Sollte die SNB dem Fed und der EZB folgen und ihre Strategie überarbeiten? Einiges spricht dafür. Doch ebenso wichtig ist eine Strategieüberprüfung ausserhalb der SNB: Die Notenbank kann und darf nicht allein über die Rahmenbedingungen entscheiden, unter denen sie agiert. Das amerikanische Federal Reserve System (Fed) und die Europäische Zentralbank (EZB) haben jüngst ihre jeweiligen Strategien überarbeitet, um veränderten Rahmenbedingungen Rechnung zu tragen. Auch die Schweizerische Nationalbank (SNB) agiert in einem sich wandelnden Umfeld. Ihre Strategie stammt aus einer Zeit vor Bilanzausweitung, Mindestkurs und Negativzinsen, und ihre Stellung war wiederholt Gegenstand politischer Kontroversen — man denke etwa an die Diskussionen um Vollgeld oder Gewinnausschüttungen. Sollte
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Sollte die SNB dem Fed und der EZB folgen und ihre Strategie überarbeiten? Einiges spricht dafür. Doch ebenso wichtig ist eine Strategieüberprüfung ausserhalb der SNB: Die Notenbank kann und darf nicht allein über die Rahmenbedingungen entscheiden, unter denen sie agiert.
Das amerikanische Federal Reserve System (Fed) und die Europäische Zentralbank (EZB) haben jüngst ihre jeweiligen Strategien überarbeitet, um veränderten Rahmenbedingungen Rechnung zu tragen. Auch die Schweizerische Nationalbank (SNB) agiert in einem sich wandelnden Umfeld. Ihre Strategie stammt aus einer Zeit vor Bilanzausweitung, Mindestkurs und Negativzinsen, und ihre Stellung war wiederholt Gegenstand politischer Kontroversen — man denke etwa an die Diskussionen um Vollgeld oder Gewinnausschüttungen. Sollte die SNB also den Beispielen von Fed und EZB folgen? Oder besteht sogar Bedarf an einer grundsätzlicheren Klärung jenseits von rein technischen Fragen?
Geldpolitisches Konzept
Das geldpolitische Konzept der SNB umfasst drei Elemente: Preisstabilität wird als jährliche Inflation zwischen null und zwei Prozent definiert. Die prognostizierte mittelfristige Preisentwicklung dient als Indikator. Und operativ legt die SNB einen Leitzins fest.
Diese Elemente haben Fragen aufgeworfen. Kritik provoziert etwa das im internationalen Vergleich tiefe Inflationsziel, weil es bei geldpolitischen Lockerungen rasch zu negativen Zinsen führt. Ein höheres Inflationsziel könnte dies vermeiden, ginge aber mit einem Anstieg der durchschnittlichen Preissteigerung einher. Angesichts der ausgeprägten Schweizer Präferenz für stabile Preise dürfte dies kaum erwünscht sein.
Eine andere Kritik betrifft die Breite des Zielbands. Das jährliche Intervall von null bis zwei Prozent entspricht z.B. über zwanzig Jahre einem Intervall von null bis 49 Prozent und schafft damit erhebliche Unsicherheit. Das Fed und neuerdings die EZB haben sich im Gegensatz dazu auf ein Punktziel (von zwei Prozent) festgelegt. Natürlich erreichen sie dieses nicht von Jahr zu Jahr, aber eine exakte Zielsetzung macht dennoch Sinn — auch wer selten ins Schwarze trifft, braucht eine Zielscheibe.
Das Fed will zudem Abweichungen vom Zielwert in den Folgejahren korrigieren, die Inflation also im Durchschnitt mehrerer Jahre stabilisieren. Dies kann die Unsicherheit punkto langfristiger Preisentwicklung stark verringern und Konjunkturausschläge wirksamer dämpfen. Doch das Fed hat offengelassen, über welchen Zeitraum es die durchschnittliche Inflation stabilisieren will, und dies stiftet Verwirrung. Zudem weckt das Fed Zweifel an seiner Glaubwürdigkeit, denn nach einem Überschiessen der Inflation müsste es gemäss Strategie fallende Preise anstreben, obwohl es Deflation als gefährlich einstuft.
