Hier folgt der zweite Teil der Kritik von Rainer Maurer an Thomas Beschorners und Martin Kolmars Sichtweise der moralischen Verantwortung der Ökonomie. Das Hauptproblem: Warum führt eine freiheitlich verfasste, pluralistische Gesellschaft zu einem Kontrollstaat? Nachdem ich auf die gröbsten Missverständnisse in meinem letzten Beitrag eingegangen bin, möchte nun noch auf das Hauptproblem, wie es sich aus meiner Sicht darstellt, zu sprechen kommen: Es geht im Kern um zwei unterschiedliche Arten von Staatsverständnis. Nach meinem Verständnis – das sicherlich nicht sonderlich originell ist, wie sich jedem Sozialkundelehrbuch der gymnasialen Mittelstufe entnehmen lässt – ist ein wesentliches Element eines freiheitlich verfassten Rechtsstaats die konstitutionelle Verankerung der politischen Menschenrechte. Dieses Staatsverständnis steht in der neuzeitlichen Tradition von Philosophen wie Thomas Hobbes[ a ] und John Locke[ b ], die sich von früheren Staatstheoretikern vor allem durch das Postulat (bzw. die ethische Prämisse) unterscheiden, dass Menschen zwar häufig sehr verschiedenen sind, aber trotzdem die gleichen politischen Rechte besitzen. Man kann wohl sagen, dass diese Philosophen damit die theoretische Grundlage für eine Entwicklung legten, die zur "Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte[ c ]" führte.
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Hier folgt der zweite Teil der Kritik von Rainer Maurer an Thomas Beschorners und Martin Kolmars Sichtweise der moralischen Verantwortung der Ökonomie.
Das Hauptproblem: Warum führt eine freiheitlich verfasste, pluralistische Gesellschaft zu einem Kontrollstaat?
Nachdem ich auf die gröbsten Missverständnisse in meinem letzten Beitrag eingegangen bin, möchte nun noch auf das Hauptproblem, wie es sich aus meiner Sicht darstellt, zu sprechen kommen: Es geht im Kern um zwei unterschiedliche Arten von Staatsverständnis. Nach meinem Verständnis – das sicherlich nicht sonderlich originell ist, wie sich jedem Sozialkundelehrbuch der gymnasialen Mittelstufe entnehmen lässt – ist ein wesentliches Element eines freiheitlich verfassten Rechtsstaats die konstitutionelle Verankerung der politischen Menschenrechte. Dieses Staatsverständnis steht in der neuzeitlichen Tradition von Philosophen wie Thomas Hobbes[ a ] und John Locke[ b ], die sich von früheren Staatstheoretikern vor allem durch das Postulat (bzw. die ethische Prämisse) unterscheiden, dass Menschen zwar häufig sehr verschiedenen sind, aber trotzdem die gleichen politischen Rechte besitzen. Man kann wohl sagen, dass diese Philosophen damit die theoretische Grundlage für eine Entwicklung legten, die zur "Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte[ c ]" führte. Sie unterscheiden sich darin wesentlich von älteren Philosophen wie Platon[ d ] oder Aristoteles[ e ], die aus der Unterschiedlichkeit von Menschen eine unterschiedliche Berechtigung zur Teilhabe an der Ausübung politischer Macht ableiteten.
In der deutschen Verfassung werden die politischen Menschenrechte durch den Grundrechtekatalog (Art 1 - 19)[ f ] implementiert. Für die hier diskutierten Zusammenhänge dürften vor allem GG Artikel 3 (Gewissens-, Religions-, und weltanschauliche Bekenntnisfreiheit)[ g ], Artikel 4 (Meinungs-, Presse-, Lehr-, und Forschungsfreiheit)[ h ] sowie Artikel 103 (Gesetzlichkeitsprinzip)[ i ] relevant sein. Dabei entsprechen Artikel 3 und 4 GG im wesentlichen Artikel 18 und 19 der "Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte[ c ]" und Artikel 103 GG dem Artikel 11 der "Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte[ c ]".
Diese Rechte, die konstituierend für einen freiheitlich verfassten Rechtsstaat sind, stellen es dem einzelnen Bürger frei sich zu einer Religion oder Weltanschauung zu bekennen oder auch nicht. Durch das von Artikel 103 gewährleistete Gesetzlichkeitsprinzip wird auch sichergestellt, dass alles erlaubt ist, was nicht ausdrücklich gesetzlich verboten ist. Das schließt natürlich auch das freie Bekenntnis zu einer bestimmten Ethik mit ein. Denn unterschiedliche Religionen oder Weltanschauungen haben in der Regel auch unterschiedliche ethische Vorstellungen.
