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Forschungszeit: Ein knappes Gut in den Wirtschaftswissenschaften

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Der Zeitaufwand für das Beantragen von Forschungsgeldern sowie die Einreichung und Revision von Forschungsstudien ist in den Wirtschaftswissenschaften enorm und hemmt deren Effizienz und Kreativität. Welche Möglichkeiten gäbe es, die Forschenden zu entlasten?       Zeitverwendung bei der akademischen Tätigkeit Die Arbeitszeit einer akademisch tätigen Person lässt sich vereinfacht in drei Bereiche unterteilen: (1) Vorbereitung, Betreuung oder Durchführung der Lehre. (2) Im Fachbereich, in der Fakultät und Universität anfallende administrative Verpflichtungen, Gutachtertätigkeiten und Aktivitäten in beruflichen Gremien, sowie Vertretung des Sachgebiets in der Öffentlichkeit. (3) Forschungstätigkeit. Die drei Bereiche nehmen je nach Disziplin, akademischer Einrichtung und

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Der Zeitaufwand für das Beantragen von Forschungsgeldern sowie die Einreichung und Revision von Forschungsstudien ist in den Wirtschaftswissenschaften enorm und hemmt deren Effizienz und Kreativität. Welche Möglichkeiten gäbe es, die Forschenden zu entlasten?      

Zeitverwendung bei der akademischen Tätigkeit

Die Arbeitszeit einer akademisch tätigen Person lässt sich vereinfacht in drei Bereiche unterteilen: (1) Vorbereitung, Betreuung oder Durchführung der Lehre. (2) Im Fachbereich, in der Fakultät und Universität anfallende administrative Verpflichtungen, Gutachtertätigkeiten und Aktivitäten in beruflichen Gremien, sowie Vertretung des Sachgebiets in der Öffentlichkeit. (3) Forschungstätigkeit.

Die drei Bereiche nehmen je nach Disziplin, akademischer Einrichtung und persönlicher Ausrichtung ein stark unterschiedliches Gewicht ein. In diesem Beitrag werden die institutionellen Bedingungen und nicht die persönlichen Produktivitätsunterschiede der Forschenden betrachtet und er bezieht sich ausschliesslich auf den Forschungsbereich in den Sozialwissenschaften, insbesondere der Wirtschaftswissenschaft (Straumann 2020). Es stellt sich die Frage, welcher Anteil innerhalb dieses Bereiches tatsächlich noch für die wissenschaftliche Analyse verwendet wird, die dazu dient, neue Erkenntnisse zu gewinnen. Vorausgesetzt wird dabei, dass innovative Forschung genügend Zeit beansprucht.

Finanzielle Voraussetzungen zur Forschung

Für manche Forschungsaufgaben ist es notwendig Drittmittel einzuwerben, was einen ausführlichen und sorgfältig formulierten Forschungsantrag erfordert. Die Vorgehensweise muss genau beschrieben werden und es ist vorteilshaft, wenn bereits einige Ergebnisse angedeutet werden. Die Bedeutung der angestrebten Forschung für das eigene Fach und für die Gesellschaft muss deutlich gemacht und die erforderlichen Mittel sind im Detail anzugeben. Oft muss der Antrag wiederholt eingereicht werden, bis er unterstützt wird. Auf jeden Fall ist der Arbeits- und Zeitaufwand beträchtlich.

Publikationsaufwand in der Wirtschaftsforschung

Es sei angenommen, die finanziellen Erfordernisse seien gesichert und eine Wissenschaftlerin oder ein Wissenschaftler hätten in der Tat durch ihre Forschung neue wissenschaftliche Erkenntnisse erreicht.

Damit ist jedoch noch wenig gewonnen. Entscheidend ist die Veröffentlichung der erreichten Resultate. Das Publikationserfordernis ist heute – zumindest in der Wirtschaftswissenschaft – zwingend (Akerlof 2020; Heckman and Moktan 2020, Osterloh und Frey 2020). Auch in der Politikwissenschaft und Soziologie sind zunehmend Zeitschriftenpublikationen für eine akademische Karriere erforderlich.

Zuerst muss entschieden werden, bei welcher Zeitschrift ein Beitrag eingereicht werden soll. Die einzelnen wissenschaftlichen Zeitschriften geben präzise formale Anforderungen hinsichtlich des Aufbaus, Vorgehens, der verwendeten Techniken, den Folgerungen und des Literaturverzeichnisses vor. In der Nationalökonomie sind diese Anforderungen besonders stringent. Beispielsweise gibt die Zeitschrift Public Choice möglichen Autoren und Autorinnen präzise Gebote zum Einreichen eines Manuskriptes, die exakt 5788 Worte (Januar 2021) umfassen.

