Eine neue dezentrale Ideenbewegung will nicht nur Wirtschaft und Finanzwelt auf den Kopf stellen, sondern träumt auch von einer freien Gesellschaft ohne Machthaber und zentrale Autoritäten. Freiwillige Vereinbarungen sollen Hierarchien und Machtstrukturen ersetzen. Die Blockchain-Technologie wird als Schlüssel zur Umsetzung einer solchen Utopie angesehen. Im Rahmen des LI-Gesprächs vom 23. September wurden die Chancen und Risiken dieser technologischen Entwicklung im Allgemeinen und für den Finanzplatz Schweiz vertieft diskutiert. In seiner Einführung wies LI-Vizedirektor Olivier Kessler darauf hin, dass sich das Liberale Institut in den vergangenen Jahren intensiv mit den Chancen und Risiken der Blockchain-Technologie befasst habe — oftmals aus der Perspektive der Österreichischen Schule
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Eine neue dezentrale Ideenbewegung will nicht nur Wirtschaft und Finanzwelt auf den Kopf stellen, sondern träumt auch von einer freien Gesellschaft ohne Machthaber und zentrale Autoritäten. Freiwillige Vereinbarungen sollen Hierarchien und Machtstrukturen ersetzen. Die Blockchain-Technologie wird als Schlüssel zur Umsetzung einer solchen Utopie angesehen. Im Rahmen des LI-Gesprächs vom 23. September wurden die Chancen und Risiken dieser technologischen Entwicklung im Allgemeinen und für den Finanzplatz Schweiz vertieft diskutiert.
In seiner Einführung wies LI-Vizedirektor Olivier Kessler darauf hin, dass sich das Liberale Institut in den vergangenen Jahren intensiv mit den Chancen und Risiken der Blockchain-Technologie befasst habe — oftmals aus der Perspektive der Österreichischen Schule der Nationalökonomie. In dieser Tradition habe der Nobelpreisträger Friedrich August von Hayek mit seinem Werk «Entnationalisierung des Geldes» im Jahr 1976 einen theoretischen Grundstein für eine dezentrale und marktwirtschaftliche Geldordnung gelegt. Hayek hätte sich wahrscheinlich über die neusten technologischen Entwicklungen gefreut, die eine solche Entstaatlichung der Geldordnung realistischer erscheinen lassen, auch wenn zu erwarten sei, dass die Staaten die Kontrolle über das Geldwesen nicht widerstandslos aus der Hand geben werden. Die Blockchain-Technologie habe jedoch nicht nur das Potenzial, das Geldsystem zu verändern, sondern mache es hypothetisch auch möglich, viele weitere gesellschaftliche, wirtschaftliche und politische Bereiche auf den Kopf zu stellen — vom Notar, über klassische Finanzinstitute bis hin zum Staat. Diese Entwicklung verspreche nicht nur die gesellschaftliche Wohlstandsbildung aufgrund geringerer Transaktionskosten weiter zu optimieren, sondern sei vielleicht auch ein mögliches Instrument zur Bekämpfung der Korruption in Entwicklungsländern.
In seinem Referat erörterte Aaron Koenig, Unternehmer, Filmemacher und Autor zahlreicher Bücher, das Potenzial, welches die Blockchain-Technologie für eine wirklich freie Gesellschaft hat. Blockchain ermögliche neuartige dezentrale Netzwerke ohne zentrale Autoritäten, die im Gegensatz zu zentralistischen Systemen wesentlich robuster seien. Die Blockchain-Technologie eigne sich aufgrund ihrer spezifischen Eigenschaften — ihr öffentlicher, unveränderlicher und «vertrauensloser» Charakter und ohne die Notwendigkeit einer Teilnahmeerlaubnis — jedoch nicht für jeden beliebigen Fall. Wenn es vor allem auf Geschwindigkeit ankomme, sei Blockchain nicht die richtige Lösung, denn diese sei relativ langsam. In jenen Fällen etwa, in denen nicht mehr als eine Partei Updates an einer Datenbank vornehme oder in denen mehrere Parteien solche Aktualisierungen tätigten, sich aber gegenseitig oder einer Drittpartei vertrauten, bringe die Blockchain-Technologie keinen zusätzlichen Nutzen. Wenn dieses Vertrauen ineinander oder eine Drittpartei einerseits nicht vorhanden sei und die Daten andererseits vertraulich behandelt werden müssten und/oder die Kontrolle darüber bewahrt werden sollte, wer Änderungen an der Datenbank vornehmen darf, könne eine private Blockchain in Betracht ziehen. In den anderen Fällen komme eine öffentliche Blockchain infrage, wo es keine Privatsphäre oder zentrale Kontrolle gäbe. Geeignete Anwendungsfälle für eine öffentliche Blockchain seien etwa das Geldwesen, in welchem Vertrauen hergestellt werden könne, indem keine mächtige Zentralinstanz die Geldmenge und die Zinsen manipulieren könne; oder die weltweite Logistik, bei der die Speditionswege aufgrund der Unverfälschbarkeit der Blockkette selbst von den Endverbrauchern genau zurückverfolgt werden könnten. Auch im Kunstmarkt, in dem aktuell Kunst- und Auktionshäuser die Herkunft der Kunstwerke gegen hohe Gebühren feststellen und deklarieren, könnte die Blockchain zu mehr Effizienz und Vertrauen führen.
