Genau, Sie haben richtig gehört: Nieder mit dem Kapitalismus, denn kein anderes Konzept schadet dem Verständnis des Liberalismus derart beständig und fortwährend. Der Kapitalismus ist ungeeignet als globaler Schlachtruf für die Freiheit. Aber ist er denn nicht der Inbegriff von allem, was Liberale schätzen: wie Unternehmergeist, friedlichem Austausch, Marktwirtschaft? Nein, denn der Kapitalismus lenkt ab vom emanzipatorischen Wesen des Liberalismus, er ist ein ödes Narrativ im globalen Wettbewerb der Ideen und er fördert Kompromisslosigkeit und Ideenstarre. Wer ihn sich heute auf die Fahnen oder die Leibwäsche schreibt, der mag für sich selbst damit viel zweifelhafte Aufmerksamkeit erheischen, dem Liberalismus allerdings leistet er einen Bärendienst. Der Liberalismus brachte der Welt den
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Genau, Sie haben richtig gehört: Nieder mit dem Kapitalismus, denn kein anderes Konzept schadet dem Verständnis des Liberalismus derart beständig und fortwährend. Der Kapitalismus ist ungeeignet als globaler Schlachtruf für die Freiheit. Aber ist er denn nicht der Inbegriff von allem, was Liberale schätzen: wie Unternehmergeist, friedlichem Austausch, Marktwirtschaft? Nein, denn der Kapitalismus lenkt ab vom emanzipatorischen Wesen des Liberalismus, er ist ein ödes Narrativ im globalen Wettbewerb der Ideen und er fördert Kompromisslosigkeit und Ideenstarre. Wer ihn sich heute auf die Fahnen oder die Leibwäsche schreibt, der mag für sich selbst damit viel zweifelhafte Aufmerksamkeit erheischen, dem Liberalismus allerdings leistet er einen Bärendienst.
Der Liberalismus brachte der Welt den Unternehmergeist nicht das Kapital
Der Erhebung des Kapitalismus zur liberalen Maxime liegt ein grundlegendes Fehlurteil zu Grunde; und ein schlauer Schachtzug der Feinde der offenen Gesellschaft. Der Begriff des Kapitalismus wurde über 150 Jahre vor allem von Marxisten geprägt, auch wenn Marx selbst nur von „Kapital“ und „Kapitalisten“ sprach. Ähnlich wie bei anderen ursprünglich beleidigend gemeinten Bezeichnungen (z.B. Whigs und Torys für Fraktionen im englischen Parlament des 19. Jahrhunderts) übernahmen viele stolze Liberale den Begriff für sich als trotzige Selbstbezeichnung. Und begaben sich damit ungewollt auf das Spielfeld der Marxisten, die Kapitalbesitz zum Sündenfall der Menschheit erklären. Nur, dass seither Kapitalbesitz für Liberale eben der Ausgangspunkt alles Guten ist. In diesem profanen Ideenwettbewerb konnten Marxisten in ihrem engen Fachgebiet reüssieren, Liberale hingegen stutzen ihre vielfältige Ideenwelt auf das Prinzip des Kapitalbesitzes zusammen.
Ein riesengroßer Fehler, denn eigentlich gehört die Geschichte der Neuzeit dem Liberalismus. Die ungeahnte Wohlstands- und Wachstumsrevolution, zuerst in Westeuropa, später überall auf der Welt ist die liberale Erfolgsgeschichte. Und das nicht etwa, weil der Liberalismus endlich genügend Kapital aus dem Hut zauberte, sondern weil er die breite Masse der Bevölkerung im wahrsten Sinne des Wortes befreite. Die Ökonomin und Historikerin Deidre McCloskey bezeichnet diese Liberalisierung Europas als „die große Bereicherung“:
Aber die moderne Wirtschaft ist nicht das Ergebnis von staatlicher Planung oder Zwang. Vielmehr ist sie das Ergebnis des glücklichen Umstandes eines Wandels der politischen und sozialen Rhetorik in Nordwesteuropa zwischen 1517 und 1789. Die Menschen – normale Menschen, die Hobbits aus dem Auenland und nicht die allmächtigen Krieger aus der Ferne – begannen, sich in einem neuen und würdigen Licht zu sehen. Vor allem aber fühlten sie sich in ihren handwerklichen und kommerziellen Unternehmungen gesellschaftlich mehr anerkannt. Sie durften sich „austoben“, wie die Briten sagen, und begannen, in großem Stil zu innovieren.
