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Die OECD/G20-Vorschläge zur Unternehmenssteuerreform in einem dynamischen Makromodell

Summary:
Wie würden sich eine internationale Mindestgewinnsteuer und eine Neuzuordnung von Besteuerungsrechten auf die Wohlfahrt von Hoch-, Mittel- und Niedrigsteuerländern auswirken? Dieser Beitrag untersucht diese Reformvorschläge im Rahmen eines dynamischen Makromodells. Im OECD/G20-Rahmen arbeiten zurzeit viele Ländern an einer Reform der internationalen Unternehmensbesteuerung. Diese soll aus zwei Elementen bestehen. Zum einen sollen Besteuerungsrechte (teilweise) nach einem neuen Prinzip zugeordnet werden. Zurzeit wird dem Grundsatz nach dort besteuert, wo Unternehmen eine physische Präsenz unterhalten (Quellenstaat). Empirisch lässt sich häufig beobachten, dass im Ergebnis dort besteuert wird, wo das multinationale Unternehmen seinen Hauptsitz gewählt hat (Herkunftsstaat). Mit der

Topics:
Gerhard Kempkes, Nikolai Stähler considers the following as important:

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Wie würden sich eine internationale Mindestgewinnsteuer und eine Neuzuordnung von Besteuerungsrechten auf die Wohlfahrt von Hoch-, Mittel- und Niedrigsteuerländern auswirken? Dieser Beitrag untersucht diese Reformvorschläge im Rahmen eines dynamischen Makromodells.

Im OECD/G20-Rahmen arbeiten zurzeit viele Ländern an einer Reform der internationalen Unternehmensbesteuerung. Diese soll aus zwei Elementen bestehen. Zum einen sollen Besteuerungsrechte (teilweise) nach einem neuen Prinzip zugeordnet werden. Zurzeit wird dem Grundsatz nach dort besteuert, wo Unternehmen eine physische Präsenz unterhalten (Quellenstaat). Empirisch lässt sich häufig beobachten, dass im Ergebnis dort besteuert wird, wo das multinationale Unternehmen seinen Hauptsitz gewählt hat (Herkunftsstaat). Mit der Reform soll ein Teil der Besteuerungsrechte in die Länder übertragen werden, in denen die Güter oder Dienstleistungen verkauft werden (Marktstaaten). Zum anderen soll sichergestellt werden, dass Unternehmensgewinne nicht unterhalb eines noch festzulegenden Mindeststeuersatzes belastet werden (Mindeststeuersatz).

Struktur und Kalibrierung unseres Simulationsmodells

Wir simulieren die Effekte der (Grundlinien der) OECD/G20-Reform in einem dynamischen, allgemeinen makroökonomischen Gleichgewichtsmodell (Kempkes & Stähler 2021). Der Analyserahmen ist ein Standard-Real-Business-Cycle (RBC) Modell mit drei Regionen. In jeder Region leben Haushalte, die Arbeit anbieten, konsumieren und sparen. Firmen produzieren regional differenzierte Güter mit Hilfe von Kapital und Arbeit. Die Güter werden von den Haushalten gemäß ihren Präferenzen in den jeweiligen Regionen (ggf. unterschiedlich stark) nachgefragt und daher international gehandelt. Es liegt eine Präferenz für heimische Güter vor. Der internationale Warenfluss bestimmt die Relativpreise der unterschiedlichen Güter sowie die Entwicklung des Nettoauslandsvermögens.

Anders als in herkömmlichen RBC-Modellen verwenden wir nicht die Kapitalertragsteuer als Proxy für eine Gewinnsteuer, sondern modellieren die Gewinnsteuer explizit. Hierfür unterstellen wir, dass nicht Haushalte das physische Kapital besitzen, sondern die Unternehmen. Haushalte erwerben wiederum Anteile an den jeweils regionalen Unternehmen, um zu sparen. Damit sie dies tun, erwarten sie jedoch eine Rendite. Diese setzt sich zusammen aus: (i.) Dividendenzahlungen von Unternehmen, (ii.) der Wertsteigerungen der Unternehmensanteile (Veräußerungsgewinne) oder (iii.) beidem. Unternehmen machen in jeder Periode einen Unternehmensgewinn (Umsatz abzüglich Lohnkosten und Abschreibungen). Diesen müssen sie versteuern. Danach treffen sie die Entscheidung, wie viel davon sie in Kapital reinvestieren und wie viel Dividenden sie an Haushalte ausschütten. Die Entscheidung der Unternehmen zielt letztlich darauf ab, die Rendite der Haushalte zu maximieren (also den Shareholder Value). 

