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Von der Verantwortung des Ökonomen für die eigene Disziplin

Summary:
Die Ökonomik hat ein Image-Problem. Das liegt auch am Umgang der Ökonomen mit der eigenen Wissenschaft, wie dieser Beitrag zeigt. Im fünften Kapitel seines Buches "Der Mythos vom globalen Wirtschaftskrieg" rechnet Paul Krugman mit den auflagenstärksten Autoren seines Landes ab, die sich mit dem Thema Welthandel befassen. Er wirft ihnen vor, dass sie beim Leser (oder Fernsehzuschauer)[ 1 ] ein völlig falsches Bild von der Weltwirtschaft (und von der Position der USA darin) erzeugen. Der internationale Handel werde nicht als eine allseits vorteilhafte, friedliche Tätigkeit, sondern als ein Ort des Kampfes dargestellt. Diese Einschätzung könne zu gefährlichen Konsequenzen führen, indem protektionistische Haltungen und Tendenzen gefördert werden. Krugman’s publizistische Auseinandersetzung mit einem Teil seiner Kollegen und mit einem maßgebenden Politiker (Bill Clinton) ist nicht unser Kampf. Die Volkswirtschaften der Schweiz, Österreichs und Deutschlands haben einen hohen Offenheitsgrad. Weit und breit ist kaum ein volkswirtschaftlicher Experte zu sehen, der protektionistischen Argumenten das Wort redet.[ 2 ] Von der holländischen Krankheit sind die schwächeren Südländer betroffen, denen mit sehr langfristigen Krediten unter die Arme gegriffen wird. Die Nordländer profitieren von einer – unter ihren volkswirtschaftlichen Bedingungen gesehen – unterbewerteten Währung.

Topics:
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Die Ökonomik hat ein Image-Problem. Das liegt auch am Umgang der Ökonomen mit der eigenen Wissenschaft, wie dieser Beitrag zeigt.

Im fünften Kapitel seines Buches "Der Mythos vom globalen Wirtschaftskrieg" rechnet Paul Krugman mit den auflagenstärksten Autoren seines Landes ab, die sich mit dem Thema Welthandel befassen. Er wirft ihnen vor, dass sie beim Leser (oder Fernsehzuschauer)[ 1 ] ein völlig falsches Bild von der Weltwirtschaft (und von der Position der USA darin) erzeugen. Der internationale Handel werde nicht als eine allseits vorteilhafte, friedliche Tätigkeit, sondern als ein Ort des Kampfes dargestellt. Diese Einschätzung könne zu gefährlichen Konsequenzen führen, indem protektionistische Haltungen und Tendenzen gefördert werden.

Krugman’s publizistische Auseinandersetzung mit einem Teil seiner Kollegen und mit einem maßgebenden Politiker (Bill Clinton) ist nicht unser Kampf. Die Volkswirtschaften der Schweiz, Österreichs und Deutschlands haben einen hohen Offenheitsgrad. Weit und breit ist kaum ein volkswirtschaftlicher Experte zu sehen, der protektionistischen Argumenten das Wort redet.[ 2 ] Von der holländischen Krankheit sind die schwächeren Südländer betroffen, denen mit sehr langfristigen Krediten unter die Arme gegriffen wird. Die Nordländer profitieren von einer – unter ihren volkswirtschaftlichen Bedingungen gesehen – unterbewerteten Währung. Die Politik versucht, sich gegen den wachsenden Protektionismus im internationalen Handel zu wehren.[ 3 ]

Abgesehen von seiner speziellen Zielrichtung wirft Krugman seinen Opponenten vor, völlig jenseits der Theorien der internationalen Wirtschaftsbeziehungen zu argumentieren. "Ich meine damit nicht, dass sich die Autoren mit den wirtschaftswissenschaftlichen Konzepten kritisch auseinandersetzen und dann eigene Wege gehen. Sie tun vielmehr so, als gäbe es diese Theorien gar nicht."[ 4 ]

