Der Verkehr in vielen Städten steht vor dem Kollaps – mit den entsprechenden negativen Auswirkungen auf die Umwelt. Der richtige Einsatz von ICT-basierten geteilten (shared) Mobilitätsdienstleistungen könnte hier Abhilfe leisten, wie dieser Beitrag zeigt. Die Städte stehen derzeit im Fokus der Reformdebatte des Verkehrs. Hierfür sind vielerlei Gründe zu erkennen.[ 1 ] Verkehrsüberlastung bis hin zum Verkehrskollaps führen zu massiven Zeitverlusten, so dass oft wichtige Termine nicht mehr rechtzeitig eingehalten werden können, Fahrten zum Arbeitsplatz oder auch Kundendienste verschlingen eine Unmenge Zeit. Hinzu kommen erhebliche Luftverschmutzung und Lärmbelästigung. Die politische Kontroverse über kurzfristige Ad-hoc-Lösungsansätze wie (temporäre) Fahrverbote und kostenlosen
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Der Verkehr in vielen Städten steht vor dem Kollaps – mit den entsprechenden negativen Auswirkungen auf die Umwelt. Der richtige Einsatz von ICT-basierten geteilten (shared) Mobilitätsdienstleistungen könnte hier Abhilfe leisten, wie dieser Beitrag zeigt.
Die Städte stehen derzeit im Fokus der Reformdebatte des Verkehrs. Hierfür sind vielerlei Gründe zu erkennen.[ 1 ] Verkehrsüberlastung bis hin zum Verkehrskollaps führen zu massiven Zeitverlusten, so dass oft wichtige Termine nicht mehr rechtzeitig eingehalten werden können, Fahrten zum Arbeitsplatz oder auch Kundendienste verschlingen eine Unmenge Zeit. Hinzu kommen erhebliche Luftverschmutzung und Lärmbelästigung. Die politische Kontroverse über kurzfristige Ad-hoc-Lösungsansätze wie (temporäre) Fahrverbote und kostenlosen ÖPNV hat inzwischen an Fahrt gewonnen. Der folgende Beitrag widmet sich demgegenüber der Problematik, wie aus längerfristiger Perspektive die Verkehrsüberlastung in urbanen Regionen und damit einhergehende Umweltbelastungen angegangen werden können. Die von der International Telecommunication Union (ITU) eingesetzte Focus Group on Smart Sustainable Cities (FG-SSC) geht davon aus, das die Städte derzeit über 70 Prozent der globalen Treibhausgasemissionen und 60-80 Prozent des globalen Energiekonsums verursachen. Es wird erwartet, dass der Trend der Landflucht in Richtung Städte weltweit zunehmen wird und basierend auf Schätzungen 70 Prozent der Weltbevölkerung im Jahre 2050 in Städten leben werden[ a ].
Die Rolle von Städten als Big-Data-Zentren
Die weltweiten Initiativen für intelligente nachhaltige Städte gehen davon aus, dass Probleme der Verkehrsüberlastung und Umweltverschmutzung nicht punktuell und isoliert angegangen werden können. Vielmehr ist ein ganzheitlicher Ansatz erforderlich, der im Kern in der Integration von modernen Informations- und Kommunikationsdiensten (ICT) mit den städtischen Infrastrukturen liegt. Echtzeitbasierte, adaptive Kommunikationssysteme und räumlich differenzierte Datenerhebungen ermöglichen den Aufbau von Sensornetzen und damit einhergehende Maschine-zu-Maschine-Kommunikation (Internet der Dinge), mit deren Hilfe solch unterschiedliche Bereiche wie Energie und Wasser, Transport, öffentliche Sicherheit und Notfalldienste, Umwelt und Müllmanagement, smarte Gebäude und digitale Haushalte zu intelligenten (smart) Infrastrukturdienstleistungen "upgegraded" werden können (ITU-T 2015, Knieps 2017b). Städte entwickeln sich zunehmend zu Big-Data-Zentren, so dass sich vielfältige Sharing Aktivitäten entwickeln können (OECD 2015). Ein wichtiges Feld für die Entwicklung der Nachhaltigkeit von Städten stellt die lokale Vernetzung der Erzeugung und des Konsums erneuerbarer Energien dar. Damit die Sharing Potenziale erneuerbarer Energien in Städten genutzt werden können, ist der Aufbau von Microgrids erforderlich, so dass die daran angeschlossenen Haushalte in ihrer neuen Rolle als Prosumer die lokal erzeugte Energie (z.B. mittels Photovoltaikanlagen) vor Ort gemeinsam konsumieren können und dabei diesen Haushaltsstrom z.B. auch für das Tanken von Elektroautos in den Schwachlastzeiten nutzen können. Echtzeitbasierte sensorgesteuerte Prosumerentscheidungen müssen über einen lokalen Plattformanbieter aggregiert werden, damit die fehlende Energie vom Verteilnetzbetreiber bezogen werden bzw. überschüssige Energie weiterverkauft werden kann (Knieps 2017a).
