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Globaler Handel bewältigt Nahrungsengpässe in Krisenzeiten

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Der Ukrainekrieg hat die spätestens seit der Coronakrise bestehende angespannte Versorgungslage auf globalen Nahrungsmittelmärkten nochmals verstärkt. Die Weltmarkpreise für Agrarrohstoffe wie Getreide und Pflanzenöle übersteigen schon seit Herbst 2021 die Hochpreisniveaus der Nahrungskrisen vor gut einem Jahrzehnt und haben mit dem Einmarsch russischer Truppen in die Ukraine nochmals angezogen. Dies bleibt nicht ohne zusätzliche Risiken für die Ernährungssicherheit importbedürftiger Länder mit niedrigen Pro-Kopf-Einkommen (PKE). Besonders betroffen sind die Weizenimporteure in der MENA-Region und in Afrika südlich der Sahara. Russland und die Ukraine sind deren Hauptlieferanten. Lieferengpässe aus der Schwarzmeerregion, gepaart mit hohen Preisen, belasten zusätzlich die kritische

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Der Ukrainekrieg hat die spätestens seit der Coronakrise bestehende angespannte Versorgungslage auf globalen Nahrungsmittelmärkten nochmals verstärkt. Die Weltmarkpreise für Agrarrohstoffe wie Getreide und Pflanzenöle übersteigen schon seit Herbst 2021 die Hochpreisniveaus der Nahrungskrisen vor gut einem Jahrzehnt und haben mit dem Einmarsch russischer Truppen in die Ukraine nochmals angezogen.

Dies bleibt nicht ohne zusätzliche Risiken für die Ernährungssicherheit importbedürftiger Länder mit niedrigen Pro-Kopf-Einkommen (PKE). Besonders betroffen sind die Weizenimporteure in der MENA-Region und in Afrika südlich der Sahara. Russland und die Ukraine sind deren Hauptlieferanten. Lieferengpässe aus der Schwarzmeerregion, gepaart mit hohen Preisen, belasten zusätzlich die kritische Ernährungssituation in diesen Regionen.

Russland ist der größte Weizen- und Düngemittelexporteur und die Ukraine der bedeutendste Sonnenblumenölexporteur sowie der viertgrößte Maislieferant weltweit. Zusammen belaufen sich ihre Exportanteile von 2015 bis 2020 für Weizen auf 28 %, für Mais auf 15 %, für Sonnenblumenöl auf 66 % und für Düngemittel auf 16 %. Die Märkte haben sich zudem sehr dynamisch entwickelt. So haben sich ihre Exportanteile seit 2000 bei Weizen und Sonnenblumenöl fast verdreifacht und bei Mais versiebenfacht. Bei Düngemittelexporten sind diese relativ stabil geblieben. Weizen ist das wichtigste Grundnahrungsmittel in vielen ärmeren Regionen. Konfliktbedingte zusätzliche Ernährungsrisiken bestehen vor allem in Regionen mit hoher Bedeutung von Weizenprodukten im Ernährungsportfolio, einer hohen Abhängigkeit von Weizenimporten generell sowie von russischem und ukrainischem Weizen im Besonderen. Dies betrifft Ägypten, Libyen, Mauretanien, Sudan, Tunesien, Libanon und Jemen mit einer Gesamtbevölkerung von knapp 200 Mio. Menschen. Sie sind jetzt schon einem erhöhten Risiko der Unterernährung ausgesetzt. Natürlich können bei konstant hohen Weltmarktpreisen Versorgungsengpässe auch in Regionen mit niedrigem PKE und geringerer Importabhängigkeit auftreten, sofern sich das inländische Weizenpreisniveau an den Weltmarktpreisen orientiert.

Trotz der angespannten Versorgungslage auf internationalen Märkten ist gegenwärtig davon auszugehen, dass bis Ende 2022 angebotsseitig hinreichend Ware (global) verfügbar ist und diese auch weitgehend die Zielländer erreicht. Russland hat seine Exporte über das Schwarze Meer wieder aufgenommen, wobei das US-Landwirtschaftsministerium (USDA) davon ausgeht, dass infolge der Sanktionen knapp 9 % weniger verschifft werden als ursprünglich prognostiziert. Ukrainischer Weizen ist derzeit für die Schwarzmeerverschiffung unzugänglich. So hat das USDA seine ursprünglichen Prognosen für Weizenströme aus der Ukraine um 12 % nach unten korrigiert. Zusätzliche Exporte aus anderen Regionen, darunter Indien, USA und Australien, werden die geringeren Lieferungen aus Russland und der Ukraine im Rest der laufenden Saison wohl weitgehend ausgleichen. Insgesamt erwartet das USDA daher nur geringfügige Abwärtskorrekturen ihrer ursprünglichen Prognosen für das gesamte Welthandelsvolumen von Weizen und Mais im Wirtschaftsjahr 2021/2022. Damit beliefe sich die international gehandelte Menge in der Größenordnung um 200 Mio. Tonnen und wäre ausgeprägter als in vergangenen Jahren. Auch wenn keine fundamentalen angebotsseitigen Engpässe im Weltgetreidehandel für 2022 zu erwarten sind, dürften sich infolge des zusätzlichen Preisauftriebs die Versorgungslücken vor allem in der MENA-Region und in Afrika 2022 verschärfen. Nach Angaben der Weltbank hatten bereits als Folge der COVID-Maßnahmen allein in 2020 zusätzlich 320 Mio. Menschen keinen Zugang zu angemessener Nahrung. Die Ernährungsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) schätzt, dass infolge des Ukraine­kriegs weitere 8 Mio. bis 13 Mio. Menschen an Unterernährung leiden könnten.