Das ist ein Punkt, der mir sehr bekannt vorkommt. Bei einer Analyse der Beiträge von Ökonomen, die von der Redaktion des "Wirtschaftsdienstes" wahrscheinlich als Elite der Politikberatung angesehen werden,[ 5 ] ergab sich der Gesamteindruck, dass eine Reihe von gut informierten Menschen lediglich ihre Meinung zu aktuellen Themen der Gesellschaftspolitik unter Berücksichtigung des ökonomischen Aspektes der erörterten Sachverhalte kundgibt. Dass dabei im Hintergrund eine entwickelte wissenschaftliche Disziplin mit empirisch überprüften Theorien steckt, konnte man bestenfalls erahnen. M.a.W.: In der Öffentlichkeit vermeidet es die wirtschaftspolitische Beratungselite, die eigenen Thesen mit Hilfe des Standardwissens der Ökonomik zu untermauern und zu begründen. Das ist ein Problem angesichts der Tatsache, dass von Kritikern immer öfter ein Bild von der Ökonomik skizziert wird, in dem Fachwissenschaftler ihre Disziplin nicht mehr wiedererkennen.[ 6 ]

Woher kommt die Keuschheit?

Wie kommt das? Handelt es sich bei dieser Keuschheit gegenüber den eigenen Theorien um eine Reaktion auf den Druck, den eine in der Öffentlichkeit weit verbreiteten Missachtung der Ökonomik als eine "gescheiterte Wissenschaft" (Galbraith) ausübt?[ 7 ] Ein Druck, der durch "heterodoxe" Professoren und deren Anhänger in die Wissenschaft transportiert wird? Oder hat uns die moderne Ökonomik tatsächlich nichts mehr zu sagen, so dass sie "umgeschrieben" werden müsste?

Ein Beispiel für das Aufspringen auf die kritische Welle, die über die Ökonomik hinweg schwappt, lieferte vor Kurzem Mathias Binswanger.[ 8 ] Dabei verbindet er Richtiges mit Falschem, so dass ebenfalls ein verzerrtes Bild von der Ökonomik und ihren Problemen erzeugt wird. Leider ist das Richtige so mit dem Falschen verquickt, dass man beides nur zusammen zitieren kann:

"Die heute von Makroökonomen in großem Stil verwendeten dynamisch stochastischen allgemeinen Gleichgewichtsmodelle (sogenannte DSGE-Modelle) sind zwar mathematisch hochkomplex, aber wenig hilfreich, um die Realität einer heutigen Geldwirtschaft zu beschreiben. Also müssen Konjunkturschwankungen mit zufälligen Schocks erklärt werden, deren Ursachen letztlich im Dunkeln bleiben…

Damit soll nicht gesagt werden, dass die zuvor populären Keynesianischen Modelle, die Weisheit mit Löffeln gefressen hatten und Kritik an ihnen war durchaus berechtigt. Aber sie hatten einen wesentlichen Vorteil. Geld und Geldpolitik spielten in diesen Modellen analog zur Realität eine wichtige Rolle für den Gang der Wirtschaft. Es gab noch nicht den fatalen Zwang zu einer verfehlten Mikrofundierung aller makroökonomischen Modelle, der letztlich für den bedauernswerten Zustand der heutigen Makroökonomie verantwortlich ist."

Binswanger unterstellt, dass DSGE-Modelle "in grossem Stil" verwendet werden, sagt aber nicht, wo dies der Fall sein soll. Man kann einräumen, dass die Antwort darauf in der Forschung zu suchen und zu finden ist und darüber hinaus auch eine Anwendung in der Politikberatung stattfindet, aber letzteres sicherlich nicht "in großem Stil". Informationsseitig nicht sehr reichhaltige Modelle sind wenig hilfreich, um die Entwicklung einer Volkswirtschaft zu prognostizieren oder wirtschaftspolitische Maßnahmen zu simulieren. Sie haben aus eben diesem Grund nur einen beschränkten Anwendungsbereich. Neben den kritisierten DSGE-Modellen werden von Banken sowie von staatlichen und überstaatlichen Einrichtungen auch andere Modelle verwendet,[ 9 ] denen Binswanger allerdings unterstellt, dass sie obsolet geworden sind. Falls er mit diesen angeblich obsoleten und populären "Keynesianischen Modellen", die in fast jedem Lehrbuch nachlesbaren Modelle IS-LM und AS-AD meint, so gibt er zu, dass der von ihm beklagte Mangel einer Einbindung der Geld- und Fiskalpolitik überhaupt nicht existiert.

