Photo: Wikimedia Commons (CC 0) Von Dr. Benedikt Koehler, Historiker in London. Für Hegel gründete Freiheit auf dem Recht auf Eigentum. Das Eintreten der Französischen Revolution für die Freiheit des Eigentums war ihm so wichtig wie das Eintreten des Christentums für die Freiheit der Person: “Es ist wohl an die anderthalb tausend Jahre, daß die Freiheit der Person durch das Christentum zu erblühen angefangen hat …. Die Freiheit des Eigentums aber ist seit gestern, kann man sagen, hier und da als Prinzip anerkannt worden.” Die Französische Revolution war lange vorbei ind viele ihrer Errungenschaften waren kassiert, als Hegel 1821 seine Vorlesungen zur Philosophie des Rechts hielt. Aber das Recht auf Privateigentum, das diese Revolution durchgesetzt hatte, verankerte der Code Civil von 1804
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Von Dr. Benedikt Koehler, Historiker in London.
Für Hegel gründete Freiheit auf dem Recht auf Eigentum. Das Eintreten der Französischen Revolution für die Freiheit des Eigentums war ihm so wichtig wie das Eintreten des Christentums für die Freiheit der Person: “Es ist wohl an die anderthalb tausend Jahre, daß die Freiheit der Person durch das Christentum zu erblühen angefangen hat …. Die Freiheit des Eigentums aber ist seit gestern, kann man sagen, hier und da als Prinzip anerkannt worden.” Die Französische Revolution war lange vorbei ind viele ihrer Errungenschaften waren kassiert, als Hegel 1821 seine Vorlesungen zur Philosophie des Rechts hielt. Aber das Recht auf Privateigentum, das diese Revolution durchgesetzt hatte, verankerte der Code Civil von 1804 im Gesetz.
Der Liberale Hegel übernahm viel von Adam Smith. Manche Passagen zur Philosophie des Rechts lesen sich wie Entnahmen aus The Wealth of Nations: “Dies ist das Grosse in der bürgerlichen Gesellschaft. Die Selbstsucht befördert die Interessen der anderen.” Andere wie aus der Theory of Moral Sentiments, etwa, die Zivilgesellschaft verbinde Menschen “indem jeder für sich erwirbt, produziert und genießt, er eben damit für den Genuß der Übrigen produziert und erwirbt.” Weitere Auslassungen zu Kolonialpolitik und zur Sklaverei könnten ebensogut von Adam Smith stammen: “Die Befreiung der Kolonien erweist sich selbst als der größte Vorteil für den Mutterstaat, so wie die Freilassung der Sklaven als der größte Vorteil für den Herrn.”
Hegel folgte aber nicht nur Adam Smith, er führte ihn weiter. Der Liberalismus der Französischen Revolution verband liberté mit égalité. Hegels Liberalismus trennte liberté von égalité. Hegel schenkte seinen Lesern reinen Wein ein: dass nämlich Freiheit die “die Ungleichheit des Vermögens und der Geschicklichkeiten der Individuen zur notwendigen Folge hat.” Er legte die Begründung nach. Die Illusion der Gleichheit aller Menschen “gehört dem leeren Verstände an, der dies sein Abstraktum und sein Sollen für das Reelle und Vernünftige nimmt.” Die “Ungleichheit der Individuen” ist schon in der Natur angelegt, mit der Verteilung “der schon für sich ungleichen natürlichen körperlichen und geistigen Anlagen.”
Ohne Eigentum, so Hegel, ist Freiheit nicht denkbar. Die Auswirkungen sind doppelgesichtig, teils positiv, teils negativ, oder – wenn man den Begriff bemühen möchte – dialektisch.
