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Rückgang des Italien-Spreads: Der Sintra-Lagarde-Moscovici-Effekt

Summary:
Seit kurzem liegen die Zinsen für italienische Staatsanleihen wieder bemerkenswert tief. Übliche Erklärungsansätze greifen jedoch nicht. Viel eher ist der Rückgang über aktuelle Personal- und Geldpolitikentscheide im Euroraum zu erklären. Zwischen Anfang Juni und Mitte Juli 2019 ist es zu einer markanten Neubewertung Italiens an den internationalen Anleihemärkten gekommen. Noch Ende Mai lagen Italiens Zehn-Jahres-Rendite bei 2,7 Prozent. Seitdem haben die Kurse italienischer Papiere haussiert. Die Umlaufrendite ist am 3. Juli zeitweise auf 1,6 Prozent gefallen. Dieses niedrige Niveau war zuletzt vor Amtsantritt der neuen Regierung im Frühjahr 2018 zu beobachten. Solch niedrige Renditen sind gewöhnlich das Privileg von Industriestaaten, deren Bonität über jeden Zweifel erhaben ist.

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Seit kurzem liegen die Zinsen für italienische Staatsanleihen wieder bemerkenswert tief. Übliche Erklärungsansätze greifen jedoch nicht. Viel eher ist der Rückgang über aktuelle Personal- und Geldpolitikentscheide im Euroraum zu erklären.

Zwischen Anfang Juni und Mitte Juli 2019 ist es zu einer markanten Neubewertung Italiens an den internationalen Anleihemärkten gekommen. Noch Ende Mai lagen Italiens Zehn-Jahres-Rendite bei 2,7 Prozent. Seitdem haben die Kurse italienischer Papiere haussiert. Die Umlaufrendite ist am 3. Juli zeitweise auf 1,6 Prozent gefallen. Dieses niedrige Niveau war zuletzt vor Amtsantritt der neuen Regierung im Frühjahr 2018 zu beobachten. Solch niedrige Renditen sind gewöhnlich das Privileg von Industriestaaten, deren Bonität über jeden Zweifel erhaben ist. Das gilt nicht für Italien. Die Ratingagentur Moody’s bewertet die langfristige Kreditwürdigkeit des Landes mit der gleichen Note („Baa3“) wie Kasachstan oder Südafrika.

Verschiedene naheliegende Erklärungen für die Neubewertung helfen nicht weiter. Eine erste Möglichkeit wäre, dass die italienische Regierung eine bessere Politik als erwartet mache. Diese Erklärung scheidet ganz offenkundig aus. Seit Amtsantritt ist es zu einer deutlichen Ausweitung des aktuellen und der prognostizierten Defizite gekommen. Ein neues Bürgergeld wurde im Frühjahr eingeführt und treibt die Sozialleistungen ebenso dauerhaft nach oben wie die erleichterten Frühverrentungen. Schon im letzten Jahr hat die neue Regierung zudem das Gegenteil von dem getan, was der italienische Arbeitsmarkt und die Wirtschaft benötigen. Sie hat Reformen zurückgenommen und dem Arbeitsmarkt bei Kündigungsschutz, Zeitverträgen und Zeitarbeit neue Fesseln angelegt.

Auch eine zweite mögliche Erklärung, dass Italien eine überraschend günstige ökonomische Entwicklung erlebe, hilft nicht weiter. Ganz im Gegenteil deuten die aktuellen Prognosen bestenfalls auf eine Stagnation hin. Die Wirtschaftspolitik der neuen Regierung hat Investoren und Konsumenten verunsichert und nicht wie versprochen zur Wachstumsbelebung beigetragen.

Als dritte unbedenkliche Erklärung bleibt, dass die italienische Zinsentwicklung fallende Zinsen in der gesamten Eurozone widerspiegelt. Schaut man aber auf den Spread, den Zinsabstand zwischen italienischen und deutschen Anleihen, dann wird auch diese Erklärung widerlegt. Der italienische Zinsrückgang ist im Wesentlich ein Rückgang des Zinsaufschlags gegenüber Deutschland. Betrug dieser Spread Ende Mai noch 2,9 Prozentpunkte, so waren es am 3. Juli nur noch 2,0 Prozentpunkte. Die Italien-Hausse spiegelt also vor allem einen starken Rückgang der Risikoprämie wider. Offenbar halten Investoren diese Papiere trotz des unverändert schwachen Ratings nicht mehr für so riskant wie noch zum Amtsantritt der Regierung Conte.

