Der deutsche Mittelstand gilt weitherum als Garant für die ökonomische und gesellschaftliche Stabilität – auch in wirtschaftlichen düsteren Zeiten. Zu Recht? Die amerikanische Zeitschrift "Businessweek" widmete im April der deutschen Wirtschaft in ihrer europäischen Ausgabe die Titelgeschichte. Darin skizzierte der Autor Alan Crawford ein pessimistisches Bild über die Zukunft Deutschlands – mit einer Ausnahme: Den deutschen Mittelstand bezeichnete er als Lichtblick, mit dessen Hilfe der Wohlstand in der Deutschland gewahrt werden könne. Ist diese optimistische Einschätzung des Mittelstands in Deutschland gerechtfertigt? Zur Beantwortung der Frage muss zunächst angemerkt werden, dass sich Crawford (2019) in seinem Artikel vor allem auf die sogenannten „hidden champions“ bezog. Dies
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Der deutsche Mittelstand gilt weitherum als Garant für die ökonomische und gesellschaftliche Stabilität – auch in wirtschaftlichen düsteren Zeiten. Zu Recht?
Die amerikanische Zeitschrift "Businessweek" widmete im April der deutschen Wirtschaft in ihrer europäischen Ausgabe die Titelgeschichte. Darin skizzierte der Autor Alan Crawford ein pessimistisches Bild über die Zukunft Deutschlands – mit einer Ausnahme: Den deutschen Mittelstand bezeichnete er als Lichtblick, mit dessen Hilfe der Wohlstand in der Deutschland gewahrt werden könne. Ist diese optimistische Einschätzung des Mittelstands in Deutschland gerechtfertigt?
Zur Beantwortung der Frage muss zunächst angemerkt werden, dass sich Crawford (2019) in seinem Artikel vor allem auf die sogenannten „hidden champions“ bezog. Dies sind überaus erfolgreiche eigentümer- bzw. familiengeführte und nicht an der Börse notierte Unternehmen, die bereits über mehrere Generationen meist im Verarbeitenden Gewerbe und auf (internationalen) Nischenmärkten aktiv sind (siehe bspw. Schlepphorst et al. 2016; Simon 1992).
Der relativ hohe Anteil dieser "hidden champions“ in Deutschland (Lehmann et al. 2018) mag zwar ein Grund für die hohe Aufmerksamkeit sein, die der deutsche Mittelstand international erfährt. Dennoch stellen diese Unternehmen nur einen Teil des gesamten Mittelstandes dar. Schließlich wird in der Forschung – quasi als kleinster gemeinsamer Nenner – die Einheit von Eigentum und Leitung als wesentliches Merkmal mittelständischer Unternehmen hervorgehoben (siehe bspw. Pahnke/Welter 2019; Berlemann et al. 2018; Welter et al. 2015). Zum Mittelstand in Deutschland zählen demnach – unabhängig von der Größe – alle Unternehmen, bei denen die Inhaber oder ihre Familienangehörigen nicht nur die Mehrheit der Anteile halten, sondern auch die Geschäfte leiten (Wolter/Hauser 2001).
Der Mittelstand als Garant gesellschaftlicher Stabilität
Die Bedeutung des Mittelstands für Deutschland geht jedoch weit über statistischen Zahlen hinaus: Ausgehend davon, dass nur ein dauerhafter Unternehmenserfolg ihre Lebensgrundlage sichert, planen die Eigentümer in der Regel längerfristiger als managergeführte Unternehmen (Brink/Schlepphorst 2016). Ein weiteres wichtiges Merkmal von mittelständischen Unternehmen ist, dass sie in der Regel ein nachhaltiges und vertrauensvolles Verhältnis zu all ihren wichtigen Stakeholdern aufbauen und pflegen – gleich, ob es sich um die Mitarbeiter, Zulieferer, Kunden oder um das kommunale und regionale Umfeld handelt. Dieses Vorgehen ist historisch begründet, schließlich hat der Mittelstand in Deutschland seinen Ursprung in den mittelalterlichen Gilden und Zünften. Deren Vorgaben und Regeln bestimmten nicht nur die Unternehmensführung und Ausbildung des Nachwuchses, sondern reichten auch weit in das soziale Umfeld der Unternehmen hinein – bis hin zur Versorgung von Witwen und Waisen. Aus diesem Grund besitzt bis heute das duale Ausbildungssystem eine hohe Bedeutung – was sich nicht zuletzt darin zeigt, dass die Ausbildungsprüfung immer noch in der Hand der Handwerkskammern liegt (Pahnke/Welter 2019; Wengenroth 2010). Als im Zuge der Industrialisierung die Gilden und Zünfte ihre regulierende Rolle verloren, entwickelte sich das Bild vom fürsorglichen Unternehmer, der (mit seiner Familie) auch außerhalb der Werkshallen für "seine" Beschäftigten sorgte. Allerdings darf man bei all diesen positiven Wohltaten nicht verkennen, dass die Unternehmer damit auch ein bestimmtes Ziel verfolgten: Sie versuchten dadurch, ihre Arbeiter zu binden – und zu "entpolitisieren“ (Welter/Gröschl 2016).