Sackgasse oder nicht?

Hier wird, so meine ich, der Eindruck erzeugt, dass die Makroökonomik in eine Sachgasse geraten ist, mit der fatalen Konsequenz, dass Europa nicht aus der Krise kommt, weil die Volkswirte die Wirtschaftspolitik schlecht beraten. Dagegen möchte ich einwenden, dass der empirisch und pragmatisch orientierte Volkswirt durchaus so frei sein darf und ist, traditionell bewährte Modelle anzuwenden und auf dieser Grundlage die Wirtschaftspolitik aus ökonomischer Sicht zu diskutieren. Von dieser Position aus lassen sich dann auch die tatsächlichen Defizite erkennen, die aus der Sicht des Anwenders ökonomischer Modelle beseitigt werden müssten. In groben Zügen lässt sich das an einem wichtigen und aktuellen Beispiel so darstellen:

Vom Standpunkt des aktuellen Lehrbuchwissens sind Interventionen des Staates dann sinnvoll, wenn es darauf ankommt, kurzfristige Krisen zu überwinden.[ 10 ] Auch wenn Geld- und Fiskalpolitik aus institutionellen Gründen voneinander unabhängig sind, können klug aufeinander abgestimmte Politiken, für die Clinton und Greenspan als Beispiel stehen, zu einem Abbau der Staatsschulden führen, ohne dass die Wirtschaft dabei in die Knie geht. – Soweit eine äußerst kurze Fassung des im folgenden Zusammenhang relevanten Lehrbuchwissens.

Fragt man, warum ein Teil der europäischen Volkswirtschaften in Stagnation oder schwachem Wachstum verharrt, obwohl die Geldpolitik der EZB den entsprechenden Staaten beide Hände reicht, so ist die Antwort vom Standpunkt der Modelle der neoklassischen Synthese völlig klar: Weil die Fiskalpolitik dieser Staaten die Maßnahmen der EZB nicht akkommodiert. Fragt man weiter, warum die Regierungen dieser Staaten das nicht tun, obwohl es in ihrem Interesse läge, so liegt die Antwort ebenfalls auf der Hand: Weil die angehäuften Staatsschulden und die standardmäßig zu erfolgende Finanzierung am privaten Geldmarkt ihren Handlungsspielraum derart stark eingeschränkt haben, dass sie sich keine konjunkturellen Stützungsmaßnahmen leisten können. Welche Lösung hat die Politik für dieses Problem gefunden? Mit der European Financial Stability Facility und dem nachfolgenden European Stability Mechanism ist zumindest die Abhängigkeit einer Finanzierung von übernervösen Geldmärkten durchbrochen worden – im Prinzip jedenfalls. Dass überschuldete Staaten längerfristig eine geringere Verschuldung ansteuern müssen, um im Krisenfall einen Handlungsspielraum zu haben, dafür benötigt man keine ökonomische Theorie – hier reichen die Einsichten der berühmt-berüchtigten "schwäbischen Hausfrau" völlig aus.

So weit, so trivial. Man fragt sich, aus welchen ernst zu nehmenden Gründen die Ökonomik ein völlig neues Paradigma benötigen soll, um die anstehenden Probleme zu lösen. Vielleicht aus dem Grund, dass die Krise, die im dritten Quartal 2008 nach Europa herüberschwappte, von den maßgebenden Instituten für staatlich anerkannte und mit Millionen geförderte Prognosetätigkeit nicht vorhergesehen wurde, während private Initiativen ein Mauerblümchendasein führen müssen? Das zeigt tatsächlich eine Schwäche der Ökonomik, die über Jahrzehnte hinweg die Konjunkturtheorie, die "Depression Economics" und den Wettbewerb unter Prognostikern vernachlässigt hat. Diese Defizite, aber nicht die Theorien und Modelle der modernen Makroökonomik müssen beseitigt werden. Wird auf hoher See ein Boot leck, so stopft man das Loch, und versenkt nicht gleich das ganze Boot.

