Zu den Dingen, die die Ökonomen von Karl Marx lernen können, gehört, dass eine Ökonomie, die den Menschen dienen will, zuvorderst eine Position zum Menschen und seiner Natur beziehen muss. Ökonomische Forschung ohne ein Menschenbild, das mehr ist als die krude Karikatur des homo oeconomicus, kann sich zu den Wohlfahrtseffekten wirtschaftlichen Handelns nur sehr bedingt äußern. An der Diskussion der Verteilungsfrage lässt sich das zeigen. Zu den Dingen, die die Ökonomen von Karl Marx lernen können, gehört, dass eine Ökonomie, die den Menschen dienen will, zuvorderst eine Position zum Menschen und seiner Natur beziehen muss. Ökonomische Forschung ohne ein Menschenbild, das mehr ist als die krude Karikatur des homo oeconomicus, kann sich zu den Wohlfahrtseffekten wirtschaftlichen
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Zu den Dingen, die die Ökonomen von Karl Marx lernen können, gehört, dass eine Ökonomie, die den Menschen dienen will, zuvorderst eine Position zum Menschen und seiner Natur beziehen muss. Ökonomische Forschung ohne ein Menschenbild, das mehr ist als die krude Karikatur des homo oeconomicus, kann sich zu den Wohlfahrtseffekten wirtschaftlichen Handelns nur sehr bedingt äußern. An der Diskussion der Verteilungsfrage lässt sich das zeigen.
Zu den Dingen, die die Ökonomen von Karl Marx lernen können, gehört, dass eine Ökonomie, die den Menschen dienen will, zuvorderst eine Position zum Menschen und seiner Natur beziehen muss. Ökonomische Forschung ohne ein Menschenbild, das mehr ist als die krude Karikatur des homo oeconomicus, kann sich zu den Wohlfahrtseffekten wirtschaftlichen Handelns nur sehr bedingt äußern. An der Diskussion der Verteilungsfrage lässt sich das zeigen.
In den letzten Jahren wird viel diskutiert über die weltweite und nationale Entwicklung der Einkommens- und Vermögensverteilung. Nicht nur ist die genaue Form dieser Entwicklung trotz der vielen, sich teilweise widersprechenden Studien noch immer strittig, die "normale" ökonomische Wissenschaft des reinen Marktes bleibt auch in ihren Bewertungsversuchen erstaunlich indifferent gegenüber der Verteilungsfrage. Diese Indifferenz, die in so deutlichem Kontrast steht zur Perspektive des Begründers der Schule des historischen Materialismus Karl Marx, fußt auf einer Position, die sich etwa folgendermaßen zusammenfassen lässt: "Solange das reale Einkommen jeder Person einer Volkswirtschaft absolut steigt, steigt auch die Wohlfahrt aller Personen. Einkommensverteilung und relative Entwicklung der Einkommensverhältnisse sind für die Bestimmung der objektiven Wohlfahrt irrelevant."
Viele Ökonomen erkennen an, dass die Verteilung von Einkommen und Vermögen für das subjektive Empfinden der Menschen nicht irrelevant ist, und dass sich aus diesem Empfinden reale Gefahren zum Beispiel für die Stabilität der Demokratie ergeben können. Diese Gefahr entspringt in dieser Perspektive aber einem letztlich irrationalen Impuls. Das ist folgerichtig: Wer den Menschen als Einkommensmaximierer modelliert, der von den Mechanismen es Marktes auch dann noch profitiert, wenn sein Nachbar "tüchtiger" ist und entsprechend mehr verdient, kann in der Ablehnung einer wachsenden Ungleichverteilung nur den Ausdruck eines Neidimpulses sehen. Das Gefühl des Neides ist irrational, weil es, wenn die Gesellschaft in ihren Handlungen davon geleitet wird, zu einem Verlust an Wohlfahrt für jeden Einzelnen führt, so diese in sich konsistente Argumentation.
