Sind die Tage des Bargelds gezählt? Fast scheint es so. Die Vorstöße gegen den Zahlungsverkehr mit Bargeld nehmen immer weiter zu. Dieser Beitrag gibt einen Abriss über den Stand der Diskussion und ordnet sie in einen ordnungspolitischen Kontext ein. In Indien wurde sprichwörtlich über Nacht das Bargeld bis auf kleine Scheine ohne Vorwarnung abgeschafft, aus der schwedischen Reichsbank ist zu hören, dass sie über einen Ersatz für das Papiergeld nachdenkt.[ 1 ] Im Rahmen des World Economic Forums in Davos im Frühjahr 2016 wurden zur Bargeldabschaffung ebenfalls Stimmen laut. In Dänemark müssen Tankstellen, Restaurants und kleine Läden bald kein Bargeld mehr annehmen (die Funktion der Annahmepflicht eines gesetzlichen Zahlungsmittels wird also massiv eingeschränkt). In Frankreich wurden Barzahlungen im September letzten Jahres auf 1.000 Euro beschränkt. Die deutsche Bundesregierung erwägt ebenfalls die Einschränkung der Barzahlung. Währenddessen ist die EZB dabei den 500 Euroschein nach und nach aus dem Verkehr zu ziehen. Insgesamt wird das Bargeld immer weiter zurückgedrängt.[ 2 ] In der öffentlichen Debatte stützen sich die Begründungen für die Abschaffung des Bargelds auf zwei Argumentationsstränge: Bargeld sei altmodisch, teuer und unpraktisch. Es habe sich in Zeiten des Plastikgeldes, der RFID-Chips und der SIM-Karten (Zahlen per Handy) überlebt.
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Sind die Tage des Bargelds gezählt? Fast scheint es so. Die Vorstöße gegen den Zahlungsverkehr mit Bargeld nehmen immer weiter zu. Dieser Beitrag gibt einen Abriss über den Stand der Diskussion und ordnet sie in einen ordnungspolitischen Kontext ein.
In Indien wurde sprichwörtlich über Nacht das Bargeld bis auf kleine Scheine ohne Vorwarnung abgeschafft, aus der schwedischen Reichsbank ist zu hören, dass sie über einen Ersatz für das Papiergeld nachdenkt.[ 1 ] Im Rahmen des World Economic Forums in Davos im Frühjahr 2016 wurden zur Bargeldabschaffung ebenfalls Stimmen laut. In Dänemark müssen Tankstellen, Restaurants und kleine Läden bald kein Bargeld mehr annehmen (die Funktion der Annahmepflicht eines gesetzlichen Zahlungsmittels wird also massiv eingeschränkt). In Frankreich wurden Barzahlungen im September letzten Jahres auf 1.000 Euro beschränkt. Die deutsche Bundesregierung erwägt ebenfalls die Einschränkung der Barzahlung. Währenddessen ist die EZB dabei den 500 Euroschein nach und nach aus dem Verkehr zu ziehen. Insgesamt wird das Bargeld immer weiter zurückgedrängt.[ 2 ]
In der öffentlichen Debatte stützen sich die Begründungen für die Abschaffung des Bargelds auf zwei Argumentationsstränge:
- Bargeld sei altmodisch, teuer und unpraktisch. Es habe sich in Zeiten des Plastikgeldes, der RFID-Chips und der SIM-Karten (Zahlen per Handy) überlebt.
- Bargeld fördere Schwarzarbeit, Steuerhinterziehung, Drogenhandel und Terrorismus, da sich die in bar abgewickelten Zahlungsströme nicht nachverfolgen ließen.