So verbietet die Katholische Kirche ihren Mitgliedern beispielsweise bestimmte Sexualpraktiken und empfiehlt homosexuellen Mitgliedern in ihrem "Katechismus[ j ]" "Schwierigkeiten, die ihnen aus ihrer Veranlagung erwachsen können, mit dem Kreuzesopfer des Herrn zu vereinen[ k ]". Mit "Kreuzesopfer des Herrn[ l ]" ist dabei der Foltertod des "Jesus von Nazareth[ m ]" gemeint, der nach Ansicht dieser Religionsgemeinschaft notwendig war, damit der Gott dieser Religionsgemeinschaft den Menschen "ihre Sünden"[ n ] vergeben konnte. Andere Religionsgemeinschaften, wie zum Beispiel die "Kirche des fliegenden Spaghettimonsters e.V.[ o ]", deren Mitglieder dem merkwürdigen Brauch folgen, auf ihren Versammlungen ein umgedrehtes Nudelsieb als Kopfbedeckung zu tragen, lassen in Bezug auf Sexualpraktiken dagegen weitestgehende Freiheit zu und fordern lediglich gegenseitiges Einverständnis und die Verwendung eines Kondoms[ p ].
Individuelle Moralbegründungen gehen bisweilen, wie diese Beispiele zeigen, verschlungene Wege. Man kann diese verschiedenen ethischen Vorstellungen allesamt mehr oder weniger merkwürdig finden oder auch gutheißen. Aber man kann in einem freiheitlich verfassten Rechtsstaat, der die Menschenrechte respektiert, niemandem vorschreiben eine bestimmte Religion oder Ethik zu praktizieren oder auch nicht zu praktizieren. Religion, ethische Überzeugungen, politische Weltanschauungen sind Privatsache, sofern sie nicht gegen die geltende gesetzliche Rahmenordnung verstoßen und diese lässt in einem freiheitlich verfassten Rechtsstaat, der die Menschenrechte respektiert, den Bürgern nun einmal einen sehr weiten individuellen Entscheidungsspielraum.
Beschorner und Kolmar gehen nun aber offensichtlich davon aus, dass ein derart freiheitlich verfasster Rechtsstaat sich nach und nach in einen Kontrollstaat verwandelt (den sie (s.o.) offensichtlich mit einen "totalitären Staat" gleichsetzen), wenn außer der Einhaltung der bestehenden Gesetze nicht zusätzlich sichergestellt wird, dass "Tugenden wie Anstand, Ehrlichkeit, Mäßigung und Gerechtigkeit" nicht nur eine "strategische Größe werden, derer man sich situativ bedienen kann oder auch nicht" und "nicht mehr fester, verinnerlichter Bestandteil einer Persönlichkeit, sondern höchstens noch beliebiges Mittel zur Erreichung egoistischer Ziele, eingefordert insbesondere bei allen anderen". Denn, "so kann eine Gesellschaft auf Dauer nicht funktionieren. Eine Gesellschaft, die jedes Problem durch institutionelle Regelungen lösen will, verwandelt sich nach und nach in einen Kontrollstaat". Sie fordern einen Staat, der "den Bürgern dabei hilft, gut zu werden" und sehen die Aufgabe "einer politischen Rahmenordnung" darin, "moralisches Handeln zu fördern" und die "Individuen oder Unternehmen" "nicht nur über Anreizmechanismen (was Sanktionen bekanntlich einschließt) irgendwie im Zaum zu halten".
