Photo: Narodowe Archiwum Cyfrowe from Wikimedia Commons (CC BY-SA 4.0) Arm in Arm stehen Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften im Rampenlicht und warnen vor einem übereilten Boykott russischer Energieträger. Wie strategisch denken solche Akteure eigentlich? Sanktionen sind meist Symbolpolitik Sanktionen sind eines der liebsten Mittel von Demokratien. Sie sind so praktisch: Man kann die Folgen immer irgendwie vergemeinschaften. Sie verbreiten eine dramatische Aura. Und gleichzeitig spart man sich die unschönen Bilder von Soldatensärgen. Wie wirksam sind sie wirklich? Nun ja, die Kim-Dynastie in Nordkorea, das Mullah-Regime in Teheran und die Steinzeitkommunisten in Kuba sitzen auch nach Jahrzehnten der Sanktionsbemühungen fest im Sattel. Und globale Spieler wie die sogenannte Volksrepublik
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Arm in Arm stehen Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften im Rampenlicht und warnen vor einem übereilten Boykott russischer Energieträger. Wie strategisch denken solche Akteure eigentlich?
Sanktionen sind meist Symbolpolitik
Sanktionen sind eines der liebsten Mittel von Demokratien. Sie sind so praktisch: Man kann die Folgen immer irgendwie vergemeinschaften. Sie verbreiten eine dramatische Aura. Und gleichzeitig spart man sich die unschönen Bilder von Soldatensärgen. Wie wirksam sind sie wirklich? Nun ja, die Kim-Dynastie in Nordkorea, das Mullah-Regime in Teheran und die Steinzeitkommunisten in Kuba sitzen auch nach Jahrzehnten der Sanktionsbemühungen fest im Sattel. Und globale Spieler wie die sogenannte Volksrepublik China sind nicht nur gerne bereit, diese Sanktionen zu ignorieren, sondern profitieren mitunter davon. Mit personenbezogenen Maßnahmen wie dem „Magnitsky Act“ wollte man die Lehren daraus ziehen und die Waffen des Wirtschaftskrieges zielgenauer abfeuern. Eine Auswertung von deren Wirksamkeit steht noch aus.
Wenn also die Wirtschaftskapitäne und Gewerkschaftsführer Sturm laufen, könnte das durchaus ein Signal sein, nochmal innezuhalten, ob ein drastisches Herunterfahren bis hin zu einem Lieferstopp für russische Rohstoffe ein adäquates Mittel wäre. Natürlich sind Arbeitsplätze in Gefahr: zweieinhalb bis vier Millionen, meint Michael Hüther vom IW Köln, also bis zu zehn Prozent der Erwerbstätigen im Land. Und schließlich muss der Wirtschaftsmotor doch auch weiter laufen, um Deutschland leistungsfähig zu halten. Wie solle man denn den Wiederaufbau in der Ukraine sonst bezahlen? Wer stemmt die Kosten für ein gebeuteltes Osteuropa? Wer zahlt für die Hilfslieferungen in die vom Hunger geplagten Länder Afrikas? Die Zurückhaltung der Regierung kann auf vielerlei valide Argumente zurückgreifen und die Unterstützerfront aus „Realisten“ steht.
Und wenn die Moralisten doch die langfristigen Realisten sind?
Doch ist es wirklich so, dass die Forderung nach Energieboykotten ein gesinnungsethischer Kamikazeflug der „Moralisten“ ist? Hat die andere Seite nichts anderes aufzubieten als ihr Kantisches Gewissen? – Herzlichen Glückwunsch übrigens dem heutigen Geburtstagskind (1724), dessen Geburtsstadt gerade atomwaffenfähige Iskander-Raketensysteme beherbergen muss … – Alles nur schwärmerischer Pazifismus von Leuten, denen die Preiserhöhung nichts ausmacht und die einen sicheren Job haben? Möglicherweise ist die Lage doch sehr viel komplizierter als es gerne von denen dargestellt wird, die sich jetzt als bodenständige, besonnene Pragmatiker profilieren und sich als Nachfolger von Henry Kissinger und Helmut Schmidt inszenieren.
