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Firmen – Die Gewinner der Personenfreizügigkeit

Summary:
Viele Unternehmer in der Schweiz sagen, dass die Personenfreizügigkeit für den Erfolg ihres Unternehmens zentral sei. Doch hat die Personenfreizügigkeit die Firmen tatsächlich grösser, produktiver und innovativer gemacht? Ja, wie dieser Beitrag zeigt: Die Firmen wurden grösser und innovativer, einige wurden auch produktiver. Sie entschieden sich aufgrund der Personenfreizügigkeit sogar, vermehrt in der Schweiz zu produzieren. Fast drei Jahre nach dem Ja zur Masseneinwanderungsinitiative (MEI) hat das Schweizer Parlament den "Inländervorrang light" beschlossen. Künftig müssen Firmen den regionalen Arbeitsämtern offene Stellen melden, die Berufe betreffen, in denen es viele ansässige Arbeitslose gibt. Eine entscheidende Frage bei der Diskussion zur Umsetzung der MEI war, welchen Einfluss die Wiedereinführung von Zuwanderungsbeschränkungen auf die Firmen in der Schweiz hätte. Aussagen von Schweizer Firmen suggerieren, dass diese Auswirkungen erheblich wären. In einer Umfrage von BAK Basel meint die Hälfte aller Firmen, dass europäische Fachkräfte für den Erfolg der Firma wichtig sind; ein Viertel der Unternehmen ist sogar überzeugt, dass Arbeitskräfte aus der EU für ihren Erfolg unersetzlich sind.

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Viele Unternehmer in der Schweiz sagen, dass die Personenfreizügigkeit für den Erfolg ihres Unternehmens zentral sei. Doch hat die Personenfreizügigkeit die Firmen tatsächlich grösser, produktiver und innovativer gemacht? Ja, wie dieser Beitrag zeigt: Die Firmen wurden grösser und innovativer, einige wurden auch produktiver. Sie entschieden sich aufgrund der Personenfreizügigkeit sogar, vermehrt in der Schweiz zu produzieren.

Fast drei Jahre nach dem Ja zur Masseneinwanderungsinitiative (MEI) hat das Schweizer Parlament den “Inländervorrang light” beschlossen. Künftig müssen Firmen den regionalen Arbeitsämtern offene Stellen melden, die Berufe betreffen, in denen es viele ansässige Arbeitslose gibt. Eine entscheidende Frage bei der Diskussion zur Umsetzung der MEI war, welchen Einfluss die Wiedereinführung von Zuwanderungsbeschränkungen auf die Firmen in der Schweiz hätte. Aussagen von Schweizer Firmen suggerieren, dass diese Auswirkungen erheblich wären. In einer Umfrage von BAK Basel meint die Hälfte aller Firmen, dass europäische Fachkräfte für den Erfolg der Firma wichtig sind; ein Viertel der Unternehmen ist sogar überzeugt, dass Arbeitskräfte aus der EU für ihren Erfolg unersetzlich sind. Würden neue Zuwanderungshürden also das Wachstum der Firmen in der Schweiz beeinträchtigen? Würden solche Hürden dazu führen, dass Firmen ihre Produktion ins Ausland verlagern oder dass sich weniger Unternehmen in der Schweiz ansiedeln?

Antworten auf diese Fragen finden sich in einer neuen Studie der KOF Konjunkturforschungsstelle der ETH Zürich. Konkret untersuchen wir, wie sich die Abschaffung der Zuwanderungshürden auf die Firmen ausgewirkt hat, die im Zuge der Einführung der Personenfreizügigkeit erfolgte. Aus den Ergebnissen lässt sich nicht nur ableiten, ob die Firmen von der Personenfreizügigkeit profitiert haben. Es lassen sich auch Erkenntnisse gewinnen, welche Effekte die Wiedereinführung von Zuwanderungshürden auf die Firmen hätten.

Für die Analyse nutzen wir aus, dass die Öffnung des schweizerischen Arbeitsmarktes einen ungewollten Nebeneffekt hatte: Sie betraf Firmen in Grenznähe in den ersten Jahren stärker. Das lag daran, dass die Personenfreizügigkeit den Schweizer Arbeitsmarkt nicht nur für europäische Zuwanderer öffnete. Auch europäische Grenzgänger profitierten von einem deutlich erleichterten Arbeitsmarktzugang. So wurden im Juli 2002 die Rechte der Grenzgänger auf berufliche und geographische Mobilität deutlich ausgebaut und sie mussten fortan nicht mehr täglich an ihren Wohnort zurückkehren. Im Juni 2004 wurde zudem der Inländervorrang für Grenzgänger aufgehoben. Ab diesem Zeitpunkt mussten Firmen nicht mehr nachweisen, dass es keinen Ansässigen gibt, welcher für die Stelle ähnlich gut geeignet ist. Der bürokratische Prozess, der den Inländervorrang sichergestellt hatte, hatte gerade für kleinere Firmen eine nicht zu unterschätzende administrative Hürde bei der Anstellung von Grenzgängern dargestellt.