Einerseits fördert Eigentum die“Vervielfältigung und Spezifizierung der Bedürfnisse, Mittel und Genüsse.” Ein gehobener Lebensstandard ermöglicht Freiheit zu entfalten. Andererseits erzwingt ein hoher Lebensstandard eine Anpassung der Lebensführung: “Das, was die Engländer comfortable nennen, ist etwas durchaus Unerschöpfliches und ins Unendliche Fortgehendes, denn jede Bequemlichkeit zeigt wieder ihre Unbequemlichkeit, und diese Erfindungen nehmen kein Ende. Es wird ein Bedürfnis daher, nicht sowohl von denen, welche es auf unmittelbare Weise haben, als vielmehr durch solche hervorgebracht, welche durch sein Entstehen einen Gewinn suchen.” Die moderne Wirtschaft darf nicht ruhen, sie wächst – weil sie muss. Ihre Triebfeder ist die Jagd nach Ertrag. Wer ihre Vorteile geniessen will, muss ihre Dynamik verinnerlichen. Die moderne Eigentumsgesellschaft ist eine Konsumgesellschaft.
Hegel war als Sozialpsychologe seiner Zeit weit voraus. Hegel zeigte mit dem Finger auf eine modernes soziales Phänomen, den Pöbel: “Die Armut an sich macht keinen zum Pöbel; dieser wird erst bestimmt durch die mit der Armut sich verknüpfende Gesinnung, durch die innere Empörung gegen die Reichen, gegen die Gesellschaft, die Regierung usw.” Seine Beobachtung ist aktuell. Eine amerikanische Politikerin gab vor einigen Jahren der Schicht der Abgehängten, der Verlierer, aller derjenigen die im wirtschaftlichen Wettbewerb leer ausgehen, einen Namen. Sie nannte sie die deplorables. Das war unklug. Die derart Beschimpften stimmten, wie zu erwarten, für ihren Gegner. Solche deplorables gibt es nicht nur in den USA. Anderswo sammeln sie sich hinter dem Banner des Populismus.
Wirtschaftliche Auslese sortiert Sieger und Verlierer. Die Konzerne kommen mit immer knapperen Margen aber steigenden Umsatz auf ihre Rechnung. Das ist gut für Unternehmer, schlecht für Arbeiter: “es hat z.B. einer eine grössere Geschicklichkeit in irgendeiner Arbeit, so vermehrt sich seine Kundschaft. Dies beschleunigt Ungleichheit. Er erwirbt sich dadurch ein grösseres Kapital, dadurch braucht er weniger Gewinn von einer einzelnen Arbeit zu machen. Indem er hier ist, so können die anderen nicht mehr leben. Denn wie sie so wenig nehmen, bei ihrer eigenen Arbeit, so können sie nicht leben.” Angst um Arbeitsplätze führt “zum Verluste des Gefühls des Rechte, der Rechtlichkeit und der Ehre, durch eigene Tätigkeit und Arbeit zu bestehen.” Diese Ohnmacht verursacht die“Erzeugung des Pöbels hervor, die hinwiederum zugleich die größere Leichtigkeit, unverhältnismäßige Reichtümer in wenige Hände zu konzentrieren, mit sich führt.” Die Kehrseite einer ungezügelten Industriegesellschaft ist eine “eine ebenso unendliche Vermehrung der Abhängigkeit und Not.”Die Mentalität der sozial Deklassierten ist toxisch:“Somit entsteht im Pöbel das Böse, daß er die Ehre nicht hat, seine Subsistenz durch seine Arbeit zu finden, und doch, seine Subsistenz zu finden, als sein Recht anspricht.” Der Pöbel ist ein Produkt der modernen Industriegesellschaft.
