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Gute Nachbarschaft mit dem Süden und Osten gefragt

Summary:
Aus Mangel an Solidarität ihrer Mitglieder ist die EU nicht in der Lage, komplexe Probleme, wie etwa Flüchtlings- und Migrationswellen, zu bewältigen. Um gegen ihre Ursachen anzukämpfen, bedarf es einer Partnerschaft mit den Nachbarn im Süden und Osten Europas. Dieser Beitrag analysiert die Probleme der Beziehungen Europas mit den Regionen im Süden und Osten Europas und arbeitet Kriterien für eine neue Partnerschaftspolitik aus, die bestehende Programme erheblich ausweitet. Die Herausforderung Europa hat erfolgreich daran gearbeitet, die interne Integration voranzutreiben und hat dabei die Gestaltung der Globalisierung den USA und multinationalen Unternehmungen überlassen. Mittlerweile hat sich diese Welt dramatisch verändert: Der Zerfall der Sowjetunion, der Aufstieg Chinas und

Topics:
Karl Aiginger, Rainer Brunnauer, Heinz Handler considers the following as important:

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Aus Mangel an Solidarität ihrer Mitglieder ist die EU nicht in der Lage, komplexe Probleme, wie etwa Flüchtlings- und Migrationswellen, zu bewältigen. Um gegen ihre Ursachen anzukämpfen, bedarf es einer Partnerschaft mit den Nachbarn im Süden und Osten Europas. Dieser Beitrag analysiert die Probleme der Beziehungen Europas mit den Regionen im Süden und Osten Europas und arbeitet Kriterien für eine neue Partnerschaftspolitik aus, die bestehende Programme erheblich ausweitet.

Die Herausforderung

Europa hat erfolgreich daran gearbeitet, die interne Integration voranzutreiben und hat dabei die Gestaltung der Globalisierung den USA und multinationalen Unternehmungen überlassen. Mittlerweile hat sich diese Welt dramatisch verändert: Der Zerfall der Sowjetunion, der Aufstieg Chinas und der Rückzug der USA als dominierende Weltmacht werden begleitet von Finanzmarktkrisen, Klimakatastrophen und lokalen Konflikten. In Europa selbst nehmen nationalistische und populistische Strömungen zu, die die demokratischen Spielregeln und das europäische Projekt in Frage stellen.

In Europa altert die Bevölkerung, und die Zahl der verfügbaren Arbeitskräfte könnte bis 2030 um 20 Millionen zurückgehen. Eine längere Lebensarbeitszeit, höhere Partizipationsraten und Umschulung können diesen Rückgang nicht vollständig ausgleichen.

Dem steht gegenüber, dass allein in Afrika die Bevölkerung bis 2050 von aktuell 1,2 Milliarden auf 2 Milliarden Menschen steigen wird. Rund 80 Millionen Menschen werden den Kontinent potenziell verlassen, wenn nicht jährlich 20 Millionen neue Arbeitsplätze geschaffen werden.

Solange aber das Migrationspotenzial ein Vielfaches des Defizits bei der Arbeitsnachfrage in Europa beträgt, wird illegale Migration zur Errichtung von Zäunen und hohen Budgetbelastungen führen. Populistische Strömungen werden davon profitieren und weiteren Zulauf erhalten. 

Lösungsansätze bisher unzureichend

Die EU hat eine Reihe von Instrumenten entwickelt, von der Heranführungshilfe (IPA II) über die Europäische Nachbarschaftspolitik (ENP) bis zu Programmen im Rahmen der allgemeinen Entwicklungspolitik. Doch sind diese Instrumente „fragmentiert, inkohärent und unzureichend koordiniert” (den Hertog, 2016) und sie haben keine hohe Priorität. Für die in Tabelle 1 aufgelisteten Instrumente sind in der gesamten Budgetperiode 2014-2020 Ausgaben von 94,5 Mrd.€ vorgesehen, also im Jahr durchschnittlich 13,5 Mrd.€, wobei hier Katastrophenhilfe eingeschlossen ist.

Tabelle 1: Externe Finanzierungsinstrumente der EU, 2014-2020

Quelle: European Commission (2016). Bundesministerium der Finanzen (2017).

Die Bemühungen der EU, die Nachbarschaftspolitik zu aktivieren und zum Vorteil aller Beteiligten auszubauen, zeitigen fragliche Ergebnisse (etwa gegenüber der Türkei). Das jüngste Gipfeltreffen der Östlichen Partnerschaft am 24. Oktober 2017 in Brüssel hat keine neuen Ergebnisse gebracht, es hat vielmehr die unterschiedlichen Sichtweisen in Ost und West deutlich gemacht. Folgt man Kubzova (2017), geht es in dieser Region (und auch in der übrigen Nachbarschaft) nicht darum, Freund und Feind auseinanderzuhalten, sondern gute Partner zu finden. Zehn Jahre nach dem Beschluss von Lissabon, eine „Gemeinsame Strategie Afrika-EU” mit langfristigen Zielen zu verfolgen, fällt auf dem Gipfel von Abidjan die Entscheidung, ob es immer wieder nur kurzfristigen Krisenoperationen gibt oder eine neue Partnerschaft gefunden wird, die Stabilität in Afrika bringt und den Migrationsdruck nach Europa verringert.