Was diskreditiert die Ökonomik in den Augen der Öffentlichkeit, so dass selbst laienhafte Kritiker Morgenluft wittern und glauben, die Ökonomen belehren zu können? Hier ein paar persönliche Beobachtungen, die von anderen geteilt, ergänzt oder auch verworfen werden können: (i) Der ideologische Dauerbeschuss der EZB wegen ihrer Niedrigzinspolitik durch Anhänger der New Austrian School of Economics ist eine Polemik,[ 11 ] die unbeeindruckt vom "State of the Art" und wiederholter Kritik an ihren theoretischen Grundlagen fortgesetzt wird.[ 12 ] Sie untergräbt das Vertrauen speziell in diese europäische Institution. (ii) Das damit im Zusammenhang stehende Plädoyer für einen ökonomischen Apriorismus[ 13 ] legitimiert scheinbar die sowieso schon schwache Neigung, ökonomische Theorien und Modelle harten empirischen Tests zu unterwerfen. (iii) Die Empfehlung, zum Goldstandard zurückzukehren,[ 14 ] mag zwar einem bestimmten Unternehmen nützen, ignoriert aber die historischen Erfahrungen mit diesem Geldsystem. (iv) Die Weigerung von Autoren, sich der Kritik zu stellen,[ 15 ] bezeugt nicht nur deren intellektuelle Arroganz, sondern beraubt die Wissenschaft der wichtigsten institutionellen Methode, einen Erkenntnisfortschritt zu erzielen. (v) Die oben diagnostizierte Zurückhaltung bei der Anwendung von Standardwissen der Ökonomik erzeugt den Eindruck, diese Wissenschaft sei untauglich, eine Orientierung für die Probleme unserer Zeit zu geben. (vi) Aber auch über-simplifizierte Darstellungen wichtiger Zusammenhänge[ 16 ] können die Ökonomik diskreditieren, da die dabei angewandten Tricks selbst von Laien leicht zu durchschauen sind.[ 17 ] (vii) Generell ist die Uneinigkeit der Ökonomen in der Politikberatung eine Quelle von Unbehagen,[ 18 ] das selbst diejenigen beschleicht, die nicht davor zurückschrecken, die dickleibigen sachverständigen Gutachten zu studieren. (viii) Die undifferenzierte Kritik an der Verwendung mathematischer Modelle und an der Deduktion als Standardmethode einer empirischen Wissenschaft,[ 19 ] (ix) die Keuschheit vor harten empirischen Tests (unter dem Motto einer Orientierung an "stylized facts") sowie (x) das vornehme Tolerieren von falschen Argumenten, die in der Öffentlichkeit vorgetragen werden – alles das hat zu dem schlechten Ruf der Ökonomik beigetragen, so dass man glaubt, sie behandeln zu können, als steckte sie noch in den Kinderschuhen.

Eid des Volkswirtes

1983 haben Hans Christoph Binswanger (Binswanger Senior!) und Norbert Reetz den Eid des Volkswirtes formuliert.[ 20 ] Wäre es nicht an der Zeit, diesen Eid durch Forderungen zu ergänzen, die darauf abzielen, dass sich ein Ökonom wie ein Wissenschaftler verhält? Hier ein paar Vorschläge: Du sollst Dich der Kritik stellen. Du sollst keine Sachverhalte als existierend behaupten, für die es keine empirischen Belege gibt. Du sollst nicht falsch Zeugnis ablegen wider Deine Opponenten. Du sollst Deine Argumentation nicht auf tatsächliche oder vermeintliche Autoritäten stützen. Du sollst der Politik und dem Volke nicht nach dem Munde reden. Du sollst deskriptive und präskriptive Aspekte einer Theorie oder eines Modells analytisch auseinanderhalten. Du sollst Deine eigenen Theorien und die Deiner Kollegen unter deskriptivem Aspekt betrachten und dann den strengsten Prüfungen aussetzen. Deine Motivation zur Publikation sollte nicht allein darauf beruhen, das eigene Ranking zu verbessern. Du sollst die theoretische und wertmäßige Basis Deiner Ratschläge ausweisen.


©KOF ETH Zürich, 23. Dez. 2016

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