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Während in Washington und London mit den Säbeln gerasselt wird, scheint man in der Ukraine entspannt. Russische Truppenbewegungen an der Grenze seien demnach normal. Doch warum wird diese Angelegenheit derart hochgepuscht?
Am Dienstag drohte US-Präsident Joe Biden vor Journalisten dem russischen Präsidenten Wladimir Putin mit schwerwiegenden Konsequenzen und Wirtschaftssanktionen für den Fall eines russischen Einmarschs in die Ukraine. Er verkündete sogar, sich direkte Sanktionen gegen den russischen Präsidenten vorstellen zu können.
Angesichts der russischen Truppenpräsenz in der Nähe der Ukraine-Grenze sprach Biden davon, dass dies die „größte Invasion seit dem Zweiten Weltkrieg“ werden könnte und die Welt verändern würde. Rund 8.500 US-Soldaten wurden in erhöhte Bereitschaft versetzt, um notfalls rasch nach Osteuropa verlegt werden zu können, berichtet die „Neue Zürcher Zeitung“. Ein Pentagonsprecher habe am Montag erklärt, dass die Soldaten im Bedarfsfall im Rahmen der NATO Response Force eingesetzt, jedoch nicht direkt in die Ukraine geschickt würden.
Doch worauf beruht eigentlich die Annahme, dass ein russischer Einmarsch bevorstehe? Offenbar nicht auf aktuellen ukrainischen Einschätzungen.
Ukraine sieht sich nicht in Gefahr
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj vermittelte kürzlich in einer Videosprache nicht den Eindruck, dass akute Gefahr drohe: „Alles ist unter Kontrolle. Es gibt keinen Grund zur Panik.“ Man strebe eine friedliche Lösung des Donbass-Konflikts an. Auch sein Regierungschef, Denys Schmyhal, sieht „keine Gefahren für die Funktionsfähigkeit unserer Wirtschaft“. Man habe ausreichend Währungsreserven, um den Kurs der Landeswährung Hrywnja zu stützen.
Am Montag sagte zudem Olexij Danilow, Sekretär des nationalen Sicherheitsrats der Ukraine, vor Journalisten: „Wir sehen zum heutigen Tag überhaupt keine Anhaltspunkte für die Behauptung eines großflächigen Angriffs auf unser Land.“ Auch seien Truppenbewegungen auf russischer Seite im Gegensatz zum Westen keine erstaunliche Angelegenheit.
Dies berichtet unter anderem die „Kleine Zeitung“ in Österreich. Laut Danilew habe alles Mitte Oktober mit einem Artikel in der „Washington Post“ angefangen. Schwierig sei die Lage für die Ukraine ja schon seit 2014, so Danilow nach einer Sitzung des Sicherheitsrats.
Unter anderem ziehen jedoch die USA und Großbritannien bereits einen Teil ihres Botschaftspersonals sowie Familienangehörige von Diplomaten aus der Ukraine ab: „Vorsichtsmaßnahmen“, hieß es aus dem US-Außenministerium. „Übertriebene Vorsicht“, heißt es aus dem ukrainischen Außenministerium: „Wir halten einen solchen Schritt der amerikanischen Seite für verfrüht.“ Die Sicherheitslage habe sich „nicht grundlegend verändert“, erklärte das Ministerium in Kiew.
Dem amerikanischen Personalabzug gegenüber findet der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell am Rande eines EU-Außenministertreffens in Brüssel eher beruhigende Worte: „Ich denke, nicht, dass wir dramatisieren müssen.“
Waffenlieferungen und Geopolitik
Auf Dirk Müllers Finanzwebsite „Cashkurs“ schreibt der Journalist und Diplom-Politologe Ramon Schack: „Großbritannien und die USA haben natürlich auch die Führung bei Waffenlieferungen an die Ukraine übernommen, was etwas von den innenpolitischen Problemen an der Heimatfront ablenkt, von denen beide Staatsmänner genug haben.“
Schack erinnerte auch daran, dass Joe Biden im September den ukrainischen Präsidenten nach langem Warten zwar endlich im Weißen Haus empfangen hatte, ihn dann aber wie einen Lieferanten abgefertigt habe. Statt Unterstützung für die NATO-Mitgliedschaft der Ukraine und in der Angelegenheit von Nord Stream 2, sei Selenskyi mit leeren Koffern nach Kiew zurückgekehrt.
Inzwischen gehe der ukrainische Präsident nach Schacks Einschätzung davon aus, „dass sein Land nur als Schach-Figur fungiert, in diesem geopolitischen Konflikt“. Früher oder später werde Kiew fallengelassen. Der Nachbar im Osten, Russland, bleibe aber.
Schack verweist auf ein mögliches Drehbuch der aktuellen Krise. 2019 habe die regierungsnahe RAND Corporation unter dem Titel „Overextending and Unbalancing Russia“ (Russland überlasten und aus dem Gleichgewicht bringen) unter anderem Sanktionen und taktische Truppenverlegungen diskutiert, etwa Bomber und taktische Atomwaffen in kurzer Schlagdistanz zur russischen Grenze zu stationieren. Man sprach bei der Ukraine davon, „Russlands größtem äußeren Schwachpunkt auszunutzen“ und der Ukraine „tödliche Hilfe“ zu geben. Schack erklärt: „Sprich: Waffen zu liefern.“
Treibt US-Gebahren Russland zu China?
US-Außenminister Anthony Blinken hatte kürzlich bei einem Besuch in Kiew die engen Beziehungen zwischen den USA und der Ukraine hervorgehoben und betont, die russische Aggression mit „unnachgiebiger“ Diplomatie stoppen zu wollen. Vergangenen Donnerstag in Berlin sagte Blinken auf einer gemeinsamen Pressekonferenz mit der neuen deutschen Außenministerin Annalena Baerbock: „Egal welchen Weg Russland wählt, es wird die Vereinigten Staaten, Deutschland und unsere Verbündeten vereint vorfinden.“
Putins Pressesprecher Dmitri Peskow warf den USA und der NATO vor, dass nicht Russland der Ursprung der Spannungen sei, sondern deren „Hysterie“ und die von einer Vielzahl „einfacher Lügen“ begleiteten „Informationskampagne“.
Schack bezweifelt, ob angesichts dieser Entwicklung es gelingen könnte, Russland aus der Allianz mit dem kommunistischen China zu drängen. In Moskau habe man in den letzten Wochen genau registriert, was man aus Sicht des Kremls vom Westen zu halten habe.