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Die zunehmenden Spannungen zwischen Moskau und den westlichen Mächten haben die Aussicht auf neue Sanktionen gegen Russland erhöht – falls es die benachbarte Ukraine angreift. Doch würde Russland wirklich einen Krieg riskieren?
US-Außenminister Antony Blinken hat am Mittwoch (19. Januar) erklärt, Russland könne die Ukraine „sehr kurzfristig“ angreifen. Er hat erneut vor harten Sanktionen gewarnt, falls es zu einem Angriff kommen sollte.
Er betonte bei einem Besuch in der ukrainischen Hauptstadt Kiew die engen Beziehungen der USA zur Ukraine und versprach eine „unnachgiebige“ Diplomatie, um die russische Aggression zu stoppen.
Blinken sagte, Russland habe seine Truppen in der Nähe der ukrainischen Grenzen grundlos und ohne, dass es provoziert wurde, aufgestockt.
„Wir wissen, dass es Pläne gibt, diese Truppen sehr kurzfristig noch weiter aufzustocken, und das gibt Präsident [Wladimir] Putin die Möglichkeit, ebenfalls sehr kurzfristig weitere aggressive Maßnahmen gegen die Ukraine zu ergreifen“, sagte er.
Blinken traf am Donnerstag in Berlin mit Ministern aus Großbritannien, Frankreich und Deutschland zusammen.
„Egal welchen Weg Russland wählt, es wird die Vereinigten Staaten, Deutschland und unsere Verbündeten vereint vorfinden“, sagte er auf einer Pressekonferenz mit der deutschen Außenministerin Annalena Baerbock.
„Wir fordern dringend, dass Russland Schritte zur Deeskalation unternimmt. Jedes weitere aggressive Verhalten oder jede weitere Aggression würde ernste Konsequenzen nach sich ziehen“, sagte Baerbock auf der Pressekonferenz.
Blinken traf sich am Freitag auch mit dem russischen Außenminister Sergej Lawrow in Genf, um auf diplomatischem Wege eine russische Invasion in der Ukraine zu verhindern.
Das Treffen blieb jedoch ergebnislos und wurde sogar frühzeitig nach anderthalb Stunden beendet. Doch Blinken zieht eine vorsichtig optimistische Bilanz. „Ich glaube, dass Außenminister Lawrow jetzt unsere Position besser versteht und umgekehrt“, sagte Blinken. Die Diskussion sei daher nützlich gewesen.
Wird Putin in der Ukraine einmarschieren?
Russland bestreitet die Absicht, in die Ukraine einzumarschieren, hat aber eine Liste von Forderungen aufgestellt, zu denen auch die Zusage der NATO gehört, die Ukraine niemals als Mitglied aufzunehmen. Experten sind sich ebenfalls nicht sicher, ob Putin sich schon entschieden hat, einen Angriff zu starten.
Auch die Tatsache, dass in Russland das Thema Krieg gegen die Ukraine überhaupt nicht in den Medien erwähnt wird, deutet darauf hin, dass Putin sein Volk nicht auf einen Krieg vorbereitet, schreibt „Economist“.
In seinem Essay aus dem Jahr 2021 über die „historische Einheit Russlands und der Ukraine“ ließ Putin jedoch keinen Zweifel an seiner Vision eines russischen Binnenimperiums, einer Familie slawischer Nationen, aufkommen. Doch wird er so weit gehen, die Ukraine einzunehmen?
Einige glauben, dass Putin immer noch hofft, dem Westen Zugeständnisse abzuringen, indem er Forderungen stellt und seine Truppen in der Ukraine aufstocken lässt.
„Die Wahrscheinlichkeit, dass es zu einer dramatischen, aber begrenzten Militäroperation in der Ukraine kommt, ist gestiegen“, sagt James Sherr vom International Centre for Defence and Security, einer Dankfabrik in Tallinn und früher langjähriger Russland-Beobachter des britischen Verteidigungsministeriums.
Wie eine solche Operation aussehen würde, ist die Frage, die Geheimdienstanalysten in ganz Europa beschäftigt.
Mehrere Möglichkeiten für eine Invasion
„The Economist“ hat die Möglichkeiten analysiert und kam zu dem Schluss, dass es mehrere Möglichkeiten der Invasion geben könnte.
Eine Möglichkeit wäre, dass Russland Truppen in die Donbass-Region entsendet und die Region für unabhängig erklären oder gen Westen ausdehnen lässt.
Ein anderes Szenario, das in den letzten Jahren häufig diskutiert wurde, ist, dass Russland versuchen könnte, eine Landbrücke zur Krim zu errichten. Das wären etwa 300 Kilometer entlang des Asowschen Meeres. Dies würde die russische Kontrolle in einem Gebiet ausweiten, das als Noworossija oder Neurussland bekannt ist, schreibt „Economist“.
