Artikel 15 in Chinas Beitrittsprotokoll zur WTO aus dem Jahr 2001 besagt, dass im Falle von Preisdumping WTO-Mitglieder gegenüber dem Land strengere Handelsschutzregeln anwenden dürfen. Der entsprechende Passus im Beitrittsprotokoll ist interessanterweise für eine Frist von 15 Jahren festgelegt worden. In den USA und der EU ist deshalb ein Disput im Gange, ob und wie die Handelsschutzregeln gegenüber China spätestens Ende 2016 angepasst werden müssen. Dieser Beitrag umreißt die wirtschaftspolitische Problemlage und empfiehlt einen Mittelweg. Bei internationalen Exportgeschäften werden Importländer immer wieder mit sogenanntem Preisdumping konfrontiert.[ 1 ] Dabei handelt es sich um einen Vorgang, bei dem Exporteure ihre Güter im Importland unter Produktionskosten oder dem Marktwert verkaufen. Die Gründe hierfür können vielfältig sein und reichen vom Abbau von Überkapazitäten im Exportland bis hin zu einer intendierten Schädigung von Wettbewerbern im Importland. Um solch einen unfairen Wettbewerb zu unterbinden hat die EU Kommission die Möglichkeit, Anti-Dumping (AD) Zölle gegen entsprechende Exporteure zu verhängen. AD Zölle (temporäre Strafzölle) stellen somit einen möglichen Schutzmechanismus zur Wiederherstellung fairer Wettbewerbsbedingungen bei unfairen grenzüberschreitenden Geschäften dar. AD Zollbestimmungen werden von Ländern bzw.
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Artikel 15 in Chinas Beitrittsprotokoll zur WTO aus dem Jahr 2001 besagt, dass im Falle von Preisdumping WTO-Mitglieder gegenüber dem Land strengere Handelsschutzregeln anwenden dürfen. Der entsprechende Passus im Beitrittsprotokoll ist interessanterweise für eine Frist von 15 Jahren festgelegt worden. In den USA und der EU ist deshalb ein Disput im Gange, ob und wie die Handelsschutzregeln gegenüber China spätestens Ende 2016 angepasst werden müssen. Dieser Beitrag umreißt die wirtschaftspolitische Problemlage und empfiehlt einen Mittelweg.
Bei internationalen Exportgeschäften werden Importländer immer wieder mit sogenanntem Preisdumping konfrontiert.[ 1 ] Dabei handelt es sich um einen Vorgang, bei dem Exporteure ihre Güter im Importland unter Produktionskosten oder dem Marktwert verkaufen. Die Gründe hierfür können vielfältig sein und reichen vom Abbau von Überkapazitäten im Exportland bis hin zu einer intendierten Schädigung von Wettbewerbern im Importland. Um solch einen unfairen Wettbewerb zu unterbinden hat die EU Kommission die Möglichkeit, Anti-Dumping (AD) Zölle gegen entsprechende Exporteure zu verhängen. AD Zölle (temporäre Strafzölle) stellen somit einen möglichen Schutzmechanismus zur Wiederherstellung fairer Wettbewerbsbedingungen bei unfairen grenzüberschreitenden Geschäften dar.
AD Zollbestimmungen werden von Ländern bzw. Staatenverbünden wie der EU jeweils eigenständig formuliert. Allerdings wurden innerhalb der Welthandelsorganisation (WTO) allgemeine Richtlinien definiert, wann AD Zölle erhoben werden können und welche Dumpingspanne – und damit Strafzollhöhe – gerechtfertigt ist.
