Photo: Chris Geirman from Unsplash (CC 0) Von Dr. Alexander Fink, Universität Leipzig, Senior Fellow des IREF – Institute for Research in Economic and Fiscal Issues, und Kevin Spur, Student der Ökonomie an der Freien Universität Berlin. Ein Ziel der Befürworter des verpflichtenden Sozialjahres ist es, den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu stärken und mehr junge Menschen zu motivieren, soziale Berufe zu ergreifen. Belastbare Hinweise auf derartige Effekte eines Sozialjahres finden sich in der Literatur jedoch nicht. Die Hoffnung auf positive Effekte ist zu wenig, um die offenkundigen Kosten in Form von Freiheitseinschränkung, Bildungsverzicht, entgangenen Lebenseinkommen und niedrigeren Löhnen im Sozialbereich zu rechtfertigen. „Diesen Staat gibt es nicht zum Nulltarif.“ Mit diesen Worten
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Von Dr. Alexander Fink, Universität Leipzig, Senior Fellow des IREF – Institute for Research in Economic and Fiscal Issues, und Kevin Spur, Student der Ökonomie an der Freien Universität Berlin.
Ein Ziel der Befürworter des verpflichtenden Sozialjahres ist es, den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu stärken und mehr junge Menschen zu motivieren, soziale Berufe zu ergreifen. Belastbare Hinweise auf derartige Effekte eines Sozialjahres finden sich in der Literatur jedoch nicht. Die Hoffnung auf positive Effekte ist zu wenig, um die offenkundigen Kosten in Form von Freiheitseinschränkung, Bildungsverzicht, entgangenen Lebenseinkommen und niedrigeren Löhnen im Sozialbereich zu rechtfertigen.
„Diesen Staat gibt es nicht zum Nulltarif.“ Mit diesen Worten warb die neue CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer für ein verpflichtendes Dienstjahr für alle 18- bis 25-jährigen Bürger. Unterstützung für diese Idee findet sich auch in der Bevölkerung: Laut einer Umfrage aus dem ZDF-Politbarometer aus dem August dieses Jahres begrüßen 68 Prozent aller Wahlberechtigten die Einführung einer einjährigen Dienstpflicht. So wünschenswert es klingen mag, Werte wie Zusammenhalt, Verantwortungsbewusstsein oder Empathie unter jungen Menschen zu stärken, so wenig gibt es belastbare Hinweise auf die erhofften positiven Wirkungen eines einjährigen Pflichtdienstes, die den massiven staatlichen Eingriff in die Freiheitsrechte junger Menschen rechtfertigen könnten.
Unter den deutschen Politikern ist Annegret Kramp-Karrenbauer nicht die einzige, die Gefallen an der Idee eines sozialen Pflichtjahres findet. Die Junge Union erhofft sich vom Pflichtdienst, „den Zusammenhalt im Land zu stärken“. Für Norbert Blüm könnte der Sozialdienst das Gefühl der „Gesamtverantwortung aller Staatsbürger“ fördern und als „Schule der Empathie“ fungieren. Auch SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach findet „den Gedanken grundsätzlich nicht falsch“, um Kräfte für soziale Einrichtungen zu mobilisieren.
Sozialjahr wie Wehrpflicht: Direkte Kosten für die Betroffenen
Während die Befürworter der Idee eines sozialen Pflichtdienstes den damit einhergehenden erhofften Nutzen in den Vordergrund stellen, lässt sich in der akademischen Literatur vor allem etwas zu den erwartbaren Kosten finden.
Ein verpflichtendes einjähriges soziales Jahr ist wie die Wehrpflicht oder der Zivildienst eine implizite Naturalsteuer. Statt die Steuerschuld in monetärer Form an den Staat zu entrichten, wird sie in geleisteter Arbeit abgegolten. Die direkten Kosten für die Dienstpflichtigen liegen im impliziten Verzicht auf die Differenz zwischen dem entgangenen Marktlohn und der staatlichen Entlohnung im Pflichtjahr. Wie alle Steuern ist auch diese Naturalsteuer für die Besteuerten eine Belastung.
Panu Poutvaraa vom ifo-Institut und andere Ökonomen haben Effekte des Wehrdiensts erforscht, die sich auf ein soziales Pflichtjahr übertragen lassen. Sie heben hervor, dass die Wehrpflicht junge Menschen in einem Alter betrifft, in dem am stärksten Wissen durch Lehre, Ausbildung und frühe Arbeitserfahrung aufgebaut wird. Die Unterbrechung reduziert die Vorteile des Wissensaufbaus und senkt den Anreiz, sich nach dem Schulabschluss weiterzubilden. Die Pflicht zum (Wehr-)Dienst hemmt also den Qualifikationsstand junger Menschen.
