Gemäss Joseph Schumpeter ist die "schöpferische Zerstörung" in Krisenzeiten besonders stark, da genau dann neue innovative Unternehmen die bestehenden herausfordern. Entsprechend sollte sich die Wirtschaftspolitik bei Interventionen zurückhalten. Milton Friedman widerspricht Schumpeter insofern, als insbesondere Finanzkrisen aufgrund von Unsicherheit und Kreditverknappung schöpferische Zerstörung gar nicht zulassen. Wer liegt nun richtig? Rettungspakete und Zentralbankinterventionen, die das Ziel verfolgen, eine Finanzkrise einzudämmen, gelten vielen als unerwünschte Eingriffe in die marktwirtschaftliche Ordnung.[ 1 ] Denn selbst wenn die Wirtschaftspolitik das System stabilisiert, verhindert sie doch den Prozess der kreativen Zerstörung. Die Folge sind nachhaltige Wachstums- und Produktivitätsschwäche, weil alten, statischen und großen Unternehmen ungerechtfertigte Wettbewerbsvorteile gegenüber den neuen, kleinen, dynamischen Unternehmen eingeräumt werden. Diese Sichtweise von Finanzkrisen geht auf Joseph Schumpeter zurück, der in der "Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung" Krisen als eine besonders intensive Form des Prozesses schöpferischer Zerstörung begreift. In einer Krise treten nach einer längeren Phase der Stabilität massenhaft innovative Unternehmen neu auf den Markt.
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Gemäss Joseph Schumpeter ist die “schöpferische Zerstörung” in Krisenzeiten besonders stark, da genau dann neue innovative Unternehmen die bestehenden herausfordern. Entsprechend sollte sich die Wirtschaftspolitik bei Interventionen zurückhalten. Milton Friedman widerspricht Schumpeter insofern, als insbesondere Finanzkrisen aufgrund von Unsicherheit und Kreditverknappung schöpferische Zerstörung gar nicht zulassen. Wer liegt nun richtig?
Rettungspakete und Zentralbankinterventionen, die das Ziel verfolgen, eine Finanzkrise einzudämmen, gelten vielen als unerwünschte Eingriffe in die marktwirtschaftliche Ordnung.[ 1 ] Denn selbst wenn die Wirtschaftspolitik das System stabilisiert, verhindert sie doch den Prozess der kreativen Zerstörung. Die Folge sind nachhaltige Wachstums- und Produktivitätsschwäche, weil alten, statischen und großen Unternehmen ungerechtfertigte Wettbewerbsvorteile gegenüber den neuen, kleinen, dynamischen Unternehmen eingeräumt werden.
Diese Sichtweise von Finanzkrisen geht auf Joseph Schumpeter zurück, der in der “Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung” Krisen als eine besonders intensive Form des Prozesses schöpferischer Zerstörung begreift. In einer Krise treten nach einer längeren Phase der Stabilität massenhaft innovative Unternehmen neu auf den Markt. Dadurch wird der Zerstörungsprozess, der auch in normalen Zeiten stattfindet, krisenhaft, da eine Vielzahl der großen, schon lange existierenden Unternehmen erfolgreich herausgefordert wird. Die Krise selbst bleibt aber ein schöpferischer Akt. Folglich darf sie von der Wirtschaftspolitik nicht bekämpft werden, weil sonst Wohlstand und Wachstum in der Zukunft gefährdet werden.
Bekannterweise sind die westlichen Regierungen und Zentralbanken diesen Empfehlungen nicht gefolgt. Dies liegt daran, dass sie die Krisenursache nicht in einem von neuen, kleinen Unternehmen initiierten Prozess der schöpferischen Zerstörung erkannten, sondern in Verwerfungen des Finanzsystems selbst. Diese Verwerfungen, sich selbst überlassen, erschweren aber unternehmerisches Handeln und damit den Prozess der schöpferischen Zerstörung. Die Krise ist daher nicht Ausdruck unternehmerischer Aktivität, sondern untergräbt deren ökonomische Grundlagen.