Ich habe bereits in meiner ersten Kritik auf drei Probleme hingewiesen, die ich mit dieser Staatskonzeption habe:
- Die Idee, dass es Aufgabe des Staates ist, den Bürgern dabei zu helfen "gut zu werden" bzw. "moralisch zu Handeln" beruht auf zwei Prämissen: (1) dass es möglich ist, eindeutig zu sagen, welche Moral die richtige ist und welche nicht. (2) dass es möglich ist, den einzelnen Bürger durch geeignete "Maßnahmen" zu beeinflussen, die für richtig befundene Moral dann auch zu befolgen. Beide Prämissen halte ich für fragwürdig: Ad (1) Wie die Diskussion des Begründungstrilemmas der Ethik im ersten Abschnitt gezeigt hat, ist eine nicht-dogmatische Auflösung des Trilemmas nur durch den Verzicht auf Letztbegründung möglich. Das aber bedeutet aber, dass ein Nachweis, welche Moral die richtige ist, durch ein nicht-dogmatisches Verfahren nicht möglich ist. Im Grunde entfällt damit auch schon die logische Voraussetzung für die Anwendung von Prämisse (2). Trotzdem ist es interessant sich mit den Geltungsvoraussetzungen dieser Hypothese aus Sicht von Beschorner und Kolmar kurz zu beschäftigen: Ad (2) Beschorner und Kolmar glauben, dass die Verhaltensannahme exogener Präferenzen, moralisches Handeln ausschließt: "In einer Theorie, in der Menschen durch exogene Präferenzordnungen dargestellt werden, scheinen Probleme einer Verortung von Verantwortung auf individueller oder institutioneller Ebene aus zwei Gründen nicht auf. Zum einen stellen sich Fragen von Autonomie, Würde, Selbstbestimmung und sozialer Verhaltensprägungen gar nicht, da sie im Theoriedesign ausgeschlossen sind (oder zumindest nur durch einen sehr weit gefassten Präferenzbegriff eingefangen werden können, was aber in praktischen Anwendungen nicht passiert). Und zum anderen ist bei exogenen Präferenzen die Regelebene der einzige Ort, an dem man zur Problemlösung ansetzen kann." Das ist nun zunächst einmal einigermaßen erstaunlich: Warum sollten Menschen die in Bezug auf normative Werte wie z.B. "Anstand, Ehrlichkeit, Mäßigung und Gerechtigkeit" ganz bestimmte feste und von außen nicht beeinflussbare persönliche Präferenzen haben, nicht verantwortlich handeln können? Es ist anmaßend Menschen mit festen, exogenen Präferenzen bzw. Wertvorstellungen "Autonomie, Würde, Selbstbestimmung" abzusprechen. Im Grunde ist es auch unlogisch, denn jemand, der feste Wertvorstellungen hat und danach handelt, bewahrt sich doch gerade "Autonomie, Würde, Selbstbestimmung". Es ist diese völlige Beliebigkeit der Argumentation, die den Beitrag von Beschorner und Kolmar an vielen Stellen auszeichnet. Was Beschorner und Kolmar wahrscheinlich meinen, ist, dass Menschen mit exogenen persönlichen Wertvorstellungen, natürlich in einer Weise handeln, die man nicht gut von außen beeinflussen kann. Und letzteres ist natürlich notwendig, wenn der Staat, den "Bürgern helfen soll gut zu werden" bzw. "moralisches Handeln" der Bürger fördern soll. Dann stellen Menschen mit exogenen Präferenzen natürlich ein Kontrollproblem dar. Auch an anderer Stelle wird erkennbar, dass Beschorner und Kolmar offensichtlich die Annahme exogener Präferenzen deshalb aufgeben möchten, damit eine moralische Beeinflussung von Menschen in ihrem Sinne möglich wird: "Man kann nicht nicht-sozialisiert werden, die Frage ist nur, ob jede Form der Sozialisation dieselben Charaktereigenschaften hervorbringt." Sie möchten also davon ausgehen können, dass menschliche Charaktereigenschaften durch eine geeignete Form der Sozialisation beeinflussbar sind. Sie formulieren an dieser Stelle sehr vorsichtig, denn sie wissen "Natürlich sind Ideen wie Umerziehung gerade im 20. Jahrhundert von totalitären Regimen auf das Unmenschlichste missbraucht worden". Die Idee einer staatlichen Umerziehung von Bürgern kann man heute nicht mehr offen propagieren. Aber ganz ohne sie lässt sich nun einmal ihre Vorstellung nicht realisieren, dass der Staat, den Bürgern helfen soll, "gut zu werden" bzw. "moralisch zu handeln". Am Ende läuft das Ganze darauf hinaus, dass sie einen "Kontrollstaat" dadurch verhindern möchten, dass der Staat seine Bürger so "beeinflusst" – um das Wort "umerzieht" zu vermeiden – dass eine staatliche Regelsetzung durch Gesetze zumindest teilweise unterbleiben kann. Das wäre dann aber natürlich schon ein Staat, der die Präferenzen seiner Bürger in sehr weitgehendem Umfang beeinflusst/kontrolliert. Vielleicht dann doch schon so eine Art "Kontrollstaat"? Gewissermaßen, die Verhinderung eines Kontrollstaates durch die Schaffung eines Kontrollstaates? Interessanterweise plädieren Beschorner und Kolmar dabei sogar für eine "aristotelische Idee der Verinnerlichung moralischer Werte". Eine derart "verinnerlichte Moral" kann dann natürlich nur noch schwer verändert werden. "Verinnerlichung moralischer Werte" bedeutet ja eigentlich, dass die moralischen Werte tief im Charakter der Menschen verankert und gegen äußere Einflüsse hinreichend abgeschirmt sind – im Grunde also exogene Präferenzen darstellen. Offensichtlich sind die impliziten Verhaltensannahmen von Beschorner und Kolmar also so konstruiert, dass zwar einerseits eine Veränderung von Präferenzen durch den Staat möglich ist, andererseits aber nach der Implementation der Regeln durch den Staat, wieder eine Exogenisierung der Präferenzen, "Verinnerlichung" genannt, stattfindet. Wie schon im Abschnitt "Methodische Banalitäten" wie empirische Theorien, die "immer auf normativen Annahmen fußen" des ersten Teils meiner Kritik erläutert, wenn Verhaltensannahmen ökonomischer Theorien nicht mehr so gewählt werden müssen, dass die Theorien möglichst gut die beobachtbare Realität abbilden, dann kann man auch hier nach dem Quodlibet-Prinzip verfahren und sich seine Verhaltenstheorie so stricken, wie man es gerade aus weltanschaulicher Sicht braucht. Wenn man jedoch ein Anhänger der Idee ist, dass empirische Theorien auch etwas mit der beobachtbaren Realität zu tun haben sollten, dann kann man sicherlich eine empirisch erfolgreiche Theorie endogener Präferenzen für erstrebenswert halten und trotzdem die von Beschorner und Kolmar hier verwendete Verhaltenstheorie als nicht besonders aussichtsreichen Kandidaten dafür erachten.
- Mir fehlt eine konsistente politische Theorie, die ausgehend von plausiblen Ausgangsannahmen zeigt, dass ein Mechanismus existiert, der dazu führt, dass ein freiheitlich verfasster Rechtsstaat mit Notwendigkeit bzw. zumindest mit hoher Wahrscheinlichkeit sich in einen Kontrollstaat im Sinne von Beschorner und Kolmar verwandelt, wenn es ihm nicht gelingt, dafür zu sorgen, dass eine bestimmte Vorstellung von "Tugenden wie Anstand, Ehrlichkeit, Mäßigung und Gerechtigkeit" "fester, verinnerlichter Bestandteil" der "Persönlichkeit" der Staatsbürger ist. Mir scheint es auf einen logischen Widerspruch hinauszulaufen, wenn man behauptet, dass ein Staat, der nicht dafür sorgt, dass seine Staatsbürger eine ganz bestimmte Vorstellung von "Anstand, Ehrlichkeit, Mäßigung und Gerechtigkeit" "verinnerlichen", und stattdessen durch konstitutionelle Regeln sicherstellt, dass die von der "Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte[ c ]" geforderten individuellen Freiheitsrechte gelten, sich in einen "Kontrollstaat" entwickeln kann.
- Mir fehlt der empirische Nachweis, dass eine solche Tendenz in freiheitlich verfassten Rechtsstaaten tatsächlich existiert. Ich habe in meiner ersten Kritik darauf verwiesen, dass "die empirische Erfahrung, die seit dem Beginn der Neuzeit gemacht wurde, nicht dafür spricht, dass ein solcher Mechanismus existieren würde, wie etwa die frühen Demokratien Schweiz oder USA zeigen. Im Gegenteil, man kann in der Geschichte der Neuzeit durchaus eine Tendenz zum Übergang zu freiheitlich verfassten Gesellschaftssystemen erkennen. (...) Die kulturpessimistische Sichtweise der Neuzeit, die im Beitrag von Beschorner und Kolmarerkennbar wird, muss man jedenfalls nicht teilen – gerade auch im Hinblick auf das Ausmaß der staatlichen Kontrolle der Gesellschaft in der Zeit davor." Ich finde in der Replik von Beschorner und Kolmar keinen Hinweis, warum