Das Problem dieser Interpretation der Verhältnisse liegt in ihren Grundprämissen der Annahme des einkommensmaximierenden Menschen. Diese Grundprämisse ist in einer funktionierenden entwickelten Marktwirtschaft dicht genug an der Wirklichkeit, um den Ökonomen in wirtschaftlichen Fragen oft Erklärungen und sogar Vorhersagen von für eine Gesellschaftswissenschaft verblüffender Genauigkeit zu ermöglichen. Das Modell des einkommensmaximierenden Menschen ist eine bewusste Abstraktion, die, wie etwa die Newtonsche Physik, sehr erfolgreich der Konstruktion sogenannter "middle range Theorien" dient. Das sind Theorien, die einen begrenzten Ausschnitt der Wirklichkeit genau genug beschreiben, um in diesem Bereich unser praktisches Handeln zu leiten. Zentral dafür ist, dass die Rahmenbedingungen des betroffenen Wirklichkeitsausschnittes durch Theorie und Handeln nicht berührt, sondern konstant gehalten werden. Für die Rettung der Newtonschen Physik etwa muss die Zeit als konstant und exogen betrachtet werden; im Fall der Ökonomie werden zum Beispiel Struktur und Institutionen des Marktes als gegeben angesehen.
Wird diese Prämisse eines gegebenen strukturellen und institutionellen Rahmens aufgegeben, wird auch deutlich, dass das Modell des einkommensmaximierenden Menschen nicht sehr weit trägt. Das Modell und die darauf aufbauende reine Markttheorie haben auch dann noch wenig zur Frage der optimalen Gestaltung von Institutionen beizutragen, wenn etwa Transaktionskosten in Betracht gezogen werden. Der Grund dafür ist, dass die Einkommensmaximierung nur unter der Annahme des hypothetischen vollkommenen Marktes das Zielsystem des Menschen genau abbildet. Der utopische unerbittliche Markt der vollkommenen Konkurrenz wird aber seinerseits den Bedürfnissen des Menschen nicht vollumfänglich gerecht, weil der Mensch Freiräume zum Spielen und Experimentieren, zum Fehlermachen und Ineffizient-Sein benötigt. Dass der Arbeitskontext dabei aus einer Analyse von Wohlfahrtsbedingungen nicht ausgeklammert werden darf, hat Marx (1968[1944]: 515) hervorgehoben, als er im Kontext der Idee der „entfremdeten Arbeit" klagt: „Der Arbeiter fühlt sich daher erst außer der Arbeit bei sich und in der Arbeit außer sich. Zu Hause ist er, wenn er nicht arbeitet, und wenn er arbeitet, ist er nicht zu Hans. Seine Arbeit ist daher nicht freiwillig, sondern gezwungen, Zwangsarbeit. Sie ist daher nicht die Befriedigung eines Bedürfnisses, sondern sie ist nur ein Mittel, um Bedürfnisse außer ihr zu befriedigen."
Kein reiner Konsument
Der Mensch ist nicht das "konsumierende Tier". Er hebt sich auch nicht durch seine Mehrung materiellen Wohlstandes von anderen Lebewesen ab, obwohl diese Fähigkeit zur Vorratshaltung eine wichtig Voraussetzung für unsere Entwicklung war, denn der Mensch ist schutzbedürftig und verletzlich wie alle anderen Lebewesen auch. Der Mensch akkumuliert aber nicht nur Ressourcen, um sich zu schützen, sondern auch aus dem Bedürfnis nach einer aktiven Gestaltung seiner Umwelt heraus. Wir möchten "Eindrücke hinterlassen", unsere Umwelt unseren individuellen Bedürfnissen anpassen, sie im Großen wie im Kleinen so gestalten, dass sie uns gefällt und dient. Kant hat gezeigt, dass moralisches als in diesem Sinne gestaltendes Handeln nur möglich wird, wenn die Ratio uns von den Fesseln unserer Triebe und Instinkte befreit. Die Existentialisten haben erkannt, dass dem aufgeklärten Menschen nichts anderes übrig bleibt, als sich den Sinn des eigenen Lebens immer wieder neu zu schaffen. Hannah Arendt hat festgestellt, dass der Mensch sein ihm innewohnendes Potential zur Autonomie erst realisieren kann, wenn er dem Zwang zur Arbeit aus purer Notwendigkeit enthoben ist. Oder, in den Worten von Marx (1968[1944]: 516): "In der Art der Lebenstätigkeit liegt der ganze Charakter einer Species, ihr Gattungscharakter, und die freie bewusste Tätigkeit ist der Gattungscharakter des Menschen."