Das Ziel der Landbrücke wäre die Abschottung der Ukraine vom Schwarzen Meer, was wiederum das Land wirtschaftlich praktisch unfähig machen würde, schreibt die Denkfabrik CSIS (Center for Strategic and International Studies).
Laut „Economist“ wäre jedoch eine aggressivere Vorgehensweise wahrscheinlicher. Entweder durch den gewaltsamen Sturz der ukrainischen Regierung und den Einsatz einer sogenannten „Marionettenregierung“ – bestehend aus russlandfreundlichen Politiker. Die Zerstörung der Infrastruktur und die Besetzung der Region würde ebenfalls in Frage kommen.
Oder Russland könnte seine Forderungen direkt an die USA richten, „diesmal von einer beherrschenden militärischen Position aus“. Alle drei Wege würden einen großen Krieg voraussetzen.
Kriege sind jedoch riskant, da sie unvorhersehbare Faktoren mit sich bringen. Iwan Timofejew vom Russischen Rat für Internationale Angelegenheiten warnt vor einer „langen und schleppenden Konfrontation“, die durch westliche Militärhilfe in die Länge gezogen würde und „mit einer Destabilisierung Russlands selbst verbunden wäre“.
Washington würde erneut Sanktionen verhängen
Auch erneute Sanktionen würde Putin riskieren. Die Demokraten im US-Senat haben einen Gesetzentwurf vorgelegt, der weitreichende Sanktionen gegen russische Regierungs- und Militäroffiziere, einschließlich Putin, sowie gegen Bankinstitute vorsieht, falls Moskau sich an den Feindseligkeiten gegen die Ukraine beteiligt.
„Wenn Russland sein konventionelles Militär einsetzt, um sich Land in der Ukraine anzueignen, wird das eine harte wirtschaftliche Antwort nach sich ziehen“, sagte ein hoher Beamter des Weißen Hauses gegenüber „Reuters“.
Eine dieser Sanktionen wäre die Abkopplung des russischen Finanzsystems vom globalen SWIFT-Nachrichtensystem. SWIFT wird von mehr als 11.000 Finanzinstituten in über 200 Ländern genutzt. Das würde zwar vorübergehend die Transaktionen blockieren und Kosten verursachen, das System würde sich jedoch erholen.
„Die Sanktionierung aller Transaktionen mit russischen Banken und das Einfrieren von Vermögenswerten wäre wirkungsvoller und gezielter“ als eine Abschaltung von SWIFT, die erst nach umfassenden Finanzsanktionen der USA, des Vereinigten Königreichs und der Europäischen Union wirklich sinnvoll wäre, so O’Toole von der Denkfabrik Atlantic Council.
Das Weiße Haus hat die US-Chipindustrie angewiesen, sich auf neue Ausfuhrbeschränkungen nach Russland einzustellen, falls Moskau die Ukraine angreift, berichtet „Reuters“. Dazu gehört auch die mögliche Sperrung des Zugangs des Landes zur weltweiten Elektronikversorgung.
Internationale Unterstützung
Der japanische Premierminister Fumio Kishida machte am Freitag in virtuellen Gesprächen mit US-Präsident Biden deutlich, dass sein Land „voll hinter den Vereinigten Staaten“ stehe, um eine russische Aggression gegen die Ukraine zu verhindern. Konkrete Schritte wurden jedoch nicht besprochen.
Derweil haben die baltischen Staaten Estland, Lettland und Litauen Waffen aus US-amerikanischer Produktion in die Ukraine geschickt, um die militärische Unterstützung angesichts einer drohenden russischen Invasion zu verstärken.
Die Verteidigungsminister der drei Länder bestätigten in ihrer Erklärung, dass sie die Genehmigung der Vereinigten Staaten für die Lieferung der Waffen erhalten haben.
Dazu gehören Javelin-Panzerabwehrraketen aus Estland sowie Stinger-Flugabwehrraketen und die dazugehörige Ausrüstung aus Litauen und Lettland.
„Angesichts des zunehmenden militärischen Drucks Russlands in und um die Ukraine haben die baltischen Staaten beschlossen, auf die Bedürfnisse der Ukraine einzugehen und zusätzliche verteidigungsbezogene Hilfe zu leisten“, erklärten die Verteidigungsminister der drei Länder.
Die Hilfe soll die Fähigkeit der Ukraine, ihr Territorium und ihre Bevölkerung im Falle einer möglichen russischen Aggression zu verteidigen, weiter verbessern.
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