Betriebe stellen häufig Mitarbeiter im gleichen Zeitraum ein, in dem sie sich von anderen Arbeitskräften trennen. Dieses Phänomen wird auch als “(Worker) Churn” bezeichnet. Die Churn-Rate misst pro Betrieb den Anteil der Arbeitnehmer, die neu hinzugekommen bzw. weggegangen sind, relativ zum Anteil der neu hinzugekommen bzw. weggefallen Arbeitsstellen. Auch in Deutschland ist die Churn-Rate groß, ...
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Betriebe stellen häufig Mitarbeiter im gleichen Zeitraum ein, in dem sie sich von anderen Arbeitskräften trennen. Dieses Phänomen wird auch als “(Worker) Churn” bezeichnet. Die Churn-Rate misst pro Betrieb den Anteil der Arbeitnehmer, die neu hinzugekommen bzw. weggegangen sind, relativ zum Anteil der neu hinzugekommen bzw. weggefallen Arbeitsstellen. Auch in Deutschland ist die Churn-Rate groß, wie dieser Beitrag zeigt. In Aufschwüngen liegt sie bis zu 40 Prozent höher als in Rezessionen. Interessanterweise gilt dieses zyklische Verhalten sowohl für wachsende als auch schrumpfende Betriebe.
Einstellungen und Weggang von Arbeitnehmern innerhalb kurzer Zeiträume lassen sich bei vielen Betrieben beobachten. Burgess et al. (2000) haben hierfür ein Maß eingeführt, das sogenannte “(Worker) Churn”. Es bildet die Differenz ab zwischen der Gesamtzahl der Arbeitnehmerbewegungen (Summe der neu eingestellten und der den Betrieb verlassenden Arbeitnehmer, “Worker-Flows”) zu Stellenbewegungen (Schaffung und Vernichtung von Stellen, “Job-Flows”). Für einen Betrieb, der im Laufe eines Quartals beispielsweise drei Personen einstellt, aber nur eine neue Stelle schafft (da zwei Einstellungen die Abgänge von Beschäftigten kompensieren), lässt sich somit folgendes feststellen: Fünf Worker-Flows (drei Einstellungen und zwei Abgänge) sowie einen Job-Flow (Schaffung einer neuen Stelle). Dieser Betrieb würde einen Churn von vier aufweisen (fünf Worker-Flows abzüglich eines Job-Flows).
Churn wird also nicht nur bei Betrieben mit einer konstanten Mitarbeiteranzahl beobachtet. Auch wachsende Betriebe trennen sich von Mitarbeitern, während schrumpfende Betriebe weiterhin einstellen. Churn wird immer dann beobachtet, wenn ein Betrieb mehr Personen einstellt als neue Stellen geschaffen werden oder mehr Personen den Betrieb verlassen als Stellen abgebaut werden. Aus diesen Umschichtungsmustern auf Betriebsebene lassen sich Rückschlüsse auf die Ursachen von Mitarbeiter-Reallokation ziehen. Für Abwanderungen von Arbeitnehmern bei wachsenden Betrieben kann es verschiedene Gründe geben. So können auf der Mitarbeiterseite bessere alternative Stellenangebote zum Verlassen des Betriebs führen, während aus Sicht des Betriebs beispielsweise die Suche nach besser geeigneten Mitarbeitern Kündigungen begründen kann. Gleichermaßen lassen sich vielfältige Gründe für das Einstellen von Mitarbeitern in schrumpfenden Betrieben finden.
Mit Hilfe des neu erstellten “Administrative Wage and Labor Market Flow Panel” (AWFP) Datensatzes, der Quartalsdaten aller deutscher Betriebe des Zeitraums 1975–2014 enthält, wird in unserem Papier (Bachmann et al. 2017) Churn in Deutschland neu beleuchtet. Der AWFP-Datensatz aggregiert individuelle Sozialversicherungsdaten auf die Betriebsebene und enthält Informationen zu Worker-Flows und Job-Flows sowie zur Lohnstruktur aller in Deutschland ansässigen Betriebe (Seth und Stüber 2017). Damit stellt das AWFP eine einzigartige und qualitativ hochwertige Datenquelle dar. In unserem Forschungspapier vergleichen wir auch Job-Flows und Worker-Flows in Deutschland mit denen in den USA (z.B. Davis et al. 2012). Interessanterweise gab es in Deutschland im Unterschied zu den USA keinen trendhaften Rückgang dieser Flüsse — weder bei Arbeitskräften noch bei den Arbeitsplätzen. Der Schwerpunkt unserer Arbeit liegt jedoch auf dem Phänomen des (Worker) Churn.