Der Mensch verwirklicht sein spezifisches Potential, wenn er gestaltend wirken kann, und er strebt dafür nach einer Maximierung seiner Autonomie. Weil die freie Verfügung über Ressourcen eine zentrale Voraussetzung der Autonomie ist, agiert der Mensch im Kontext der Marktwirtschaft im Sinne der Systemlogik verlässlich als Einkommensmaximierer. In wie fern er aber die so gewonnenen Ressourcen zur Gestaltung seiner Umwelt im eigenen Sinne einzusetzen vermag, hängt von weiteren Argumenten ab. Eines dieser Argumente besteht in der Fähigkeit zur Kooperation mit anderen, die ähnliche Ziele und Vorstellungen verfolgen; ein anderes Argument besteht in der Macht derjenigen, deren Ziele und Vorstellungen den eigenen entgegenlaufen. Egal, über wie viele Ressourcen ich und meine Mitstreiter verfügen: Wenn die, die keinen Bolzplatz oder keine Tafel in der Nachbarschaft wollen, über sehr viel mehr Ressourcen verfügen, sinkt die Wahrscheinlichkeit für die Realisierung der entsprechenden Projekte damit dramatisch. Die Verteilung der Ressourcen gewinnt in diesem Moment gegenüber ihrem absoluten Wert an Bedeutung.
Institutionen der kooperativen Koordination sind gefragt
Wenn man also das Modell es einkommens- durch das philosophisch und anthropologisch besser gedeckte Modell des autonomiemaximierenden Menschen ersetzt, gewinnen Institutionen der kooperativen Koordination gegenüber Institutionen der nicht-kooperativen spontanen Koordination wie dem Markt an Bedeutung. Kooperative Koordination setzt Strukturen voraus, wie wir sie in Vereinen, Unternehmen und anderen Organisationen aber auch in Familien und Nationen vorfinden. Gleichzeitig kommt jetzt der Frage der Ressourcenverteilung eine nicht mehr nur subjektive, sondern ganz handfeste objektive Bedeutung für die menschliche Wohlfahrt zu. Die Menschen, die sich über Verteilungsfragen Gedanken machen, lassen sich bei einem entsprechend humanistisch fundierten Bild vom aufgeklärten Menschen, das an die Stelle des allzu stark vereinfachenden einkommensmaximierenden homo oeconomicus tritt, nicht mehr als irrational Neider abqualifizieren. Die Sorge um die Einkommens- und Vermögensverteilung unter den Menschen ist vielmehr gerechtfertigt, weil eine starke Vermögenskonzentration eine große Machtkonzentration bedeutet und weil die Macht des Einen immer auch die Ohnmacht des Anderen impliziert: "Der Kapitalist besitzt diese Gewalt, nicht seiner persönlichen oder menschlichen Eigenschaften wegen, sondern insofern er Eigentümer des Kapitals ist" (Marx, 1968[1944]: 484). Eine ökonomische Wissenschaft, die mit dieser Einschätzung konstruktiv umgehen möchte, muss sich zunächst mit dem eigenen Menschenbild und seinen Implikationen ernsthaft auseinandersetzen.
Marx, Karl (1968[1944]): Ökonomisch-philosophische Manuskripte. In: K. Marx u. F. Engels, Werke, Ergänzungsband, 1. Teil, S.465-588, Dietz Verlag, Berlin.
©KOF ETH Zürich, 11. Mai. 2018