Welchen Einfluss haben ökonomische Erkenntnisse auf die Politik? Die Schweiz zählt zwar zu den wirtschaftlich freiesten und wettbewerbsfähigsten Ländern. Im Index für wirtschaftliche Freiheit steht sie weltweit auf dem vierten Platz, in Europa sogar auf Platz 1. Jedoch setzt sich auch hierzulande mehr und mehr eine grössere Marktskepsis durch. Es kommt nicht selten vor, dass die Politik im Einverständnis der mündigen Bürger grundlegende ökonomische Erkenntnisse missachtet. Demokratische Institutionen bewirken teilweise, dass auch Bereiche, die nach ökonomischer Logik in die Markt- und Privatsphäre gehören, staatlicher Kontrolle unterworfen bleiben. Um diese Herausforderung drehte sich das LI-Gespräch um die Frage «Wie viel Markt verträgt die Schweiz?» am 27. Februar an der Universität
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Welchen Einfluss haben ökonomische Erkenntnisse auf die Politik? Die Schweiz zählt zwar zu den wirtschaftlich freiesten und wettbewerbsfähigsten Ländern. Im Index für wirtschaftliche Freiheit steht sie weltweit auf dem vierten Platz, in Europa sogar auf Platz 1. Jedoch setzt sich auch hierzulande mehr und mehr eine grössere Marktskepsis durch. Es kommt nicht selten vor, dass die Politik im Einverständnis der mündigen Bürger grundlegende ökonomische Erkenntnisse missachtet. Demokratische Institutionen bewirken teilweise, dass auch Bereiche, die nach ökonomischer Logik in die Markt- und Privatsphäre gehören, staatlicher Kontrolle unterworfen bleiben. Um diese Herausforderung drehte sich das LI-Gespräch um die Frage «Wie viel Markt verträgt die Schweiz?» am 27. Februar an der Universität Zürich. Der Anlass war gleichzeitig Vernissage des neuen Buches von Hans Rentsch mit demselben Titel.
Die Demokratieskepsis haben alle Liberale gewissermassen im Blut. In seiner Einführung stellte LI-Direktor Pierre Bessard fest, dass schon Benjamin Constant sich im Gegensatz zu Rousseau für eine begrenzte Demokratie aussprach, das heisst für das Primat der individuellen Freiheitsrechte statt einer Mehrheitsdiktatur. Der Markt kann tatsächlich als die bessere Demokratie angesehen werden, da so jeder Mensch mit seinem Geld für jene Produkte und Dienstleistungen abstimmen kann, die ihm am besten zusagen. In einem Markt mit individuellen Entscheidungen werden die Präferenzen der Leute besser abgebildet als in der Demokratie mit Mehrheitsentscheiden. Es ist jedoch unverkennbar, dass der grösste Druck in Richtung Verstaatlichung nicht von den Bürgern selbst, sondern von den Verwaltungen, den Regierungen und den Parlamenten stammt. Die direkte Demokratie in der Schweiz bleibt oft die zuverlässigste Bremse gegen den Ausbau des Staates. Wenn einmal schlechte Gesetze in Kraft sind, spielt die Tendenz zum Status quo allerdings eine verhängnisvolle Rolle. Daher soll der politische Einfluss in der Gesellschaft minimiert werden.
In seinem Inputreferat vertrat Hans Rentsch die Ansicht, dass ein demokratisches System selten aus eigener Kraft fähig ist, marktwirtschaftliche Reformen umzusetzen. In der Tat schreitet auch in der Schweiz mit ihrer halbdirekten Demokratie die Verstaatlichung aller Lebensbereiche munter voran, ohne dass solche fehlgeleiteten Schritte in Richtung Planwirtschaft anschliessend wieder korrigiert werden könnten — zumindest nicht, ohne auf heftigen Widerstand der Profiteure und der inzwischen tendenziell eher staatsgläubigen Stimmbürger zu stossen. Auch in anderen europäischen Staaten wären marktwirtschaftliche Reformen wohl nicht möglich gewesen, wenn diese zunächst die Hürde von Volksentscheiden hätten nehmen müssen. So gelangen Liberalisierungsschritte hauptsächlich auf Druck von aussen.
Warum tendieren viele Stimmbürger zu mehr Staat? Hans Rentsch führt diese Tendenz zurück auf vier «systematic biases»: Erstens ist eine starke Abneigung gegenüber dem Markt vorhanden. Im Gegensatz zu Ökonomen denken viele Stimmbürger, ein freier Markt sei schlecht, da sie nicht verstehen, wie aufgrund des Profit-Motivs der Akteure sozial vorteilhafte Ergebnisse produziert werden können. Sie denken vielmehr, aufgrund der Möglichkeit eines Gewinns würden Produkte und Dienstleistungen verteuert. Zweitens nannte Rentsch den Anti-Foreign-Bias. Im Unterschied zu Ökonomen, die Protektionismus ablehnen, haben Stimmbürger eher eine Präferenz dafür, dass Geld im Inland bleiben solle. Sie verstehen nicht, weshalb grenzüberschreitender Handel vorteilhaft ist. Drittens sehen viele Stimmbürger auch nicht ein, weshalb es gut sein soll, Arbeit einzusparen, während Ökonomen darin eine Erhöhung des Lebensstandards erkennen. Viertens verkennen viele Bürger das grosse Potenzial von Innovationen. Sie denken vielmehr, dass wir heute so grosse Probleme wie niemals zuvor hätten und es keine Aussicht auf Besserung gäbe.
Die Schweiz ist damit heute zu einer bloss halb offenen Volkswirtschaft verkommen. In Bereichen wie Arbeitsmarkt, Landwirtschaft, Bildung, Medien, Energie, Rentensystem, Gesundheitswesen, Verkehr, Klimapolitik oder Wohnungsmarkt herrscht ein übermässiges Grad an Politisierung. Die Fehlanreize, Opportunitätskosten und unbeabsichtigten Neben- und Folgewirkungen, die aus staatlichen Eingriffen entstehen, werden selten thematisiert und noch seltener überdacht.
Wie lassen sich diese Verzerrungen in den Wahrnehmungen der Stimmbürger und die Präferenz für mehr Staat beheben? Hans Rentsch plädiert für umfangreichere ökonomische Bildung bzw. für die Förderung des Verständnisses für wirtschaftliche Zusammenhänge. Auch fordert er von Ökonomen, dass sie ihre Stimme vermehrt erheben und der Öffentlichkeit Wissen vermitteln. Kein Weg führt also an der Aufklärung und an der ökonomischen Wissensvermittlung vorbei.
In der Diskussion zeigte sich, dass Reformziele sowohl durch bessere Institutionen zur Einbindung des politischen Aktivismus, etwa in der Art der Schuldenbremse, als auch durch die Vermittlung einer Kultur der Freiheit angegangen werden sollen, denn nicht alle Ökonomen seien gut, sprich liberal orientiert. Immerhin sei es ein positives Zeichen, dass das Liberale Institut beispielsweise als Referenz für Marktwirtschaft in einem breit verwendeten Lehrbuch für Wirtschaftsgymnasien, für Hochschulen und Universitäten sowie für Weiterbildungslehrgänge erwähnt wird.
Mehr zum Thema:
«Wie viel Markt verträgt die Schweiz: Ökonomische Streifzüge durchs Demokratieparadies» (NZZ Libro, 2017)
1. März 2017