Bei der Bestimmung einer angemessenen Dumpingspanne spielen unterschiedliche Faktoren eine Rolle. Eine juristische Feinheit, der eine besondere Bedeutung zufällt, ist die Gewährung des sogenannten Marktwirtschaftsstatus (MWS). Alle Exportpartner eines Landes, die einen MWS erhalten, werden bei der Bestimmung der Dumpingspanne anders behandelt, als Länder mit einem sogenannten Nicht-Marktwirtschaftsstatus (NMWS). Im Falle eines MWS Landes werden in einem AD Verfahren die Preise des Exporteurs im Importland (z.B. in der EU) mit inländischen Kosten und Preisen des Exporteurs (z.B. in China) verglichen. Im Falle eines Landes mit NMWS hingegen wird der durchschnittliche Branchenexportpreis mit einem konstruierten Normalwert verglichen, der auf Grundlage von Preisen und Kosten in einem vergleichbaren Drittland (z.B. Indien) ermittelt wird. Bei diesem Drittland muss es sich um ein Land mit MWS handeln.[ 2 ]
Die unterschiedlich berechneten Dumpingspannen beeinflussen ihrerseits die Höhe der resultierenden AD Zölle. So illustriert Abbildung 1, dass durchschnittliche AD Zölle gegen Unternehmen in Ländern mit NMWS wesentlich höher ausfallen (39% ad valorem) als AD Zölle gegen Firmen in Ländern mit MWS (22% ad valorem). Unternehmen in NMWS Ländern, die nachweisen können, dass sie ganz (Marktwirtschaftsbehandlung) oder teilweise (individuelle Behandlung) unter marktwirtschaftlichen Bedingungen agieren, werden im Falle eines Dumpingverfahrens ebenfalls mit niedrigeren Zöllen konfrontiert.
Abbildung 1: Durchschnittliche AD Zölle in der EU nach Unternehmensstatus
Quelle: ifo Institut, Daten von Detlof & Fridh (2006)
Interessanterweise spielt der MWS ausschließlich bei AD Verfahren eine juristische Rolle. Der Begriff dient dazu, Länder zu kategorisieren und AD Gesetze den jeweiligen Ländergruppen zuzuweisen. In diesem Sinne handelt es sich bei dem MWS um einen technischen Begriff, bei dem die reale Wirtschaftsordnung der betroffenen Länder zunächst eine nachgelagerte Rolle spielt. Grundsätzlich ist es denkbar, dass einem Land, welches kein marktbasiertes Wirtschaftssystem vorsieht, dennoch ein MWS gewährt wird, wenn relevante ökonomische Faktoren erfüllt werden.
Derzeit klassifizieren die Europäische Union sowie mehrere andere WTO-Mitglieder, darunter die USA, die Volksrepublik China als Nicht-Marktwirtschaft (NMW). Die rechtliche Grundlage hierfür findet sich in Paragraph 15 aus Chinas Beitrittsprotokoll zur WTO, das 2001 in Kraft getreten ist. Dieser Paragraph erlaubt es WTO Mitgliedern, eigenständig festzustellen, ob sie China einen MWS gewähren und folglich, welche Methodik zur Bestimmung der Dumpingspannen angewendet werden soll.
Ende 2016 wird Paragraph 15 (a) (ii) aus Chinas Beitrittsabkommen zur WTO ablaufen. Da dieser Paragraph maßgeblich die Anwendung spezieller AD Verfahren gegenüber China innerhalb der WTO legitimiert, ist zwischen China und seinen wichtigsten Handelspartnern eine hitzige Debatte entbrannt, die zunehmend auch an die Öffentlichkeit dringt. Zwischen den unterschiedlichen Interessensgruppen gibt es große Uneinigkeit darüber, welche AD Verfahren gegen chinesische Exporteure nach 2016 Anwendung finden können. Dabei wird die Diskussion von politischen Argumenten dominiert, während wichtige ökonomische Aspekte teilweise oder ganz ausgeblendet werden.