Die Liberalisierungen für die Grenzgänger liessen ihre Zahl in der Schweiz stark ansteigen: Heute gibt es über 150 000 Grenzgänger mehr als anfangs 2002. Der Natur der Sache entsprechend fand diese Zunahme vor allem in grenznahen Regionen statt. Abbildung 1 zeigt die Entwicklung der Grenzgänger im Verhältnis zur Gesamtbeschäftigung über den Zeitverlauf. Die Abbildung illustriert, dass der Beschäftigungsanteil der Grenzgänger nach 2000 in Gemeinden, die weniger als 10 Pendelminuten von einem Grenzübergang entfernt sind, stark anstieg. Heute ist in diesen Gemeinden jeder vierte Beschäftigte ein Grenzgänger. Die Abbildung zeigt auch, wie stark die Zunahme der Grenzgänger auf grenznahe Gebiete konzentriert war. In Gemeinden, die mehr als 30 Pendelminuten von einem Grenzübergang entfernt sind, spielen Grenzgänger auch heute noch kaum eine Rolle.

Abbildung 1: Entwicklung der Grenzgänger im Verhältnis zur Gesamtbeschäftigung

Unsere Studie zeigt, dass die Arbeitsmarktreformen einen beträchtlichen Teil des Anstiegs der Grenzgängerbeschäftigung verursachten. Sie zeigt auch, dass die Beschäftigung von Ausländern als Ganzes – also Grenzgänger und eigentliche Zuzügler – in Grenznähe stärker wuchs als weiter weg von der Grenze. Das gilt insbesondere für die Zeit zwischen 2002 und 2007.

Wie hat sich der erleichterte Rückgriff auf Ausländer auf die Grösse, die Produktivität und die Innovationskraft der Firmen in Grenznähe ausgewirkt? Weil die Arbeitsmarktöffnung die Grenzregionen insbesondere zwischen 2002 und 2007 stärker betraf, gehen wir dieser Frage nach, indem wir die Entwicklung der Firmen in der Nähe von Grenzübergängen in dieser Periode mit der Entwicklung in Firmen vergleichen, welche weiter von der Grenze entfernt angesiedelt sind. Dazu analysieren wir verschiedene Firmendatensätze aus den 1990er- und 2000er-Jahren.

Positiver Einfluss auf Firmen in Grenznähe

Unsere Resultate zeigen, dass der einfachere Zugang zu den Arbeitskräften aus dem Ausland das Wachstum von Firmen in Grenznähe klar positiv beeinflusst hat. Grenznahe Firmen konnten ihre Umsätze stärker steigern als Firmen weiter entfernt von der Grenze. Die statistischen Schätzungen in der Studie deuten darauf hin, dass die Erleichterungen in der Periode 2002 bis 2007 Umsatzsteigerungen von ungefähr 8–11% verursachten. Gleichzeitig stellten die Firmen auch deutlich mehr Personal an.

Wie lässt sich das stärkere Beschäftigungs- und Umsatzwachstum der Firmen in Grenznähe erklären? Gemäss unseren Resultaten spielen drei Faktoren eine zentrale Rolle. Erstens zeigt sich, dass einige Firmen in den Jahren vor der Einführung der Personenfreizügigkeit unter einem starken Fachkräftemangel litten, was ihr Wachstum hemmte. Die Arbeitsmarktöffnung führte dazu, dass die Firmen weniger Probleme bekundeten, geeignete Personen zu rekrutieren, was sich in deutlich grösserem Beschäftigungswachstum niederschlug. Die betroffenen Firmen griffen dabei vermehrt auf höher qualifiziertes Personal mit mindestens einem Bachelorstudium zurück, was auch für eine stärkere Spezialisierung der Produktionsprozesse spricht. Firmen in Grenznähe, die in den 1990er-Jahren unter einem besonders starken Mangel an qualifizierten Fachkräften litten, wurden im Vergleich zu anderen Firmen nach 2002 auch deutlich produktiver. In Firmen, die nicht unter diesem Mangel litten, führten die Reformen hingegen nicht zu einem Anstieg der gemessenen Arbeitsproduktivität.

