Photo: Bundesarchiv, Bild 101I-186-0160-11 / Franke (CC-BY-SA 3.0) Kriege sind oft das Ergebnis von Schimären, gedanklichen Wahnbildern. Klassenkampf und Nationalismus spielen sich in Sphären ab, die mit der Realität nichts zu tun zu haben. Das beschrieb auch Ludwig von Mises in seinem vor 100 Jahren erschienen Klassiker „Die Gemeinwirtschaft“. Der Kampf ist nicht des Menschen Schicksal Ludwig von Mises war 1881 in Lemberg, dem heute in der Ukraine liegenden Lwiw, geboren worden und musste miterleben, wie die Goldene Epoche, die seine ersten drei Lebensjahrzehnte geprägt hatte, ab 1914 kollabierte und dann ab 1917 noch weiter an den Abgrund zu schlittern begann. In seiner 1919 erschienen Schrift „Nation, Staat und Wirtschaft“ adressiert Mises gewohnt scharfsinnig, wie das Gift des
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Kriege sind oft das Ergebnis von Schimären, gedanklichen Wahnbildern. Klassenkampf und Nationalismus spielen sich in Sphären ab, die mit der Realität nichts zu tun zu haben. Das beschrieb auch Ludwig von Mises in seinem vor 100 Jahren erschienen Klassiker „Die Gemeinwirtschaft“.
Der Kampf ist nicht des Menschen Schicksal
Ludwig von Mises war 1881 in Lemberg, dem heute in der Ukraine liegenden Lwiw, geboren worden und musste miterleben, wie die Goldene Epoche, die seine ersten drei Lebensjahrzehnte geprägt hatte, ab 1914 kollabierte und dann ab 1917 noch weiter an den Abgrund zu schlittern begann. In seiner 1919 erschienen Schrift „Nation, Staat und Wirtschaft“ adressiert Mises gewohnt scharfsinnig, wie das Gift des Nationalismus friedliche und prosperierende Gesellschaften zersetzt hat, und sieht geradezu prophetisch voraus, wie die neue toxische Mischung des Sozialismus eine ebenso vernichtende Wirkung entfalten wird. Diese Schrift ist wie eine Ouvertüre zu dem drei Jahre später erschienenen Meisterwerk „Die Gemeinwirtschaft“.
Vordergründig ist dieses Buch eine ökonomische und polittheoretische Erklärung darüber, warum der Sozialismus als Wirtschafts- und Staatsform zunächst zerstören und dann scheitern wird. Doch dahinter stecken tiefgehende Erkenntnisse über den Menschen als Gemeinschaftswesen, die nicht nur im Blick auf sozialistische Theorie und Praxis in den 1920er Jahren Bedeutung haben, sondern überzeitlich gültig sind. Im Gegensatz zu den Ideologien seiner Zeit sah Mises den Kampf nicht als die Bestimmung des Menschen: nicht den Klassenkampf noch den Rassenkampf, weder den Bau von Imperien noch die Zerstörung des Gewordenen. Für ihn macht den Menschen wesentlich aus, dass er im Laufe der Evolution und Zivilisierung seine Fähigkeit zur Kooperation immer stärker ausbaut:
Der moderne Mensch ist nicht nur in dem Sinne Gesellschaftsmensch, daß er in bezug auf die Güterversorgung nicht als isoliertes Wesen gedacht werden kann, sondern auch in dem, daß die Entwicklung, die seine Vernunft und sein Empfindungsvermögen vollzogen haben, nur in der Gesellschaft möglich war. Der Mensch ist als isoliertes Wesen nicht zu denken, weil Menschtum nur als Gesellschaftserscheinung besteht und weil sich die Menschheit über die Tierheit nur in dem Maße hinaushob, in dem sich die gesellschaftliche Bindung der Einzelwesen durch Kooperation ausgestaltet hat. (261)
Zerstörungswut von Nationalismus und Sozialismus
All unser Handeln und Streben sind daran ausgerichtet, das Leben für uns angenehmer und schöner zu machen. „Leid zu mindern, Freude zu mehren, das ist sein Ziel“, schreibt Mises in seinem Buch „Liberalismus“. Darum lehnt der Liberalismus die großen Ideologien ab. Er weiß, dass sie diesem Ziel entgegenstehen. Das Gefühl der Freude, das der Nationalist beim Sieg seines Landes über ein anderes empfindet, ist um den Preis von Hass, Tod und Vernichtung erkauft. Die Enteignung der „besitzenden Klassen“ hat in über 100 Jahren real existierendem Sozialismus noch nie das Leben armer Menschen besser gemacht. Die Glücksverheißungen von Weltrevolution oder Wiederherstellung nationaler Größe sind Wahngebilde, haben keine Verankerung in der Realität. Der Liberalismus ist gar nicht daran interessiert, ein einziges Gefühl in allen zu erzeugen – ihm geht es darum, die individuellen, ganz und gar unterschiedlichen Gefühle der jeweiligen Menschen voll zum Klingen zu bringen.
