Photo: wwwuppertal from Flickr (CC BY 2.0 DEED) Nicht nur unbeherrschte Wutbürger sind verantwortlich für die ungezügelten Frustrationsstürme in einer Zeit, in der es den meisten Menschen besser geht als je zuvor. Auch die Politik hat daran einen erheblichen Anteil – allerdings nicht, weil sie zu wenig liefert, sondern zu viel. Die Wut der Staatsnahen Lokführer bekommen satte Gehälter bei überschaubaren Arbeitszeiten. Viele Landwirte haben in den letzten Jahren ihre Gewinne deutlich steigern können. Ostdeutsche Rentner haben im Durchschnitt eine höhere Kaufkraft als ihre westdeutschen Kollegen, wie das Dresdner ifo Institut kürzlich berechnete. Trotzdem läuft Weselsky Amok, Traktoren schwärmen zu Straßenblockaden aus und die AfD kann in Thüringen, Sachsen und Brandenburg bei den kommenden
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Nicht nur unbeherrschte Wutbürger sind verantwortlich für die ungezügelten Frustrationsstürme in einer Zeit, in der es den meisten Menschen besser geht als je zuvor. Auch die Politik hat daran einen erheblichen Anteil – allerdings nicht, weil sie zu wenig liefert, sondern zu viel.
Die Wut der Staatsnahen
Lokführer bekommen satte Gehälter bei überschaubaren Arbeitszeiten. Viele Landwirte haben in den letzten Jahren ihre Gewinne deutlich steigern können. Ostdeutsche Rentner haben im Durchschnitt eine höhere Kaufkraft als ihre westdeutschen Kollegen, wie das Dresdner ifo Institut kürzlich berechnete. Trotzdem läuft Weselsky Amok, Traktoren schwärmen zu Straßenblockaden aus und die AfD kann in Thüringen, Sachsen und Brandenburg bei den kommenden Landtagswahlen mit über 30 Prozent der Stimmen rechnen. Spannenderweise kommt lautstarker Protest nicht von Arbeitnehmern im Mindestlohnbereich, die oft kaum bessergestellt werden als Bürgergeldempfänger. Nicht die Pflegekräfte in Heimen und Krankenhäusern streiken. Und es ist auch nicht bekannt, dass die unter der Wohnungsknappheit leidenden jungen Familien in Scharen zu Protestparteien abwandern.
Die Lauten und Wütenden weisen eine Gemeinsamkeit auf: Sie alle haben eine erhebliche Staatsnähe, was man von Kassierern, Pflegerinnen oder Jungeltern eher nicht behaupten kann. Die Bahn war lange Zeit ein Staatsunternehmen mit verbeamtetem Personal. Die Landwirtschaft erzielt einen erheblichen Anteil ihrer Gewinne aus Subventionen von Bund und EU. Und die Rente ist seit dem unseligen Bismarck in die Hand der Politik gewandert. Wir leben inzwischen in einem Zeitalter und einer Gesellschaft, in der der Staat kaum mehr wegzudenken ist. Er kümmert sich um die Finanzierung unseres Studiums, um guten Rat bei der Ernährung, um das Verlegen von Stromleitungen, um die Bereitstellung des Musikantenstadls, um Geldstabilität und um die Ausstattung unserer Polizei mit sechzehn eigenen Orchestern. Wo auch immer der Staat dann seinen fürsorglichen Griff etwas lockert, ist das Geschrei groß.
Staatlich gemixter Giftcocktail
Politiker tragen in erheblichem Maße dazu bei, dass Unmut und Wut entstehen, indem sie immer neue Ansprüche, Rechte, Subventionen, Finanzierungen, Hilfestellungen und Erwartungen erschaffen. Es ist schon reichlich ironisch, wenn nun ausgerechnet diejenigen zur Mäßigung aufrufen, die lange Zeit immer mehr Erwartungen geweckt, ja geschürt haben. Alle möglichen Ungerechtigkeiten schickt man sich an, zu beseitigen. Am liebsten in Wahljahren. Im Zweifel wird man dann auch gern mal erfinderisch und erkennt Notlagen noch vor den Betroffenen selbst. So bilden sich mehr und mehr Abhängigkeiten aus. Es wird immer schwieriger, sich zu Verzicht und Selbstdisziplin aufzuraffen, oder nach Wegen zu suchen, wie man selber das anstehende Problem bewältigen könnte.
Ein weiterer psychologischer Effekt macht diese Situation noch gefährlicher: Wenn ihnen Hilfe von außen angeboten oder aufgedrängt wird, kann bei Menschen das Gefühl entstehn, selber der Herausforderung nicht gewachsen zu sein. Um nicht zu sehr ihr Selbstwertgefühl in Frage zu stellen, liegt es nahe, sich als Opfer zu sehen, denen von irgendwem übel mitgespielt wird, und zwar von jemandem, der ungleich mächtiger ist als man selbst. Ob Arbeitgeber, Großkonzerne, Wessis, Migranten oder einfach nur „die andere Seite“ – irgendwer muss doch schuld sein. Unser überbordender und alles durchdringender Staat schafft so multiple Abhängigkeiten, die sich mit nach außen gerichteter Aggressivität verbinden. Ein eindrucksvoller Gift-Cocktail, dessen Wirkung wir derzeit erleben.
Selbstdisziplin ist gefragt
Wie aber rauskommen aus dieser Dauerschleife der erzürnten Erregung? Man könnte auf eine Intervention hoffen, wie das bei Süchtigen hilft. Der wirklich bemerkenswerte Auftritt des argentinischen Präsidenten Javier Milei in Davos mag auf die dort versammelte Hautevolee wie der Besuch eines peinlichen Onkels bei der Familienfeier gewirkt haben. Im Grunde genommen war seine Rede aber eine sehr scharfe Analyse der Lage und ein Weckruf an die Menschen, die in aller Herren Länder an Ausbau und Vertiefung von Abhängigkeiten arbeiten. Aber wie weit reichen die Möglichkeiten einer solchen Intervention? Wie wahrscheinlich ist es, dass Politiker den Instrumentenkasten ihres Erfolgs im Meer versenken?
Der Schlüssel dazu, unsere derzeitige gesellschaftliche Stimmung zu wenden, liegt wohl dort, wo die Nachfrage entsteht: bei uns, bei unseren Nachbarn, Freunden und Angehörigen. Viele von uns sind es, die am Ende des Tages kommunizieren, dass es uns nicht unrecht wäre, wenn nochmal eine Schippe draufgelegt würde. Wenn auch nur für das eine Projekt, das uns jetzt ganz besonders wichtig ist: der günstige Sprit, die Chipfabrik, die Pendlerpauschale, das Förderprogramm für Elektroautos oder die Respektrente. Solange wir es Politikern durchgehen lassen, dass sie immer mehr Erwartungen wecken, ist das für sie der leichteste Weg nach oben. Nur eine langfristige Mentalitätsänderung kann eigentlich Abhilfe schaffen. Wir müssen daran arbeiten, dass unsere Mitmenschen wieder ernüchtern. Mehr Ansprüche an uns selbst als an andere. Mehr Hoffnung auf Wissenschaft und Technik als auf Regulierung und Umverteilung. Und die Erkenntnis, dass Würde ebenso wie Glück fundamental darauf beruhen, dass man selber etwas schafft.