Ferner verschiebt die Wehpflicht den Eintritt in den Arbeitsmarkt und zwingt die Betroffenen, auf ihr letztes und zumeist relativ hohes Einkommen vor der Rente zu verzichten. Der Verzicht auf Lohn während des Wehrdienstes, geringere Wissensakkumulation und der verzögerte Eintritt in den Arbeitsmarkt verringern das Lebenseinkommen der (Wehr-)Dienstleistenden und wirken so wachstumshemmend.
Sozialjahr wie Zivildienst: Indirekte Kosten
In Bezug auf den Zivildienst, der dem sozialen Pflichtjahr noch näher kommt, weisen Thomas Bauer und Christoph Schmidt auf weitere indirekte Kosten hin: Der kostengünstige Einsatz von Zivildienstleistenden verzerrt das Verhältnis der Kosten zwischen Arbeit und Kapital in Pflegeheimen und anderen sozialen Einrichtungen. Können in diesen Einrichtungen recht günstig Arbeitskräfte angestellt werden, wird der Anreiz geschwächt, technologisch und organisatorisch auf dem neusten Stand zu sein. Ähnliches ist bei einem verpflichtenden Dienstjahr zu erwarten. Statt 78.000 Zivildienstleistende im Jahr 2010 würden bei einem für alle verpflichtenden sozialen Jahr hunderttausende junge Menschen einberufen werden. Die nicht-marktlich entlohnten Sozialdienstpflichtigen würden zu künstlich niedrigen Preisen und Löhnen im Markt für Sozialdienste beitragen und qualifiziertes Personal verdrängen. Ein sozialer Pflichtdienst könnte so den Mangel von qualifiziertem Personal im Sozialdienst befördern.
„Mandatory volunteering“: Ein Widerspruch in sich
Die direkten und indirekten Kosten von Pflichtdiensten sind gut zu fassen. Anders sieht es mit dem erhofften Nutzen eines verpflichtenden Dienstes in Form von wünschenswerter Persönlichkeitsentwicklung junger Menschen aus. Nur eine Handvoll Studien über die Wirkung eines relativ kurzfristigen verpflichtenden Sozialdienstes von 20 bis 40 Stunden von High-School-Schülern und College-Studenten aus den USA und Australien lassen sich finden. Laut der Ergebnisse kann das sogenannte „mandatory volunteering“ die Bereitschaft junger Leute, sich gesellschaftlich zu engagieren, stärken. Voraussetzung ist dabei, dass der Dienst in den Lehrplan integriert ist und die Jugendlichen selbstbestimmt ihr Engagement auswählen können. Fehlen die genannten Faktoren, wirkt sich das „mandatory volunterring“ eher unerwünscht aus. So kann Zwang zum sozialen Engagement die Motivation, sich zukünftig freiwillig zu engagieren, und die langfristige Verbundenheit zur Gesellschaft schwächen.
Nur Symbolpolitik?
Eine eher kritische Haltung zu einem sozialen Pflichtjahr nehmen auch Vertreter der Wohlfahrtsverbände ein. So ordnet der Bundesvorsitzende der Arbeiterwohlfahrt Wolfgang Stadler einen allgemeinen Pflichtdiensts in die Kategorie „Sommerlochidee“ ein. Laut AWO kann „ein soziales Jahr ein großer Gewinn für junge Menschen sein [..], aber nur, wenn es freiwillig erfolgt“. Ulrich Schneider, Chef des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes, spricht gar davon, dass es keine „700.000 Jugendliche pro Jahr [brauche], von denen die Hälfte überhaupt nicht weiß, was sie bei uns soll.“
Sozialdienst: Sozial dienlich?
Ein Ziel der Befürworter des verpflichtenden Sozialjahres ist es, den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu stärken und mehr junge Menschen zu motivieren, soziale Berufe zu ergreifen. Belastbare Hinweise auf derartige Effekte eines Sozialjahres finden sich in der Literatur jedoch nicht. Die Hoffnung auf positive Effekte ist zu wenig, um die offenkundigen Kosten in Form von Freiheitseinschränkung, Bildungsverzicht, entgangenen Lebenseinkommen und niedrigeren Löhnen im Sozialbereich zu rechtfertigen. Anstatt den Versuch zu unternehmen, mit Zwang ein Gemeinschaftsgefühl zu befördern, sollte die Politik sich darauf beschränken, einen verlässlichen Regelrahmen zu setzen, in dem die Bürger an möglichst vielen Positivsummenspielen teilhaben können, die das gegenseitige Vertrauen fördern.