Photo: Wikimedia Commons (CC 0) Viele Ökonomen haben bereits darauf hingewiesen, dass die derzeit wieder beliebte Industriepolitik unsinnig, ja gefährlich ist. Neben den wirtschaftlichen Schäden gibt es aber auch politische und gesellschaftliche, die man nicht aus dem Blick verlieren sollte. Die Kollektivismus-Epidemie ist zurück Alles muss groß werden: Amerika, China, Europa, Brasilien … Die Kommunikation in diesen Tagen erinnert an das 19. Jahrhundert, als von Japan über Griechenland bis Großbritannien die Vorstellung einer starken Nation ins Zentrum des politischen Diskurses rückte. Der Bauer aus der Gegend von Metz und der Teppichhändler aus Nis mussten sich plötzlich als Franzosen und Serben begreifen, obwohl sie besser Deutsch oder Bulgarisch sprachen und mit Paris oder Belgrad
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Viele Ökonomen haben bereits darauf hingewiesen, dass die derzeit wieder beliebte Industriepolitik unsinnig, ja gefährlich ist. Neben den wirtschaftlichen Schäden gibt es aber auch politische und gesellschaftliche, die man nicht aus dem Blick verlieren sollte.
Die Kollektivismus-Epidemie ist zurück
Alles muss groß werden: Amerika, China, Europa, Brasilien … Die Kommunikation in diesen Tagen erinnert an das 19. Jahrhundert, als von Japan über Griechenland bis Großbritannien die Vorstellung einer starken Nation ins Zentrum des politischen Diskurses rückte. Der Bauer aus der Gegend von Metz und der Teppichhändler aus Nis mussten sich plötzlich als Franzosen und Serben begreifen, obwohl sie besser Deutsch oder Bulgarisch sprachen und mit Paris oder Belgrad nichts am Hut hatten. Bestehende Strukturen wurden zerstört, Verbindungen gekappt, Traditionen zertrampelt, Institutionen gewaltvoll verändert und Menschen entfremdet – um des Heiles der Nation willen.
Man darf nicht übersehen, dass diejenigen, die im 19. Jahrhundert ideologisch und politisch Nationen schmiedeten vom gleichen planerischen Eifer beseelt waren wie einige Jahrzehnte später die Sozialisten mit ihrer zentralen Verwaltungswirtschaft. Friedrich August von Hayek beobachtete in seinem Buch „Verfassung der Freiheit“: „von Gedanken an ‚unsere‘ Industrie oder ‚unsere‘ Naturschätze ist es nur ein kleiner Schritt zu der Folgerung, dass diese nationalen Vermögenswerte im nationalen Interesse gelenkt werden sollen.“
Hinter der Vorstellung, ein Land, eine Nation oder ein Kontinent müsse Stärke zeigen, stecken die alten kollektivistischen Verhaltensmuster, die unser Denken nach wie vor stark bestimmen. Es ist die Vorstellung, dass es ein Wir gebe, das man gegen die Anderen schützen und verteidigen müsse. Jahrtausende der Zivilisation haben in vielerlei Hinsicht dazu beigetragen, dass dieses Gefühl bezähmt wurde. Ja, diese Zähmung ist zugleich auch die Voraussetzung für das Entstehen von Zivilisation, von Innovation, Wohlstand und Frieden. Anders als die Krankheit der Pocken ist das kollektivistische Gefühl allerdings nicht ausgerottet, sondern quält die Menschheit immer wieder aufs Neue. Derzeit erleben wir wieder einen heftigen weltweiten Ausbruch der Epidemie.
Masse, Macht und Machbarkeit
Die neue Großmannssucht kreist um die Vorstellungen von Masse, Macht und Machbarkeit. Man glaubt, die schiere Masse würde etwas bewirken: Ob das Chinas gigantische Armee ist oder Altmaiers Forderungen nach nationalen und europäischen Champions, die charmant zusammengefasst wird unter „Größe zählt – size matters!“ Dabei ist Masse oft ein Nachteil: sie behindert Flexibilität und Mobilität, ist schwerfällig und bindet Ressourcen. Und ihr Vorteil der schieren Wucht lässt sich auch durch viele kleine Einheiten erreichen. Masse mag eindrucksvoll sein, aber am Ende zählt nicht, wie etwas wirkt, sondern was es bewirkt. Und da blickte eben der mächtige Goliath recht dumm aus der Wäsche – ebenso wie der gewaltige Polyphem. Unser Geschichtenschatz ist voll von Leuten wie David oder Odysseus, die mehr auf Verstand als auf Masse gesetzt haben.
