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Nachhaltigkeit in der sozialen Sicherung über 2030 hinaus

Summary:
Die soziale Sicherung in Deutschland ist nicht nachhaltig finanziert. Dieser Beitrag schlägt deshalb ein Paket von Reformvorschlägen vor, das die soziale Sicherung wieder zukunftsfähig macht. Ziel der Reformen des vergangenen Jahrzehnts war es, das System der sozialen Sicherung in Deutschland so umzugestalten, dass es seine wesentlichen Funktionen weiterhin erfüllen kann, gleichzeitig aber langfristig finanzierbar bleibt. Zentrale Elemente in Bezug auf die Gesetzliche Rentenversicherung (GRV) waren die Verlangsamung des Anstiegs der Altersrenten durch den Nachhaltigkeitsfaktor sowie die schrittweise Anhebung der Regelaltersgrenze von 65 bis auf 67 Jahre für die Geburtsjahrgänge 1947 bis 1964. In der laufenden Legislaturperiode wurde mit der Einführung der "Rente mit 63" für besonders langjährige Versicherte eines dieser Reformelemente teilweise zurückgenommen. Auch wurden der GRV mit der "Mütterrente" für die nächsten Jahrzehnte zusätzliche Ausgaben in insgesamt dreistelliger Milliardenhöhe aufgebürdet. Erhebliche Leistungsausweitungen hat es auch in der sozialen Pflegeversicherung gegeben. Nun haben mehrere Politiker angekündigt, weitere Reformvorschläge für die GRV vorzulegen, mit denen das Absinken des Rentenniveaus verhindert werden soll, welches wiederum – wie fälschlich behauptet wird – zu einem massiven Anstieg der Altersarmut in Deutschland führen würde.

Topics:
Axel Börsch-Supan, Friedrich Breyer, Hans Gersbach considers the following as important:

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Die soziale Sicherung in Deutschland ist nicht nachhaltig finanziert. Dieser Beitrag schlägt deshalb ein Paket von Reformvorschlägen vor, das die soziale Sicherung wieder zukunftsfähig macht.

Ziel der Reformen des vergangenen Jahrzehnts war es, das System der sozialen Sicherung in Deutschland so umzugestalten, dass es seine wesentlichen Funktionen weiterhin erfüllen kann, gleichzeitig aber langfristig finanzierbar bleibt. Zentrale Elemente in Bezug auf die Gesetzliche Rentenversicherung (GRV) waren die Verlangsamung des Anstiegs der Altersrenten durch den Nachhaltigkeitsfaktor sowie die schrittweise Anhebung der Regelaltersgrenze von 65 bis auf 67 Jahre für die Geburtsjahrgänge 1947 bis 1964.

In der laufenden Legislaturperiode wurde mit der Einführung der "Rente mit 63" für besonders langjährige Versicherte eines dieser Reformelemente teilweise zurückgenommen. Auch wurden der GRV mit der "Mütterrente" für die nächsten Jahrzehnte zusätzliche Ausgaben in insgesamt dreistelliger Milliardenhöhe aufgebürdet. Erhebliche Leistungsausweitungen hat es auch in der sozialen Pflegeversicherung gegeben. Nun haben mehrere Politiker angekündigt, weitere Reformvorschläge für die GRV vorzulegen, mit denen das Absinken des Rentenniveaus verhindert werden soll, welches wiederum – wie fälschlich behauptet wird – zu einem massiven Anstieg der Altersarmut in Deutschland führen würde. Es ist daher zu erwarten, dass das Thema "Rente" im Bundestagswahlkampf 2017 eine große Rolle spielen wird, und zu befürchten, dass sich die Parteien dabei mit Versprechungen an die Wähler überbieten werden.

Diese Diskussion gibt Anlass zu Sorge, weil sie im Licht einer günstigen konjunkturellen Entwicklung und einem gegenwärtig noch relativ hohen Anteil der Erwerbsgeneration an der Gesamtbevölkerung geführt wird. Dabei wird jedoch die langfristige, über das Jahr 2030 hinausgehende Finanzierbarkeit der umlagefinanzierten Sozialleistungen in einer alternden Bevölkerung außer Acht gelassen. Als die Nachhaltigkeitsreformen vorbereitet wurden, verwendeten die damaligen Bundesregierungen für ihre Projektionen von Beitragssatz und Rentenniveau einen Zeithorizont bis 2030, also von ca. 30 Jahren. Will man heute ähnlich vorausschauend planen, müsste man einen Zeithorizont bis mindestens 2045 betrachten. Dies ist vor allem deswegen wichtig, weil es zwischen 2030 und 2040 einen weiteren Schub im Alterungsprozess der deutschen Bevölkerung gibt, der die Nachhaltigkeit in der Finanzierung der sozialen Sicherungssysteme bedroht. Der derzeitige kurze Zeithorizont schafft Illusionen über die Finanzierbarkeit von Leistungsversprechen, die nicht zu halten sind.

