Westen SWIFT – und andere Elemente der globalen Zahlungsinfrastruktur – als Sanktionsinstrument verwendet, desto mehr befördert er die Entwicklung von Alternativen zu dieser Infrastruktur. Eine Entwertung der westlich dominierten Zahlungsinfrastruktur wiederum geht mit erheblichen geoökonomischen Risiken für den Westen einher, insbesondere für die USA.

Seit Beginn der Nutzung von SWIFT als Sanktionsinstrument im Falle des Irans 2012 haben nicht-westliche Regierungen damit begonnen, sich auf einschlägige Sanktionen einzustellen (Nölke 2022b). Ein erster Schritt bestand aus der Etablierung des russischen SPFS (System for Transfer of Financial Messages), das nach dem SWIFT-Beispiel gestaltet, wenn auch nicht gleich leistungsfähig ist. Trotzdem nimmt seine grenzüberschreitende Nutzung zu, mit 52 Banken in zwölf Ländern als Nutzern im April 2022 (TASS 2022).

Auch die chinesische Regierung hat die potentielle Bedrohung ihrer grenzüberschreitenden Wirtschaftsbeziehungen durch SWIFT-Sanktionen zum Anlass genommen, ihr eigenes grenzüberschreitendes Zahlungssystem zu etablieren. Seit 2015 kann China sich auf das „Cross-Border Interbank Payment System“ (CIPS) stützen, das nicht nur ein Finanzinformationssystem, sondern ein vollständiges Zahlungssystem inkorporiert, einschließlich von Clearing und Settlement. CIPS wächst wesentlich schneller als das russische SPFS, mit inzwischen 1300 teilnehmenden Unternehmen und einer Zunahme von 75 Prozent im Transaktionswert allein in 2021 (Eichengreen 2021, S. 4).

Beide Initiativen sind allerdings begrenzt in ihrer langfristigen Relevanz im Vergleich zur Etablierung von grenzüberschreitend miteinander vernetzten digitalen Zentralbankwährungen (Central Bank Digital Currencies/CBDCs). In diesem Feld ist China weltweit führend. Grenzüberschreitende Zahlungsverkehrsysteme, die auf CBDCs beruhen, können sowohl SWIFT als auch das Netzwerk von Korrespondenzbanken und Clearingsysteme wie CIPS umgehen (Shagina 2022). Die Etablierung solcher Alternativen zur westlich dominierten Zahlungsinfrastruktur kann dazu führen, dass die Rolle des US-Dollars als globale Handelswährung erodiert wird.

Erste Anzeichen für diese Erosion ließen sich in den vergangenen Monaten bereits beobachten, beispielsweise bei der Nutzung des chinesischen Renminbi für die Abwicklung einer Kohlelieferung nach Indien (CNBC 2022) – der Dollar ist die Standardwährung im internationalen Ressourcenhandel – und in Bezug auf die Entscheidung der indischen Regierung, die Rupie in Zukunft vermehrt als internationale Handelswährung einzusetzen (Shah 2022).

Wenn man bedenkt, wie wichtig ein globales Finanzsystem auf der Basis des US-Dollars für die Toleranz des extrem umfangreichen und dauerhaften US-Leistungsbilanzdefizits ist und dass die Dominanz des US-Dollars nicht nur auf seiner Nutzung als internationale Reservewährung, sondern auch als Handelswährung beruht, drohen dem Westen – und insbesondere den USA – bei einer Fortsetzung dieser Tendenz langfristig erhebliche geoökonomische Risiken.

Rückkehr zur Zahlungsinfrastruktur als globales öffentliches Gut

Im Falle der russischen Aggression gegenüber der Ukraine hat sich der Westen bereits zur Nutzung der SWIFT-Waffe entschieden. Nach dem Ende dieses Konfliktes sollte aber erneut analysiert werden, ob die Nutzung dieser Waffe wirklich angemessen ist. Das gilt umso mehr, als auf dem letzten NATO-Gipfel ein Vorschlag des ehemaligen NATO Generalsekretärs Anders Fogh Rasmussen und des ehemaligen US-Botschafters bei der NATO Ivo Daalder vorlag, dass die NATO in Zukunft Instrumente wie die grenzüberschreitende Zahlungsinfrastruktur regelmäßig als Waffe in Konflikten zwischen westlich geprägten Demokratien und Autokratien einsetzen soll (Rasmussen und Daalder 2022). Dieser Vorschlag würde die geoökonomischen Risiken langfristig noch intensivieren.

Eine Rückkehr zum Status Quo vor 2012, bei dem die globale Zahlungsinfrastruktur den Status eines öffentlichen Gutes hatte, dürfte allerdings nicht ohne weiteres möglich sein. Notwendig wäre in diesem Fall die Wiedergewinnung des Vertrauens der globalen Gemeinschaft in die Neutralität von SWIFT. In diesem Kontext dürften institutionelle Reformen notwendig sein, die die bisherige Dominanz des Westens über SWIFT deutlich reduzieren.

