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Hayek für Krisenzeiten

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Photo: Phinehas Adams from Unsplash (CC 0) Von Johan Norberg, Publizist, Autor von „Fortschritt – ein Motivationsbuch für Weltverbesserer“, erschienen in der Edition Prometheus. Wir erleben gerade außerordentlich schwere Zeiten in vielerlei Hinsicht. Ich fühle mich dabei an einen Satz aus F. Scott Fitzgeralds The Great Gatsby erinnert: „Der einsamste Moment im Leben eines Menschen: Zusehen, während seine ganze Welt zusammenbricht, und nur noch ausdruckslos starren können.“ Ich muss zugeben, dass das meine Gefühle zu dem Zeitpunkt gut beschreibt, als in ganz Europa die Lichter erloschen, Grenzen und Geschäfte geschlossen wurden und ein Land nach dem anderen sich in den Lockdown verabschiedete. Das war für mich ein einschneidender Moment. Gerade zu dem Zeitpunkt hatte ich den Text eines

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Photo: Phinehas Adams from Unsplash (CC 0)

Von Johan Norberg, Publizist, Autor von „Fortschritt – ein Motivationsbuch für Weltverbesserer“, erschienen in der Edition Prometheus.

Wir erleben gerade außerordentlich schwere Zeiten in vielerlei Hinsicht. Ich fühle mich dabei an einen Satz aus F. Scott Fitzgeralds The Great Gatsby erinnert:

„Der einsamste Moment im Leben eines Menschen: Zusehen, während seine ganze Welt zusammenbricht, und nur noch ausdruckslos starren können.“

Ich muss zugeben, dass das meine Gefühle zu dem Zeitpunkt gut beschreibt, als in ganz Europa die Lichter erloschen, Grenzen und Geschäfte geschlossen wurden und ein Land nach dem anderen sich in den Lockdown verabschiedete. Das war für mich ein einschneidender Moment.

Gerade zu dem Zeitpunkt hatte ich den Text eines Buches fertiggestellt, das den Titel trägt: „Open – the Story of Human Progress“. Ich beschäftigte mich damit, wie Gesellschaften in der Vergangenheit Fortschritt erzielt haben, und untersuche zugleich, wodurch sie diesen Fortschritt wieder zunichte gemacht haben. Die Schlussfolgerung meiner Arbeit war, dass der Niedergang offener Gesellschaften früher meist auf Krisenzeiten zurückzuführen war: Rezessionen, Invasionen, Naturkatastrophen oder Pandemien. Als kurz darauf die Pandemie ausbrach, lief es mir eiskalt den Rücken herunter.

All das gab es schon einmal. Wenn die Angst zunimmt, kommen Menschen auf die Idee, die Freiheitsräume ihrer Nachbarn einzuschränken, weil sie fürchten, dass sie mit diesen Freiheiten unverantwortlich umgehen könnten. Wenn die Angst zunimmt, kommen Menschen auf die Idee, sich von der Außenwelt abzuschotten, weil jeder Andersartige gefährlich sein könnte. Wenn die Angst zunimmt, kommen Menschen auf die Idee, dass ein starker Mann die Kontrolle übernehmen sollte, um uns zu beschützen. Und wenn die Angst zunimmt, kommen Menschen auf die Idee, dass Regierungen neue Befugnisse übernehmen sollen: Staatliche Überwachung statt offener Gesellschaften. Krisensozialismus statt freier Märkte. Selbstgenügsamkeit statt internationalem Handel. Wir haben schon gesehen, wohin diese Vorstellungen führen. Und jetzt sind sie wieder auf dem Vormarsch. Das ist gefährlich, denn ich bin davon überzeugt: Wenn wir die Angst und ihre Ursachen wirkungsvoll bekämpfen wollen, müssen wir das genaue Gegenteil dieser Forderungen umsetzen müssen.

Die erste globale Hochphase der Pandemie im Frühjahr hat uns über den internationalen Handel eines gelehrt: Es bringt Probleme mit sich, wenn wir uns für alle Waren und Zwischenprodukte auf die Produktion in einem einzigen Land verlassen. Besonders problematisch hat sich das am Beispiel Chinas gezeigt. Die Lösung dieser Probleme kann allerdings nicht darin liegen, seine Lieferketten noch weiter zu konzentrieren.

In Schweden konnten Fabriken nur deshalb wieder den Betrieb aufnehmen, weil sich in Asien Wirtschaft und Handel wiederbelebten und dringend benötigte Güter von dort importiert wurden. Hätten wir hingegen alles an einem einzigen Ort konzentriert, hätte schon ein weniger dramatisches und rein lokales Problem die gesamte Produktion zum Erliegen bringen können. Krisenzeiten sollte man nicht mit noch stärkerer Konzentration begegnen, sondern mit Dezentralisierung, Vielfalt und Flexibilität.

Zum Schutz ihrer Bürger erlassen Staaten Exportverbote für Schutzausrüstungen und andere sensible Güter. Die vielerorts beobachteten Lieferengpässe und gestiegene Preise sind zu großen Teilen auf solche Exportverbote zurückzuführen. Als Regierungen die Grenzen abriegelten, unterbrachen sie den alltäglichen Fluss von Waren, Dienstleistungen und Menschen vom einen auf den anderen Tag.

Plötzlich musste ein Unternehmen in Tschechien, das Schutzausrüstung herstellt und den europäischen Markt beliefert, die Produktion einstellen, weil die polnischen Mitarbeiter morgens nicht mehr über die polnisch-tschechische Grenze zur Arbeit fahren konnten.

