Die Weltwirtschaft wächst wieder, und die Arbeitslosigkeit sinkt. Trotzdem halten sich die Notenbanken bei der Normalisierung ihrer Geldpolitik zurück. Immerhin hat die amerikanische Notenbank mitgeteilt, dass sie in absehbarer Zeit mit einem vorsichtigen Abbau ihrer überdimensionierten Bilanz beginnen werde. Im Gegensatz dazu weitet die Europäische Zentralbank (EZB) ihre Bilanz mit riesigen Wertschriftenkäufen noch immer weiter aus. Bis die EZB mit einem Bilanzabbau beginnen wird, dürfte es noch lange dauern.
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Die Weltwirtschaft wächst wieder, und die Arbeitslosigkeit sinkt. Trotzdem halten sich die Notenbanken bei der Normalisierung ihrer Geldpolitik zurück. Immerhin hat die amerikanische Notenbank mitgeteilt, dass sie in absehbarer Zeit mit einem vorsichtigen Abbau ihrer überdimensionierten Bilanz beginnen werde. Im Gegensatz dazu weitet die Europäische Zentralbank (EZB) ihre Bilanz mit riesigen Wertschriftenkäufen noch immer weiter aus. Bis die EZB mit einem Bilanzabbau beginnen wird, dürfte es noch lange dauern. Auch die Schweizerische Nationalbank (SNB) steht trotz deutlicher Abwertung des Schweizerfrankens bei der Normalisierung ihrer Bilanz Gewehr bei Fuss. Immerhin hat sie den Wortlaut ihrer die Geldpolitik begleitenden Äusserungen geändert. Inzwischen spricht sie von einem gewissen Abbau der deutlichen Überbewertung. Die Bank of England stellt angesichts steigender Inflationsraten zumindest eine straffere Geldpolitik in Aussicht.
Theorie und Praxis
Vor dem Hintergrund der stark verbesserten wirtschaftlichen Entwicklung ist es unverständlich, weshalb die Notenbanken mit einem substanziellen Abbau ihrer aufgeblähten Notenbankbilanzen zuwarten und sich noch nicht von den Null- und Negativzinsen verabschieden. Je länger sie damit zuwarten, umso grösser werden die Verzerrungen auf den Finanzmärkten und in der Wirtschaft. Vor allem schaffen sie keinen Spielraum für künftige geldpolitische Aktionen. Ein solcher ist aber nötig, damit man im Falle eines unerwarteten politischen oder wirtschaftlichen Schocks umgehend eingreifen kann. Bei einem Wiederaufflammen der Banken-, Schulden- oder Euro-Krise müssten die Notenbanken ihre überdimensionierten Bilanzen durch Interventionen auf den Finanzmärkten noch weiter ausbauen. Dann wäre der Zeitpunkt nicht mehr fern, in dem fast alle Staatsschulden und ein beträchtlicher Teil der kotierten Aktien in den Händen der Notenbanken lägen. Den Finanzmärkten kämen kaum mehr Steuerungsfunktionen zu. Die Marktwirtschaft wäre ausgehebelt.
Das Zögern der Notenbanken überrascht nicht. Selbst bei fehlenden Erfolgen haben sie in der Vergangenheit immer wieder unnötig lange an einem einmal eingeschlagenen Weg in ihrer Politik festgehalten. Dies war unter dem System fester Wechselkurse genauso der Fall wie heute. Das Denken vieler Notenbanken wird von den geldpolitischen Ideen ge-prägt, die zwar an den führenden englischsprachigen Hochschulen gelehrt werden, sich aber in der Praxis nicht bewährt haben. In der Politik und in den Medien finden diese Ideen allerdings weit mehr Gehör als die von akademischen Aussenseitern vorgetragenen Meinungen. Bis Notenbanken einen Paradigmawechsel vollziehen, müssen die Fehlentwicklungen auf den Finanzmärkten oder in der Wirtschaft unübersehbar sein.