Forschende unterwerfen sich nicht passiv diesen Anforderungen, sondern sie reagieren aktiv darauf. Die eingereichten Beiträge werden so gestaltet, dass sie den Wünschen und Erwartungen der Editierenden und Gutachtenden entsprechen. Sinnvoll ist es, den oder die verantwortliche Hauptherausgeberin zu zitieren – und dies natürlich in einer positiven Weise. Günstig ist auch, möglichst viele Aufsätze zu zitieren, die zuvor in der gewählten Zeitschrift erschienen sind. Wichtig ist auch, welche Personen mögliche Gutachtende sein könnten und wie sie am besten zu zitieren sind. Die Vorschläge der Gutachtenden sind unbedingt zu beachten; es handelt sich in Wirklichkeit um Diktate (Akerlof 2020, Frey 2003). Auch diese Anpassungsleistungen und Reaktionen bedingen einen erheblichen Zeitaufwand, der von der wirklichen Forschung abgeht. Darüber hinaus führen sie zu konventionellen und unkreativen Beiträgen.

Die Forschenden müssen dann monatelang auf eine erste Entscheidung auf Grund der zwei bis fünf Gutachter oder Gutachterinnen warten. In der Volkswirtschaftslehre hat sich dieser Zeitraum stark ausgedehnt (Ellison 2002). Die Gutachtenden verlangen zuweilen völlig neue empirische Evidenz, so dass der ganze Prozess – inklusive der Geldbeschaffung – von vorne beginnen muss. In diesem Prozess werden sicherlich einige Beiträge verbessert, manche hingegen verwässert. Mitunter fragen sich die Autorinnen und Autoren, ob das Ergebnis noch ihrer Absicht entspricht

Die Gutachtenden verlangen heute häufig eine zweite, dritte oder gar vierte Revision. Selbst dann gibt es keine Garantie, dass der Artikel zur Veröffentlichung angenommen wird. Dann beginnt das Ganze von vorne. Zu einem Teil wird dadurch die Forschung verbessert, aber viele Vorschläge der Gutachtenden belasten die Forschenden nur mit einem unnötigen Aufwand. Unter den heute bestehenden institutionellen Bedingungen kann deshalb nur ein recht kleiner Teil der „Forschungs“-Zeit für die Suche nach neuen Erkenntnissen verwendet werden.

Was lässt sich tun?

Es sind verschiedene Möglichkeiten vorgeschlagen und umgesetzt worden um die Forschenden zu entlasten, damit sie mehr Zeit für ihre eigentliche Tätigkeit zur Verfügung haben.

Die Anträge für Forschungsmittel und das Einreichen eines Artikels kann dafür spezialisierten Stellen zugewiesen werden. Hinsichtlich der rein formellen Anforderungen werden die Forschenden dadurch entlastet. Soweit es allerdings um die oben geschilderten Reaktionen auf die Vorstellungen der Zeitschriften geht, kann diese Aufgabe kaum von einer Drittperson erledigt werden. Vielmehr ist eine intensive Zusammenarbeit zwischen den Forschenden und den Antrags- und Einreichungsspezialistinnen und -spezialisten notwendig. Es könnte sich dadurch aber ebenfalls eine regelrechte Bürokratie entwickeln, die ihre eigenen Ziele verfolgt und den Forschenden mehr Aufwand als Entlastung bringen könnte. Zumindest wird ein Teil des Zeit- und Energieersparnis der Forschenden wieder zunichte gemacht.

Die Anforderungen der wissenschaftlichen Zeitschriften könnten normiert werden. Dadurch würde der erforderliche Aufwand reduziert, wenn ein Artikel abgelehnt und an eine neue Zeitschrift eingereicht wird. Da es in einzelnen Disziplinen Hunderte und gar Tausende von wissenschaftlichen Zeitschriften gibt, lässt sich eine solche Einigung kaum erreichen. Eine solche Homogenisierung behindert zudem die Kreativität in der Forschung (Simonton 2004); der die Forschung wesentlich befruchtende Wettbewerb würde untergraben.

Eine andere Möglichkeit zur Effizienzsteigerung könnte eine stärkere Position der Hauptherausgebenden einer Zeitschrift sein. Er oder sie sollte alleine entscheiden können, ob ein Artikel veröffentlicht wird, was den Entscheidungsprozess vereinfachen würde. Ein Nachteil ist, dass so etwas wie Fürstentümer entstehen könnten, was zu wissenschaftlicher Inzucht und gar Korruption führen kann.

Eine weitere Möglichkeit zur Entlastung der Forschenden von administrativ-wissenschaftlichen Anforderungen besteht in einem „Ja oder Nein“ Entscheid (Tsang und Frey 2017). Den Autorinnen und Autoren wird unmittelbar mitgeteilt, ob ein Aufsatz angenommen oder abgelehnt wird womit der Zeit- und Energieaufwand der Forschenden vermindert wird. Jedoch erhalten dabei bereits etablierte Forschende einen erheblichen Vorteil gegenüber bisher unbekannten Forschenden. Damit werden innovative Ideen, die häufig von jungen Forschenden vorgebracht werden, behindert und somit die wissenschaftliche Entwicklung gehemmt.

