Der deutsche Leistungsbilanzsaldo wächst und wächst, wodurch sich die Ungleichgewichte in Europa weiter erhöhen. Mit einem Abbau seines Leistungsbilanzüberschusses würde Deutschland einen Beitrag zur internationalen Stabilisierung leisten, wie dieser Beitrag zeigt. Die Entwicklung des deutschen Leistungsbilanzsaldos scheint nur eine Richtung zu kennen, nämlich aufwärts. Er beträgt mittlerweile etwa 9% in Relation zum Bruttoinlandsprodukt. Die deutsche Wirtschaft exportiert deutlich mehr Waren und Dienstleistungen, als sie aus dem Ausland importiert; der Exportüberschuss wird von den ausländischen Nachfragern nach deutschen Gütern mit Kapitalexporten aus Deutschland finanziert. Deutschland baut immer mehr Forderungen gegenüber dem Ausland auf. Der Leistungsbilanzsaldo wird sowohl durch langfristige, strukturelle Entwicklungen als auch durch kurzfristige, konjunkturelle Faktoren beeinflusst. Gegenwärtig dürfte die einheitliche europäische Geldpolitik expansiver ausfallen als eine für Deutschland maßgeschneiderte Geldpolitik. Ein wichtiger Kanal zum Abbau internationaler Ungleichgewichte ist damit nur eingeschränkt funktionsfähig; der Euro ist wohl niedriger bewertet, als es bei optimaler nationaler Geldpolitik der Fall wäre.
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Der deutsche Leistungsbilanzsaldo wächst und wächst, wodurch sich die Ungleichgewichte in Europa weiter erhöhen. Mit einem Abbau seines Leistungsbilanzüberschusses
würde Deutschland einen Beitrag zur internationalen Stabilisierung leisten, wie dieser Beitrag zeigt.
Die Entwicklung des deutschen Leistungsbilanzsaldos scheint nur eine Richtung zu kennen, nämlich aufwärts. Er beträgt mittlerweile etwa 9% in Relation zum Bruttoinlandsprodukt. Die deutsche Wirtschaft exportiert deutlich mehr Waren und Dienstleistungen, als sie aus dem Ausland importiert; der Exportüberschuss wird von den ausländischen Nachfragern nach deutschen Gütern mit Kapitalexporten aus Deutschland finanziert. Deutschland baut immer mehr Forderungen gegenüber dem Ausland auf.
Der Leistungsbilanzsaldo wird sowohl durch langfristige, strukturelle Entwicklungen als auch durch kurzfristige, konjunkturelle Faktoren beeinflusst. Gegenwärtig dürfte die einheitliche europäische Geldpolitik expansiver ausfallen als eine für Deutschland maßgeschneiderte Geldpolitik. Ein wichtiger Kanal zum Abbau internationaler Ungleichgewichte ist damit nur eingeschränkt funktionsfähig; der Euro ist wohl niedriger bewertet, als es bei optimaler nationaler Geldpolitik der Fall wäre. Die preisliche Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft wird dadurch gestärkt, sodass die Exporte weiterhin schneller zunehmen als die Importe.
Nachhaltig ist diese Entwicklung nicht. In einem Lehrbuch-Modell würde die Überschussnachfrage nach deutschen Produkten eine Überauslastung der Kapazitäten in Deutschland auslösen, dadurch stiegen Faktorkosten und Güterpreise, das Ungleichgewicht würde sich abbauen. Das funktioniert aber gegenwärtig nicht hinreichend, auch da die deutsche Finanzpolitik auf der Bremse steht und mit den Überschüssen im Staatshaushalt dämpfend auf die gesamtwirtschaftliche Nachfrage in Deutschland wirkt. Der jährliche gesamtstaatliche finanzpolitische Spielraum liegt – wohlgemerkt unter Einhaltung der Schuldenbremse und der einschlägigen europäischen Bestimmungen – in der Größenordnung von 20 Mrd. Euro.
Dieser Spielraum sollte genutzt werden, um den Expansionsgrad der Finanzpolitik zu erhöhen. Dies hätte eine Reihe von positiven Effekten: (1) Auf globaler Ebene nähme die berechtigte Kritik am trendmäßigen Anstieg des deutschen Leistungsbilanzüberschusses ab. Eine expansivere Finanzpolitik würde zu höheren Preisen in Deutschland beitragen und zu einer realen Aufwertung führen. (2) Auf europäischer Ebene würden die Inflationsrate und der Auslastungsgrad des Euroraums insgesamt steigen, allein dadurch, dass Deutschland ein großes Land ist. Spillover-Effekte auf die Konjunktur in anderen Ländern des Euroraums wären allerdings wohl eher klein. Bei höherem Auslastungsgrad und höherer Inflationsrate würde die aus Deutschland bisweilen heftig kritisierte Geldpolitik der Europäischen Zentralbank weniger expansiv ausfallen können. (3) Auf nationaler Ebene gäbe es eine Reihe äußerst sinnvoller finanzpolitischer Maßnahmen. So könnten etwa mit steuerlicher Entlastung die private Nachfrage nach Konsum- und Investitionsgütern gestärkt und die Angebotsbedingungen verbessert werden. Im investiven Bereich gäbe es eine Reihe von sinnvollen zusätzlichen Staatsausgaben – sei es für Bildung oder die Integration von Migranten in den Arbeitsmarkt.
Gefahren für die Stabilität der deutschen Staatsfinanzen gingen von einer unter Einhaltung der Schuldenbremse moderat expansiveren Finanzpolitik in Deutschland wohl kaum aus. Auch wäre die Zinsersparnis bei Verwendung der Überschüsse für die Schuldentilgung nur gering. Als ein Argument gegen eine expansivere Finanzpolitik in Deutschland wird häufig angebracht, dass eine Überhitzung drohe. Dem ist zu entgegnen, dass die Schätzung des Auslastungsgrades der Wirtschaft ausgesprochen unsicher ist. Preis- und Lohnentwicklung sprechen gegenwärtig nicht dafür, dass die deutsche Wirtschaft bereits einer dramatischen Überauslastung entgegensteuert. In einem einheitlichen Währungsraum wie dem Euroraum sind lokale Überhitzungen grundsätzlich sogar notwendig, sie lösen die Bewegung von Arbeitskräften und Kapital von unterausgelasteten hin zu den boomenden Regionen aus. In einem einheitlichen Währungsraum ohne den nominalen Wechselkurs als Anpassungsmechanismus ist das ein wichtiger Kanal zur Anpassung an regional unterschiedlich wirkende Schocks.
Der Verzicht auf eine expansivere Finanzpolitik in Deutschland, um hierzulande eine etwaige Überauslastung und damit verbundene höhere Inflation zu vermeiden, ist letztlich schädlich für die Aussicht auf die Stabilisierung makroökonomischer Ungleichgewichte in der Welt und in Europa. Langfristig wird dies negativ auf Deutschland zurückwirken. Wie immer in der Ökonomie gilt es, Kosten und Nutzen gegeneinander abzuwägen. Eine kurzfristige Überhitzung in Deutschland wäre in der Tat isoliert betrachtet nicht wünschenswert. Insgesamt würde Deutschland aber durch die internationale Stabilisierung und die – bei vernünftigen finanzpolitischen Maßnahmen – positiven Wachstumseffekte davon profitieren.
©KOF ETH Zürich, 2. Mär. 2017