Beim Leitzins fokussierte die SNB früher auf den Londoner Libor-Satz und später aufgrund von Zweifeln an dessen Aussagekraft auf den hiesigen Saron. Als die SNB den Euro-Wechselkurs steuerte, verlor der Zins die zentrale Bedeutung, die ihm im geldpolitischen Konzept zukommt. Die Praxis war somit eklektischer als das geldpolitische Konzept, welches als Kind der 1990er Jahre insbesondere das „Neu-Keynesianische“ Modell widerspiegelt. Dieser formale Rahmen bietet nach wie vor eine gute Grundlage für die geldpolitische Analyse, doch seine weltweite Popularität in Zentralbankkreisen belegt nur scheinbar weitgehenden Konsens zwischen Theorie und Praxis. Das Modell operiert zwar mit ähnlichen Begriffen wie gängige Vorstellungen von Geldpolitik, doch seine Wirkungsmechanismen haben damit wenig gemein. Früher oder später steht ohnehin ein Paradigmenwechsel an.
Kommunikation
Die SNB legt vielfältig Rechenschaft über ihr Handeln ab und ihre Vertreterinnen und Vertreter erklären sich nach den vierteljährlichen Lagebeurteilungen sowie im Rahmen anderer Anlässe. Dabei sprechen sie weitgehend mit einer Stimme; Informationen über den Prozess der Meinungsbildung gelangen kaum an die Öffentlichkeit. Entsprechend intensiv suchen Beobachterinnen und Beobachter nach Hinweisen zu den Hintergründen. Jede Äusserung wird auf die Goldwaage gelegt und gelegentliche Kommunikationspannen schlagen hohe Wellen.
Ein alternativer Kommunikationsmodus ähnlich dem des Fed liesse Raum für persönliche Meinungsäusserungen neben den offiziellen Verlautbarungen. Dabei würde die Vielfalt der angestellten Überlegungen offenkundiger und die Gremienentscheide liefen weniger Gefahr, als abgehoben empfunden zu werden. Auch die Erwartungsbildung würde besser, denn Veränderungen im Tenor der individuellen Einschätzungen käme eine Signalfunktion zu.
Mandat
Die wachsende Aufgabenfülle von Zentralbanken gibt seit Jahren Anlass zur Diskussion, und die neuen Strategien von Fed und EZB befeuern diese. Das Fed nahm die gesellschaftliche Debatte in den USA auf, indem es nach der Vorbereitung seiner neuen Strategie im Rahmen von „Fed Listens“-Anhörungen den „breit abgestützten“ und „inklusiven“ Charakter seines Vollbeschäftigungsziels (neben dem Inflationsziel) betonte. Auch die EZB bereitete ihre Strategieanpassung mit Hearings vor. Den dabei geäusserten Wunsch nach stärkerer Berücksichtigung der Klimaproblematik trägt die EZB-Führung mit und sie betont, ihr Mandat erlaube dies oder erfordere es gar, da es um ein zentrales Ziel der Europäischen Union gehe.
Diese Interpretation ist fragwürdig. Wirkungsseitig sind Geld-, Klima- oder auch Fiskalpolitik natürlich vielfältig verzahnt und Zentralbanken müssen dies im Auge behalten. Ihre Zielsetzungen aber sind traditionell klar abgegrenzt: Zentralbanken sollen als technokratische Institutionen monetäre Ziele verfolgen. Abweichungen von diesem Prinzip bedürfen klarer Vorgaben zum Umgang mit Zielkonflikten; eigenmächtige Festlegungen durch die Zentralbank widersprechen der Rechtsstaatlichkeit.
Doch Politikerinnen und Politiker sehen es gerne, wenn Technokratinnen und Technokraten ihnen, den eigentlich Zuständigen, Schützenhilfe leisten wollen — und in bescheidenem Umfang vielleicht sogar können. Dass Mandatsausweitungen immer neue Wünsche nach sich ziehen und die Rechtssicherheit gefährden, wie das letztjährige Urteil des deutschen Bundesverfassungsgerichts zu EZB-Massnahmen zeigt, bleibt unberücksichtigt. Auch in der Schweiz verliert die Aufgabentrennung zwischen SNB, Parlament und Exekutive an der notwendigen Schärfe. Zwei Themenbereiche, SNB-Gewinne und elektronisches Zentralbankgeld, verdeutlichen dies.