Falls die EU China einen MWS gewährt, kann davon ausgegangen werden, dass die europäischen AD Zölle gegenüber China abnehmen. Das Ausmaß der Reduktion ist jedoch mit den bisher vorliegenden Studien schwer abzuschätzen. Eine Abnahme zwischen 17 und 28 Prozentpunkten wird in mehrere Studien prognostiziert (vergleiche z.B. Scott & Jiang 2015, Yalcin et al., 2016). Qualitativ wird diese Erwartung durch die bisherigen Erfahrungen anderer WTO Mitglieder, die China bereits den MWS gewährt haben, bestätigt. So zeigt Abbildung 2 das durchschnittliche Niveau der ad valorem AD Zölle dieser Länder gegen China vor und nach Zuerkennung eines MWS. Während die durchschnittlichen Zölle stark gesunken sind, hat sich die Anzahl der eingeleiteten AD Verfahren in den meisten Ländern nach Gewährung eines MWS erhöht (Abbildung 3).[ 3 ]
Abbildung 2: Durchschnittliches Niveau der ad valorem AD Zölle gegen China, vor und nach Zuerkennung des MWS
* Jahr der Zuerkennung des MWS in vor-MWS Stichprobe enthalten, da keine ad valorem Zölle vor dem Jahr der Zuerkennung des MWS beobachtet wurden
Quelle: ifo Institut, AD Daten von Bown (2015), Importdaten der UN (2015)
Abbildung 3: Durchschnittliche Zahl eingeleiteter AD Verfahren gegen China pro Jahr, vor und nach Zuerkennung des MWS
Quelle: ifo Institut, Daten von Urdinez & Masiero (2015) und der WTO (2015)
Als Folge dieser durchschnittlichen Strafzollreduktion wird auch eine Erhöhung chinesischer Importe in die EU, einhergehend mit einem Rückgang der europäischen Produktion und Beschäftigung in betroffenen Branchen, erwartet. Allerdings variieren die prognostizierten negativen Beschäftigungseffekte sehr stark zwischen den Studien. Des Weiteren werden wichtige dynamische Aspekte außer Acht gelassen. So neigen AD Zölle in der Tat dazu, Importe aus dem betroffenen Land auf kurze Sicht zu verringern. Lu, Tao & Zang (2013) zeigen in ihrer Forschung jedoch, dass eine nicht diversifizierte AD Gesetzgebung gegen China auf lange Sicht zu einer nicht intendierten Intensivierung des Wettbewerbs mit China führen kann. Ein wesentlicher Grund für diese ökonomische Wirkung resultiert daher, dass AD Zölle im Zielland vor allem schwache, unproduktive Firmen treffen und aus dem Markt drängen (Selektionseffekt). In der Folge können die im Markt verbleibenden Unternehmen ihre Exporte in das jeweilige Land sogar erhöhen und langfristig kostengünstiger produzieren.
Zugleich muss die anstehende Gesetzesänderung in einem breiteren Kontext gesehen werden. So ist China für die EU ein wichtiger Handelspartner. Ein erheblicher Teil der EU Exporte basiert auf kostengünstigen Zwischengütern aus China, was wiederum europäische Güter international wettbewerbsfähig macht. Eine Beibehaltung strikterer AD Regeln gegenüber China könnte nicht nur wichtige Handelsströme gefährden, sondern auch die aktuellen Verhandlungen um ein bilaterales Investitionsschutzabkommen erschweren. Eine Konfrontation mit China durch die Beibehaltung einer strengeren AD Regelung erscheint vor diesem Hintergrund nicht besonders weitsichtig.
Auf der anderen Seite würden im Falle einer unilateralen Entscheidung der EU auch die Wirtschaftsbeziehungen zu wichtigen Drittstaaten wie den USA betroffen. So fordern beispielsweise Vertreter der US amerikanischen Stahlindustrie bereits jetzt, Chinas MWS in die aktuellen TTIP Verhandlungen mit einzubeziehen (Gerald, 2014).
Auch innerhalb Europas haben einzelne Branchen berechtigte Gründe, weiterhin auf eine Gesetzgebung gegenüber China zu drängen, die es ermöglicht, auch in Zukunft unfairen Wettbewerb mit Hilfe von Handelsinstrumenten zu unterbinden. So konzentrieren sich die meisten AD Fälle auf Unternehmen in der Metall- und Chemieindustrie (Abbildung 4). Folglich sollte die EU den berechtigten Interessen einzelner EU Branchen auf der einen Seite ebenso wie den berechtigten Erwartungen Chinas auf der anderen Seite mit einer kooperativen Anpassung der AD Gesetzgebung begegnen.
Preisdumping ist ein Wirtschaftsphänomen, das vor allem wettbewerbsrechtlich reguliert werden sollte. Der Einsatz von Zöllen ist letztendlich eine sogenannte “second best” Lösung, da die EU sich, aufgrund fehlender Einflussnahme auf chinesisches Wettbewerbsrecht, temporär mit handelspolitischen Instrumenten behilft. Jedoch bieten beispielsweise die bilateralen Investitionsverhandlungen sehr gute Möglichkeiten, transparentere Wettbewerbsregelung auch unter Einbeziehung von Preisdumpingfragen zu definieren. Ein solches Vorgehen würde deutlich weniger unnötige Verzerrungen im Güterhandel mit China nach sich ziehen und stellt tendenziell eine politische “first best” Lösung dar.