Erst dadurch, so ist Mises überzeugt, entsteht dann auch echte Gemeinschaft, weil Gemeinschaft nicht homogen, sondern nur in Vielfalt funktioniert, in der sich ergänzenden Eigenheit der vielen: „Daß Gesellschaft überhaupt möglich ist, ist nur darauf zurückzuführen, daß der Wille des einen und der des anderen sich in gemeinsamem Streben finden, so daß aus der Willensgemeinschaft die Arbeitsgemeinschaft entspringt.“ (267) Keine „Volonté générale“, allgemeiner Wille, wie ihn Rousseau postulierte und die großen Ideologien umgehend für ihre Zwecke einspannten, sondern das niemals endende, stets wechselnde Spiel vieler eigenständiger Menschen, die ihre Ziele verfolgen. So entsteht wahre Gemeinschaft. Die Globalisierung, die uns Wohlstand, Frieden und Freiheit in nie vorstellbarem Maße gebracht hat, legt davon Zeugnis ab:
Von allen Beschuldigungen, die man gegen das System des Freihandels und des Sondereigentums erhoben hat, ist keine törichter als die, daß es antisozial und individualistisch sei und daß es den sozialen Körper atomisiere. Der Verkehr wirkt nicht auflösend, wie die romantischen Schwärmer für Autarkie kleiner Teile der Erdoberflache behaupten, sondern verbindend. Erst die Arbeitsteilung läßt gesellschaftliche Bindung entstehen, sie ist das Soziale schlechthin. Wer für nationale und staatliche Wirtschaftsgebiete eintritt, sucht die ökumenische Gesellschaft zu zersetzen. Wer durch den Klassenkampf die gesellschaftliche Arbeitsteilung im Innern eines Volkes zu zerstören sucht, ist antisozial. (281)
Gegenseitige Abhängigkeit als Schlüsselelement von Zivilisation
Äußere Beobachter der Sozialphilosophie des Liberalismus neigen dazu, ihr zu unterstellen, dass sie die Ideologie der Egoisten sei, die den Menschen aus der Wärme der Gemeinschaft hinauswerfen wolle in den eiskalten Kampf des „Survival of the Fittest“. Würden diese Kritiker doch einmal genau hinsehen – bei Mises zum Beispiel! „Die vornehmste Wirkung der Arbeitsteilung ist die, daß sie aus dem unabhängigen Individuum den abhängigen Gesellschaftsmenschen macht.“ (274) Was für eine Erkenntnis: Abhängigkeit ist eben nichts, was die Freiheit einschränkt, sondern etwas, das sie erst ermöglicht!
Freiheit entsteht, indem wir uns als Menschen aufeinander beziehen, anstatt uns voneinander abzugrenzen. Sie speist sich daraus, dass wir nicht mehr Herrscher und Beherrschte sind, sondern viele voneinander abhängige Menschen; dass der Mensch sein Leben nicht verbessert, indem er etwas wegnimmt, sondern tauscht. Die Abhängigkeit, die sich aus Marktwirtschaft und Arbeitsteilung ergibt, ist das größte friedenstiftende Instrument, das die Menschheit jemals gefunden hat. Und im Gefolge des Friedens sind Freiheit und Fortschritt und Wohlstand gekommen. Alles als Ergebnis des Mutes einzelner Menschen, sich freiwillig in herrschaftsfreie Abhängigkeiten zu begeben. Das steht am Anfang des praktischen Liberalismus: den Mut aufzubringen, im anderen weder Bedrohung noch Opfer zu sehen, sondern Partner. Ob die Person einen ukrainischen oder russischen Pass hat, in Taipeh oder in Shanghai wohnt, Schiit oder Sunnit ist – dem Liberalen ist das einerlei. Er sucht den Austausch um der Verbesserung Willen.
Realität gegen Fiktion ist das Kampffeld
Wieder wird Europa von den wahnwitzigen Schreckgespenstern der Ideologie heimgesucht – wie schon zu Zeiten von Mises‘ 1914 und 1939. Wieder werden die Traumbilder von Größe und Sieg, die apokalyptischen Visionen vom Endkampf heraufbeschworen, um die grässliche Fratze von Tod und Vernichtung zu maskieren. Doch die Worte von Volk und nationaler Größe, von Beleidigung und Ehrenrettung sind nicht in der Realität verwurzelt. Sie sind ausgedacht.
Real ist die Welt, wo mein Freund Yuriy Lopatynskyy in Lwiw das „Walnuss Haus“ gründet, das Frauen in Not eine wirtschaftliche Perspektive bietet. Real ist die Welt, wo unser Research Fellow Iryna aus Kiew in ihrer Masterarbeit die Beziehung zwischen Kunst und Politik anhand der Maidan-Revolution erforscht. Real ist die Welt, wo meine Bekannte Olga um ihre Verwandten in Russland und der Ukraine bangt. Real ist die Welt, wo Menschen miteinander Probleme lösen und ihr Leben besser machen, indem sie sich aufeinander verlassen und miteinander arbeiten. Diesen Menschen sind wir alle verpflichtet, sonst droht auch uns, was Mises in seinem Buch „Omnipotent Government“ von 1944 schon beschwor:
Die Uneinigkeit der westlichen Demokratien wird den Aggressoren die Möglichkeit geben, die Bühne der politischen Intrigen und Komplotte zu entern, aufzurüsten und eine neue und stärkere Koalition für einen weiteren Angriff zu bilden. Wenn sie sich nicht für eine wirksame Solidarität entscheiden, sind die Demokratien dem Untergang geweiht.
Die Seitenangaben beziehen sich auf die zweite Auflage aus dem Jahr 1932.