Bei der Suche nach den wirklichen Treibern der italienischen Zinsentwicklung ist eine „Event-Analyse“ aufschlussreich. Dabei werden markante Ereignisse in Beziehung zur Kursentwicklung von Wertpapieren gesetzt. Folgende Ereignisse waren für die italienische Zinsentwicklung dabei von klar erkennbarer Bedeutung. Am 18. Juni hat Mario Draghi im portugiesischen Sintra überraschend deutlich die Bereitschaft des EZB-Rats formuliert, „alle Flexibilität“ innerhalb des EZB-Mandats zu nutzen, um den EZB-Auftrag zu erfüllen. Diese Ankündigung wurde allgemein als Ankündigung einer baldigen weiteren Zinssenkung und der Wiederaufnahme von Anleihekäufen verstanden. Der Sintra-Effekt ist im Zinsverlauf sichtbar. Der bereits Anfang Juni eingesetzte Rückgang des Italien-Spread hat sich am 19. Juni beschleunigt.

Eine sehr markante weitere Korrektur hat am 2. Juli eingesetzt und sich zunächst bis zum 3. Juli fortgesetzt, als vorläufige Tiefstände der Italien-Renditen erreicht wurden. Diese beiden Tage waren durch zwei bedeutsame Ereignisse gekennzeichnet. Am Vorabend des 3. Juli sickerte die Personalie Christine Lagarde als neue EZB-Präsidentin durch. Am 3. Juli hat EU-Wirtschaftskommissar Pierre Moscovici verkündet, vorläufig auf ein Defizitverfahren gegen Italien zu verzichten. Dieser kombinierte Lagarde-Moscovici-Effekt hat die italienischen Renditen auf die neuen Tiefstände heruntergeschleust. Nach dem 3. Juli ist es im Zuge der großen Unsicherheit um die Wahl von Ursula von der Leyen zur neuen Kommissionspräsidentin und der folglich wieder offenen Entscheidung um die EZB-Präsidentschaft zu einer leichten Gegenbewegung gekommen. Die knappe Wahl von der Leyens hat am 16. Juli auch Christine Lagardes Weg zur EZB-Präsidentschaft endgültig geebnet. Am Morgen danach fielen die Italien-Renditen wieder auf knapp unter 1,6 Prozent.

Die Interpretation dieses Verlaufs ist offenkundig. Die Märkte haben wohl kaum „über Nacht“ ihre Bonitätsbewertung des Landes nach oben korrigiert. Die Marktreaktion ist nur so zu erklären, dass die drei Ereignisse – „Sintra“, „Lagarde“ und „Moscovici“ – in ihrer Kombination als Hilfszusage Europas für ein überschuldetes Italien gewertet werden. Zuerst signalisiert der amtierende EZB-Präsident in Sintra, dass er kurzfristig bereit ist, weitere Staatsanleihen der Euro-Staaten zu kaufen. Von neuen Anleihekäufen dürfte Italien besonders profitieren, weil bei weniger verschuldeten Euromitgliedern die ankauffähigen Anleihen bereits knapp werden. Dann wurde die Personalentscheidung für Christine Lagarde und gegen Jens Weidmann offenkundig als Zusage gewertet, dass die EZB ihren Kurs auch in der nächsten Achtjahres-Amtszeit der neuen Präsidentin nicht korrigieren wird. Der mangelnde Wille der Europäischen Kommission, endlich die Sanktionsinstrumente des europäischen Stabilitätspakts ins Spiel zu bringen, hat das Bild abgerundet. Die an den Märkten angekommene Botschaft lautet: Auch hoch verschuldete Eurostaaten können sich auf Dauer auf ein günstiges Umfeld mit sehr niedrigen Leitzinsen, umfangreichen Anleihekäufen durch die EZB und einer wenig konsequenten Anwendung der Schuldenregeln verlassen.

Die falschen Anreizwirkungen dieser Entwicklung sind offenkundig: Eine nicht nachhaltig ausgerichtete Fiskalpolitik in den Euro-Mitgliedstaaten wird ermutigt. „Lo Spread“ und sein Höhenflug war noch im letzten Jahr in der italienischen Presse und Öffentlichkeit ein ständiges Angstthema. Nun droht diese Disziplinierung durch die Märkte wieder zu enden. Damit würde die Eurozone zurückkehren in Richtung der ersten Jahre nach der Euro-Einführung, als Griechenland keine nennenswert höheren Zinsen gezahlt hat als Deutschland. Die Folgen sind bestens bekannt.

Dieser Beitrag ist in einer kürzeren Fassung am 15. Juli in „Die Welt“ erschienen.

©KOF ETH Zürich, 22. Jul. 2019

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