diese empirische Einschätzung falsch sein sollte. Auch auf der Ebene ordnungspolitischer Rahmensetzung, auf der die "Wirtschaftsethik" ja offenbar abzielt, scheint mir eine eindeutige Tendenz zum "Kontrollstaat" nicht erkennbar zu sein. Phasen verstärkter Regulierungsbemühungen wechseln sich in demokratisch verfassten Staaten ab mit Phasen verstärkter Deregulierungsbemühungen und umgekehrt. Das deutet insgesamt eher auf eine Versuch-und-Irrtums-Strategie, die darauf abzielt, sich in einer stets verändernden Welt an neue Gegebenheiten anzupassen und aus Fehlern zu lernen, als auf eine eindeutige Tendenz hin zu einem "Kontrollstaat". Wie schon gesagt, es wäre sicherlich hilfreich, Beschorner und Kolmar würden ihre "Kontrollstaat-Hypothese" einmal mit konkreten empirischen Beobachtungen unterfüttern. Natürlich kann man sich vor jeder Art empirischer Analyse mit dem Hinweis drücken, dass es "philosophisch heftig umstritten" ist, ob "die Ordnung der Welt der Ordnung der Sprache entspricht und durch sie abgebildet werden kann" (Eine Fragestellung, die im Übrigen nicht mit dem "Duhem-Quine-Problem[ q ]" gleichzusetzen ist, das sich auf Probleme beim Test zusammengesetzter Hypothesen bezieht, die aber nicht bei jeder empirischen Überprüfung relevant sind). Jeder Versuch Erfahrungswissenschaft zu betreiben, setzt aber die metaphysische Hypothese voraus, dass verwertbare empirische Beobachtungen einer autonomen Realität in irgendeiner Form möglich sind. Wenn man sich zu dieser Annahme durchringen kann, was möglicherweise ja nicht ganz so schwer ist, wie es klingt, weil wir diese Art von Metaphysik ja auch im Alltag "aus pragmatischen Gründen" verwenden, dann kann man feststellen, dass die empirisch mittlerweile recht gut bewährte Evolutionstheorie uns eine einfache Erklärung dafür liefert, weshalb die" die Ordnung der Welt" und "die Ordnung der Sprache" nicht soweit auseinanderfallen können: Die Spezies Mensch hätte wohl kaum ein sprachfähiges aber deshalb auch höchst energieintensives Gehirn entwickelt (2% des Körpergewichtes aber 20% des Energieverbrauchs), wenn die darauf laufende Sprache nicht auch einen Selektionsvorteil brächte. Anders formuliert: Es spricht einiges dafür, dass die evolutionären Mechanismen, dafür gesorgt haben, dass "die Ordnung der Sprache" zur "Ordnung der Welt" passt. Natürlich gilt dies auch für unsere Sinnesorgane (Vollmer (1985, Bd.2, S. 37 ff.)[ r ]): Wenn die Informationen, die das Auge liefert, völlig falsch wären, würde nicht nur beim Überqueren einer Verkehrstrasse ein stark wirkender "Selektionsdruck" resultieren.
Vorläufiges Fazit
Bliebe vor allem noch die Sache mit dem "normativen Geltungsüberhang" zu klären. Darauf möchte ich in einem weiteren Beitrag eingehen. Dabei wird es vor allem um die Frage gehen, welche Voraussetzungen erfüllt sein müssen, damit Beschorner und Hadjuk dem "Positionspapier des Schweizer Bundesrates zur gesellschaftlichen Verantwortung von Unternehmen[ s ]" zweifelsfrei ein "insgesamt reifes Verständnis von Corporate Social Responsibility" attestieren können. Insgesamt drängt sich nun aber doch schon der Verdacht auf, dass die epistemologischen Nebelkerzen, derer sich Beschorner und Kolmar bedienen, mit Methode geworfen werden. Man möchte die Wirtschaftswissenschaften von der Idee einer empirischen Überprüfung von Theorien abkoppeln. Die Wirtschaftswissenschaft soll nicht mehr als Erfahrungswissenschaft sondern als "normative Wissenschaft" betrieben werden – gewissermaßen als Unterabteilung der "Wirtschaftsethik". Mit dem Hinweis auf "Kategorienfehler" erledigt sich dann auch der naturwissenschaftliche Befund. Die vielversprechende Idee eines Zusammenwachsens von ökonomischer und naturwissenschaftlicher Verhaltensforschung entpuppt sich aus dieser Perspektive als Häresie. So hätte man dann freie Hand. Man konstruiert sich seine Welt, wie es dem eigenen normativen Belieben gefällt. Das deutet dann doch schon auf das Vorliegen eines klassischen "Pipi-Langstrumpf-Syndroms" hin.
©KOF ETH Zürich, 12. Nov. 2015