Argumentationsmuster, denen sich auch Kenneth Rogoff, ehemaliger Chefvolkswirt des Internationalen Währungsfonds und einer der wohl exponiertesten Befürworter der Bargeldabschaffung, bedient. Dieser hat gerade ein neues Buch für die Bargeldabschaffung veröffentlicht, das von dem ehemaligen Fed-Chef Ben Bernanke als "a fascinating and important book" bezeichnet wird.[ 3 ]
Dabei ist es laut Sicherheitsfachleuten durchaus fraglich, ob das Verbot von Bargeld tatsächlich zu einer höheren Sicherheit und niedrigeren Kriminalität führen würde. Das organisierte Verbrechen, wie auch der Terrorismus, seien längst in der Lage, ihre Verbrechen weitestgehend bargeldlos abzuwickeln, mit Bitcoins etwa.[ 4 ] Auch die Bundesbank gibt sich äußerst vorsichtig. Ein Ausweichen bei kriminellen Aktivitäten auf "alternative, bargeldlose Zahlungsmittel oder auf Bargeld in Fremdwährung" wäre in vielen Fällen vorstellbar.[ 5 ]
Die akademische Debatte setzt an einem ganz anderen Punkt an. Für sie steht das Bargeld einer Geldpolitik der negativen Zinsen entgegen. Seit diese Debatte begann, sind negative Leitzinsen bei einigen Zentralbanken zwar längst Realität geworden, man denke nur an die Europäische Zentralbank (EZB), die Schweizerische Nationalbank oder die Bank of Japan, aber der letzte Schritt zu einer konsumtiven Verhaltensänderung fehlt noch: Der negative Zins auf Bankeinlagen. Nur die wenigsten Banken haben die negativen Zinsen, welche ihnen die Zentralbank in Rechnung stellt, mittels negativer Zinsen auf Spareinlagen an ihre Kunden weitergereicht, da sie den Verlust der Kundenbeziehung fürchten. Damit aber wird ein wichtiger Konjunkturimpuls verfehlt: Die Ankurbelung des Konsums durch Sparer, die dieser Form der Geldentwertung entkommen wollen. Anders als bei dem Kaufkraftverlust durch Inflation, bei dem der nominelle Betrag unverändert bleibt, gibt es bei negativen Zinsen keine "Geldillusion". Die Sparer erleiden einen spürbaren/sichtbaren Verlust, den sie wegen des sinkenden Nominalbetrags auch merken. Die Verlustaversion wird adressiert.
Die Zentralbank müsste ihre Geldpolitik negativer Zinsen also direkt auf Bankeinlagen und Sparbücher durchsteuern können. Natürliche Grenze dieser Politik ist dann aber das Bargeld. Kann es frei verfügbar und ohne Kosten abgehoben werden, finden die negativen Zinsen eine natürliche Grenze: die Kosten für Tresore. Je weiter die Zinsen unter die Aufbewahrungskosten des Geldes sinken, desto stärker ist der Anreiz zur Bargeldhortung. "Besser" also, gleich das Bargeld abschaffen, wie es u.a. Buiter[ 6 ] , Rogoff[ 7 ] und Mitarbeiter des IWF[ 8 ] vorschlagen.
Der Ansatz Bargeld abzuschaffen, um mittels negativer Zinsen direkt das Verbraucherverhalten steuern zu können, passt in das Bild einer Geldpolitik, deren ursprüngliche Aufgabe, die Geldwertstabilität zu verteidigen, immer mehr ausgeweitet wird bis hin zur unmittelbaren Konjunktursteuerung durch Strafzinsen auf den Nichtkonsum. Kein Wunder, dass z.B. Buiter gleichzeitig auch einer der prominentesten Vertreter des "Helikoptergeldes" ist.[ 9 ]
Zwar bewegt sich die aktuelle Debatte (Stand November 2016) im Gefolge einer mit dem neuen US-Präsidenten möglicherweise einhergehenden "Trumpflation" weg von der zuvor lange befürchteten Deflation (vielleicht sogar "secular stagnation" nach Larry Summers) hin zur Reflationierung, aber ist deshalb zu erwarten, dass die propagierte Bargeldabschaffung deshalb aufgehoben oder zumindest aufgeschoben wird? Wohl kaum: Der nächste konjunkturelle Abschwung kommt bestimmt; darauf sollte man vorbereitet sein. Die Schuldenberge der Staaten sind so hoch, dass nur auf Dauer niedrige Zinsen helfen können, diese abzutragen, wobei die Wirkung am größten ist, wenn es gelingt die gesamte Zinsstrukturkurve mittels der Geldpolitik in einem Umfeld positiver Inflationsraten niedrig zu halten.