Der Beirat legt mit dem vorliegenden Gutachten Reformvorschläge für die soziale Sicherung vor. Zentrale Ziele der Sozialversicherung in Deutschland sind die Sicherung eines angemessenen Lebensstandards im Alter sowie ausreichende medizinische Versorgung, eine menschenwürdige Betreuung im Fall der Pflegebedürftigkeit und größtmöglicher Schutz gegen Altersarmut.

Ausgangslage

Der Beirat geht dabei von den folgenden Feststellungen aus:

  • Die soziale Sicherung in Deutschland ist nicht nachhaltig finanziert. Das liegt in erster Linie am stark wachsenden Altenquotienten im Zeitraum zwischen 2030 und 2040.
  • Bei bestehender Gesetzeslage und gegenwärtigem Renteneintrittsverhalten kann nach 2030 in der Rentenversicherung weder die Untergrenze für das Sicherungsziel eines Rentenniveaus von 43 % noch die Obergrenze für den Beitragssatz von 22% eingehalten werden.
  • Ohne adäquate Maßnahmen droht der Gesamtbeitragssatz in der Sozialversicherung von heute knapp 40 % auf weit über 50 % zu steigen, was nicht nur den Anstieg der Nettolöhne dämpfen, sondern auch die Wachstumsdynamik der deutschen Wirtschaft schwächen würde.

Empfehlungen

Um diesen Risiken adäquat zu begegnen, werden einzelne Maßnahmen nicht ausreichend sein, wenn man gleichzeitig die soziale Sicherung nachhaltig finanzieren und Altersarmut verhindern möchte. Der Beirat empfiehlt daher ein Maßnahmenpaket, das in zwei Schritten umgesetzt werden sollte.

Zum ersten Schritt gehören zwei Maßnahmen:

  1. Die Lebensarbeitszeit an die Gesamtlebenszeit anzupassen, hat höchste Priorität. Nur dadurch entschärft man das Dilemma zwischen zu hohen Beiträgen und zu niedrigen Rentenzahlungen. Dies sollte im Rahmen eines Regelprozesses so umgesetzt werden, dass die zukünftige gewonnene Lebenserwartung in regelmäßigen Abständen (z.B. alle fünf Jahre) im Verhältnis 2:1 auf zusätzliche Arbeits- und zusätzliche Rentenjahre aufgeteilt wird. Diese transparente Automatik stärkt langfristig die Balance zwischen Einzahlungen und Auszahlungen in der Rentenkasse. Keinesfalls sollte jedoch das Rentenniveau auf einem festen Wert festgeschrieben und dadurch der Nachhaltigkeitsfaktor ausgehebelt werden.
  2. Altersarmut soll zielgerichtet bekämpft werden durch Maßnahmen wie den Wiedereinbezug von Langzeitarbeitslosen in die Rentenversicherung, großzügigere Erwerbsminderungsrenten für Langzeit-Erwerbsgeminderte oder den Einbezug der Soloselbständigen in die Rentenversicherung, nicht jedoch durch die wenig zielscharfe Lebensleistungsrente oder gar eine Festschreibung des Rentenniveaus für alle.

Zum zweiten Schritt gehören drei ergänzende Maßnahmen:

  1. Riester-Rente und betriebliche Altersvorsorge leiden an schwerwiegenden Informationsmängeln und darauf basierender Marktintransparenz. Der Beirat empfiehlt, diese Schwächen abzumildern, indem möglichst bald für alle Altersvorsorgeprodukte standardisierte Renteninformationen eingeführt werden. Ferner empfiehlt er, ein einfach gestaltetes und klar definiertes Standardprodukt einzuführen, das gleichermaßen als Riester-Rente oder für die betriebliche Altersvorsorge kleiner Betriebe genutzt werden kann.
  2. Mittelfristig hängt die Nachhaltigkeit der sozialen Sicherung auch entscheidend davon ab, wie die Anstiege der Kosten in der Kranken- und Pflegeversicherung gedämpft werden können. In der sozialen Pflegeversicherung besteht eine erhebliche Deckungslücke, welche droht, die Steuerzahler zunehmend zu belasten. Der Beirat empfiehlt daher die Einführung einer obligatorischen, kapitalgedeckten privaten Zusatzversicherung, verbunden mit staatlichen Zuschüssen für niedrige Einkommen.
  3. Die nachhaltige Finanzierung der sozialen Sicherung erfordert auf allen Ebenen eine langfristige Planung. Der Beirat empfiehlt daher schließlich, dass die Zweige der Sozialversicherung die Eckdaten ihrer Finanzierung und ihrer Leistungen über eine deutlich längere Zeit im Voraus abschätzen und auch publizieren, als es derzeit der Fall ist. Sie sollten sich am Zeithorizont der Bevölkerungsvorausschätzungen des Statistischen Bundesamtes orientieren.

©KOF ETH Zürich, 10. Okt. 2016

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