Gigantische Kapitalansammlungen gab es schon immer. Denken Sie nur an die Chinesische Mauer, die mit ihren 6260 Kilometern Länge von Berlin bis Nepal reichen würde, oder an König Musa von Mali, der im 14. Jahrhundert mit seinem Privatvermögen aus Versehen eine Hyperinflation in Ägypten auslöste. Kapital ohne gute Ideen bringt wenig. Gute Ideen allerdings ziehen Kapital geradezu magnetisch an. Die Geschichte der „großen Bereicherung“ ist deshalb die Geschichte ganz normaler Bürger mit großen Ideen und dem neuartigen (bürgerlichen) Ethos, etwas von Grund auf aufzubauen: Lehrerkind Thomas Edison, Fährenbetreiber-Kind Cornelius Vanderbilt, Kräuterdoktor-Kind John D. Rockefeller. Diese Erfinder und Gründer kamen über Ideen und Unternehmergeist zum Kapital und nicht andersherum.
Der Kapitalismus ist das Narrativ derer, die es schon geschafft haben
Die Erfolgsgeschichte des Liberalismus ist deshalb vor allem auch eine Geschichte der Emanzipation. Also genau das, was der Sozialismus fälschlicherweise vorgibt zu sein. Liberale glauben an das Individuum und dessen unbändige Veränderungskraft. Und der Liberalismus entfesselt diese Kraft, indem er den Menschen die Emanzipation ermöglicht – von eitlen Herren, übergriffigen Staaten, Standesdünkel und Geschlechtergrenzen. Natürlich sind die Prinzipien, die Liberale so gerne mit dem Kapitalismus assoziieren, dafür ebenso notwendig. Unternehmertum braucht freie Märkte, den Schutz des Eigentums und all die anderen Errungenschaften liberaler Demokratien westlicher Prägung. Doch es bleiben Assoziationen, die übrigens außerhalb der liberalen Blase niemand teilt. Institutionen, die gleichzeitig mit der Industriellen Revolution an Bedeutung gewannen. Im Kern ist der Kapitalismus, um es mit den Worten des britischen Ökonomen Eamonn Butler zu sagen, nur „eine Lebensweise, die das Kapital nutzt.“
Das macht den Kapitalismus zum gesellschaftlichen Narrativ derer, die es schon geschafft haben. Denn „die Lebensweise, die Kapital nutzt“, setzt eben ein gewisses Startkapital voraus. Und schon sind wir wieder gefangen im profanen sozialistischen Schwarz-Weiß-Denken, dessen Elixier die Konfrontation und dessen Instrument die Gewalt ist. Auf der einen Seite der zigarrenrauchende Fabrikbesitzer auf der anderen Seite der kapitallose und entrechtete Arbeiter. Diese Debatte kennt keine Gewinner, läuft sich doch am Ende stets auf das immergleiche Totschlagargument hinaus, dass weder wahrer Sozialismus noch echter Kapitalismus je ausprobiert wurden. Eine Erkenntnis so hilfreich wie Streusalz in der Karibik, mit der man im Ideenwettbewerb heute keinen Blumentopf mehr gewinnt.
Der Liberalismus ist das Narrativ derer, die noch etwas vorhaben
Verlassen wir jedoch die fruchtlose Ebene der Idealisierung, dann braucht sich der Liberalismus gar nicht neu zu erfinden, um auch im 21. Jahrhundert die prägende Idee zu sein. Die Emanzipation des Individuums hat nämlich gerade erst begonnen. Milliarden Menschen in Afrika, Asien und Südamerika, Frauen überall auf der Welt, junge Menschen, die nach den Sternen greifen wollen, stehen in den Startlöchern für ihre eigene Epoche der großen Bereicherung. Diese Menschen einfach mit Kapital zuzubuttern – das hat die Entwicklungspolitik der letzten Jahrzehnte eindrücklich bewiesen – ist zu kurz gedacht. Stattdessen ist es unsere Aufgabe, den Edisons von morgen zu ermöglichen, sich von ihren Fesseln zu befreien und die Welt von morgen zu machen.
Was für eine aufregende Welt das werden kann.