Monday , December 23 2024
Home / Ökonomenstimme / Zur Politik der Staatsverschuldung in Europa

Zur Politik der Staatsverschuldung in Europa

Summary:
Wie lässt sich die Staatsverschuldung bzw. die Spaltung in der Verschuldungspolitik in Europa besser in den Griff kriegen? Dieser Beitrag plädiert, aufbauend auf den Wachstumsansatz, für einen europäischen Finanzausgleich. Nicht nur ökonomisch, sondern gerade auch politisch müsste es ein Ziel sein, zu einer Form der Schuldenpolitik in Europa zu finden, die eine Führungsrolle eines einzelnen Landes überflüssig macht. Die Spaltung in der Verschuldungspolitik Seitdem viele europäische Staaten durch die Einführung des Euros währungsmäßig geeint sind, ist auch ein geeintes Selbstbewusstsein über das Niveau mit der Versorgung von öffentlichen Gütern entstanden. Gerade bei den öffentlichen Gütern gilt häufig das Versorgungsniveau, das reichere Länder erreicht haben, als Vorbild. Die

Topics:
Klaus Mackscheidt considers the following as important:

This could be interesting, too:

Swiss National Bank writes New on the website 1970-01-01 01:00:00

Dirk Niepelt writes “Report by the Parliamentary Investigation Committee on the Conduct of the Authorities in the Context of the Emergency Takeover of Credit Suisse”

Investec writes Federal parliament approves abolition of imputed rent

investrends.ch writes Novo Nordisk Studie bringt Absturz

Wie lässt sich die Staatsverschuldung bzw. die Spaltung in der Verschuldungspolitik in Europa besser in den Griff kriegen? Dieser Beitrag plädiert, aufbauend auf den Wachstumsansatz, für einen europäischen Finanzausgleich.

Nicht nur ökonomisch, sondern gerade auch politisch müsste es ein Ziel sein, zu einer Form der Schuldenpolitik in Europa zu finden, die eine Führungsrolle eines einzelnen Landes überflüssig macht.

Die Spaltung in der Verschuldungspolitik

Seitdem viele europäische Staaten durch die Einführung des Euros währungsmäßig geeint sind, ist auch ein geeintes Selbstbewusstsein über das Niveau mit der Versorgung von öffentlichen Gütern entstanden. Gerade bei den öffentlichen Gütern gilt häufig das Versorgungsniveau, das reichere Länder erreicht haben, als Vorbild. Die weniger reichen Staaten, die mit ihren Staatsausgaben diesem Vorbild gefolgt sind, kommen in dauerhafte Finanzierungsprobleme, weil ihre Steuerkraft nicht ausreicht, die Staatsausgaben zu bezahlen. Es bleibt ihnen dann nichts anderes übrig, als die entstandene Lücke durch Schuldaufnahme zu schließen. Überaus deutlich trifft dies für einige südeuropäische Länder zu. Es ist dies aber keine geplante Schuldenpolitik, die auf irgendeiner der theoretischen Verschuldungsargumente der Finanzwissenschaft basiert, sondern ein aus der „Not“ geborener Handlungsdruck. Es kann nicht einmal für jedes Land mit außerordentlich großen Schulden zugesichert werden, dass die so aufgenommenen Staatsschulden jemals wieder zurückgezahlt werden können.

Diese ungeplante Schuldenaufnahme einiger Euroländer hilft indes nur auf kurze Frist. Langfristig muss sie destruktiv wirken, weil sie die Ursachen für die Finanzierungslücke im öffentlichen Haushalt nicht bekämpfen kann und diesem Defizit daher nicht wirksam entgegentritt. Wir müssen nach anderen Wegen suchen.

Andere Länder wiederum verfolgen eine Politik der Schuldendisziplin. Eigentlich tun sie nichts Aufsehenerregendes, denn sie halten sich – im Großen und Ganzen – nur an die Verschuldungsregeln von Maastricht. Dank ihres guten Beschäftigungsstandes und einem aufkommensstarken Steuersystem können sie diese Schuldendisziplin allerdings viel leichter realisieren als die wirtschaftlich nicht so erfolgreichen Länder. Aus dieser Sicht haben sie eigentlich kein Recht, ihre Schuldenpolitik als Vorbild für ganz Europa hinzustellen. Nun ist aber die bessere Wirtschafts- und Finanzstruktur kein Geschenk des Himmels, sondern die Frucht einer langjährig vorbereiteten Strukturreformpolitik. Insofern können sie ihren  Nachbarn nur sagen: Bemüht euch ebenfalls um nachhaltige wirtschaftliche Reformen. Tatsächlich ist das auch das Ziel des Internationalen Währungsfonds (IWF), wenn er Hilfsgelder an aufstrebende, aber finanziell bedürftige Länder gibt. Insofern kann man sich in Europa dieser Art Entwicklungspolitik mit gutem Grund anschließen. Die Botschaft der Länder mit einer starken Schuldendisziplin kann also nicht lauten: „Macht es uns jetzt nach und nehmt keine neuen Schulden mehr auf“, sondern sie sollte eher aus dem Angebot einer nachbarschaftlichen Hilfe bestehen, die die entsprechenden Länder auf einen positiven Entwicklungspfad führt.