Abbildung 4: AD Maßnahmen der EU gegen China 2014, nach Sektoren
Quelle: ifo Institut, AD Daten von Bown (2015)
Mittelweg als Lösung
Anstatt China den MWS entweder zu gewähren oder zur verweigern, besteht die Möglichkeit eines Mittelwegs, welcher der EU einen gewissen Ermessensspielraum im Einzelfall erhält. Dieser könnte zunächst vorsehen, dass China innerhalb der europäischen AD Gesetzgebung den Status einer Marktwirtschaft erhält. Allerdings könnten Unternehmen einzelner Branchen innerhalb einer Marktwirtschaft weiterhin als Unternehmen in einer Nichtmarktwirtschaft betrachtet werden. Ein solches Vorgehen wurde zum ersten Mal gewählt, als Russland 2002 der MWS zuerkannt wurde. Allerdings bleibt juristisch zu klären, ob eine solche Prozedur tatsächlich mit den WTO Konventionen kongruent ist.
Die vom ifo Institut durchgeführte Kurzstudie zu dem Thema verdeutlicht, dass ein dringender Bedarf für eine umfangreichere empirische Studie besteht, um verlässlichere Zahlen über die diskutierten ökonomischen Anpassungen zu erhalten. Es bleibt zu hoffen, dass die Entscheidungsträger der EU sich nicht von einzelnen Interessensgruppen bei ihrem finalen Beschluss leiten lassen, sondern den hier kurz dargelegten breiteren Themenansatz unter Berücksichtigung angemessener neuer empirischer Studien weiter verfolgen.
Literatur
Bown, C. P. (2015). Global Antidumping Database. The World Bank, June.
Detlof, H., & Fridh, H. (2006). The EU Treatment of Non? Market Economy Countries in Antidumping Proceedings. Swedish National Board of Trade.
Gerald, L. (2014) USW Letter to US Trade Representative
Lu, Y., Tao, Z., & Zhang, Y. (2013). How do exporters respond to antidumping investigations? Journal of International Economics, 91(2), 90.doi:10.1016/j.jinteco.2013.08.005
Puccio, L. (2015). Granting Market Economy Status to China: An analysis of WTO law and of selected WTO members’ policy. European Parliamentary Research Service, (PE 571.325). doi:10.2861/22416
Sandkamp, A., Yalcin, E. (2016). Chinas Marktwirtschaftsstatus und die Anti-Dumping Gesetzgebung der EU, ifo Schnelldienst 69 (4), forthcoming.
Scott, R. E., & Jiang, X. (2015). UNILATERAL GRANT OF MARKET ECONOMY STATUS TO CHINA WOULD PUT MILLIONS OF EU JOBS AT RISK. EPI Briefing Paper, (407), 1–23.
UN. (2015). UN Comtrade Database.
Urdinez, F. (2014). The Political Economy of the Chinese Market Economy Status given by Argentina and Brazil.
Urdinez, F., & Masiero, G. (2015). China and the WTO: Will the Market Economy Status Make Any Difference after 2016? The Chinese Economy, 48(2), 155–172. doi:10.1080/10971475.2015.993228
WTO. (2015). European Union — Cost Adjustment Methodologies and Certain Anti-Dumping Measures on Imports from Russia. DISPUTE SETTLEMENT.
Yalcin, E. , Felbermayr, G. & Sandkamp, A. New trade rules for China? Opportunities and threats for the EU. European Parliamentary Research Service, (PE535021). doi:10.2861/737978
- 1 Dieser Beitrag basiert auf einer Studie, die das ifo Institut im Auftrag des Europäischen Parlaments durchgeführt hat: New trade rules for China? Opportunities and threats for the EU. Eine deutsche Zusammenfassung, auf der dieser Beitrag beruht, erscheint im ifo Schnelldienst 69 (4).
- 2 Dies ist lediglich eine vereinfachte Darstellung. Für genauere Information bezüglich der Ermittlung der Dumpingspanne siehe z.B. Detlof & Fridh (2006), Yalcin et al. (2016).
- 3 Es sei zu erwähnen, dass Argentinien und Brasilien lediglich eine Absichtserklärung abgegeben haben („Memorandum of Understanding“). In der Realität hat sich ihr Verhalten in AD Verfahren gegenüber China nicht verändert (Puccio, 2015, Urdinez, 2014).