Gewinnausschüttungen der SNB
Gewinnausschüttungen führen den Eignern der SNB flüssige Mittel zu und reduzieren die zukünftigen Ausschüttungen und damit den Wert der SNB-Anteile; das Vermögen von Bund und Kantonen bleibt näherungsweise gleich. Doch viele Politikerinnen und Politiker kümmert dies wenig. Sie interessieren sich allein für den Mittelzufluss, denn er reduziert die ausgewiesenen Schulden. So verzerrt diese Perspektive sein mag, sie entzieht dem politischen Druck auf die SNB nicht seine Rechtfertigung. Denn die Aufgabe der SNB begründet Rückstellungen zu geldpolitischen Zwecken, keine Glättung der an die Eigner ausgeschütteten Gewinne.
Warnerinnen und Warner wenden zu Recht ein, wechselnde Ausschüttungen in Milliardenhöhe könnten die Ausgabendisziplin von Parlamenten überfordern. Doch lösen müssen dieses Problem die Stimmbürgerinnen und -bürger und nicht die SNB, z.B. mittels eines Ausschüttungsfonds, dessen Aktiva nur langsam abgebaut werden dürfen. Dies würde auch die Glaubwürdigkeit der SNB stärken; zuletzt litt jene unter dem Eindruck, SNB und Finanzdepartment feilschten periodisch unter politischem Druck um die Ausschüttungen.
Elektronisches Zentralbankgeld
Auch bei dem in den nächsten Jahren anstehenden Entscheid über die Einführung von elektronischem Zentralbankgeld sollten die Verantwortlichkeiten klar getrennt werden: Die SNB verantwortet die Geldpolitik, aber nicht deren Rahmenbedingungen und die monetäre Architektur. Der Entscheid betrifft letztere und somit neben der Geldpolitik viele weitere Aspekte wie die Aufgabenteilung zwischen Privatsektor und Staat, den Wettbewerb, implizite Subventionen an Banken, die «Too big to fail»-Problematik und Regulierung, die Höhe der Staatseinnahmen oder die internationale Rolle des Frankens.
Die SNB kann und darf all diese Aspekte nicht im Alleingang bewerten. Bislang übernimmt sie jedoch die Meinungsführerschaft in der Schweizer Diskussion — nicht, weil sie andere Stimmen nicht zu Wort kommen liesse, sondern weil man die Einschätzung der SNB vielfach übernimmt und es entsprechend wenige dieser Stimmen gibt. Dies muss sich ändern. Nicht nur die SNB muss sich strikt an ihr Mandat halten; auch ihre Auftraggeberinnen und Auftraggeber müssen ihrer Verantwortung nachkommen.
Strategie und Verantwortung
Daher ist eine Strategieüberprüfung inner- und ausserhalb der SNB sinnvoll. Geldpolitisch prüfenswert ist das Inflationszielband, die Zentralität des Zinsinstruments und die Kommunikation. Die Glaubwürdigkeit der SNB verbietet ein Auseinanderklaffen von Theorie und Praxis, aber auch allzu häufiges und detailversessenes Feilen an der Strategie, und sie verlangt Konzentration auf das Wesentliche. Gleichzeitig sollte die SNB ihre Bindung an den — gegebenenfalls sich wandelnden — Willen des Gesetzgebers betonen. Bei Fragen, die nicht allein in ihre Zuständigkeit fallen, muss sie klarstellen, dass sie Partei und nicht Schiedsrichterin ist. Damit die SNB auch in Zukunft zu den grossen Schweizer Erfolgsgeschichten zählt, muss sie von Zeit zu Zeit über die Bücher gehen. Doch alleine kann sie die Verantwortung in Geld- und Währungsfragen nicht tragen.
Dieser Beitrag ist bereits in leicht veränderter Form in der «Neuen Zürcher Zeitung» erschienen.
©KOF ETH Zürich, 13. Aug. 2021