In der Schweiz läuft die Diskussion um die Vollgeldinitiative, die die Geldschöpfung durch Geschäftsbanken verbieten will. Dieser Beitrag zweifelt an deren Wirksamkeit und zeigt, es gäbe eine Alternative, die auf Freiwilligkeit setzt und dem Publikum die Wahl zwischen traditionellen Sichtguthaben und elektronischem Notenbankgeld lässt. Der Kreis derjenigen, die der Vollgeldinitiative viel abgewinnen können, scheint zu wachsen.[ 1 ] Viele Kommentatoren in Schweizer Zeitungen thematisieren die Praxis der Geldschöpfung durch Geschäftsbanken, nicht wenige kritisieren sie, und einige erwärmen sich für die Initiative, die dem Souverän in den nächsten Monaten zur Abstimmung vorgelegt werden soll und ein Verbot derartiger Geldschöpfung anstrebt. Auf den ersten Blick mag dies nicht
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In der Schweiz läuft die Diskussion um die Vollgeldinitiative, die die Geldschöpfung durch Geschäftsbanken verbieten will. Dieser Beitrag zweifelt an deren Wirksamkeit und zeigt, es gäbe eine Alternative, die auf Freiwilligkeit setzt und dem Publikum die Wahl zwischen traditionellen Sichtguthaben und elektronischem Notenbankgeld lässt.
Der Kreis derjenigen, die der Vollgeldinitiative viel abgewinnen können, scheint zu wachsen.[ 1 ] Viele Kommentatoren in Schweizer Zeitungen thematisieren die Praxis der Geldschöpfung durch Geschäftsbanken, nicht wenige kritisieren sie, und einige erwärmen sich für die Initiative, die dem Souverän in den nächsten Monaten zur Abstimmung vorgelegt werden soll und ein Verbot derartiger Geldschöpfung anstrebt.
Auf den ersten Blick mag dies nicht erstaunen. Die Initianten haben sich mit bemerkenswertem Eifer für ein besseres Verständnis des herrschenden Geldsystems eingesetzt und damit einen Bewusstseinswandel in breiten Kreisen ausgelöst. Immer mehr Menschen verstehen, dass ihre Bankeinlagen nicht zwingend durch von der Nationalbank herausgegebene "echte" Schweizer Franken gedeckt sind, sondern "lediglich" Forderungen gegenüber der Konto führenden Geschäftsbank darstellen. Weil sich die Einlagen als Zahlungsmittel etabliert haben, bieten sie den Banken im Zusammenspiel mit ihren Kunden die Möglichkeit, Geld zu schaffen. Daran stösst sich gemäss Umfragen offenbar ein Teil der Bevölkerung.
Ob es sinnvoll ist, dass der Privatsektor Geld kreiert, kann durchaus hinterfragt werden. Ökonomisch betrachtet lassen sich Argumente sowohl dafür als auch dagegen anführen. Am problematischsten dürfte die private Geldschöpfung dann sein, wenn sie in der Öffentlichkeit gar nicht zur Kenntnis genommen wird — wie dies vor der Lancierung der Vollgeldinitiative der Fall gewesen sein mag. Denn wo Illusionen über den Charakter von Bankeinlagen vorherrschen, da führen Liquiditäts- oder Solvenzprobleme im Bankensystem zu einem schmerzlichen Erwachen auf Seiten der Einleger und negativen Folgen für die Wirtschaft. Die Notenbank ist dann faktisch gezwungen, Unterstützungsmassnahmen zu ergreifen, und die Kosten dafür trägt nicht selten die Allgemeinheit. Je mehr Illusionen vorherrschen, desto grösser ist das Risiko derartiger wirtschaftspolitischer Sachzwänge und damit die Gefahr, dass das Verursacherprinzip verletzt wird. Und je höher dieses Risiko ist, desto grössere Nachteile birgt das herrschende Geldsystem. Die Aufklärungsarbeit der Vollgeldinitianten bezüglich des Charakters von Sichteinlagen hat daher Positives bewirkt. (Hinsichtlich der fiskalischen Konsequenzen eines Vollgeldregimes stiften die Initianten dagegen Verwirrung.)
Übers Ziel hinaus
Dies bedeutet aber nicht, dass der von den Initianten favorisierte Systemwechsel sinnvoll ist. Im Gegenteil. Mit dem geforderten Verbot der privaten Geldschöpfung schösse man nämlich nicht nur mit Kanonen auf Spatzen (oder vielleicht Krähen), sondern auch deutlich über das Ziel hinaus. Denn solch ein Verbot liesse sich unter "normalen" Umständen, das heisst bei positiven Zinsen, praktisch wohl gar nicht umsetzen.