In den letzten Jahren war die Geldpolitik der amerikanischen Notenbank (Fed) und der EZB von zwei Ideen geprägt: vom «quantitative easing», d. h. vom Erwerb riesiger im Voraus definierter Mengen von Wertschriften, und von der Ankündigung, an diesen Käufen so lange festzuhalten, bis die Inflationsrate die Grenze von zwei Prozent erreicht habe. Das «quantitative easing» wurde «erfunden», als das Fed und die EZB feststellten, dass die reale Wirtschaft sich trotz dem riesigen Liquiditätsschub, welcher zur Stabilisierung des Bankensystems notwendig war, nicht erholte und die kurzfristigen Zinsen und Inflationsraten sich gegen null bewegten. Obwohl es keine Anzeichen für eine nahende Deflation gab, begannen die Notenbanken, diese Gefahr an die Wand zu malen.
Mit der Ankündigung, die Käufe so lange fortzusetzen, bis die Inflationsrate wieder bei zwei Prozent liegen werde, wollte man einerseits signalisieren, dass die Käufe lange anhalten würden. Davon versprach man sich einen schnelleren Rückgang der langfristigen Zinsen. Andererseits wollte man die Inflationserwartungen bei zwei Prozent stabilisieren, weil bei stabilen Inflationserwartungen die Realzinsen, d. h. die Differenz zwischen den Nominalzinsen und der erwarteten Inflationsrate, noch stärker als die Nominalzinsen sinken würden.
Auf das «quantitative easing» hätten die Notenbanken verzichten sollen. Der Hauptgrund, weshalb die zur Stabilisierung des Bankensystems geschaffene Liquidität nicht zu einer Ausweitung des Kreditangebotes und damit zu einer Belebung der Wirtschaft führte, lag nicht an der Höhe der Zinssätze, sondern an der mangelnden Risikofähigkeit der Banken. Die Eigenkapitalausstattung der meisten Banken war nach der Stabilisierung des Bankensystems ungenügend. Hinzu kam, dass vor allem die Banken in den überschuldeten Ländern Südeuropas nicht nur keine neuen Kredite aus den bessergestellten Ländern erhielten, sondern alte Kredite an die Banken dieser Staaten zurückbezahlen mussten. Welche Rolle die Eigenkapitalausstattung bei der Übertragung von geldpolitischen Impulsen spielt, kann auch daraus abgelesen werden, dass in den USA, wo die Banken über eine bessere Eigenkapitalausstattung verfügten, die Wirtschaft schneller als die europäische auf die sehr expansive Geldpolitik ansprach. Statt die Zinssätze auf unnatürliche Niveaus zu drücken, wäre es besser gewesen, sofort für eine deutlich höhere Eigenkapitalquote der Banken zu sorgen.
Der Hauptgrund für das Hinausschieben der Normalisierung der Geldpolitik im Euro-Raum liegt – auch wenn das nicht zugegeben wird – in der Verschuldung vieler Euro-Länder. Dank dem «quantitative easing» konnte zwar der Staatsbankrott einiger Länder vermieden werden. Dafür entfiel der Druck, die öffentlichen Haushalte in Ordnung zu bringen. Die extrem niedrigen Zinsen machen es sogar möglich, dass sich die überschuldeten Länder noch weiter verschulden und die Staatsausgaben weiter ausufern. In einem freien Markt wäre dies unmöglich.
Völlig unverständlich und geldpolitisch unsinnig ist das Theater, das einzelne Notenbanken um das Erreichen eines Inflationsziels von zwei Prozent machen. Diese Notenbanken scheinen die Schwierigkeiten zu verdrängen, die es bei der Bestimmung der Inflation gibt. Der Zerfall der Energiepreise als Folge des Frackings in den USA, die Produktivitätsfortschritte als Resultat neuer IT-Techniken und anderer Erfindungen, die Veränderungen im Konsumbereich als Folge des Internethandels oder die vielen Importe aus den Billiglohnländern haben zu Preisveränderungen geführt, die mit Inflation oder Deflation nichts oder nur wenig zu tun haben, dafür eine genaue Berechnung der Inflationsrate verunmöglichen. Allerdings sind sich die Ökonomen über die mögliche Grösse der Fehler bei der Inflationsberechnung nicht einig. Ausser einzelnen Notenbanken glaubt jedoch niemand, dass die Inflation auf die Stelle nach dem Komma genau berechnet werden kann. Es ist deshalb lächerlich, wenn eine Notenbank eine Teuerungs-rate, die noch etwas unter zwei Prozent liegt, als Begründung für ein Festhalten am «quantitative easing» verwendet.