Die Regionen unterscheiden sich in der Basis-Kalibrierung nur hinsichtlich der Höhe der Steuersätze, mit denen sie Unternehmensgewinne besteuern. Wir bezeichnen im Folgenden Land A als Hochsteuerland, Land B als Mittelsteuerland und Region C als Niedrigsteuerland. Ansonsten sind die Regionen annahmegemäß identisch. Robustheitsanalysen zeigen jedoch, dass die grundsätzlichen Wirkungsmechanismen auch bei ungleichen Regionen erhalten bleiben. Betrachtet werden im Wesentlichen drei Szenarien:

  • Als erstes simulieren wir die Einführung eines Mindeststeuersatzes auf dem Niveau von Land B. Land C muss also die Besteuerung der dort ansässigen Unternehmen erhöhen.
  • In einer zweiten Simulation unterstellen wir, dass nunmehr der Anteil am Gewinn von Unternehmen, der aus exportierten Gütern resultiert, im Ausland besteuert wird. Im Inland wird dieser Teil dafür freigestellt. Dies reflektiert die Neuzuordnung von Gewinnbesteuerungsrechten weg von den Quellen- und hin zu den Markstaaten.
  • In einer dritten Simulation kombinieren wir alle oben genannten Reformschritte.

Wirkungen einer allgemeingültigen Mindestgewinnsteuer

In unserer ersten Simulation erhöht Land C, das Niedrigsteuerland, die Gewinnsteuern aufgrund der Einführung der Mindeststeuer. Dort sinken die Nettogewinne, die Unternehmen an ihre Anteilseignerinnen und Anteilseigner ausschütten oder reinvestieren können (die Kapitalrendite nach Steuern). Um dies (teilweise) auszugleichen, erhöhen Unternehmen die Preise ihrer Güter. Diese werden relativ zu Gütern aus anderen Regionen teurer. Die Wettbewerbsfähigkeit von C nimmt ab. Dies reduziert die Nachfrage nach in C produzierten Gütern. Im Ergebnis sinken Produktion und Investitionen (Kapitalbildung). Weil der neue gleichgewichtige Kapitalstock deutlich niedriger ist, sinken die Investitionen anfänglich vergleichsweise stark (temporär stärker als laufende Gewinne). Die niedrigere Kapitalrendite nach Steuern erreicht ihren neuen gleichgewichtigen Wert bei einem jeweils niedrigeren Niveau von Investitionen und Ersparnis. Unternehmen schütten dabei übergangsweise höhere Mittel an die Haushalte aus: Haushalte entsparen.

Durch die höheren Gewinnsteuereinnahmen in Region C kann der Staat andere verzerrende Steuern senken – in unserer Basissimulation ist dies annahmegemäß die Lohnsteuer (eine Konsumsteuersenkung löst ähnliche Effekte aus). Die niedrigere Lohnsteuer erhöht das Arbeitseinkommen (und die Konsummöglichkeiten). Wie oben beschrieben, sparen die Haushalte angesichts der gesunkenen Nachsteuerrendite von Unternehmensinvestitionen weniger, und der Kapitalstock fällt. Während dieser Zeit konsumieren die Haushalte in C mehr (im Modell für die ersten ca. 20 Jahre nach der Reform). Der auf Dauer niedrigere Kapitalstock (und die Gewinne der Unternehmen und deren Ausschüttungen) führen aber längerfristig wiederum zu einem niedrigeren Konsum von in C lebenden Haushalten gegenüber dem Ursprungspfad (Steady State vor Reform). In den Ländern mit höheren Gewinnsteuern A und B sind die Auswirkungen durch die Gewinnsteuererhöhung im Land C eher klein (und in der langen Frist bezogen auf Output und Konsum leicht negativ).

Insgesamt sinkt bei Einführung der Mindestbesteuerung und den Steuererhöhungen in Niedrigsteuerländern der Output weltweit leicht; Grund ist der Outputrückgang in C (dem Niedrigsteuerland). Der „weltweite Steuerkeil“ auf Unternehmensgewinne steigt. Werden im Hochsteuerland A gleichzeitig die Steuern auf Unternehmensgewinne gesenkt, wirkt dies in die andere Richtung. In der Modellsimulation bleibt der weltweite Output dann weitgehend unverändert. Analoges gilt für den weltweiten Konsum.