Der Grund hierfür ist einfach einzusehen. Solange keine Bankenkrise droht, stellen zinstragende Einlagen attraktivere Zahlungsmittel dar als "echte" Schweizer Franken, die keinen Zins abwerfen. Sollten traditionelle Sichteinlagen verboten werden, wie die Initianten dies fordern, dürften Finanzinstitute die Nachfrage ihrer Kunden nach zinstragendem Geld daher mit anderen Bankverbindlichkeiten zu befriedigen suchen. Der Privatsektor könnte beispielsweise dazu übergehen, Anteile an Geldmarktfonds als Zahlungsmittel einzusetzen, Schweizer Franken Konten im Ausland zu führen oder aber andere Ersatzgelder zu etablieren. Sollten die Behörden auch diese Substitute verbieten wollen, erforderte dies zunehmend komplexere Regulierungen mit zunehmend kostspieligeren Nebenwirkungen. Der Wettlauf zwischen Gesetzgeber und Behörden einerseits und Finanzsektor andererseits dürfte zahlreiche Juristen und Investmentbanker beschäftigen, volkswirtschaftlich aber eher schaden als nützen.
Und auch das Verursacherprinzip bliebe aller Voraussicht nach verletzt. Denn wenn sich Ersatzgelder anstelle der dann verbotenen traditionellen Sichteinlagen etablierten, dann zwänge dies die Nationalbank in einer Krise auch weiterhin zum Eingreifen, ungeachtet dessen, ob dies der Vollgeldidee zuwiderliefe oder nicht.
Ob die Erwartungen im Privatsektor auf Illusionen beruhen oder aber rational geformt werden: Solange sie die Nationalbank oder andere staatliche Organe unter Zugzwang setzen können, solange bleibt das Verursacherprinzip verletzt. Um ihm Geltung zu verschaffen genügt es nicht, einen abrupten Systemwechsel auszurufen und Verbote zu erlassen, die sich nicht wirklich durchsetzen lassen. Die impliziten staatlichen Garantien bestünden auch in einem Vollgeldsystem weiter und vor diesem Hintergrund wäre der Verfassungsartikel das Papier nicht wert, auf dem er geschrieben stünde.
Freiwillige Alternative
Mehr Erfolg verspricht ein Ansatz, der auf Freiwilligkeit setzt und dem Publikum die Wahl zwischen traditionellen Sichtguthaben und, neu, elektronischem Notenbankgeld lässt. Wie in einem Vollgeldsystem könnten Haushalte und Firmen demnach mit "echten" Schweizer Franken sowohl in Form von Münzen und Noten als auch, neu, bargeldlos bezahlen. Anders als in einem Vollgeldsystem dürften diejenigen, die bei bargeldlosen Zahlungen lieber Zins tragende, dafür aber von Banken emittierte und daher riskantere Sichteinlagen einsetzen wollten, dies jedoch weiterhin tun.
Dieser liberale Ansatz vermiede die einschneidenden Verbote und Regulierungsmassnahmen, die mit einem Vollgeldsystem verbunden wären. Er liesse den Bürgern die Wahl zwischen verschiedenen Zahlungsmitteln und ermöglichte es Banken und ihre Kunden, die Vorteile von Sichtguthaben dort zu nutzen, wo dies sinnvoll ist. Gleichzeitig gewährleistete er, dass das gesetzliche Zahlungsmittel bar und bargeldlos eingesetzt werden kann.
Längerfristig böte der Ansatz auch eine Chance für strukturelle Verbesserungen. Je mehr sich Anleger für elektronisches Notenbankgeld anstelle von Sichteinlagen bei Geschäftsbanken entschieden, desto stärker würde der vermeintliche Anspruch auf staatliche Garantien für Sichteinlagen hinterfragt. Der Druck auf die Nationalbank würde nachlassen und das Verursacherprinzip gestärkt.
Schon heute könnte das Publikum (faktisch) elektronisches Notenbankgeld für Zahlungszwecke nutzen, wenn die Geschäftsbanken Sondervermögen anböten, die vollständig in Reserven, also elektronischem Notenbankgeld, investiert sind. Warum tun sie das nicht? Juristische Hürden allein dürften kaum eine hinreichende Erklärung bieten. Plausibler scheint, dass Banken bislang keine Veranlassung sahen, eine Alternative zu Sichteinlagen anzubieten, zumal viele Bankkunden Illusionen über den Charakter ihrer Einlagen hegen. In jüngster Zeit ändert sich dies allerdings. In Deutschland tüfteln Jungunternehmer an einer Bank, deren Einlagen hundertprozentig in Reserven bei der Europäischen Zentralbank investiert sein sollen. In den Niederlanden gibt es bereits seit einigen Jahren ein Institut mit einem ähnlichen Geschäftsmodell und ein zweites bemüht sich um die Zulassung.
Andernorts erwägen Notenbanken wie die Bank of England, die Bank of Canada und die Schwedische Riksbank, den Zugang zu elektronischem Notenbankgeld auch Nicht-Banken zu ermöglichen, wie das zum Teil bereits früher der Fall war. Und die Zentralbank Ecuadors, das vor einigen Jahren von seiner heimischen Währung zum amerikanischen Dollar als Zahlungsmittel wechselte, bietet den Bürgern des Landes auf Dollar lautende Konten für den elektronischen Zahlungsverkehr an.
Auch in der Schweiz könnte die Öffnung der Zentralbankbilanz für ein breiteres Publikum zum Thema werden. An der Generalversammlung der Nationalbank im April erklärte Thomas Jordan, der Präsident des Direktoriums, dass es in einigen Jahren einen digitalen Franken geben könnte. Diese Marschrichtung macht Sinn, der Vollgeldvorschlag dagegen nicht.
©KOF ETH Zürich, 21. Aug. 2017