Die zukünftigen Entwicklungen sind freilich schwer vorauszusehen. Es wird davon abhängen, inwieweit Russland und die Ukraine künftig in die internationalen Agrarrohstoffmärkte integriert sein werden. Dies beeinflusst dann die Anpassungsreaktionen in anderen Weltregionen, sowohl angebots- als auch nachfrageseitig und damit die internationalen Handelsströme. Gleichzeitig werden der Agrarhandel und die globale Nahrungsversorgung weiterhin parallel verlaufenden Entwicklungen und (möglichen) Krisen ausgesetzt sein. Dabei stellt sich auch die Frage, wie zentrale Player auf Agrarrohstoffmärkten mit ihrem Angebot in Hochpreisphasen reagieren. Erfahrungen der Hochpreisjahre 2007/2008 und 2010/2011 oder mit den Preissprüngen Anfang 2020 zeigen, dass Hauptgetreideexporteure, darunter auch Russland und die Ukraine, ihre Weizenexporte durch Quoten bis hin zu Exportverboten merklich eingeschränkt hatten, um die inländischen Getreidepreise zu stabilisieren. Insofern ist nicht auszuschließen, dass etwa Russland oder andere Exporteure in einer länger andauernden Hochpreisphase Weizenexportbeschränkungen zur Stabilisierung inländischer Preisniveaus durchführen. Das Angebot auf internationalen Märkten würde knapper und das Preisniveau anziehen.

Mit Vorsicht darf jedoch erwartet werden, dass sich auch 2023/2024 das Welthandelsvolumen für wichtige Agrarrohstoffe nicht drastisch verändern wird. Internationale Agrarhandelsströme werden möglicherweise anders verlaufen, wenn man so will „suboptimal“ zu höheren Kosten. Wie sich dies in den Preisniveaus widerspiegelt, ist derzeit nicht absehbar. Die Terminmarktnotierungen an der EURONEXT in Paris signalisieren zwar wieder sinkende Weizen- und Maispreiserwartungen für 2022/2023 bzw. 2023/2024, doch verbleiben sie auf einem relativ hohen Niveau. Dies ist sicherlich auch eine Folge der weiterhin bestehenden Unsicherheit bezüglich des Schwarzmeerkonflikts, der noch nicht hinreichend funktionierenden Lieferketten nach der Coronakrise, des steigenden Importbedarfs speziell in China und Afrika, höherer Kosten für Vorleistungen und der Rohölpreissteigerungen. Insofern würden Verbrauchende, speziell in Entwicklungsländern, eine zusätzliche Preislast tragen müssen. Für die europäische Landwirtschaft und ihre Verbrauchenden sind mittelfristig keine einschneidenden Auswirkungen zu erwarten.

In solchen Krisensituationen zeigt sich einmal mehr, dass sich der wettbewerblich organisierte internationale Handel als geeignete Risikostrategie zur Überwindung regionaler Produktions- und Versorgungsengpässe in verschiedenen Weltregionen auszeichnet. Dieser ermöglicht auch zukünftig neu auftretende Engpässe, ob witterungs-, krisen- oder politikbedingt, in Regionen durch Anpassungen in anderen Regionen abzumildern. Insofern sollten im Sinne der globalen Ernährungssicherheit, einem zentralen Entwicklungsziel der UN, geopolitische Bemühungen dafür sorgen, dass die Ukraine und Russland auch künftig integraler Teil des agrarischen Welthandelssystems bleiben. Ihre hohen Produktions- und Exportmöglichkeiten stärken zweifellos das „Sicherheitsnetz des internationalen Agrarhandels“ und tragen damit maßgeblich zur Reduktion von Versorgungsrisiken bei. Vor Rufen nach planwirtschaftlichen Transformationen, Abschottung oder gar regionaler Autarkie muss eindringlich gewarnt werden. Auch sind vermehrte Forderungen nach weitreichenden Werteübereinstimmungen als Conditio sine qua non für Gestaltung und Ausübung transnationaler (Agrar-)Handels- und Geschäftsbeziehungen nicht förderlich. Solche Forderungen dürften kaum durchsetzbar sein, könnten aber das internationale Agrarhandelsgeschehen empfindlich schwächen. All dies würde zulasten hungernder Menschen im globalen Süden gehen.

Dieser Beitrag ist zuerst in der Mai-Ausgabe des Wirtschaftsdienstes[ a ] erschienen.

Glauben et al. (2022), IAMO Policy Brief, 44, https://www.iamo.de/fileadmin/documents/IAMOPolicyBrief44_de.pdf[ b ] (5. Mai 2022).

©KOF ETH Zürich, 24. Mai. 2022

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