Eine neue Partnerschaft ist erforderlich

Angesichts der europäischen Geschichte, in der früher gewaltsam kolonisiert und heute noch Ressourcen ausgebeutet werden, ist das Bild von Europa in den Nachbarländern trotz seiner Friedensbemühungen nicht immer positiv. Europa kann entweder faire Partnerschaften mit seinen Nachbarn entwickeln und die wirtschaftliche und politische Stabilisierung unterstützen. Oder es wird mit politischen Strukturen konfrontiert, die Europa gleichgültig oder sogar feindlich gegenüber stehen. Konflikte in der Nachbarschaft könnten auch Europa destabilisieren.

Im Gegensatz zu Europa sind die meisten seiner Nachbarregionen auch nach der Finanzkrise Wachstumsmärkte geblieben. Der Schwarzmeerraum, Nordafrika, der Mittlere Osten und Sub-Sahara Afrika zeigten jährliche Wachstumsraten von mehr als 3 %, und die gängigen Prognosen erwarten auch zukünftig ein fast doppelt so hohes Wachstum wie in der EU-28. Das ergibt einen dynamischen Exportmarkt und einen attraktiven Standort für die Produktion niedrigpreisiger Güter.

Nur wenn die Länder in Europas Nachbarschaft Beschäftigungsmöglichkeiten für den größten Teil der wachsenden Bevölkerung bieten, können Regeln für legale Migration definiert und durchgesetzt werden. In diesem Fall könnte die Migration der Nachfrage in den Zielländern folgen. Und es könnte eine zirkuläre Migration einsetzen, die Wissenstransfer fördert, aber keinen Brain Drain auslöst.

Eine neue Form der Partnerschaft liegt sowohl im Interesse Europas als auch der Nachbarregionen. Die europäische Nachbarschaft ist sehr heterogen. Viele Länder sind reich an Ressourcen, die von einigen Ländern erfolgreich exportiert werden, während andere dafür ausländisches Kapital und Know-How benötigen, aber gleichzeitig Nahrungsmittel importieren müssen. Der Rechtsstaat ist gering ausgebildet und Korruption verbreitet. Es gibt demokratische Systeme (unterschiedlicher Art und Qualität), viele Staaten haben autokratische Strukturen. Die Gleichstellung der Geschlechter fehlt, Einkommen und Vermögen sind äußerst ungleich verteilt.

Eine neue Nachbarschaftspolitik kann auf bestehenden Initiativen und Erfolgsbeispielen aufbauen. Die Anstrengungen von bi- und multilateralen Vereinbarungen, jene von Projekten internationaler Organisationen, NGOs und die bisherigen Ansätze der Europäischen Nachbarschaftspolitik sollten ergänzt und koordiniert werden. Als Maßstab für den Erfolg der Politik müssen andere Kennzahlen neben dem Bruttoinlandsprodukt an Bedeutung gewinnen, weil darin zu viele entscheidende Faktoren nicht abgebildet werden. 

Wie eine neue Partnerschaftspolitik zu gestalten wäre

Für so unterschiedliche Länder kann es keinen homogenen politischen Ansatz geben. Vielfalt und kulturelle Heterogenität bieten aber auch Potenzial für eine wohlfahrtssteigernde Partnerschaft. Vordringliches Anliegen muss es sein, Ungleichheit, Genderdifferenzen und Korruption zu verringern. Akteure aus den Partnerländern müssen aktiv einbezogen werden, insbesondere auch die Jugend und die Zivilbevölkerung. Die Partnerschaft soll auf Augenhöhe sein, zu einer verantwortungsbewussten Globalisierung beitragen und darf die Steuerbelastung in Europa nicht erhöhen (Aiginger 2017).

Im Zentrum müssen Wissenstransfer und Bildung stehen. Partnerschaftsprojekte müssen einen mehrstufigen Ansatz verfolgen, ökologisch nachhaltige Lösungen müssen absoluten Vorrang bekommen. Und Europa muss ein vertrauenswürdiger und verlässlicher Partner werden.

Aktuelle Programme Europas und internationale Geldgeber investieren überwiegend in materielle Projekte. Für Wachstum und Wohlstand sind jedoch Bildung, Korruptionsbekämpfung und effizientere Verwaltung wichtiger. Bildung senkt Armut und Kindersterblichkeit und erhöht die Lebenserwartung. Bildung und Rechtsstaatlichkeit fördern demokratische Systeme, reduzieren Konflikte und Terrorismuspotential. Daher müssen zukünftige Programme verstärkt auf immaterielle Güter, Institutionen und Rechtsstaatlichkeit abzielen.

Dem Vorbild des Fulbright-Programms der USA nach dem Zweiten Weltkrieg und Ansätzen im Erasmus Mundus Programm der EU folgend, sollte ein „Schumpeter-Al-Idrisi Programm” nicht nur Wissenschaftlern und Studenten Zugang zu europäischen Universitäten ermöglichen, sondern auch neue Formen des Austausches für Fachkräfte, Manager und Experten ermöglichen.