Wegen der Erholung in der Weltwirtschaft sind die Fehlentwicklungen wegen des «quantitative easing» in den Hintergrund gerückt, aber nicht verschwunden. Das «quantitative easing» hat in erster Linie die langfristigen Zinsen auf ein wirtschaftlich nicht zu rechtfertigendes Niveau heruntergedrückt. Dieses belastet vor allem die Sparer, Pensionskassen und Unternehmen mit einer hohen Liquidität. Wegen der zu niedrigen oder negativen Zinsen werden die relativen Preise in der Wirtschaft falsch festgesetzt. Dies kann nicht nur zu Verzerrungen auf den Immobilien- oder Finanzmärkten, sondern auch zu vielen anderen Fehlentscheidungen in der Wirtschaft führen. Wenn beispielsweise die Liquidität einer Unternehmung nicht mehr zinstragend angelegt werden kann, nimmt die Bereitschaft zum Rückkauf eigener Aktien oder zur Übernahme anderer Unternehmen zu hohen Preisen zu.
Normalisierung der Bilanzen
Beides führt zumindest kurzfristig zu einer höheren Eigenkapitalrendite. Dafür nimmt der Verschuldungsgrad zu. Dazu kommt es auch, wenn eine Unternehmung wegen der niedrigen Zinsen Kredite zum Rückkauf eigener Aktien oder zu einer Übernahme aufnimmt. Solche die Verschuldung fördernden Transaktionen werden durch Bonuszahlungen an das Management, die oft an die Eigenkapitalrendite gebunden sind, zusätzlich gefördert. Was ein zu hoher Verschuldungsgrad für Folgen haben kann, hat die letzte Bankenkrise eindrücklich vor Augen geführt. Die zunehmende Verschuldung der privaten Haushalte, der Unternehmen und Staaten wird als Damoklesschwert noch lange über der Wirtschaft hängen und das langfristige Wachstum dämpfen. Dies sehen allerdings nicht alle gleich. So gibt es in den USA bereits wieder Notenbankvertreter, die der Meinung sind, dass sich vor allem die Situation der privaten Haushalte dank dem «quantitative easing» drastisch verbessert habe. So sei das Verhältnis zwischen Schulden und Vermögenswerten noch selten so tief wie jetzt gewesen.
Bei einer solchen Beurteilung wird allerdings verdrängt, dass das Verhältnis nur deshalb so gut ist, weil wegen des «quantitative easing» die Immobilien-, Obligations- und Aktienpreise sehr stark gestiegen sind. Dies kann sich bei einem Crash rasch ändern. Es ist kein Zufall, dass vor den grössten Wirtschaftskrisen des 20. Jahrhunderts das Verhältnis zwischen Schulden und Vermögen ebenfalls sehr niedrig war.
Die Notenbanken, und das gilt auch für die Schweizerische Nationalbank, wären gut beraten, wenn sie mit der Normalisierung ihrer Bilanzen so schnell und konsequent wie möglich beginnen würden. Ein Zuwarten begünstigt nur die Verschuldung und macht damit die Wirtschaft anfälliger auf wirtschaftliche und politische Schocks. Solange die Notenbanken ihre Bilanzsummen nicht heruntergefahren und die Situation auf den Finanzmärkten normalisiert haben, werden sie nicht in der Lage sein, der nächsten Krise die Stirn zu bieten.