Einige Überlegungen aus ordnungspolitischer Sicht zur Diskussion um die Bargeldabschaffung:
- Bargeld ist ein Instrument des Wettbewerbs: Zum einen steht es im Wettbewerb mit elektronischen Zahlungsmitteln. Solange es noch besteht, können die Verbraucher wie auch die Verkäufer von Waren den Gebühren elektronischer Zahlungsmittel entgehen, was den Margendruck bei elektronischen Zahlungsmitteln ermöglicht. Zum anderen ermöglicht Bargeld auch einen politischen Wettbewerb gegenüber einer Geldpolitik negativer Zinsen ("Exit"), nachdem die Bargeldnutzer schon nicht ihre Meinung per Stimmabgabe ("Voice") dazu äußern können.[ 10 ]
- Damit erfüllt Bargeld seine wettbewerbliche Funktion als "genialstes Entmachtungsinstrument der Geschichte" (Franz Böhm). Anders als in einem "Philosophenstaat" können die Verbraucher selbst entscheiden, mit welchem Instrument sie lieber zahlen.[ 11 ]
- Geld- und Fiskalpolitik werden durchmischt. Eine geldpolitische Institution, die de facto Steuern erhebt, besitzt dafür nicht die politische Legitimation. Denn: Die negativen Zinsen werden letztlich über den Zentralbankgewinn an die Regierung ausgeschüttet und wirken damit als eine de facto Zinssteuer, die von den Geschäftsbanken an die Sparer weitergereicht werden.[ 12 ] Es gilt, was schon zu Zeiten der US-amerikanischen Boston Tea Party galt: "No Taxation without Representation".
- Dies umso mehr, da eine Zinssteuer letztlich auch einer Vermögenssteuer gleichkommt, wie Rogoff feststellt. Damit verbunden wäre zusätzlich noch die Möglichkeit, höhere Einlagen mit höheren Zinsen zu besteuern. Damit würde die Geldpolitik immer mehr ein Instrument nicht nur der Fiskal-, sondern auch der Sozialpolitik.
- Bargeld ist ein Schutz davor, mehr auszugeben. Verhaltensökonomisch ist erwiesen: Wer bargeldlos zahlt, neigt dazu mehr auszugeben und sich ggf. sogar zu höher zu verschulden, da der "Verlustschmerz" bei der nicht-physischen Zahlung geringer ist. Die Umfrage der Bundesbank zum Zahlungsverhalten der Deutschen zeigt, dass 65% der Befragten als Grund für die Barzahlung angeben, dass sie damit ein besseres Gefühl für die Ausgabenkontrolle hätten.[ 13 ]
- Damit wird der Instrumenten-Ziel-Mix spätestens fraglich. Zwar gehört die Konsumsteuerung zum Ziel der Geldpolitik um die Konjunktur anzuregen, aber Negativzinsen können als Bestrafung aufgefasst werden mit der genannten verhaltensökonomischen Reaktion. Die Präferenzoffenbarung der Konsumenten darf aber nicht verzerrt werden, schon gar nicht durch eine de facto "Konsumverweigerungssteuer" (Gerald Mann).
- Doch die Konsumsteuerung könnte noch sehr gezielter vorgenommen werden, z.B. indem Einkäufe mit der eigenen Gesundheit abgeglichen und dann am Point of Sale unterbunden werden. Konsumiert wird nur, was von staatlichem Interesse ist. Das Ende des Bargelds öffnet die Tür zum Paternalismus.
- Zu Recht wird immer wieder das Zitat "Bargeld ist geronnene Freiheit" Dostojewski entlehnt. Bargeld ist die einzige Möglichkeit keine Datenspuren zu hinterlassen und ist damit der beste Datenschutz.[ 14 ] Die Bundesbank führt in diesem Kontext entsprechend auch an, dass Bargeld es dem Verwender ermögliche, sein "Recht auf informationelle Selbstbestimmung auszüben".[ 15 ]
- Zum Datenschutz gehört auch der Schutz der Privatsphäre, das Kennzeichen einer "offenen Gesellschaft" (Karl Popper). Solove zeigt, dass es eine Umkehr der Beweislast nicht geben kann und das Argument "'I've Got Nothing to Hide'" nicht ausreichend ist, seine Privatsphäre aufzugeben.[ 16 ]
Die Abschaffung des Bargelds und die de facto Einführung einer Zinssteuer wäre ein großer – nicht nur ordnungspolitischer - Fehler, der nicht zurechtfertigen wäre.
©KOF ETH Zürich, 22. Dez. 2016