Eine zweite Erklärung für das stärkere Wachstum von Firmen in grenznahen Gebieten ist, dass sie innovativer wurden. Es zeigt sich, dass grenznahe Firmen im Vergleich zu anderen Firmen ihre Forschungsabteilungen stark ausbauten. Ein bedeutender Bestandteil der neu angestellten Forscher waren dabei Grenzgänger. Der bessere Zugang zu ausländischen Forschern und der geringere Fachkräftemangel erhöhten auch die gemessenen Innovationsleistungen der grenznahen Firmen. So wuchs die Zahl ihrer Patentanmeldungen nach 2002 deutlich stärker als im grenzfernen Inland. Zudem kamen von den stärker profitierenden Firmen in Grenznähe mehr Produkterneuerungen auf den Markt und es wurden vermehrt neue Prozesse innerhalb der Firmen eingeführt. Die besseren Innovationsleistungen sind in verschiedenen Industriebranchen ersichtlich – in Dienstleistungsunternehmen sind diese Effekte weniger bedeutsam.

Drittens war von Bedeutung, dass die Firmen auf den besseren Zugang zu ausländischen Arbeitskräften reagiert haben, indem sie ihre Produktionstätigkeiten vermehrt in Grenznähe verlagerten, um vom besseren Zugang zu europäischen Fachkräften zu profitieren. Mit anderen Worten: Die Personenfreizügigkeit beeinflusste die Standortentscheide von Firmen. So haben Firmen in grenznahen Regionen nach 2002 deutlich weniger Verlagerungen vorgenommen als grenzfernere Firmen – ein Rückgang, der vor allem die Verlagerungen von Produktions- und einfachere Dienstleistungstätigkeiten betraf. Auch die Zahl der neuen Firmen wuchs in grenznahen Regionen in der Periode nach 2002 stärker als in grenzferneren Regionen. Zudem zeigen unserer Resultate, dass Firmen, die bereits vor Einführung der Personenfreizügigkeit in mehreren Regionen der Schweiz Ableger hatten, ihre Beschäftigung nach 2002 insbesondere in den Arbeitsstätten in Grenznähe erhöhten.

Auwirkungen der verstärkten Migration auf die ansässigen Arbeitskräfte

Wie wirkte sich der Migrationsdruck, der durch die überdurchschnittliche Zuwanderung in Grenznähe entstand, auf die Arbeitsmarktsituation der ansässigen Arbeitskräfte aus? Dieser Frage geht eine Studie von Andreas Beerli und Giovanni Peri nach. Die Autoren gehen dabei sehr ähnlich vor wie wir: Sie betrachten die Lohn- und Beschäftigungsentwicklung in grenznahen Regionen und vergleichen diese mit der Entwicklung in grenzferneren Regionen. Die Autoren finden unter anderem, dass die Löhne von hochqualifizierten Ansässigen in den grenznahen Regionen – trotz grösserem Migrationsdruck – im Schnitt stärker wuchsen als die Löhne von hochqualifizierten Ansässigen im grenzfernen Inland. Dies erklären Sie unter anderem damit, dass die Zuwanderer den Ansässigen ermöglichten beruflich aufzusteigen. Die Löhne von tiefqualifizierten Arbeitnehmern in Grenznähe waren von der Zuwanderung kaum betroffen.

Alles in allem zeigen die Resultate, dass die grenznahen Unternehmen in der Schweiz vom erleichterten Zugang zu Arbeitskräften aus der EU substanziell profitierten. Ohne den Rückgriff auf die Grenzgänger wären die Unternehmen weniger gewachsen und es gäbe weniger Unternehmen in Grenznähe. Die Resultate deuten aber auch darauf hin, dass die Unternehmen den substanziellen Zuzug von Ausländern in den Jahren nach der Arbeitsmarktöffnung mitverursacht haben. Die Personenfreizügigkeit führte dazu, dass Stellen für Ausländer geschaffen wurden, die ohne Personenfreizügigkeit gar nicht erst geschaffen worden wären. Die dadurch gestiegene Nachfrage nach Arbeitskräften dürfte eine wichtige Erklärung dafür sein, warum sich die Arbeitsmarktaussichten für ansässige Arbeitskräfte in den grenznahen Arbeitsmärkten trotz starker Zuwanderung nicht verschlechterten. Unsere Resultate zeigen andererseits aber auch: Eine Reduktion der Zuwanderung in der Schweiz lässt sich nicht erzielen, ohne das Beschäftigungswachstum der Firmen zu beeinträchtigen und damit die wirtschaftliche Entwicklung zu bremsen.

Literatur

J. Ruffner and M. Siegenthaler (2016): From Labor to Cash Flow? The Abolition of Immigration Restrictions and the Performance of Swiss Firms, KOF Working Papers No. 404, Zurich.

BAK, “Bedeutung der Personenfreizügigkeit aus Branchensicht. Ergebnisse einer Unternehmensbefragung,” Technical Report, BAK Basel Economic Research and Consultancy 2013.

Beerli, Andreas and Giovanni Peri, “The Labor Market Effects of Opening the Border: New Evidence from Switzerland,” NBER Working Paper No. 21319, updated October 2016, 2016.

©KOF ETH Zürich, 27. Feb. 2017

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