Churn-Rate steigt während konjunkturellen Aufschwüngen
Abbildung 1 zeigt die aggregierte Churn-Rate (als Anteil an der Gesamtbeschäftigung) für Deutschland. Drei Charakteristika seien hervorgehoben. Erstens, die Churn-Rate (CHR) ist relativ hoch. Sie lag innerhalb der letzten vier Jahrzehnte in keinem Quartal unter fünf Prozent. Der Durchschnittswert der Churn-Rate ist höher als der der Job-Flow-Rate. Zweitens fällt ein starkes prozyklisches Verhalten der Churn-Rate auf (die grauen Regionen in Abbildung 1 stellen Rezessionen dar). Sie ist in Aufschwüngen bis zu 40 Prozent höher als in Rezessionen. Drittens kann gezeigt werden, dass Churn und Arbeitgeberwechsel (“Job-to-Job Flows”) auf aggregierter Ebene eine nahezu identische Zyklizität aufweisen. Folglich ist der Anstieg der Churn-Rate in Aufschwüngen durch eine steigende Anzahl von Stellenwechseln begründet. Dies bestätigt Theorien, die erhöhte Stellenwechsel in prozyklischer Mitarbeiterreallokation begründet sehen. Es zeigt sich des Weiteren, dass in konjunkturellen Aufschwüngen vermehrt Arbeitsplätze entstehen, während gleichzeitig auch die Churn-Rate zunimmt, was aber eben keine Vernichtung von Arbeitsstellen darstellt. Betriebe kompensieren in Aufschwüngen Trennungen von Arbeitnehmern, die durch Arbeitgeberwechsel entstehen, durch Einstellungen von Nicht-Erwerbstätigen. Was den zeitlichen Verlauf angeht, beginnen sowohl die Schaffung von neuen Arbeitsstellen als auch die Umschichtungsvorgänge bereits im frühen Stadium des Aufschwungs, wobei die Arbeitskräfteumschichtung eine höhere Persistenz aufweist und in den Aufschwung hinein andauert.
Dargestellt ist die saisonbereinigte aggregierte Churn-Rate (CHR) aller westdeutschen Betriebe. Die grauen Flächen repräsentieren die Zunahme von Arbeitslosigkeit, wenn diese mindestens in fünf aufeinanderfolgenden Quartalen steigt.
Churn-Rate bei Betrieben mit konstanter Mitarbeiterzahl am geringsten
Des Weiteren erlaubt der Querschnitt der Churn-Raten interessante Analysen (siehe Abbildung 2). Für Betriebe mit einer konstanten Mitarbeiteranzahl ist die Churn-Rate am geringsten, während sie für Betriebe mit stark positivem und stark negativem Beschäftigungswachstum (“employment growth”) ansteigt. Schrumpfende Betriebe stellen mithin viele neue Mitarbeiter ein, während wachsende Betriebe auch viele Mitarbeiter verlieren. Im Durchschnitt stellen also schrumpfende Betriebe im Verhältnis zu Betrieben mit einem konstanten Arbeitsbestand mehr Arbeitnehmer ein. Ebenso trennen sich wachsende Betriebe im Verhältnis zu Betrieben mit konstanter Belegschaft durchschnittlich von mehr Arbeitnehmern.
Um dieses Muster in den Daten zu erklären, verwenden wir ein einfaches dynamisches Arbeitsnachfragemodell. Dabei zeigt sich, dass ein Standardmodell mit idiosynkratischen Umsatzproduktivitätsschocks und Anpassungskosten das oben beschriebene Querschnittsmuster in den Churn-Raten nicht erzeugen kann. In einem solchen Modell findet bei schrumpfenden Betrieben überhaupt kein Churn statt, während die Churn-Rate für Betriebe mit konstanter Belegschaft am größten ist. Im Gegensatz dazu erweisen sich stochastische Trennungsschocks und “Time-to-Hire”-Friktionen als gut geeignet, um den U-förmigen Verlauf der Churn-Rate als Funktion der Betriebswachstumsrate zu erklären. (Das heißt nicht, dass Umsatzproduktivitätsschocks und Arbeitsplatz-Anpassungskosten im Allgemeinen nicht von Bedeutung sind. Sie sind jedoch nicht geeignet, um die beobachteten Churn-Muster in den Daten zu erklären.) Die Tatsache, dass schnell schrumpfende Betriebe auch eine bedeutende Anzahl an Arbeitnehmern einstellen, impliziert, dass diese Betriebe sich von mehr Mitarbeitern trennen als dies geplant war. Diese Vorgänge werden im hier verwendeten Rahmen im Wesentlichen als stochastische Schocks der Trennungsrate auf Betriebsebene interpretiert. Zudem ist es wichtig, dass diese Trennungsschocks nicht sofort rückgängig gemacht werden können (“time to hire”). Wenn die Anstellung neuer Mitarbeiter Zeit in Anspruch nimmt, werden Betriebe versuchen, die erwarteten Trennungen durch eine höhere Rate an Wiedereinstellungen zu kompensieren, um die angestrebten Änderungen zu erreichen. Wenn weniger Arbeitnehmer den Betrieb verlassen als von den Betrieben erwartet, wächst der Betrieb.
