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Globalisierung: Politische Begleitung statt neuer Mauern

Summary:
2016 ist die Stimmung endgültig gekippt. Parteien, die Handelsverträge verteidigen, verlieren, Politiker, die China beschimpfen, gewinnen. Unternehmen wird alles versprochen, wenn sie im Inland bleiben oder "heimische" Energien aus dem Boden sprengen. Müssen wir wieder die ökonomische Theorie hinterfragen, wie nach der Finanzkrise? Diesmal nicht, die meisten Effekte hat die Theorie prognostiziert. Dennoch muss die Wirtschaftspolitik reagieren, wobei es prinzipiell zwei Wege gibt, wie dieser Beitrag zeigt. Vermutete Wirkungen der Globalisierung Zentrale Aussage der ökonomischen Theorie ist, dass Globalisierung das Wachstum erhöht: im Norden (Industrieländer) u n d im Süden (Entwicklungsländer, Neue Industrieländer); daher umso mehr weltweit. Dies gilt jedenfalls im Gleichgewicht und langfristig. Die positive Wirkung entsteht durch Zunahme der Arbeitsteilung. Verfügbare Faktoren werden effizienter genutzt, im Süden die unqualifizierte Arbeit, im Norden das Sach- und Humankapital. Der Effekt steigt noch durch Technologiediffusion und Produktvielfalt. Allerdings sagt die Theorie auch, dass es Verlierer der Globalisierung gibt. Die Anbieter jener Faktoren, die durch Globalisierung weniger knapp werden, verlieren zumindest kurzfristig Einkommen, z.B. Unqualifizierte im Norden.

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Karl Aiginger, Alina Pohl considers the following as important:

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2016 ist die Stimmung endgültig gekippt. Parteien, die Handelsverträge verteidigen, verlieren, Politiker, die China beschimpfen, gewinnen. Unternehmen wird alles versprochen, wenn sie im Inland bleiben oder "heimische" Energien aus dem Boden sprengen. Müssen wir wieder die ökonomische Theorie hinterfragen, wie nach der Finanzkrise? Diesmal nicht, die meisten Effekte hat die Theorie prognostiziert. Dennoch muss die Wirtschaftspolitik reagieren, wobei es prinzipiell zwei Wege gibt, wie dieser Beitrag zeigt.

Vermutete Wirkungen der Globalisierung

Zentrale Aussage der ökonomischen Theorie ist, dass Globalisierung das Wachstum erhöht: im Norden (Industrieländer) u n d im Süden (Entwicklungsländer, Neue Industrieländer); daher umso mehr weltweit. Dies gilt jedenfalls im Gleichgewicht und langfristig. Die positive Wirkung entsteht durch Zunahme der Arbeitsteilung. Verfügbare Faktoren werden effizienter genutzt, im Süden die unqualifizierte Arbeit, im Norden das Sach- und Humankapital. Der Effekt steigt noch durch Technologiediffusion und Produktvielfalt.

Allerdings sagt die Theorie auch, dass es Verlierer der Globalisierung gibt. Die Anbieter jener Faktoren, die durch Globalisierung weniger knapp werden, verlieren zumindest kurzfristig Einkommen, z.B. Unqualifizierte im Norden. Die Gewinne durch den Außenhandel sind aber so groß, dass die Verlierer (Arbeitslose) aus den Renten der Gewinner entschädigt – oder noch besser umgeschult – werden können.

Globalisierung soll zu einer Konvergenz der Einkommen führen, die absolute Armut durch das höhere Wachstum zurückgehen. Niedrige Löhne sollten im Süden überproportional wachsen. Im Norden werden Skillprämien und Kapitalrenditen steigen, die funktionale Einkommensverteilung könnte sich zugunsten der Gewinne verschieben.

Befürchtete Asymmetrien

Lange Zeit geißelten "Globalisierungskritiker" die unfairen Vorteile von Industrieländern (Stiglitz, 2003). Multinationale Firmen mit Headquarter im Norden hätten einen First Mover Advantage und erzielten Renten; Entwicklungsländer kämen als marginale Anbieter auf reifen Märkten mit starker Konkurrenz und geringer Dynamik unter die Räder (Entwicklungsfalle).

Andererseits könnten unfaire Vorteile von Entwicklungsländern durch Sozial- und Ökodumping entstehen, durch planwirtschaftliche Interventionen und künstliche Unterbewertung der Währung.

Empirie der "Hyperglobalisierung"

Wir konzentrieren uns auf die dritte Welle der Globalisierung[ 1 ] , die seit 1990 läuft und zeigen dass die Prognosen der Standardtheorie tendenziell eingetreten sind.

Das weltwirtschaftliche Wachstum ist mit 3,5% pro Jahr (IMF) nicht niedriger als in früheren Jahrzehnten, sondern gleich hoch oder gegenüber den achtziger Jahren – entgegen der Erwartungslage ausgeschöpfter Ressourcen und Spielräume – noch einmal gestiegen.