Wenn man heute das Unternehmertum in Deutschland nur mit der Brille "möglichst schnelles Wachstum" betrachtet und mit den großen Unternehmen aus dem Silicon Valley vergleicht, verkennt man daher leicht, welche Bedeutung die gewachsenen mittelständischen Unternehmen für eine Region, die dortigen Arbeitnehmenden und damit für die gesellschaftliche Stabilität in Deutschland insgesamt haben (Audretsch 2004). Gerade auf diesen Elementen beruht jedoch auch der Erfolg des Mittelstands. Und dies ist auch ein wesentlicher Grund dafür, dass drei Viertel der Unternehmenseigentümerinnen und -eigentümer sich selbst gerne als mittelständisch bezeichnen – obwohl bei einem Teil von ihnen tatsächlich längst nicht mehr die Einheit von Eigentum und Leitung gegeben ist (Welter et al. 2015).
Forschung und Entwicklung ist nicht das Maß aller Innovationsaktivitäten
Den Silicon Valley-Unternehmen kommt eine besondere Bewunderung aufgrund ihrer hohen Innovationstätigkeit zu. Im Mittelstand ist das Innovationsgeschehen ebenso vielfältig wie seine Struktur: So investieren beispielsweise die großen Familienunternehmen viel in Forschung und Entwicklung (FuE): In 2015 lagen ihre Ausgaben hierfür im Durchschnitt bei mehr als 3 % des Jahresumsatzes – der unternehmerische Bundesdurchschnitt betrug zu diesem Zeitpunkt 2,8 % (Löher et al. 2016). Demgegenüber weisen die KMU laut Indikatoren der Forschungs- und Innovationsberichterstattung geringere FuE-Aktivität auf (Rammer 2019; Expertenkommission Forschung und Innovation 2017). Nicht ohne Grund: Führt die eigene FuE nicht zum gewünschten Erfolg, kann dies hohe wirtschaftliche Konsequenzen für die Unternehmen haben – bis hin zur Insolvenz. Aber auch ohne eigene FuE sind die KMU nachweislich innovativ: Sie verbessern beispielsweise kontinuierlich bestehende Produkte und Dienstleistungen oder kooperieren mit Wirtschafts- und Wissenschaftspartnern (Brink et al. 2018).
Zudem zeigen Maaß und May-Strobl (2016) anhand des Community Innovation Surveys (CIS) auf, welchen hohen Stellenwert nicht-technologische Innovationen in den KMU einnehmen: Rund 32 % von den KMU sind in dieser Weise innovativ – 20 % von ihnen bringen hingegen technologische Innovationen hervor. Beide Innovationsarten sind eng miteinander verbunden: So dienen nicht-technologische Innovationen häufig als Vorbereitung von technologischen Produktinnovationen bzw. um unternehmensintern technologische Abläufe zu optimieren. Gerade letzteres gewinnt aktuell angesichts des unaufhaltsamen digitalen Transformationsprozess immer mehr an Bedeutung.
Nimmt man all die dargestellten Aspekte zusammen, so wird deutlich, warum der Mittelstand in Deutschland als "Lichtblick in wirtschaftlich düsteren Zeiten" gesehen werden kann: Er ist ein lebendiger Teil unserer Wirtschaft. Er ist wettbewerbsfähig, innovativ und wachstumsorientiert – auch wenn dies nicht immer so offenkundig sichtbar ist wie bei den großen, sehr erfolgreichen Unternehmen im Silicon Valley. Zugleich ist der Mittelstand in Deutschland aber auch Garant für die gesellschaftliche Stabilität. Die optimistische Einschätzung in der "Businessweek" ist daher gerechtfertigt – und zeigt zugleich, dass der Mittelstand in Deutschland sich nicht hinter den Silicon Valley-Unternehmen verstecken muss.