Dafür gibt es im Wesentlichen zwei Gründe. Zum einen erzeugt eine Finanzkrise ein Maß an Unsicherheit, das das Aufspüren profitabler Investitionsmöglichkeiten – der Kernaufgabe von Unternehmern – zur Lotterie werden lässt. Entsprechend sind weniger und nicht mehr Menschen bereit unternehmerisch zu handeln. Zum anderen geht eine Finanzkrise mit einer Kreditverknappung einher. Damit wird selbst jenen Unternehmern, die unter diesen schwierigen Rahmenbedingungen aktiv sein wollen, der Zugang zu Kapital entzogen. Folglich ist aus dieser Sicht die Bekämpfung von Finanzkrisen oberstes wirtschaftspolitisches Gebot, und zwar nicht nur um Arbeitslosigkeit, Depression und Deflation zu verhindern, sondern um den Prozess der schöpferischen Zerstörung, der für Wachstum, Innovation und Produktivität sorgt, in Gang zu halten. Kaum jemand hat diese Sichtweise so eloquent ausgedrückt wie Milton Friedman in seiner Presidential Address an die American Economic Association im Jahre 1968. Dort verband er seinen Aufruf für eine Geldpolitik, die sich mit aller Kraft der Sicherung von Preisniveaustabilität verschreibt, mit dem Hinweis, dass diese Politik Unternehmertum und damit Innovation und Wachstum stärkt. Westliche Zentralbanken haben diese Sichtweise zur Richtschnur ihres Handelns erhoben.[ 2 ]
Der Prozess der schöpferischen Zerstörung – in normalen und Krisenzeiten
So kontrovers die beiden Sichtweisen in der Krisendiagnose sind, so sehr stimmen sie darin überein, dass in stabilen Zeiten ein Prozess der schöpferischen Zerstörung stattfindet. Diese Gemeinsamkeit ist der Ausgangspunkt für unsere empirische Untersuchung über die relativen Wachstumserfolge von deutschen, mittelständischen Firmen in normalen und Krisenzeiten. Wenn Schumpeter Recht hat, sollten dynamische Unternehmen nicht nur in normalen, sondern auch in Krisenzeiten einen (relativen) Wachstumsvorsprung gegenüber den status quo verhafteten Unternehmen aufweisen. Die Friedman-Sichtweise würde dagegen empirisch untermauert werden, wenn dynamische Unternehmen zwar in normalen Zeiten gegenüber ihren Konkurrenten einen Wachstumsvorsprung erzielen, während es in Krisenzeiten genau umgekehrt sein sollte.
Das KfW Mittelstandspanel
Diese Hypothesen testen wir auf der Basis des KfW Mittelstandspanels. Es liefert ein repräsentatives Abbild von jenen kleinen und mittleren Unternehmen, die in Deutschland als Wachstumsmotoren identifiziert werden. Insgesamt können wir auf mehr als 72.000 Beobachtungen von ca. 29.000 Firmen über den Zeitraum 2003-2012 zurückgreifen. Dabei messen wir den Unternehmenserfolg vor allem anhand der Umsatzwachstumsrate.[ 3 ] Der Datensatz ist sehr reichhaltig, da er unter anderem Informationen über Firmenalter und -größe, Finanzierungsstruktur und Marktausrichtung, Eigentümerstruktur und Unternehmensform beinhaltet. Da Deutschland von der globalen Finanz-, nicht aber von der Eurokrise betroffen wurde, definieren wir nur das Jahr 2009 als Krisenjahr, während alle anderen Jahre als “normale Zeiten” angesehen werden.
Welche Firmen repräsentieren schöpferisches Unternehmertum?
Die zentrale Herausforderung bei der empirischen Überprüfung der Schumpeter-Friedman Kontroverse besteht darin, schöpferisches Unternehmertum als solches zu identifizieren. Kleine und junge Unternehmen werden oft als Prototypen des dynamischen Unternehmers angesehen, weil sie aufgrund ihrer Größe und ihres Alters nicht zu den Alteingesessenen, dem status quo verhafteten Unternehmen zählen können. Entsprechend gibt es auch eine Reihe von Untersuchungen, die testen, ob in der globalen Finanzkrise kleine und junge Unternehmen vergleichsweise stärker betroffen waren als große und etablierte Unternehmen. Die Ergebnisse sind uneinheitlich bezüglich des Unternehmensalters, während junge Unternehmen überwiegend als krisenanfälliger ausgewiesen werden. Allerdings zeigt die entrepreneurship literature, dass eine Klassifikation, die dynamisches Unternehmertum ausschließlich mit kleinen und jungen Firmen gleichsetzt, problematisch ist. Viele kleine Unternehmen sind nämlich alteingesessen und weniger an Wachstum oder Innovation, dafür aber umso stärker an Stabilität interessiert. Auch Unternehmensneugründungen müssen nicht vom dynamischen Unternehmer ausgehen. Vielmehr können sie aus der Not geboren sein, zum Beispiel wenn ein arbeitslos gewordener Arbeitnehmer wegen vergleichsweise geringer Opportunitätskosten in die Selbständigkeit wechselt.