Das Wachstum ist stärker differenziert. Es ist niedriger in den Industrieländern: in Japan liegt es 1990 unter 1%, in der EU-28 bei 1,5%, die USA expandierte um 2,5%.

Die Entwicklungs- und Schwellenländer wuchsen in dieser Phase der "Hyperglobalisierung" deutlich rascher. Sie holten einen beachtlichen Teil des Wohlstandsvorsprungs der Industrieländer auf und übernahmen vor, in und nach der Finanzkrise die Rolle des Wachstumsmotors.

Die absolute Armut – definiert nach einem bestimmten Dollareinkommen pro Tag, aber ebenso nach Kriterien für manifeste Armut – ist weltweit im Sinken, besonders stark im Süden. Die Millenniumsziele der UNO zur Reduktion der absoluten Armut wurden frühzeitig erreicht, die Säuglingssterblichkeit halbiert. Die Lebenserwartung steigt um mehrere Monate pro Jahr, stärker im Süden, aber immer noch zwei Monate pro Jahr in den Industrieländern. Dies demonstriert überzeugend, dass das optisch geringe Wachstum der Industrieländer mit breiten Wohlfahrtsgewinnen (nicht nur der Führungskräfte) verbunden war, wie es Vermögensdaten andeuten würden.

Die relative Ungleichheit steigt innerhalb der meisten Länder, im Süden wie im Norden. Die Arbeitslosigkeit in Europa ist gestiegen, aber auch die Beschäftigungsquote. In den USA ist es umgekehrt; hier stagniert auch der Medianlohn seit Jahrzehnten. In Europa steigt er, allerdings im unteren Drittel wenig. Problemfrei ist der Arbeitsmarkt weder in den USA noch in Europa, besonders für gering Qualifizierte.

Länder mit größerer wirtschaftlicher Offenheit (u.a. definiert durch Handelsintensität aber auch dem KOF-Globalisierungsindex) haben tendenziell eine bessere Entwicklung. Multinationale Unternehmen sind produktiver und zahlen höhere Löhne (Melitz, Redding 2014).

Damit hat auch die "Hyperglobalisierung" eine tendenziell positive Bilanz. Erstens hohes Wachstum, zweitens Angleichung der Einkommen zwischen den Ländern, drittens Senkung der absoluten Armut und der Säuglingssterblichkeit. Es gibt auch Wermutstropfen: (i) steigende Ungleichheit innerhalb von Ländern, (ii) Arbeitslosigkeit bei Unqualifizierten, (iii) Ungleichgewichte innerhalb des Südens und des Nordens (z.B. Nord- vs. Südeuropa).

Trotz Überwiegen der Vorteile wird die Einstellung von Bevölkerung und dann auch der Politik zur Globalisierung immer kritischer. Und das auch – und gerade – in den Industrieländern, die immer unter Verdacht standen, die Globalisierung vorwärtszutreiben und einseitig auszunutzen. Wir konzentrieren uns auf reiche Länder; hier ist die Globalisierungskritik besonders stark und könnte für alle – den Norden und den Süden – schwerwiegende Folgen haben.

Indikatoren für Globalisierungsverluste

Als zentraler Beleg für die Globalisierungsverluste gilt in den USA das Außendefizit von ca. 3% der Wirtschaftsleistung. Schuld ist das expansive China. Allerdings entsteht der größte Teil des Defizites bei technologieintensiven Gütern (Aiginger et al., 2013). Der Technologieführer lagert seine Produktion früh ins Ausland aus (Berger, 2013), weil sonst die extrem hohen Renditen von Finanzanlagen nicht erreicht werden. Renditenwünsche sind nicht wirklich Folge der Globalisierung.

Im Gegensatz zu den USA hat Europa eine positive Handels- und Leistungsbilanz. Die negative Bilanz gegen China wird durch Überschüsse etwa mit den USA mehr als ausgeglichen. Für den Euroraum liegt das Aktivum nahe 4% des BIP. Der Anteil der Industrie an der Wirtschaftsleistung ist nun höher als in den USA.

In Südeuropa, in Frankreich und in Großbritannien liegt der Industrieanteil nur noch bei 10% und die Leistungsbilanzen sind stark defizitär; in Deutschland, Österreich und Irland ist der Industrieanteil stabiler und die Leistungsbilanz aktiv. Es ist also sichtbar, dass nicht die Globalisierung, sondern Industriestruktur und Wirtschaftspolitik entscheidet, wer Gewinner oder Verlierer ist.

