Bild: Edu Lauton from Unsplash (CC 0) Vor einer Woche hat an dieser Stelle Florian Hartjen provokant formuliert: „Nieder mit dem Kapitalismus“ und die These vertreten, der Kapitalismus sei das Narrativ derer, die es schon geschafft haben. Das teile ich nicht, daher meine Erwiderung: Ein Hoch auf den Kapitalismus! Der Kapitalismus kennt keine klare Definition. Das behauptet der Historiker Werner Plumpe in seinem sehr lesenswerten Buch über den Kapitalismus („Das kalte Herz – Kapitalismus: Die Geschichte einer andauernden Revolution“). Neben der Kapitalintensität sei die Orientierung der Produktion am Massenkonsum ein zentrales Merkmal kapitalistischer Wirtschaft. Doch das reicht wahrscheinlich nicht aus. Der Kapitalismus beantwortet auch die Frage, wem Grund- und Boden, das Unternehmen oder
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Vor einer Woche hat an dieser Stelle Florian Hartjen provokant formuliert: „Nieder mit dem Kapitalismus“ und die These vertreten, der Kapitalismus sei das Narrativ derer, die es schon geschafft haben. Das teile ich nicht, daher meine Erwiderung: Ein Hoch auf den Kapitalismus!
Der Kapitalismus kennt keine klare Definition. Das behauptet der Historiker Werner Plumpe in seinem sehr lesenswerten Buch über den Kapitalismus („Das kalte Herz – Kapitalismus: Die Geschichte einer andauernden Revolution“). Neben der Kapitalintensität sei die Orientierung der Produktion am Massenkonsum ein zentrales Merkmal kapitalistischer Wirtschaft. Doch das reicht wahrscheinlich nicht aus. Der Kapitalismus beantwortet auch die Frage, wem Grund- und Boden, das Unternehmen oder generell eine Sache gehören. Sie gehören im Kapitalismus nicht dem Staat, sondern privaten Eigentümern. So ist auch die Abgrenzung zur Marktwirtschaft zu sehen. Denn Kapitalismus und Marktwirtschaft beantworten unterschiedliche Fragen. Die Marktwirtschaft ist die dezentrale Planung und Lenkung wirtschaftlicher Prozesse, die über die Märkte mit Hilfe des Preismechanismus koordiniert werden. Die Marktwirtschaft sagt also nichts über die Eigentumsstruktur aus. Diese Frage beantwortet der Kapitalismus. Theoretisch kann man sich eine Marktwirtschaft ohne privates Eigentum vorstellen. Vor der Liberalisierungswelle in den 1980er und 90er Jahren im Post-, Telekommunikations- und Energiesektor war das in der alten Bundesrepublik Deutschland auch so. Die Unternehmen gehörten dem Staat. Das hat bekanntlich nicht besonders gut funktioniert. Die Leistungen waren teuer, der Service schlecht und die Unternehmen ineffizient.
Insgesamt leben wir hierzulande in einer kapitalistischen Wirtschaftsordnung. Unternehmen, landwirtschaftliche Fläche und Immobilien gehören meist Individuen. Ein vorherrschendes Merkmal zeichnet den Kapitalismus aus: Er ist lernfähig. Im Kapitalismus verfolgt nicht einer den großen Plan. Es ist ein iterativer Prozess, der fortlaufend dezentral stattfindet. Versuch und Irrtum sind im Kapitalismus systemimmanent. Unternehmer versuchen durch ihre Dienstleistung oder ihr Produkt letztlich die Bedürfnisse ihrer (potentiellen) Kunden zu befriedigen. Deshalb ist im Kapitalismus der Kunde König. Wie Plumpe es formuliert: „Die Motive des Unternehmers entscheiden nicht über seinen Markterfolg.“ Kein Unternehmer kann an den Bedürfnissen der Kunden vorbei produzieren. Tut er das dennoch, verschwindet er vom Markt. Dabei ist es völlig egal, wie groß das Unternehmen ist und wie kapitalkräftig. Es dauert im Zweifel nur länger.
Das ist auch der Irrtum der Ordoliberalen. Sie misstrauen der Macht der Kunden. Sie glauben, wenn ein Unternehmen groß und „mächtig“ genug ist, kann es den Kunden den Preis diktieren und sie ausnehmen wie eine Weihnachtsgans. Das ist der Grund, wieso sie dem Staat Eingriffsbefugnisse zubilligen. Jüngst gipfelte die Forderung mancher sogar dahingehend, dass im Zuge steigender Spritpreise Mineralölkonzerne zerschlagen werden müssten. Mehr Eingriff geht dann wohl nicht. Früher galt der Verdacht der Marktbeherrschung bei Stahl- und Zementunternehmen. Nennenswerte Stahlunternehmen gibt es nicht mehr und die Zementindustrie muss mit den höchsten Energiepreisen im internationalen Wettbewerb konkurrieren. Heute arbeitet sich das Kartellamt an Brauereien und Kaffeeröstern ab, ob diese 10 Cent mehr für die Flasche oder das Pfund nehmen, so als hätte dies eine wirkliche Bedeutung.
Schon interessanter ist die Auseinandersetzung mit Google, Facebook (Meta) und Amazon. Die Netzwerkeffekte würde hier zu einer natürlichen Marktmacht führen, denen es regulatorisch zu begegnen gelte. Doch vielleicht ist gerade die Regulatorik verantwortlich für die vorübergehende Marktmacht? Wenn die Markteintrittsbarrieren hoch sind, dann sind diese ein natürlicher Schutzwall gegen neue Marktteilnehmer und damit neue Ideen. Daher haben die Platzhirsche ein Interesse an umfangreicher Regulatorik. Doch meist halten diese Schutzwälle nicht lange stand. Der Druck kommt dann von außerhalb des eigenen Landes. Doch auch bei den Internetriesen bleibt die Frage, ob all diese Milliardenunternehmen die Entwicklung zum blockchainbasierten Web3 überleben? Es wären nicht die ersten globalen Unternehmen, die von der Entwicklung überrollt werden. Wer erinnert sich noch an AOL („Bin ich drin?“) und Yahoo („Do you Yahoo?“)? Im Kapitalismus geht es, um an den Anfang des Textes zurückzukommen, nicht darum, „wer es geschafft hat“, sondern wer es morgen und übermorgen schafft.
Liberale sollten daher den Begriff des Kapitalismus nicht verstecken oder verbrämen. Damit gehen wir den Gegner des Kapitalismus auf den Leim. Vielen von ihnen ist das Privateigentum und insbesondere das Unternehmertum zuwider, weil sie selbst nicht Kundenbedürfnisse befriedigen wollen oder müssen. Viele davon wollen jedoch bei anderen mitreden und sich damit in individuelle Lebensentscheidungen einmischen. Das Ziel ist die „Demokratisierung“ aller Lebensbereiche – eben auch des gemeinsamen Wirtschaftens, sowohl auf der Produzenten- als auch auf der Konsumentenseite. Dadurch wird das Eigentum in seiner Substanz geschleift und löchrig wie ein Schweizer Käse. Und der Konsument wird zum unmündigen Wesen degradiert. Letztlich ist dies ein Frontalangriff auf das Individuum und unsere Freiheit. Lassen wir uns das nicht nehmen.