Das KfW Mittelstandspanel erlaubt es, diese Problematik zumindest zu entschärfen, da es neben Unternehmensalter und -größe Informationen über weitere Eigenschaften von Firmen bereithält, die sie als mehr oder weniger “unternehmerisch” im Schumpeterschen Sinne ausweisen. Dazu zählt die Marktorientierung, also ob Firmen auch Märkte außerhalb ihrer Heimatregion bedienen, sowie die Eigentümerstruktur, z.B. ob Firmen von Managern geleitet werden, die gleichzeitig Eigentümer sind, wie es für den deutschen Mittelstand oft typisch ist. Einzelunternehmen und Firmen, die von Arbeitslosen gegründet wurden, gelten dagegen als vergleichsweise wenig unternehmerisch. Insgesamt testen wir also sechs Eigenschaften, ob sie in normalen und Krisenzeiten mit signifikant höheren bzw. niedrigeren Wachstumsraten einhergehen. Friedman und Schumpeter lassen erwarten, dass in normalen Zeiten die als dynamisch identifizierten Unternehmen höhere Wachstumsraten aufwiesen sollten. In Krisenzeiten, also im Jahr 2009, sollten diese Unternehmen einen zusätzlichen Wachstumsschub erhalten, wenn Schumpeters Krisentheorie richtig ist; Friedmans Sicht der Dinge spricht dagegen dafür, dass in der Krise gerade die Firmen, die in stabilen Zeiten den Prozess schöpferischer Zerstörung vorantreiben und daher überproportional hohe Wachstumsraten erzielen, vergleichsweise schlecht abschneiden.
Krisenzeiten behindern kreatives Unternehmertum
Unsere Ergebnisse lassen sich wie folgt zusammenfassen: Erstens, in normalen Zeiten weisen Firmen mit unternehmerischen Eigenschaften einen Wachstumsvorsprung auf. Dies deckt sich mit unseren Erwartungen und lässt darauf schließen, dass wir mit unserer Klassifizierung dynamischer Unternehmen zumindest nicht falsch liegen. Zweitens, in der Krise kommt es zu einem erheblichen Wachstumseinbruch. Drittens, von jenen Firmen, die als vergleichsweise unternehmerisch identifiziert werden, behalten lediglich kleine Unternehmen in der Krise ihren relativen Wachstumsvorsprung.[ 4 ] Dagegen verkehrt sich bei jungen Firmen, bei Firmen, die über den regionalen Markt hinaus produzieren, und bei Manager-Eigentümer Firmen der Wachstumsvorsprung in normalen Zeiten in einen Wachstumsnachteil im Jahr 2009. Auch Einzelunternehmen, die als vergleichsweise undynamisch gelten und in normalen Zeiten auch unterdurchschnittlich wachsen, schneiden 2009 relativ gut ab.[ 5 ] Insgesamt stützen also vier von sechs Variablen die Friedman-Sichtweise, während Schumpeters Theorie lediglich für kleine Unternehmen Unterstützung erfährt. Zusammenfassend und zugespitzt lässt sich das so formulieren: Friedman vs. Schumpeter 4:1.[ 6 ]
Kreatives Unternehmertum profitiert von Stabilisierungspolitik
Die wirtschaftspolitische Schlussfolgerung, die sich aus unserer Analyse des deutschen Mittelstands in der Finanzkrise 2009 ziehen lässt, ist eindeutig: Kreatives Unternehmertum profitiert von Stabilisierungspolitik. Anders ausgedrückt: sofern der Prozess der kreativen Zerstörung auch in normalen Zeiten stattfindet, zeigen unsere Resultate, dass jene Unternehmenstypen, die diesen Prozess normalerweise vorantreiben, in der Krise schlechter abschneiden als die Unternehmen, die in normalen Zeiten unterdurchschnittlich wachsen. Das schließt nicht aus, dass Krisen für einige Unternehmen den Durchbruch bringen und diese Unternehmen dann hohe Wachstumsraten erzielen. Nur für den Durchschnitt jener Unternehmen, die üblicherweise als eher dynamisch angesehen werden, gilt dies nicht, von der Ausnahme kleiner Unternehmen abgesehen.