Tieferer Hintergrund: Politikversagen in Industrieländern

Die Wirtschaftspolitik hat die Globalisierung nicht begleitet und die Verlierer nicht befähigt, in Sparten umzusteigen, wo sie Gewinner werden. Die Arbeitslosigkeit in den Industrieländern steigt, die Löhne von unqualifizierten Industriearbeitern sinken, die Ungleichheit steigt auch durch extreme Entlohnung im Finanzsektor und im Top Management. Die Verlierer sind laut und konzentriert in Regionen, die sichtbar verfallen. Die Gewinner sind breiter gestreut und führen ihren Erfolg auf ihre Leistung zurück. Die Politik solidarisiert sich eher mit den Gewinnern, das Steuersystem entlastet Vermögen und Erbschaften und lässt Gewinnverlagerungen in Steueroasen zu. Dadurch sinken öffentliche Leistungen und Investitionen oder es müssen Umsatzsteuern erhöht werden. Die Verlierer fühlen sich allein gelassen und hören auf populistische Lockrufe und Elitenkritik.

Eine falsche Reaktion der Politik

Die vordergründige Antwort ist, die Globalisierung zurückzuschrauben und Zäune aufzustellen – für Personen, Waren und Firmen. Dies erfordert Dirigismus, Kontrollen, mehr Polizei und Militär. Freiheiten sind gefährdet, die in Europa gerade selbstverständlich geworden sind: Wahl des Studien- und des Arbeitsplatzes, weltweite Kommunikation und Konsumwahl. Die Arbeitsteilung würde zurückgenommen, Durchschnittseinkommen und Wachstum sinken. Auch die Verringerung der Ungleichheit wäre schwierig, weil niedrige Einkommen nur steigen können, wenn höhere absolut sinken. Die Arbeitslosigkeit im geringqualifizierten Bereich würde wegen der geringen Wirtschaftsdynamik steigen, auch wenn einzelne Firmen auf die Verlagerung einfacher Jobs ins Ausland verzichten müssten. Besonders negativ wären Niedrigeinkommen betroffen, weil billige Güter nicht mehr importiert werden. Fajgelbaum und Khandelwal (2016) errechnen, dass das oberste Einkommenszehntel bei Schließung der Grenzen 28% seiner Kaufkraft verliert, das niedrigste Dezil 63%. Eine Abschottung würde auch die Umstellung auf kohlenstoffarme Technologien erschweren.

Die Alternative: Verantwortungsbewusste Globalisierung

Die Theorie hat immer nahegelegt, dass Globalisierung wirtschaftspolitisch begleitet werden muss. Ein Konzept verantwortlicher Globalisierung könnte folgende Elemente enthalten: (i) die Wirtschaftspolitik entschädigt und befähigt die Verlierer; (ii) Umweltschäden werden in Kosten einbezogen und durch Innovationen gesenkt; (iii) technischer Fortschritt wird umgelenkt von arbeitssparend zu energie- und rohstoffsparend, (iv) eine Steuerreform reduziert die Unterschiede in den Markteinkommen und entlastet Arbeit, (v) Finanztransaktionen werden besteuert und senken den Zwang zu hohen Renditen in der Industrie.

Europa soll seine relativ erfolgreiche Globalisierung mit einer Strategie unterlegen die durch sozialen Ausgleich den Konsum und durch technologische Innovationen eine kohlenstoffarme Infrastruktur generiert, vgl. WWWforEurope (Aiginger 2016) aber auch Strategien der Think Tanks von Bruegel, Bertelsmann, Friends of Europa. Wie auch Bayer (2016), Summers (2016) oder Ulrich (2016) skizzieren ist das Ziel: die Globalisierung fairer gestalten, nicht bekämpfen.

Aiginger, K., "New Dynamics for Europe: Reaping the Benefits of Socio-ecological Transition[ a ]", Vienna, Brussels 2016.

Aiginger, K., Bärenthaler-Sieber, S., Vogel, J., Competitiveness under New Perspectives, WWWforEurope Working Paper no 44, Oktober 2013.

Antras, P., de Gortari, A., Itskhoki, O., Globalization, Inequality and Welfare, Harvard, 2016.

Bayer, K., Wie könnte "gute" Globalisierung aussehen? ÖGfE Policy Brief 24. Oktober 2016

Berger, S., Making in America: From Innovation to Market, MIT Press, August 2013.

Fajgelbaum, P., Khandelwal, A., Measuring the distributional effects of trade through the expenditure channel, QJE, 2016.

Melitz, M.J., Redding, St.J., "Heterogeneous Firms and Trade." Handbook of International Economics, 4th edition, 4: 1-54. Elsevier, 4, 2014, 1-54.

Rodrik, D., There is no need to fret about deglobalisation, Financial Times October 4, 2016.

Stiglitz, J., Globalization and Its Discontents, 2003.

Summers, L., Voters deserve responsible nationalism not reflex globalism, July 10, 2016.

Ulrich, P., Abschied von der kommunistischen Fiktion der Hyperglobalisierung, Ökonomenstimme 2.12.2016


©KOF ETH Zürich, 20. Dez. 2016

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