Ein Vorbild könnten entsprechende Reformen des International Accounting Standard Boards nach der globalen Finanzkrise darstellen (Nölke 2015). Auch hier wurde auf Druck der G20 eine private Infrastruktur unter westlicher Kontrolle einer stärkeren öffentlichen Aufsicht unterstellt, die gemeinsam von den Regierungen des Westens und der großen Schwellenländer ausgeübt wird.

CNBC. 2022. “How an Indian cement maker bought Russian coal using yuan”, 8. Juli. https://www.cnbc.com/2022/07/08/how-an-indian-cement-maker-bought-russian-coal-using-yuan.html[ a ], Abgerufen am 27.7. 2022.

De Goede, Marieke und Carola Westermeier. 2022. “Infrastructural Geopolitics”, International Studies Quarterly 66 (3), https://academic.oup.com/isq/article/66/3/sqac033/6646034[ b ]

Eichengreen, Barry. 2022. Sanctions, SWIFT, and China’s Cross-Border Interbank Payments System (CSIS Brief). Washington, DC: Center for Strategic & International Studies. https://www.csis.org/analysis/sanctions-swift-and-chinas-cross-border-interbank-payments-system[ c ]

Flatley, Daniel. 2022. “What Secondary Sanctions Mean, for Russia and World”, Bloomberg, 5 April. https://www.bloomberg.com/news/articles/2022-04-05/what-secondary-sanctions-mean-for-russia-and-world-quicktake[ d ], Abgerufen am 27.7. 2022.

Lichfield, Charles, Maia Nikoladze und Al Castellum. 2022. “Global Sanctions Dashboard: Russia default and China secondary sanctions”, Atlantic Council. https://www.atlanticcouncil.org/blogs/econographics/global-sanctions-dashboard-russia-default-and-china-secondary-sanctions/[ e ] Abgerufen am 27.7. 2022.

Nölke, Andreas. 2015. “Rising Powers and Transnational Private Governance: The International Accounting Standards Board”, in: Dries Lesage and Thijs Graaf (eds.), Rising Powers and Multinational Institutions, London: Palgrave. https://link.springer.com/chapter/10.1057/9781137397607_6[ f ]

Nölke, Andreas. 2022a. The Weaponization of Global Payment Infrastructures: A Strategic Dilemma, SAFE White Paper No. 89. Frankfurt am Main: Leibniz Institute for Financial Research SAFE. https://safe-frankfurt.de/de/policy-center/publikationen/detailsview/publicationname/the-weaponization-of-global-payment-infrastructures-a-strategic-dilemma.html[ g ]

Nölke, Andreas. 2022b. “Geoeconomic infrastructures: Building Chinese-Russian alternatives to SWIFT”, in: Benjamin Braun and Kai Koddenbrock (eds.), Capital Claims: Power and Global Finance, London: Routledge (im Erscheinen). https://www.routledge.com/Capital-Claims-Power-and-Global-Finance/Braun-Koddenbrock/p/book/9781032111193[ h ]

Rasmussen, Anders Fogh, and Ivo Daalder. 2022. “Memo on an “Economic Article 5” to counter authoritarian coercion”. Chicago and Copenhagen: Chicago Council of Global Affairs and the Alliance of Democracies Foundation. Abgerufen am 27.7. 2022. http://www.thechicagocouncil.org/research/policy-brief/memo-economic-article-5-counter-authoritarian-coercion[ i ]

Raymond, Nate. 2015. “BNP Paribas sentenced in $8.9 billion accord over sanctions violations”, Reuters, May 1. https://www.reuters.com/article/us-bnp-paribas-settlement-sentencing-idUSKBN0NM41K20150501[ j ], Abgerufen am 27.7. 2022.

Shagina, Maria. 2022. Central Bank Digital Currencies and the Implications for the Global Financial Infrastructure (FIIA Briefing Paper 329). Helsinki: Finnish Institute of International Affairs. https://www.fiia.fi/en/publication/central-bank-digital-currencies-and-the-implications-for-the-global-financial-infrastructure[ k ]

Shah, Najib. 2022. “International trade settlement in Indian rupee”. CNBC. https://www.cnbctv18.com/finance/international-trade-settlement-in-indian-rupee-14158012.htm[ l ], Abgerufen am 27.7. 2022.

TASS. 2022. “Some 52 Entities from 12 States Have Joined Russian Analogue of SWIFT, Says Central Bank”, https://tass.com/economy/1439193[ m ], Abgerufen am 27.7. 2022.


[1] Dieser Beitrag beruht auf Nölke 2022a.

©KOF ETH Zürich, 16. Aug. 2022

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