Ein wichtiger Teil der Unterstützung der Nachbarschaft liegt im Abbau von Hindernissen, mit denen Europa selbst die Entwicklung der Nachbarn behindert, sowie in der Korrektur von Fehlern in der internationalen Politikkoordination. Dies ist besonders im Bereich der Landwirtschaft der Fall, wo Subventionen und Importbeschränkungen die Agrarproduktion z.B. in Afrika erschweren. Künftige Handels- und Investitionsabkommen sollen Standards nach oben angleichen und nachhaltige Technologien fördern. 

Finanzierungsbedarf und Aufkommen

Die Analyse ergibt, dass Europa jährlich zusätzlich rund 100 Mrd. € für partnerschaftliche Projekte mit den Nachbarländern mobilisieren sollte. Diese Summe (0,7 % des europäischen BIP) mag im Vergleich zu bestehenden Programmen in der Höhe von 10 bis 15 Mrd. € pro Jahr hoch erscheinen. Sie liegt aber niedriger als die UN-Schätzungen, die für eine Erfüllung der Nachhaltigkeitsziele notwendig wären, und niedriger als die Mittel, die die USA nach dem 2. Weltkrieg für den Wiederaufbau Europas aufgewendet haben, und auch verglichen zu den 300 Mrd. € Ausgaben für militärische Zwecke und ihrer Aufstockung um 1 % der Wirtschaftsleistung, die die USA von den europäischen NATO Staaten fordert. Ein erheblicher Teil der erforderlichen Mittel ist gleichzeitig eine Investition, die auch für Europa Erträge bringt und die Kosten für Sicherheitsapparate, Waffen und Flüchtlingsbetreuung senkt.

Um die zusätzliche Summe zu mobilisieren, schlagen wir folgende Schritte vor:

  • Eine Erreichung des Zieles, 0,7 % des BIP für Entwicklungsunterstützung auszugeben, würde aus Europa etwa 30 Mrd. € einbringen. Angesichts der Budgetknappheit muss der zusätzliche Aufwand bei anderen Ausgaben eingespart werden, z.B bei den hohen Agrarsubventionen, die außerdem die Konkurrenzfähigkeit der afrikanischen Bauern reduzieren.
  • Der Europäischen Fonds für Strategische Entwicklung (EFSI) sollte durch einen Fonds für Partnerschaftsprogramme ergänzt werden. Der im September 2017 aus der Taufe gehobene Europäische Fonds für nachhaltige Entwicklung (EFSD), könnte mit zusätzlichen Mitteln der Mitgliedsländer ein Drittel der hier angepeilten 100 Mrd. € finanzieren.
  • Neue Finanzinstrumente könnten private und institutionelle Anleger – in einer Phase mangelnder Anlagemöglichkeiten mit geringem Risiko – motivieren, in die europäische Nachbarschaft zu investieren. Eine Finanztransaktionssteuer könnte ein Mehrfaches des hier vorgeschlagenen Betrages erbringen (Solilová et al., 2017), doch sollten diese Mittel auch für Senkung der Lohnabgaben verwendet werden.
  • Neben den Beiträgen nationaler Regierungen und privatem Kapital sollte auch der Beitrag internationaler Organisationen für die europäische Nachbarschaft angehoben werden.
  • Restbestände aus dem alten ERP Programm, die heute nationalen Zwecken zukommen, sollten in Projekte in der europäischen Nachbarschaft fließen.
  • Schließlich könnte entschiedenes Vorgehen gegen Steuerflucht und -vermeidung zusätzliches Geld für Investitionen einbringen.

Die Europäische Partnerschaftspolitik entscheidet darüber, ob die Nachbarländer Europa destabilisieren oder ob Europa und seine Nachbarn gemeinsam erfolgreich sind und die Globalisierung mitgestalten können.

Literatur

Aiginger, K., New Dynamics for Europe: Reaping the Benefits of Socio-ecological Transition, WWWforEurope, Vienna, Brussels, 2016.

Aiginger, K. (2017), “Die Globalisierung verantwortungsbewusst und europäisch gestalten”, Querdenkerplattform: Wien-Europa, Policy Brief, 2/2017.

Aiginger, K., Handler, H., Europe taking the lead in responsible globalization, Economics, Discussion Paper 42, July 2017.

Bundesministerium der Finanzen (2017), “EU-Finanzen“, Auf den Punkt, August.

Den Hertog, Leonhard (2016), “Money Talks: Mapping the funding for EU external migration policy“, CEPS Paper in Liberty and Security in Europe, No.95, November.

European Commission (2016), “Statement of estimates of the European Commission for the financial year 2017“, SEC (2016) 280, June.

Kubzova, Jana (2017), “Easing the EU’s Eastern Partnership fatigue“, European Council on Foreign Relations, Commentary, 16 November.

Solilová, Veronika, Danuse Nerudová, Marian Dobranschi (2017), Sustainability-oriented future EU funding: a financial transaction tax”, Empirica 44(4): 687-731.

©KOF ETH Zürich, 30. Nov. 2017

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