Gewiss, Deutschland ist in den letzten 10 Jahren geradezu bekannt dafür geworden, dass es sich für eine strenge Haushaltsdisziplin eingesetzt hat. Freunde in Europa hat sich Deutschland damit nicht gemacht, im Gegenteil. Denn man hat empfunden, dass Deutschland hier eine Bevormundungsrolle übernimmt, die diesem Land als Gleicher unter Gleichen politisch nicht zusteht. Was also ökonomisch als guter und wirtschaftlich letztlich erfolgreicher Ansatz gewertet werden darf, wird auf der Ebene der politischen Bewertung von außen eher als ein Fehler Deutschlands angesehen. Nicht nur ökonomisch, sondern gerade auch politisch müsste es ein Ziel sein, zu einer Form der Schuldenpolitik in Europa zu finden, die eine Führungsrolle eines einzelnen Landes überflüssig macht.

Der Wachstumsansatz

Hilfreich wäre es, auf den Wachstumsansatz in der Theorie der öffentlichen Schuld zu rekurrieren. Dieser Ansatz stimmt einer Schuldfinanzierung von Staatstätigkeiten zu, wenn von ihnen Wachstumsimpulse ausgelöst werden. Das können im keynesianischen Sinne öffentliche Investitionen mit hohen Multiplikatoren oder auch Bildungsausgaben sein, wenn sie eine deutliche Steigerung des Humankapitals hervorrufen. Die Grundidee ist, dass mittels der zusätzlichen Staatstätigkeit das Potenzial an Produktionsfaktoren ansteigt, aus dem ein gewachsenes Steueraufkommen hervorgehen wird, welches die Tilgung der Schuldenlasten erleichtert oder im besten Fall gänzlich sichert.

Ein mögliches Gegenargument sei hier schon vorweggenommen. Was ist, wenn man durch geschickte Manipulationen eine sogenannte Umwegsrentabilität herausrechnet und dabei für beinahe jede Staatstätigkeit am Ende doch noch eine Rendite ausweisen kann? Die Gefahr ist da. Es darf also nicht dazu kommen, dass der einzelne  Staat durch dafür geeignete Kalkulationen eine Scheinrentabilität erzeugt. Das kann man vermeiden, wenn die Evaluierungen externen Institutionen übertragen werden. Es ist im Übrigen für jedes Land ein Vorteil, an der Evaluierung teilzunehmen und zu erfahren, wo seine besten Wachstumseffekte aus den verschiedenartigen Staatsaktivitäten liegen. Je besser man die Methoden der Evaluierung beherrscht, desto größer ist die Chance, dass die jeweiligen Verantwortlichen die für ihr Land wertvollsten Aktivitäten durchsetzen.

Ein anderes Argument, das man schon in der Vergangenheit gegen die Kosten-Nutzen-Analyse im öffentlichen Sektor vorgetragen hat, lautet, dass diejenigen Staatsaktivitäten, die schwer zu bewerten sind, in der Prioritätsliste zurückfallen würden. Die Politik wird dann darauf bestehen, dass es Ausnahmen gibt. Eine durchgängig aufgebaute Verschuldungspolitik nach dem Wachstumsansatz wäre dann nicht möglich. Als Verteidiger des Wachstumsansatzes könnte man dann allerdings entgegnen, dass alle so schwer bewertbaren Staatsaktivitäten in den klassischen Bereich der Steuerfinanzierung gehören, und da gilt ja bekanntlich das Prinzip der Gleichrangigkeit, so dass man politisch wird frei entscheiden können, wo die Prioritäten liegen sollen. Allein wegen dieser Bedenken muss man jedenfalls den Wachstumsansatz nicht aufgeben.