Anschliessend zeigte Pascal Hügli, Journalist bei der financialmedia AG und Buchautor, auf, dass das Schweizer Ökosystem eine gute Heimat für Blockchain-Unternehmen sei. 2018 habe der Bundesrat die «Crypto-Nation Schweiz» ausgerufen, und damit der dezentralen Bewegung symbolisch eine Art Heimat gegeben. Über 800 Blockchain-Unternehmen mit rund 4000 Mitarbeitern hätten sich bereits in der Schweiz niedergelassen. Zudem existierten in der Schweiz die weltweit ersten durch den Regulator bewilligten Krypto-Banken. Diese positive Tendenz stehe der negativen Entwicklung der traditionellen Finanzdienstleister in der Schweiz gegenüber: Lag deren Anteil am BIP 2007 noch bei 8,2 Prozent, fiel dieser Wert bis 2017 auf 4,6 Prozent (ohne Versicherungsgesellschaften). Diese Entwicklung könnte sich weiter verschärfen, sollte Bitcoin zu einer Art Wertaufbewahrungsmittel werden und damit dem «sicheren Hafen» Schweiz Konkurrenz machen. Allerdings müssten die Kryptowährungen und der Finanzplatz Schweiz auch nicht zwingend nur als Widersacher betrachtet werden, zumal die Möglichkeit bestünde, dass die Blockchain als eine Art «Verankerung der Wahrheit» dienen könne, auf die verschiedene traditionelle Institutionen referenzieren. Die Schweiz biete einerseits mit ihrem relativ stabilen Schweizerfranken auch eine potenzielle Grundlage für sogenannte «Stablecoins», also eine mögliche Transaktionswährung für die Blockchain-Community. Andererseits sehe sich die Schweizerische Nationalbank aktuell vom globalen Entwertungskampf der Zentralbanken mitgeschleift, und ein Ende der Negativzinspolitik sei weit und breit nicht in Sicht. 100 Prozent der Schweizer Staatsanleihen rentierten mittlerweile negativ. Viele Anleger hätten aufgrund der Blasenbildung und den drohenden Korrekturen das Bedürfnis, irgendwohin zu flüchten. Je länger diese problematische Geldpolitik anhalte und je desaströser die Folgen seien, desto grösser seien die Chancen, dass Bitcoin als valable Alternative zum staatlichen Papiergeld angesehen werde.
Präsentation von Pascal Hügli:
«Dezentrale Revolution»
Die darauffolgende Diskussion widmete sich unter anderem der Frage, ob Zentralbanken ebenfalls eigene Kryptowährungen schaffen sollten; ob also beispielsweise die Schweizerische Nationalbank eine Art «Krypto-Franken» lancieren müsse. Steht hinter einer digitalen Währung eine etablierte Institution wie eine Zentralbank, könne in der Tat die Akzeptanz und Adoption vergrössert werden. Allerdings dürfe man sich auch keinen Illusionen hergeben: Es fänden zurzeit überall Bemühungen statt, das Bargeld abzuschaffen und die finanzielle Privatsphäre der Bürger auszuhöhlen. Eine von Zentralbanken herausgegebene und kontrollierte Kryptowährung diene daher lediglich der Befriedigung staatlicher Fiskalgier, weil es so noch einfacher würde, die Bürger ohne ihr Einverständnis und jederzeit durch Inflationierung zu besteuern. Eine solche Machtanmassung stelle das Fundament der freien Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung fundamental infrage. Die privaten Alternativen — eventuell auch in Form von «Privacy-Coins» — seien daher zu bevorzugen, wobei sich hier die Frage stelle, was eigentlich hinter Bitcoin stehe, wenn nicht die Garantie einer Zentralbank. Es wurde festgehalten, dass letztlich auch hinter Papiergeldwährungen und hinter Gold im Prinzip nichts stehe ausser das Vertrauen der Menschen, die daran glauben, dass das Tauschmittel auch zu einem späteren Zeitpunkt noch seinen Wert aufweise. Die Zentralbanken seien zurzeit mit ihrer Negativzinspolitik und ihrer massiven Geldschwemme jedoch gerade daran, dieses Vertrauen langsam zu verspielen, weshalb Blockchain-basierte Kryptowährungen hier eine willkommene Alternative im Währungswettbewerb darstellten.
Das neue Buch von Aaron Koenig:
«Die dezentrale Revolution — Wie Bitcoin und Blockchain die Wirtschaft und Gesellschaft verändern»
Das neue Buch von Pascal Hügli:
«Ignorieren auf eigene Gefahr: Die neue dezentrale Welt von Bitcoin und Blockchain»
LI-Briefing:
«Blockchain und Kryptowährungen — Ein Weg zur Freiheit?»
LI-Gespräch vom 2. November 2017:
«Was bewirken Kryptowährungen und die Blockchain-Technologie?»
25. September 2019