Die Faszination, die von Macht ausgeht, gehört zum politischen Geschäft dazu. Verfassungen und Institutionen tragen in der Tradition westlicher Demokratien dazu bei, dass diese Macht kontrolliert bleibt. Nicht nur die Regierungen Ungarns und Polens versuchen allerdings, diese Kontrollen schleichend abzuschaffen. Auch die EU selbst hat hier erhebliche Defizite. Wenn Macron eine „bevorzugte Behandlung europäischer Unternehmen“ fordert, kann man sich schon vorstellen, wie unkontrollierte Schlupflöcher im Gefüge der EU genutzt werden, um dieses Ziel mit Macht durchzusetzen; wie sich die französischen Traditionen des Dirigismus und Merkantilismus in Brüssel festsetzen. Wer wollte sich auch mit verfassungsrechtlichen Petitessen aufhalten, wenn der Amerikaner vor der Tür steht?
Und schließlich die Hybris der Machbarkeit. Sie liegt an der Wurzel der Planwirtschaft, die keineswegs ein ausschließliches Instrument der Linken ist, und auch nicht sofort sowjetische Züge annehmen muss. Planwirtschaft kommt oft schleichend. Hayek wies in seinem Buch „Der Weg zur Knechtschaft“ darauf hin, dass die meisten Befürworter von Planwirtschaft behaupten, „dass wir keine andere Wahl mehr haben, vielmehr durch Umstände, die sich unserer Beeinflussung entziehen, gezwungen werden, den Wettbewerb durch die Planwirtschaft zu ersetzen“. Ein Mangel an Geduld und Frustrationstoleranz, insbesondere aber die Vorstellung, man könne durch eigenes Zutun ein bestimmtes Ergebnis erreichen, führen dazu, dass die Planwirtschaft Stück für Stück eingeführt wird – im Zweifel auch von sogenannten „bürgerlichen“ Kräften. Man muss nur einmal auf die Energiewirtschaft in unserem Land schauen …
Besser David befreien als Goliath füttern
Die Überzeugung, dass Größe ein Wert an sich sei; die Faszination der Macht; der Machbarkeitswahn – all das sind die Begleiterscheinungen der derzeit grassierenden Großmannssucht, oder der Sucht nach Größe. Denn es ist in der Tat wie mit einer Droge: man gaukelt sich vor, dass man unbesiegbar sei, gerät aber immer tiefer in einen Strudel der Selbstzerstörung. Um dieses Tun zu rechtfertigen, legt man sich alle möglichen Erklärungen zurecht: äußere Bedrohungen, die Komplexität der Welt, das Gebot der Vernunft. Was als etwas Industriepolitik, ein bisschen Protektionismus, leichte Einschränkungen hier und dort beginnt, verändert freilich nicht nur das institutionelle Gefüge, sondern auch die Köpfe der Menschen. Kollektive und planerische Lösungen werden wieder akzeptabel, ja wünschenswert. Und die Geister, die man dabei ruft, kann man mitunter nur sehr schwer wieder loswerden: Am Ende gewinnt dann nicht die gemäßigte Mitte, die mit der Industriepolitik anfängt, sondern die linken und rechten Extreme.
Europa ist wohl die prosperierendste und stabilste Gegend der Welt. Das hat viel damit zu tun, dass es traditionell in viele unterschiedliche Machtzentren zerstückelt war, und dass der Bauer aus Metz und der Teppichhändler aus Nis in Ruhe gelassen wurden. Wenn Europa, nein, nicht groß!, sondern frei und wohlhabend bleiben soll, müssen sich die vielen kleinen Kräfte wieder entfalten können. Es kann nicht Aufgabe der EU oder ihrer Mitgliedsländer sein, ein europäisches Google zu „machen“, Fiat vor Konkurrenz aus Indien zu schützen oder Bankenfusionen einzuleiten. Freilich ist es für Politiker so viel attraktiver mit derlei Aktionen die – vermeintliche – Stärke des Landes zu demonstrieren. Anstatt aber diese Goliaths noch weiter zu füttern, ist es jetzt an der Zeit, die vielen Davids in Europa frei zu lassen.
Wirklich nachhaltig wäre eine Politik, die Hürden abbaut und Lasten wegnimmt, damit die Informatikerin aus Marseille, der Pflege-Unternehmer aus Krakau, der Bio-Bauer aus Lemförde und die Restaurantbesitzerin aus Galway ihre Träume verfolgen und so vielleicht die Leben von Hunderttausenden verbessern können. Diese Menschen sind die Stärke und das Rückgrat unserer Gesellschaft. Sie schöpfen Neues, wo die Großen noch blind umherirren. Sie arbeiten weiter, während die Riesen schlafen. Sie halten durch, wenn die Giganten fallen.