Wieso sind die vorgeblich „kühlen Köpfe“ womöglich doch auf der falschen Seite? Viele angestellte Manager weisen eine erhebliche Ähnlichkeit zu Politikern auf, nämlich dann, wenn es um den zeitlichen Horizont der Entscheidungsbasis geht. Für die Politikerin ist ganz oft der Blick auf die nächste Wahl handlungsleitend: im Kleinen, wo man sich die Nominierung durch den Kreisverband sichert, wie im Großen, wo man sich mit dem Versprechen von „stabilen Renten“ die Wähler kauft. Je weiter die Horizonte, desto schwerer fällt es vielen der genannten beiden Gruppen, Entscheidungen zu finden und vor allem auch durchzuhalten. Eine Familienunternehmerin, die auch noch ihre Enkel im Geschäft sehen will und den Enkeln ihrer Angestellten eine Stelle anbieten möchte, wird von anderen Perspektiven geleitet als jemand, der übermorgen in der Aktionärsversammlung sinkende Renditen vertreten muss. Für die Politik ist es auch nicht ganz einfach, mit einer zunehmend unberechenbaren und volatilen Wählerschaft umzugehen, wie man exemplarisch gerade bei unseren Nachbarn im Westen sehen kann. Da ist die Versuchung groß, langfristige oder auch nachhaltige Ziele hintanzustellen von der Rente bis zum Klima. Diese systemischen Schwachstellen von Kapitalismus und Demokratie hat man in Moskau und Peking übrigens durchaus auf dem Schirm.
Der Krieg ist kein Regionalkonflikt
Es gibt gute Gründe für einen raschen Stopp der Energielieferungen durch Russlands Staatskonzerne. Man kann dafür sein, weil man es unerträglich findet, mit jeder Drehung am Heizungsregler Geld in Putins Kriegskassen zu spülen. Man kann aber auch dafür sein, weil dieses Kapital keinem produktiven Zweck zugeführt wird. Selbst die arabischen Staaten, die auch auf Menschenrechte und Freiheit pfeifen, investieren ihre Rohstofferlöse zu großen Teilen weltweit in produktive Unternehmungen. Russlands Fossilgewinne fließen weder an die Bevölkerung noch in Investitionen, sondern in Oligarchenvillen und Bomben. Je abrupter und schneller Finanzflüsse nach Russland versiegen, desto unwahrscheinlicher wird ein klarer Sieg Russlands in seinem Krieg gegen die Ukraine. Nicht nur, weil Panzerketten nicht an Bäumen wachsen, sondern auch weil im Land selbst das Geld fehlt, um die Bevölkerung ruhig zu halten. Weil man den Eindruck der zurückkehrenden Särge nicht einmal mehr durch regelmäßige Brotrationen abmildern kann.
Die Implikationen des Ausgangs des Überfalls sind nicht geringzuschätzen. Denn der Krieg betrifft ja nicht nur ein paar Ukrainer, die da jetzt leider durchmüssen bis hin zu einer möglichen Niederlage, weil wir unseren Wohlstand auch nicht partiell aufs Spiel setzen wollen. Ein Sieg Russlands bedeutet eine zusätzliche Bedrohung anderer Länder in der Peripherie, einschließlich (wenn wir schon ökonomisch argumentieren wollen) unseres fünftgrößten Handelspartners Polen. Ein Sieg Russlands bedeutet eine Stärkung antimarktwirtschaftlicher Systeme. Ein Sieg Russlands bedeutet, dass China sich in seinem militaristischen, nationalistischen und imperialistischen Kurs bestätigt fühlt. Die Folgen einer stürzenden Ukraine für das Weltgefüge wären enorm. Aber um das zu erkennen und zu würdigen, muss man bereit sein, in größeren Horizonten zu denken. Dann muss man verstehen (wollen), dass deutsche Arbeitsplätze und deutscher Wohlstand nicht nur morgen und bei der nächsten Wahl erhalten bleiben und wachsen müssen.
Mehr Reagan wagen
Wenn man sich eine andere Perspektive gönnt als das kleine Morgen, dann stehen sie vielleicht doch nicht so überzeugend da, diejenigen, die heute vor den „Moralisten“ warnen: Diejenigen, die noch nicht verstanden zu haben scheinen, dass „Wandel durch Handel“ nur durch Bereicherung der Bevölkerung funktioniert, nicht der Oligarchen und Militärkassen. Diejenigen, die auf Sicht fahren in ihren Vorstandsetagen bei DGB und Bayer oder im Kanzleramt in trauriger Nachahmung der Vorgängerin. Diejenigen, die nicht frieren wollen für Mariupol, Cherson und Charkiw, weil das so weit weg ist und weil wir ja nicht die ganze Welt retten können.
Vielleicht haben jene, die als Moralisten und Gesinnungsethiker abgestempelt werden, doch den realistischeren und klügeren Blick. Vielleicht ist ein Anton Hofreiter näher an Ronald Reagan dran als er denkt, dessen Worte auch nach sechzig Jahren noch dröhnen: „Die Freiheit ist nie mehr als eine Generation davon entfernt, ausgelöscht zu werden. Wir vererben sie nicht einfach an unsere Kinder. Der einzige Weg, ihnen die Freiheit, wie wir sie kennen, weiterzugeben, besteht darin, dass wir für sie kämpfen, sie schützen, sie verteidigen und sie dann weitergeben. Und wenn Sie und ich das nicht tun, dann werden Sie und ich vielleicht unseren Lebensabend damit verbringen, unseren Kindern und Kindeskindern zu erzählen, wie es einst war, als die Menschen frei waren.“