Einige Politiker haben sich dafür eingesetzt, dass man über die Einführung von Eurobonds zu einer einheitlichen Schuldenpolitik für Europa gelangen solle. Die Kritiker der Eurobonds haben darauf hingewiesen, dass dadurch keine Schuldendisziplin, sondern eher eine Aufblähung der Staatsschuldenaktivität in Europa entstehen würde. Da die bedürftigen Länder in Europa mit dem Durchschnittszins, den Eurobonds bieten, erheblich besser dastehen würden, als wenn sie ihren länderspezifischen Marktzins bezahlen müssten, erhöhe das den Anreiz, sich zu verschulden oder vermindere zumindest nicht die Anfälligkeit, sich über die finanziell verkraftbare Schuldenmenge hinaus zu verschulden. Außerdem entstehe so eine  Umverteilung von den reicheren zu den ärmeren Ländern, die weder ausdrücklich geplant noch durchschaubar ist. Aufgrund dieser einleuchtenden Argumente sind Eurobonds also ein schlechter Lösungsversuch

Mit der Vorgehensweise über den Wachstumsansatz haben wir m.E. einen besseren Zugang zu einer zukunftsträchtigen Schuldenpolitik für Europa. Jede Nation ist vor die Aufgabe gestellt, zu prüfen, ob sie in der Größenordnung ihrer Nettoneuverschuldung, also der Ausweitung des bisherigen Schuldenstandes, genügend Projekte vorzuweisen hat, die voraussichtlich eine Rendite erzielen werden, die für die Verzinsung und spätere Rückzahlung der Schulden verwendet werden kann. Wenn nicht einmal 3% der gesamten staatlichen Ausgaben – das ist das Maastricht-Kriterium – in solche zukunftsträchtige Projekte fließen, dann ist vorauszusehen, dass das Land auf eine Staatsschuldenkrise zusteuert. Um die wirtschaftliche Stabilität in Europa zu gewährleisten, müssten die Haushaltsplaner der Euroländer die Evaluierung derartiger Projekte vorantreiben, damit die jeweiligen Parlamente überhaupt die Chance haben, gut begründete Haushaltsentscheidungen zu treffen.

Wenn sichtbar würde, dass sich auf diesem Weg die Bereitschaft der verschiedenen Euroländer erhöht, ihre Staatsfinanzen auf ein solides Fundament zu setzen, dann würde  in der  politischen Diskussion auf europäischer Ebene wahrscheinlich auch eine größere Aufgeschlossenheit entstehen, denjenigen Ländern zu helfen, die aus ihrer Not heraus eine derart solide Schuldenpolitik noch nicht betreiben können.

Ein europäischer Finanzausgleich

Im Blick auf diese Notfälle würde ich für den Aufbau eines innereuropäischen Länderfinanzausgleichs plädieren. Ein solches Regelwerk bringt – im Unterschied zu den jetzigen sporadischen Hilfen, die immer wieder zu politischen Verwerfungen in den Geberländern wie auch in den Nehmerländern führen – einen Gewinn an politischer Stabilität. Wir ersetzen nämlich dann das bestehende System an vertikal in die bedürftigen Länder geleisteten Hilfen durch einen zu gründenden horizontalen Finanzausgleich zwischen den Euroländern. Bisher sind die Hilfen diskretionär, also von Fall zu Fall, gewährt worden; sie sind häufig mit Auflagen und Kontrollen verbunden, die die Empfängerländer über sich ergehen lassen müssen. Das führt bei der dortigen Bevölkerung nicht selten zu Verdruss und Protest, so dass es auch der jeweiligen Regierung schwer fällt, die Auflagen zu akzeptieren. Bei einem Finanzausgleich sind die Finanzhilfen dagegen nicht diskretionär, sondern durch transparente Finanzausgleichsgesetze regelgebunden.

Ein Finanzausgleich, so wie ihn die heutige finanzwissenschaftliche Forschung beschreibt, würde so angelegt sein, dass die Finanztransfers sich nicht Jahr für Jahr ausweiten, sondern dass sie eher abschmelzen. Ein Vorschlag ist dabei aber, dass bei einem Sanierungsfortschritt das entsprechende Land nicht einfach die dafür notwendig gewesenen Mittel in Zukunft gestrichen bekommt, sondern ausdrücklich einen Teil der Mittel zur freien Verfügung behält und so seine Effektivität weiter steigern kann. Es wird also als Anreizmechanismus ein Belohnungssystem für erreichte Effizienz miteingebaut, das bei der Bevölkerung mit Recht das Bewusstsein weckt, die für sich selbst beste Nutzung bei der Verwendung der Hilfsmittel vornehmen zu können.

Ein solcher europäischer Länderfinanzausgleich würde nicht nur von den Geberländern leichter verkraftet, weil sie eine größere Erfolgsbilanz ihrer Hilfsmaßnahmen erwarten könnten als bisher, sondern auch von den Nehmerländern, weil diese aktiver selber daran beteiligt wären, zu entscheiden, auf welchen Wegen sie ihre Staatsfinanzen sanieren möchten.

©KOF ETH Zürich, 3. Jul. 2017

Leave a Reply

Your email address will not be published. Required fields are marked *