Potenziale ICT-basierter Mobilitätsdienstleistungen in Städten
Verkehrsüberlastung und damit einhergehende Umweltprobleme sind ein weltweites Phänomen. Im Zentrum der aktuellen Reformdebatte stehen ICT-basierte Innovationen insbesondere im Straßenverkehr, die Sharing-Möglichkeiten im städtischen Nahverkehr fundamental erweitern und innovative shared Mobilitätsdienstleistungen ermöglichen. Beispiele für innovative Mobilitätsdienste sind Carsharing, Bikesharing, Ride-sourcing-Plattformen (z.B. Uber, Lyft), Taxi Apps, App-basierte Rufbusdienste und shared Taxis (Transportation Research Board 2015). Erhebliche Potenziale für eine Reduktion von Staus und Luftverschmutzung durch echtzeitbasiertes vernetztes Pooling von Taxidiensten wurden in einer großangelegten empirischen Studie für New York City aufgezeigt. Als Ergebnis zeigt sich für die Fallstudie New York, dass die kumulative Fahrtlänge durch vernetztes Taxisharing um mindestens 40 Prozent verkürzt werden kann (Santi et al. 2014). Es wird erwartet, dass in Zukunft auch das vernetzte voll automatisierte (fahrerlose) Fahren an Bedeutung gewinnt (Wissenschaftlicher Beirat beim Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur 2017). Kontrovers diskutiert wird einerseits die Frage, welche Auswirkungen die Entwicklung von innovativen shared Mobilitätsdienstleistungen auf der Straße auf den traditionellen individuellen Autoverkehr hat, und andererseits inwieweit öffentliche schienengebundene Verkehrsangebote hierdurch beeinträchtigt oder gefördert werden. Für die USA zeichnet O'Toole (2017) ein düsteres Bild für den öffentlichen Verkehr (public transit), insbesondere aufgrund der Konkurrenz durch shared fahrerlose Mobilitätsdienstleistungen, die durch Ride-sourcing-Plattformen angeboten werden. Aber in vielen Städten spielen schienengebundene Mobilitätsdienstleistungen nach wie vor eine zentrale Rolle, zumal auch hier ICT-basierte Innovationen (App-basierte Echtzeitinformationen, E-Tickets etc.) Einzug halten.
Verschiedene Simulationsstudien untersuchen die Potenziale von innovativen shared Mobilitätskonzepten in einem realen urbanen Kontext und unter Verwendung realer Mobilitäts- und Netzdaten für unterschiedliche Reformszenarien. Im Fokus steht dabei insbesondere die Frage nach den Möglichkeiten einer Reduktion der Stauprobleme und damit einhergehend auch der Umweltbelastung (OECD/ITF 2015; OECD/ITF 2016; OECD/ITF 2017a; Spieser et al. 2014). So wird unterschieden, ob sämtliche private Pkws ersetzt werden oder lediglich eine bestimmte Teilmenge, ob das ÖPNV-Angebot mit Bussen und Bahnen beibehalten wird oder ob Busverkehr ebenfalls durch shared Mobilitätsdienste ersetzt wird, es werden unterschiedliche shared Mobilitätsdienste unterschieden, etwa die gleichzeitige Beförderung mehrerer Personen oder die individuelle sequenzielle Beförderung. Auch wird unterschieden, ob die Fahrt mit einem Fahrer durchgeführt wird oder fahrerlos (voll automatisiertes Fahren). Schließlich wird auch die Rolle von Zubringerdiensten für Fernverkehr untersucht.