Zur Lösung des Problems empfiehlt sich, sagen manche, die Abschaffung von Privateigentum. Hegel hielt Enteignungen für einen Holzweg. Diese Forderung hatte sich doch schon in der Antike erledigt. Damals hielt Epikur seine Freunde, wie sie, einen solchen Bund der Gütergemeinschaft zu errichten, vorhatten, gerade aus dem Grunde davon ab, weil dies ein Mißtrauen beweise und die die einander mißtrauen, nicht Freunde seien.” Schade, dass Karl Marx dies nicht beherzigt hat, es wäre viel Unheil verhindert worden. Das Kommunistische Manifest schlug vor, durch “Abschaffung des bürgerlichen Eigentums” die Spannungen des Kapitalismus zu lösen, und diese und ähnliche Formulierungen laufen noch heute um. Die DDR hat die Probe auf’s Exempel einer Gesellschaft des Kollektiveigentums durchexerziert. Kollektiveigentum ersetzte die Unfreiheit der wenigen durch die Unfreiheit aller, und stützte sich, auf allseitige Überwachung und Misstrauen. Ganz wie Epikur vorhersagte. Die DDR ging denn auch daran zugrunde.
Hegel hatte einen klaren Begriff von dem, was wir heute die Armutsfalle nennen: “Ferner die Armut kommt auch so, der Arme kann sich keine Geschicklichkeit erwerben. Arme Kinder haben die Mittel nicht, Geschicklichkeit zu erwerben.” Die medizinische Versorgung ist unzureichend:“Die Armut erschwert die Mittel, die Gesundheit zu erhalten oder herzustellen.” Keine Gesellschaft kann es sich leisten die Kluft zwischen arm und reich immer grösser werden zu lassen. Aber wer sollte sich dann der Besitzlosen annehmen, und wie? Zu Lebzeiten Hegels, vor 200 Jahren, waren soziale Einrichtungen auf Staatskosten kaum vorhanden. Hegel machte konkrete Vorschlägen zu Infrastruktur und Bildungswesen (“Armenanstalten, Krankenhäuser, Straßenbeleuchtung, Erziehung der Kinder”). Aber er beschönigte nicht dass Sozialausgaben das Problem nicht aus der Welt schaffen: “Die wichtige Frage, wie der Armut abzuhelfen sei, ist eine vorzüglich die modernen Gesellschaften bewegende und quälende.”
Adam Smith hatte viele begeisterte Leser in Deutschland. Ein gewisser Johann Schiller in Leipzig, verwandt mit dem Dichter Friedrich Schiller in Jena, übersetzte ihn schon vor der Revolution von 1789. Der Libertäre Max Stirner, Verfasser von Der Einzige und sein Eigentum übersetzte ihn im Vorfeld der Revolution von 1848. Zwischen Schiller und Stirner nahm GWF Hegel das Gedankengut von Adam Smith in sich auf und machte es sich zu eigen.
Adam Smiths Vision des Liberalismus war die allseitiger, stetig fortschreitender gesellschaftlicher Harmonie. Hegel war fasziniert von “der Staatsökonomie, einer Wissenschaft, die dem Gedanken Ehre macht, weil sie zu einer Masse von Zufälligkeiten die Gesetze findet.” Ist man nicht versucht, an Hayeks Begriff der spontanen Ordnung zu denken? Aber die Masse der Zufälligkeiten die Hegel freilegte zielten nicht durchweg auf Harmonie. Ganz im Gegenteil, sie zielten auf Fortschritt der Allgemeinheit unter Inkaufnahme von Belastungen für Einzelne. Die moderne Wirtschaft schafft Wohlstand, aber sie verteilt ihn ungleich. Hegel verwahrte sich zwar gegen Eingriffe in Eigentumsrechte, aber er mahnte an dass “alle Menschen ihr Auskommen für ihre Bedürfnisse haben sollen.”
Adam Smith hatte noch keinen Blick für das Phänomen einer Unterschicht, erst recht nicht für das Phänomen des modernen Pöbels. Hegel hingegen sprach die Spannungen einer Wohlstandgesellschaft an. Die Verantwortung für dieses Auskommen liegt aber nicht in der Wirtschaft, sondern “gehört einer anderen Sphäre, der bürgerlichen Gesellschaft, an.” Adam Smith war ein Liberaler der Aufklärung, GWF Hegel ein Liberaler der Moderne.