Gegen diese Schlussfolgerung mag eingewandt werden, dass der dynamische Unternehmer von unseren Variablen nur unzureichend erfasst wird.[ 7 ] Man kann auch den Standpunkt vertreten, dass sich der (Schumpetersche) Unternehmer empirisch gar nicht fassen lässt. Dies würde allerdings bedeuten, dass es sich bei der These von der Krise als Prozess kreativer Zerstörung um einen nicht überprüfbaren Glaubenssatz handelt. Argumentiert werden kann auch, dass unsere Ergebnisse die negativen Folgen der massiven wirtschaftspolitischen Eingriffe zur Krisenbekämpfung widerspiegeln. Schumpeter würde also nicht widerlegt, sondern bestätigt. Dem widerspricht, dass wir für die Jahre 2010 und 2011, in denen die stabilisierenden Effekte der Wirtschaftspolitik für die Realwirtschaft wohl erst ihre volle Wirkung entfaltet haben, keine negativen Wachstumseffekte für die als stärker unternehmerisch ausgewiesenen Unternehmen mehr feststellen können.
Schließlich mag man das vergleichsweise gute Krisen-Abschneiden von Unternehmen, die in normalen Zeiten weniger stark wachsen, als wenig überraschend bezeichnen. Offensichtlich werden diese Unternehmen in der Krise dafür belohnt, dass sie sich in normalen Zeiten auf Stabilität konzentrierten und ihre Wachstumsmöglichkeiten nicht bis zur letzten Konsequenz ausreizten. Sie haben daher unternehmerisch klug gehandelt. Dieser Überlegung ist durchaus zuzustimmen; sie widerspricht dennoch der Implikation der Schumpeterschen Theorie, dass in einer Krise besonders der dynamische Unternehmer zum Zuge kommt. Insgesamt kommen wir daher zu dem Schluss, dass zumindest für Deutschland in der Krise 2009 ein Prozess der Zerstörung festzustellen ist, sich empirisch aber kaum Anhaltspunkte dafür finden lassen, dass er schöpferisch war.
- 1 Der Beitrag basiert auf Bartz, W., Winkler, A. (2015), Flexible or fragile? The growth performance of small and young businesses during the global financial crisis — Evidence from Germany, Journal of Business Venturing. Dort findet man auch eine ausführliche Liste der Literatur, auf die sich manche Aussage in dieser Kurzfassung bezieht. Unser Dank gilt an dieser Stelle der KfW für die Bereitstellung der Daten und die Einführung in das Panel.
- 2 Dies wurde bereits Jahre vor der Krise deutlich; vgl. Bernanke, B. (2002), On Milton Friedman’s Ninetieth Birthday, Remarks at the Conference to Honor Milton Friedman, November 8.
- 3 Alternativ verwenden wir die Wachstumsrate der Beschäftigung als Maßstab des Unternehmenserfolges.
- 4 Relativ heißt, dass der Wachstumseinbruch mit geringerer Unternehmensgröße weniger stark ausfällt.
- 5 Bei von Arbeitslosen gegründeten Unternehmen lässt sich in der Krise kein signifikanter Effekt feststellen.
- 6 Wir führen eine Reihe von Robustheitstests durch; bei manchen fällt der “Vorsprung” der Friedman-Sichtweise etwas geringer aus, vor allem weil Variablen insignifikant werden. An der Grundtendenz ändert sich aber nichts.
- 7 Es gibt auch andere ökonomisch sehr relevante Konstrukte, die nur schwer empirisch erfasst werden können, z.B. der technische Fortschritt, der in der Wachstumstheorie eine überragende Rolle spielt. Auch dort geht man folglich so vor, dass Variablen, die quantifizierbar sind (Kapital und Arbeit), so gut wie möglich gemessen werden, um dann anschließend – auch unter Zuhilfenahme theoretischer Überlegungen – den Beitrag des technischen Fortschritts zum Wirtschaftswachstum zu ermitteln. Eine letzte Sicherheit, ob das “Solow Residuum” tatsächlich technischen Fortschritt repräsentiert, gibt es aber nicht.