Ein unorthodoxer Ansatz schlägt eine „fokussierte Zufallsauswahl“ vor (Osterloh und Frey 2020). Zur Publikation in einer wissenschaftlichen Zeitschrift eingereichte Aufsätze werden in drei Gruppen eingeteilt: Beiträge, die von Anfang an überzeugen, sollten sofort angenommen werden; Beiträge, die von vorneherein nicht publikationswürdig sind, sollten sofort abgelehnt werden. Der grosse Rest – es dürften durchaus 50-70 Prozent der eingereichten Arbeiten sein – wird einem mathematischen Zufallsverfahren unterworfen. Bei einem solchem Verfahren hat jeder eingesandte Beitrag, der nicht sofort angenommen oder abgelehnt wird, die gleiche Publikationschance. Gute Beziehungen zu den Herausgebenden, oder eine in der Vergangenheit erworbene hohe Reputation, erhalten keinen Vorzug und junge Forschende haben eine faire Chance ihre Arbeiten zu veröffentlichen.

Der Publikationsprozess in einer Disziplin würde sich stark verändern. Jedoch dürften sich nur wenige Herausgebende dafür erwärmen, weil impliziert werden könnte, dass sie unfähig seien, selbst die für ihre Zeitschrift geeigneten Beiträge auszuwählen. Die Abneigung gegen dieses Verfahren liesse sich durch einen empirischen Vergleich abmildern. Eine Zeitschrift kann zuerst die Hälfte der eingesandten Arbeiten wie bisher mittels Gutachten und Erwägungen der Herausgebenden entscheiden. Die andere Hälfte kann dem fokussierten Zufall überlassen werden. Nach fünf Jahren kann die Wirkung der publizierten Artikel verglichen werden, etwa nach der Zahl der erreichten Zitate (vgl. Röbbecke und Simon 2020 für die Volkswagen-Stiftung). Ob die aus einer Vorselektion zufällig ausgewählten Beiträge weniger oder mehr Aufmerksamkeit in der Wissenschaft finden, ist offen.

Folgerungen

Die Aussichten für eine Veränderung des bestehenden Systems sind zugegebenermassen gering. In den letzten Jahrzehnten hat sich das Wissenschaftssystem zunehmend von der übrigen Gesellschaft entkoppelt und ein stark akzentuiertes, bürokratisches Eigenleben entwickelt. Eine Effizienzsteigerung in der Wissenschaft insgesamt – insbesondere an den Hochschulen und anderen etablierten Forschungseinrichtungen – dürfte nur in einer Krisensituation möglich sein.

Akerlof, George A. (2020). Sins of omission and the practice of economics. Journal of Eonomic Literature 58(2): 405–418.

Ellison, G. (2002b). The slowdown of the economics publishing process. Journal of Political Economy 110(5), 947–993.

Frey, Bruno S. (2003). Publishing as Prostitiution? - Choosing Between One's Own Ideas and Academic Success. Public Choice 116(1-2): 205–223.

Heckman, James J. & Sidharth Moktan (2020). Publishing and promotion in economics: The tyranny of the top five. Journal of Economic Literature 58(2): 419–470.

Osterloh, Margit, & Bruno S. Frey (2020). How to avoid borrowed plumes in academia. Research Policy 49(1): article 103831.

Röbbecke , Martin und Dagmar Simon (2020). Die Macht des Zufalls. Neue Wege für die Förderung riskanter Forschungsideen? Forschung über Forschung 1/ 2 2020: 9-14

Simonton, Dean Keith (2004). Creativity in Science. Chance, Logic, Genius and the Zeitgeist. Cambridge: Cambridge University Press.

Straumann, Tobias (2020). Wie wissenschaftlich können die Wirtschaftswissenschaften sein? Unveröffentlichtes Manuskript, Universität Zürich, Dezember.

Tsang, W.K. und Bruno S. Frey (2017). The As-Is Journal Review Process: Let Authors Own Their Ideas. Academy of Management Review 6 (1): 128-136.

©KOF ETH Zürich, 3. Feb. 2021

Bruno S. Frey
Bruno S. Frey hat Nationalökonomie an den Universitäten von Basel und Cambridge (England) studiert, 1965 an der Universität Basel doktoriert und 1969 habilitiert. Von 2012-2014 war Frey Senior Professor für Politische Ökonomie an der Zeppelin Universität Friedrichshafen. Seit 2015 ist er Ständiger Gastprofessor an der Universität Basel.

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