Audretsch, D.B.; Keilbach, M. (2004): Does entrepreneurship capital matter? in: Entrepreneurship Theory and Practice 28 (5), S. 419-429.
Berlemann, M.; Jahn, V.; Lehmann, R. (2018): Auswege aus dem Dilemma der empirischen Mittelstandsforschung, ifo Schnelldienst, 71 (23), S. 22-28.
Brink, S.; Schlepphorst, S. (2016): Wirtschaften in einer globalisierten Welt – Familienunternehmen in Deutschland, in: WPg, Heft 5, S. 296-302.
Brink, S.; Nielen, S.; May-Strobl, E. (2018): Innovationstätigkeit des nicht-forschenden Mittelstands, IfM Bonn: IfM-Materialien Nr. 266, Bonn.
Crawford, A. (2019). Germany’s Postwar Prosperity is on the Verge of Reversal. Bloomberg Businessweek. https://www.bloomberg.com/news/articles/2019-04-11/germany-s-postwar-prosperity-is-on-the-verge-of-reversal[ a ], zuletzt aufgerufen am 27.05.2019.
EFI - Expertenkommission Forschung und Innovation (2017): Gutachten zu Forschung, Innovation und technologischer Leistungsfähigkeit Deutschlands, Berlin, https://www.e-fi.de/fileadmin/Gutachten_2017/EFI_Gutachten_2017.pdf, zuletzt geöffnet am 28.5.2019.
Lehmann, E. E.; Schenkenhofer, J.; Wirsching, K. (2018): Hidden Champions and Unicorns: a Question of the Context of Human Capital Investment, in: Small Business Economics, S. 1-16.
Löher, J.; Schlepphorst, S.; Chlosta, S.; Nielen, S. (2016): Die größten Familienunternehmen in Deutschland - Frühjahrsbefragung 2016, Chartbook I: Innovation und Investitionen, im Auftrag der Deutsche Bank AG und des Bundesverbands der Deutschen Industrie e. V. (BDI), Berlin/Frankfurt.
Maaß, F.; May-Strobl, E. (2016): Der Stellenwert nicht-technologischer Neue-rungen im Innovationsgeschehen der mittelständischen Wirtschaft, IfM Bonn: IfM-Materialien Nr. 250, Bonn.
Pahnke, A.; Welter. F. (2019): The German Mittelstand: antithesis to Silicon Valley entrepreneurship?, in: Small Business Economics, 52 (2), S. 345-358.
Rammer, C. (2019): Innovationen: Deutschland tritt auf der Stelle, ZEW News, Januar/Februar.
Simon, H. (1992): Lessons from Germany's Midsize Giants, in: Harvard Business Review, 70 (2), pp. 115–123.
Schlepphorst, S.; Schlömer-Laufen, N.; Holz, M. (2016): Determinants of hidden champions – Evidence from Germany, IfM Bonn: Working Paper 03/16.
Welter, F.; Gröschl, J. (2016): Unternehmer und Unternehmerinnen in Deutschland, in: Bundeszentrale für politische Bildung, Aus Politik und Zeitgeschichte 16-17/2016 "Unternehmertum", S. 3-12, Bonn.
Welter, F.; May-Strobl, E.; Holz, M.; Pahnke, A.; Schlepphorst, S.; Wolter, H.-J.; unter Mitarbeit von Kranzusch, P. (2015): Mittelstand zwischen Fakten und Gefühl, IfM Bonn: IfM-Materialien Nr. 234, Bonn.
Wengenroth, U. (2010): History of Entrepreneurship: Germany after 1815, in: Landes, D.S., Mockyr, J.; Baumol, W.J. (hrsg.): The Invention of Enterprise: Entrepreneurship from Ancient Mesopotamia to Modern Times, Princeton/Oxford, S. 273-304.
Wolter, H.-J.; Hauser, H.-E. (2001): Die Bedeutung des Eigentümerunternehmens in Deutschland, Jahrbuch zur Mittelstandsforschung, 1, S. 27-78.
©KOF ETH Zürich, 26. Jul. 2019