Das grundlegende Problem dieses Krisensozialismus ist offensichtlich: Egal unter welchen Umständen: Krisensozialismus bleibt immer noch Sozialismus – und funktioniert immer noch nicht! Wir wünschen uns einen starken Staat, der uns in die richtige Richtung führt. Was aber, wenn er uns in die falsche Richtung führt?

Die gegenwärtige Krise gibt uns das denkbar stärkste Argument für unsere Ideen an die Hand. Wir konnten gerade erleben, wie eine Welt aussieht, in der wir uns isolieren. Wir erlebten eine alptraumhafte Kombination der Visionen von Greta Thunberg und Matteo Salvini: Keine Reisen, keine Mobilität, kein Handel, kein Offshoring, keine kapitalistische Ausbeutung …  Diese Welt sieht gar nicht so herrlich aus wie in deren Werbefilmchen.

Wir haben unsere Welt für nur wenige Monate heruntergefahren. Die Ergebnisse: globale Wirtschaftskrisen, Massenarbeitslosigkeit, Armut und Hunger. Das Frühjahr war wie der Trailer eines Horrorfilms. Nach diesem Trailer möchte ich den Film auf keinen Fall in voller Länge anschauen müssen.

Andererseits durften wir erleben, wie viel doch selbst unter widrigen Umständen funktioniert. Während die Politik vielerorts versagte, passten sich Einzelpersonen, Organisationen und Unternehmen schnell an die neuen Umstände an. Sie änderten ihre Geschäftsmodelle, Produktionsprozesse und Lieferketten, um Regale zu füllen, notwendige Lieferungen ans Ziel zu bringen, die Produktion am Laufen zu halten und Bedürftigen zu helfen. Innerhalb kürzester Zeit stellten Fabriken Waren her, von denen wir Anfang des Jahres noch nicht einmal ahnen konnten, dass wir sie benötigen könnten. Destillerien und Parfümhersteller produzierten Desinfektionsmittel, Hersteller von Hygieneartikeln stellten auf die Produktion von medizinischen Handschuhen und Gesichtsmasken um. In nur wenigen Wochen stieg die Zahl der europäischen Unternehmen, die Gesichtsmasken herstellen, von 12 auf 500.

Diese Veränderungen hätte niemals ein zentraler Planer am Reißbrett entwerfen können, da erst das Wissen über die Umstände vor Ort die Umstellungen ermöglicht hat. Einzelpersonen und Unternehmen wissen selbst am besten, wozu sie in der Lage sind, welche Kapazitäten und welche Arbeitskräfte ihnen zur Verfügung stehen, und vor allem, worauf sie verzichten können, ohne an anderen Stellen verheerende Engpässe zu schaffen. Zur Krisenbewältigung brauchen wir keinen Sozialismus. Wir brauchen Hayek für Krisenzeiten!

In Schweden sehen wir, wie das umgesetzt werden könnte. Schweden ist das einzige Land, in dem die Regierung keine Grenzen, Geschäfte und Restaurants geschlossen hat und auch Social Distancing nicht durch Ausgangssperren erzwungen hat. An diesem Beispiel können wir sehen, dass Menschen freiwillig ihr Verhalten ändern können, wenn ihnen klar ist, dass Menschenleben auf dem Spiel stehen. Schweden reduzierten ihre Mobilität fast so sehr wie Menschen in Ländern mit weitaus größeren Einschränkungen. Und sie taten das, ohne dass sie von Polizisten auf der Straße kontrolliert wurden. Der schwedische Ansatz ermöglichte eine Offenheit für lokales Wissen und Rücksicht auf individuelle Bedürfnisse.

Die Krisenbewältigung in Schweden , die spontane Entwicklung in Krisenzeiten und die Anpassung an neue Umstände sollten uns als Lehren und Inspirationen für unser weiteres Vorgehen dienen – gerade angesichts der autoritären Forderungen und Maßnahmen im Rahmen der Krisenbewältigung. All die Vorschriften, Genehmigungen und Verbote sind Hindernisse für Veränderung, Anpassung und Umstrukturierung, die immer notwendig sind, in den jetzigen Zeiten aber mehr denn je. Viele Regierungen halten Menschen davon ab, ihr ortsgebundenes Wissen und ihre individuellen Talente für die Krisenbewältigung einzusetzen – stattdessen setzen sie allein auf das begrenzte Wissen der wenigen Menschen an der Spitze. Das ist nicht nur falsch, sondern auch gefährlich.

Wir erleben momentan widrige Zeiten. Aber um es mit den Worten der großen Philosophen von Coldplay zu sagen: „Nobody said it was easy!“ Gerade jetzt aber werden unsere Ideen am allermeisten benötigt.

Das hat Hayek, Mises und Friedman zu Legenden gemacht: Sie waren zwar allesamt brillante Denker – unvergesslich wurden sie allerdings erst durch die großen Widerstände, gegen die sie ankämpfen mussten. Sie schreckten vor dem Gegenwind nicht zurück, sondern hielten auch in schweren Zeiten durch. Wir brauchen Menschen, die nicht nur ausdruckslos starren und zusehen, wie unsere Welt zusammenbricht. Denn wie schon Hemingway wusste: Die Welt ist ein guter Ort und es lohnt sich, für sie zu kämpfen.

Dies ist eine gekürzte Version der Ansprache, die Norberg beim Europe Liberty Forum 2020 des Atlas Network gehalten hat.

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