Dargestellt ist die Churn-Rate (CHR) als Funktion der betriebsspezifischen Wachstumsrate (“employment growth”) der Belegschaft. Der Mittelpunkt der Mitarbeiterwachstumskategorie wird als Schätzwert für das mittlere Wachstum in dieser Kategorie interpretiert. Die blaue durchgezogene Linie zeigt die Entwicklung der CHR im Durchschnitt über alle Zeitperioden (1975–2014). Die rote gestrichelte (schwarz gestrichelte) Linie steht für die CHR in den zehn Quartalen mit der niedrigsten (höchsten) HP-gefilterten Arbeitslosenquote, also einen Aufschwung (eine Rezession).
Abbildung 2 zeigt auch, dass sich die Kurve der Churn-Rate in Zeiten eines Aufschwungs gleichmäßig, also (fast) unabhängig von der Wachstumsrate des Betriebs, nach oben verschiebt. Es scheint also so zu sein, dass es im Boom für alle Betriebe leichter wird, Arbeitskräfte zu finden, und schwieriger wird, Arbeitskräfte zu halten — egal ob der Betrieb schnell wächst oder schrumpft. Diese einheitliche Verschiebung der Churn-Rate lässt sich somit nur schwer mit einer Theorie vereinbaren, in der Arbeitskräfte in Aufschwüngen systematisch in allgemein als attraktiv angesehene Betriebe wechseln (etwa weil bestimmte Betriebe höhere Löhne zahlen). Im Rahmen solcher Theorie hätten Betriebe, die als attraktiv gelten, niedrige Trennungsraten. Des Weiteren wachsen diese Betriebe in Aufschwüngen, weil es für Arbeitnehmer dann einfacher ist, neue Arbeitsstellen zu finden. Dies impliziert, dass auch die Churn-Rate in schnell wachsenden Betrieben im Boom abnehmen sollte, da diese in Aufschwüngen von Arbeitnehmern präferiert werden und damit weniger Arbeitnehmer den Betrieb verlassen.
Die Ergebnisse unserer Untersuchung implizieren nicht, dass Betriebe grundsätzlich versuchen, Churn zu vermeiden. Ein Beispiel für gewolltes Churn wäre beispielsweise die Veränderung von Betriebsabläufen. Diese kann dazu führen, dass ein Betrieb seine Produktion automatisiert und dafür viele Mitarbeiter entlässt, während er zur selben Zeit Spezialisten für Automatisierung einstellt. Darüber hinaus kann Churn auch aus den Entscheidungen der Arbeitnehmer resultieren: Nicht-pekuniäre Aspekte einer Beschäftigung sind häufig erst nach der Einstellung erkennbar. Insbesondere in Aufschwüngen kann dies dazu führen, dass Beschäftigte, die sich an ihrem Arbeitsplatz nicht wohlfühlen, den Betrieb wechseln.
Literatur
Bachmann, R., C. Bayer, C. Merkl, S. Seth, H. Stüber und F. Wellschmied (2017), “Worker Churn and Employment Growth at the Establishment Level“, IZA Discussion Paper, no. 11063.
Burgess, S., J. Lane und D. Stevens (2000), “Job Flows, Worker Flows, and Churning”, Journal of Labor Economics, 18 (3), 473–502.
Davis, S., J. Faberman und J. Haltiwanger (2012), “Labor Market Flows in the Cross Section and over Time”, Journal of Monetary Economics, 59 (1), 1–18.
Seth, S. und H. Stüber (2017), “Administrative Wage and Labor Market Flow Panel (AWFP) 1975–2014“, FAU Discussion Paper, no. 1/2017.
©KOF ETH Zürich, 22. Nov. 2017