Ausgangspunkt verschiedener Studien über shared Mobilitätsdienstleistungen ist implizit die Frage nach den Auswirkungen einer völligen Abkehr von privaten Pkws. Basierend auf aktuellen Transportdaten wird in einer Fallstudie für Singapur (Spieser et al. 2014) aufgezeigt, dass bei einem vollständigen Übergang zu einer Flotte von fahrerlosen Fahrzeugen lediglich ein Drittel der Gesamtzahl der bisherigen individuellen Pkws erforderlich ist. Dabei werden auch die zusätzlichen Vorteile voll automatisierter fahrerloser Fahrzeuge hinsichtlich der Reduktion von Stau, Emissionen und Lärm hervorgehoben, die durch präzises Monitoring und umweltschonende Geschwindigkeitsprofile ermöglicht wird. In einer Simulationsstudie von shared Mobilitätsdienstleistungen für die größte Stadt Neuseelands, Auckland (OECD/ITF 2017a), wird der Einsatz von shared Taxis für bis zu 6 Personen für Haus-zu Haus-Beförderung, sowie von Taxi-Bussen mit 8-16 Sitzen, die einen „Street-corner-to-street-corner"-Dienst bei einer Buchung 30 Minuten vor Abfahrt anbieten, untersucht, insbesondere die Auswirkungen auf den öffentlichen Transport, Parkraumbedarf, Stau und Emissionen. Auch wird der Einfluss des Übergangs zu einem voll automatisierten, fahrerlosen System analysiert. Das Ergebnis der Simulationsstudie zeigt, dass sich bei einem vollständigen Übergang von privaten Autofahrten zu shared Mobilitätsdiensten die gesamte zurückgelegte Distanz aller Fahrzeuge halbieren würde; ebenso würden sich Emissionen und Stauaufkommen halbieren.
Aber selbst wenn nur eine Teilmenge der Autofahrer zu shared Mobilitätsdiensten wechseln würde, wäre dadurch bereits eine signifikante Reduktion der Gesamtzahl gefahrener Kilometer und CO2-Reduktionen zu erwarten. Falls die Fahrzeugflotte aus Elektrofahrzeugen besteht, wären zusätzliche erhebliche CO2-Reduktionen zu erwarten. Shared Mobilitätsdienste können auch als Zubringer für Eisenbahn und Schnellbusse dienen, so dass dadurch auch die Nutzung des hochkapazitätsfähigen öffentlichen Transports ansteigen würde (OECD/ITF 2017a, S. 6f.). In einer Simulationsstudie für den realen urbanen Kontext der Stadt Lissabon (als Beispiel für eine mittelgroße europäische Stadt) werden u.a. die Auswirkungen der Einführung einer Flotte von shared fahrerlosen Autos untersucht, die entweder mehrere Fahrgästen gleichzeitig ("TaxiBots") oder sequentiell einzelne Fahrgäste befördern ("AutoVots").
Dabei wird davon ausgegangen, dass diese Fahrzeuge sämtliche individuellen Pkws und den Busverkehr ersetzen, dass jedoch der hochkapazitätsfähige schienengebundene öffentliche Verkehr beibehalten wird (OECD/ITF 2015). Ein zentraler Plattformanbieter ("Dispatcher") übernimmt die Koordination der Fahrzeuge, die dynamisch auf dem Straßennetz geroutet werden, um Passagiere aufzunehmen und an ihrem Zielort wieder abzugeben. Abhängig von heterogenen Reisebedürfnissen werden unterschiedliche Qualitätsstandards hinsichtlich Wartezeit, Fahrzeit, Einzelbeförderung oder Gruppenbeförderung bereitgestellt. Es wird in den Simulationsstudien davon ausgegangen, dass die Fahrten nach der zentralen Einführung von TaxiBots und AutoVots nicht mehr mit individuellen Pkws und Bussen durchgeführt werden und dass die Gesamtzahl der Fahrten hinsichtlich Abfahrort, Zielort und Zeitpunkt gleich bleibt.
Als Ergebnis zeigt sich, dass ein zentrales TaxiBot-System kombiniert mit hochkapazitätsfähigem schienengebundenem Verkehr für die Durchführung dieser Fahrten lediglich 10 Prozent der Fahrzeuge benötigt. Insgesamt würden 6 Prozent mehr Fahrkilometer zurückgelegt werden, falls nicht nur die bisherigen privaten Fahrzeuge und Taxis, sondern auch die Busfahrten ersetzt werden. Das Stauproblem in Spitzenlastzeiten würde nach Einführung eines TaxiBot-Systems in Kombination mit öffentlichem schienengebundenem Verkehr erheblich reduziert, da 65 Prozent weniger Fahrzeuge in Spitzenlastzeiten im Einsatz wären (OECD/ITF 2015, S. 5). In einer Folgestudie (OECD/ITF 2016) wird das Setting des shared Transportdienstleistungsangebots verändert, indem die Einzelbeförderung in AutoVots aufgehoben ist. Stattdessen wird unterschieden zwischen shared Mobilität mittels On-Demand-Taxis mit sechs Sitzen („shared taxis) einerseits und Taxi-Bussen für acht Personen sowie Minibussen für 16 Personen, die „Stops on demand" anbieten. Eisenbahn- und U-Bahn-Angebote bleiben nach wie vor unverändert.
