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Die Ziele der EU, ihre Erdgasimporte aus Russland zu kürzen und zugleich die Speicher bis zum Winter deutlich aufzufüllen, lassen sich nur erreichen, wenn Europas Industrie wochenlang das Gas abgedreht wird. Zu diesem Ergebnis kommt ein Berechnungsmodell des Forschungszentrums Jülich, über das „der Spiegel“ berichtet.
Demnach müssten europaweit mehr als 300 Terawattstunden Erdgas (rund 30 Millionen Kubikmeter) in diesem Jahr eingespart werden, um die Vorgaben von EU-Kommissionsvizepräsident Frans Timmermans zu erfüllen.
Diese Menge entspricht ungefähr einem Drittel des jährlichen Verbrauchs von ganz Deutschland. Timmermans hatte erklärt, dass die EU-Mitgliedstaaten bis Jahresende auf zwei Drittel ihrer Gaslieferungen aus Russland verzichten und diese aus anderen Quellen ersetzen würden. Zugleich sollen die Staaten ihre Speicher bis zum November auf mindestens 80 Prozent der Maximalkapazität befüllen – um notfalls auch ohne russisches Gas über den nächsten Winter zu kommen.
Gasversorgung: Wer hat Vorrang?
Beide Ziele zugleich lassen sich laut den Modellberechnungen des Jülicher Instituts für Techno-ökonomische Systemanalyse aber nur mit erheblichen Abriegelungen der Industrie verwirklichen. Demzufolge müsste sämtlichen Stahlhütten, Chemiefabriken oder Zementwerken in der EU von jetzt an bis Ende Juli das Gas abgedreht werden – und dazu den Gaskraftwerken fast den gesamten Juli lang. Nur so ließe sich das Zwischenziel der EU erreichen, die Speicher bis zum 1. August zu 63 Prozent zu füllen.
Im Oktober wären laut Modell dann weitere Kappungen für die Industrie notwendig, um den 80-Prozent-Pegel bis zum 1. November zu erreichen. All dies gilt selbst unter der optimistischen Annahme, dass sich die Einfuhren von Flüssigerdgas (LNG) und Pipelinegas aus anderen Staaten noch einmal deutlich steigern ließen.
„Wenn die Speicher entsprechend der geplanten Vorgaben aufgefüllt und zugleich die Lieferungen aus Russland derart stark gekürzt werden sollen, geht das nur mit deutlichen Einschränkungen für die Industrie und die Kraftwerke“, sagte Jochen Linßen, Professor am Forschungszentrum Jülich, dem „Spiegel“.
Der deutsche Notfallplan Gas und die europäische SoS-Verordnung sehen vor, dass „geschützte“ Kunden wie Privathaushalte oder soziale Dienste wie Krankenhäuser vorrangig versorgt werden müssen. Einsparen ließe sich also nur bei den Unternehmen, die Gas für Ihre Produktion oder als Brennstoff für Kraftwerke benötigen.
Wirtschaftsvertreter fordern, notfalls private Endverbraucher abzuschalten. Eon-Aufsichtsratschef Karl-Ludwig Kley etwa mahnte diese Woche an, die Industrie müsse vorrangig versorgt werden. (dts/red)