Besteuerung in den jeweiligen Marktländern

In der zweiten Simulation werden Besteuerungsrechte den Marktländern zugeordnet und die Steuersätze auf dem ursprünglichen Niveau gelassen. Die Auswirkungen auf Nachfrage sowie Produktions- und Investitionsentscheidungen sind analog zu den oben beschriebenen der Steuersatzänderung. So steigt die Gewinnbesteuerung für Unternehmen im Niedrigsteuerland, weil diese aufgrund des Marktprinzips jetzt teils den Steuern der Höhersteuerländern unterliegt. Allerdings ist die Dimension der Wirkungen tendenziell etwas kleiner, weil die gewichtete Steuersatzänderung niedriger ist: Nur ein Anteil der Güter wird international verkauft, sodass die Steuersätze des Auslands im Inland nur zum Teil greifen. Strukturell hat diese Reform zusätzlich eine etwas andere Wirkungen, als sie in der ersten Simulation zu beobachten ist: Über die Neuzuordnung der Besteuerungsrechte kommt es zu Einkommensverschiebungen (der Unternehmensgewinne) zwischen den Ländern. Netto gewinnt gemäß den Simulationen das Niedrigsteuerland C, das insbesondere von der gestiegenen Nachfrage nach im Hochsteuerland A produzierten Gütern profitiert, welche nun einer tieferen Besteuerung unterliegen und entsprechend günstiger sind. Durch den Einkommensgewinn können Haushalte in Region C ihren Konsum leicht ausweiten. Der Einkommensverlust in Region A ist aber nicht stark genug, um die in A entstehenden Outputgewinne vollständig zu verzehren. So kann auch hier der private Konsum leicht ausgeweitet werden. Die im Ergebnis leicht gestiegene Konsumnachfrage in A und C wirkt sich auch (leicht) positiv auf die Mittelsteuerregion B aus.

Bei gleichzeitiger Neuzuordnung der Besteuerungsrechte und Einführung des Mindeststeuersatzes in Land C (dritte Simulation) setzen sich die Effekte im Prinzip aus denen der Einzelmaßnahmen zusammen.

Wohlfahrtswirkungen der simulierten Steuerreformen

Betrachten wir die Wohlfahrt, die das Wohlergehen der Haushalte als Konsumnutzen abzüglich Arbeitsleid berechnet, stellen wir bei der vorgenommenen Modellierung fest, dass das Niedrigsteuerland C profitiert. Ausschlaggebend ist der kurzfristig höhere Konsum (aufgrund des Entsparens im Zuge des Kapitalstockabbaus). Selbst in den Simulationen mit langfristig sinkendem Konsum ist der übergangsweise erhöhte Konsum in den ersten Jahren nach der Reform stark genug, diesen langfristigen Effekt im Hinblick auf die Wohlfahrtsfunktion überzukompensieren (da wir Nutzen in fernerer Zukunft spürbar diskontieren). Die Hochsteuerregion verliert aufgrund der Konsumeinbußen und des erhöhten Arbeitsleids, weil die Ausweitung der Produktion auch durch erhöhte Beschäftigung erfolgt. Das Mittelsteuerland gewinnt, sofern die aggregierte Nachfrage aus Land A und C nach Gütern aus Land B nicht fällt. Alternative Modellannahmen oder Nutzenfunktionen können aber sicher zu anderen Wohlfahrtsrückschlüssen führen.

Gewinnverschiebungen und Zinsausgleich nicht berücksichtigt

Insgesamt sind die konkreten quantitativen Ergebnisse des stark stilisierten Modells mit Vorsicht zu interpretieren. So hat die bereits erwähnte vergleichsweise starke Separierung der regionalen Kapitalmärkte deutlichen Einfluss auf die Ergebnisse. Eine gewichtige Einschränkung ist zudem, dass unser Rahmen keine Standortwahl und Gewinnverschiebungen bzw. Steuervermeidungen von multinationalen Unternehmen berücksichtigt. Auch lässt es der gewählte Modellrahmen nicht zu, dass es durch die Steuerreformen zu langfristigen Zinsänderungen kommt. Werden sehr homogene Güter unterstellt und ein grenzübergreifenderer Zinsausgleich zugelassen, scheint es plausibel, dass das Hochsteuerland relativ stärker gewinnt und das Niedrigsteuerland verliert. Auch die weltweite Wirtschaftsleistung könnte schrumpfen. Für eine erste Analyse der makroökonomischen Wirkungen der diskutierten Reform erscheint das Papier dennoch ein guter Einstieg: Die Analyse zeigt Wirkungskanäle auf, die nicht sofort offensichtlich sind. Follow-Up-Projekte, die die Begrenzungen angehen, sind aber sicher notwendig.

Kempkes, G., & Stähler, N. (2021). Re-allocating taxing rights and minimum tax rates in international profit taxation.

©KOF ETH Zürich, 27. Mai. 2021

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