Als Ergebnis zeigt sich, dass der Stau verschwindet, die Emissionen des Verkehrs um ein Drittel verringert werden und 95 Prozent weniger Parkraum benötigt wird. Die Fahrzeugflotte würde lediglich 3 Prozent der heutigen Anzahl Fahrzeuge umfassen (OECD/ITF 2016, S. 8). Die positiven Auswirkungen hinsichtlich des Abbaus von Staus und Umweltbelastungen werden bei einer Ausweitung auf den Großraum Lissabon noch übertroffen, wobei auch die komplementäre Zubringerfunktion von shared Mobilitätsdienstleistungen für den schienengebundenen Verkehr eine stärkere Bedeutung erlangt (OECD/ITF 2017b).
Fazit
Die in den Simulationsstudien aufgezeigten Staureduktionspotentiale und die damit einhergehende Reduktion der Luftverschmutzung zeigen, dass ein Verharren im Status quo von Verkehrsüberlastung bis hin zum Verkehrskollaps kein Naturgesetz ist. Die Potenziale für ICT-basierte shared Mobilitätsdienstleistungen sollten sich voll entfalten können, um Anreize für eine Abkehr von individualisiertem Pkw-Verkehr zu setzen. Gleichzeitig gilt es, die Potenziale des schienengebundenen hochkapazitätsfähigen Verkehrs für ICT-basierte Mobilitätsdienstleistungen zu nutzen.
ITU-T (2015), Overview of smart sustainable cities infrastructure, Focus Group Technical Report, ITU-T FG-SSC, Genf.
Knieps, G. (2017a), Internet of Things and the economics of microgrids, in F. Sioshansi (Ed.), Innovation and Disruption at the Grid’s Edge, Academic Press/Elsevier, Amsterdam et al., 241-258.
Knieps, G. (2017b), Internet of Things and the economics of smart sustainable cities, Competition and Regulation in Network Industries, 18/1-2, 115-131.
OECD (2015), Data-Driven Innovation: Big Data for Growth and Well-Being, Paris: OECD Publishing, Paris.
OECD/ITF (2015), Urban Mobility System Upgrade: How shared self-driving cars could change the city traffic, International Transport Forum, Paris, www.itf-oecd.org.
OECD/ITF (2016), Shared Mobility: Innovation for Liveable Cities[ b ], International Transport Forum, Paris.
OECD/ITF (2017a), Shared Mobility: Simulations for Auckland[ b ], International Transport Forum, Paris,
OECD/ITF (2017b), Transition to Shared Mobility – How large cities can deliver inclusive transport services[ b ], International Transport Forum, Paris.
O'Toole, R. (2017), The Coming Transit Apocalypse, Policy Analysis, Cato Institute, October 24, Number 824, 1-18.
Santi, P., G. Resta, M. Szell, S. Sobolevsky, S. H. Strogatz and C. Ratti (2014), Quantifying the Benefits of Vehicle Pooling with Shareability Networks, Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS), 111(37), 13290–13294.
Spieser, K., K.B. Treleaven, R. Zhang, E. Frazzoli, D. Morton and M. Pavone(2014), Toward a Systematic Approach to the Design and Evaluation of Automated Mobility-on-Demand Systems: A Case Study in Singapore, in G. Meyer, S. Beiker (Eds), Road Vehicle Automation (Lecture Notes in Mobility), Springer, Cham et al., 229-245.
Transportation Research Board (2015), Between Public and Private Mobility: Examining the Rise of Technology-Enabled Transportation Services, Committee for Review of Innovative Urban Mobility Services, The National Academy of Sciences, The National Academy Press, Special Report 319, Washington, DC.
Wissenschaftlicher Beirat beim Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur (2017), Automatisiertes Fahren im Straßenverkehr – Herausforderungen für die zukünftige Verkehrspolitik[ c ], erschienen in: Straßenverkehrstechnik (1.Teil 8/ 533-539; 2. Teil 9/622-628)
©KOF ETH Zürich, 15. Mai. 2018