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Die Verantwortung der Ökonomen im politischen Zeitalter des Populismus

Summary:
Der grassierende Populismus sollte die Ökonomen dazu bewegen, ihre Standardannahmen zu überdenken. Die Wahl Donald Trumps oder anderer Populisten kann gravierende ökonomische Folgen nach sich ziehen, Ökonomen warnen zum Beispiel einhellig vor der erwarteten stärkeren Abschottung der nationalen Märkte. Sie betrachten die Wahl von Populisten dennoch oft als Ereignis, das ihre wissenschaftlichen Erklärungen nicht im Kern berührt, bzw. lediglich zu exogenen Veränderungen in Modellparametern führt. Dabei haben Ökonomen mindestens zwei gute Gründe, sich intensiver mit der Hinwendung des Wahlvolkes zu den Populisten zu beschäftigen: Zum einen ist die Politik, von der viele Wähler sich nun demonstrativ abwenden, stark durch ökonomische Paradigmen geprägt; zum anderen können die Willensäußerungen der Wähler durchaus als Ausdruck von Präferenzen gewertet werden, die mit den Standardannahmen der Ökonomie auch bei größter Bereitschaft, stärkste Vereinfachungen zu akzeptieren, nicht mehr in Übereinstimmung zu bringen sind. Man kann es auch andersherum sagen: Viele Menschen akzeptieren das, was ihnen von Ökonomie und Politik oft genug als alternativlos präsentiert wird, nicht als Ausdruck ihrer Vorstellungen und Ziele.

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Der grassierende Populismus sollte die Ökonomen dazu bewegen, ihre Standardannahmen zu überdenken.

Die Wahl Donald Trumps oder anderer Populisten kann gravierende ökonomische Folgen nach sich ziehen, Ökonomen warnen zum Beispiel einhellig vor der erwarteten stärkeren Abschottung der nationalen Märkte. Sie betrachten die Wahl von Populisten dennoch oft als Ereignis, das ihre wissenschaftlichen Erklärungen nicht im Kern berührt, bzw. lediglich zu exogenen Veränderungen in Modellparametern führt. Dabei haben Ökonomen mindestens zwei gute Gründe, sich intensiver mit der Hinwendung des Wahlvolkes zu den Populisten zu beschäftigen: Zum einen ist die Politik, von der viele Wähler sich nun demonstrativ abwenden, stark durch ökonomische Paradigmen geprägt; zum anderen können die Willensäußerungen der Wähler durchaus als Ausdruck von Präferenzen gewertet werden, die mit den Standardannahmen der Ökonomie auch bei größter Bereitschaft, stärkste Vereinfachungen zu akzeptieren, nicht mehr in Übereinstimmung zu bringen sind.

Man kann es auch andersherum sagen: Viele Menschen akzeptieren das, was ihnen von Ökonomie und Politik oft genug als alternativlos präsentiert wird, nicht als Ausdruck ihrer Vorstellungen und Ziele. Sie schreien mit ihrer Wahl von Populisten der etablierten Politik ins Gesicht: Doch, es gibt eine Alternative! Dies reflexhaft als Ausdruck von Irrationalität und Unfähigkeit, sich in einer komplexen Welt zurechtzufinden, abzutun, wird weder einer demokratischen Politik gerecht, noch einer Ökonomie, die sich als Sozialwissenschaft versteht. Soweit die Ökonomie den Anspruch hat, zum Verständnis von tatsächlichen gesellschaftlichen Entwicklungen beizutragen und nicht nur technokratisch im Rahmen eng gesetzter Rand- und Nebenbedingungen kleine Politikschritte zu optimieren, die von weiten Teilen der Bevölkerung nicht mehr als Ausdruck politischer Handlungsfähigkeit anerkannt werden, sollte sie sich bemühen zu verstehen, was die Ursache der Unzufriedenheit so vieler Menschen in relativem materiellen Wohlstand ist.

Die Ökonomie in der Gesellschaft

Eine nicht nur normative ökonomische Wissenschaft muss sich als Sozialwissenschaft verstehen, das heißt, sie darf sich nicht damit zufrieden geben, ideale Entscheidungen in einer nicht real existierenden Modellwelt zu identifizieren, sondern sie muss das (ökonomisch wirksame) Handeln realer Menschen und seine Bestimmungsgründe erklären. Dieses Desiderat trifft auf die Ökonomie, die in den letzten Jahrzehnten die Politik so maßgeblich beeinflusst hat, bestenfalls begrenzt zu. Tatsächlich beruht die ökonomische Forschung in weiten Teilen auf so starken Annahmen bezüglich menschlicher Ziele und menschlichen Handelns, dass sie blind ist gegenüber zentralen gesellschaftlichen Entwicklungen.

Im Kern beruht der Einfluss der ökonomischen Wissenschaft mehr auf ihren Annahmen als auf ihren Ergebnissen. Auch wenn die Ökonomie im technokratischen Sinne zur Optimierung einiger marktwirtschaftlicher Mechanismen beigetragen hat, war das eher ein sekundärer Effekt, gemessen an ihrer Bedeutung für die Legitimierung des marktwirtschaftlichen Rahmens staatlichen Handelns. Aufgrund ihrer oft unhinterfragten Annahmen legitimieren sich Politik und Forschung dabei zunehmend gegenseitig. Der keineswegs empirisch hinterlegte Grundkonsens im gemeinsamen Gesellschaftsmodell lautet etwa: Zunehmende Liberalisierung aller Wirtschafts- und Lebensbereiche führt zur Maximierung der Wohlfahrt jedes Einzelnen.  Weil die Annahmen der Ökonomie so eng mit ihrem Einfluss und ihrer Wirkmächtigkeit verflochten sind, haben sie eine eigene Realität gewonnen, die erklärt, warum die ökonomische Wissenschaft geneigt ist, eher die Entscheidungen und Handlungen von Menschen für falsch zu halten als ihre eigenen Modelle. Abweichendes Verhalten so zur Anomalie zu erklären ist geeignet, Theorien gegen widersprüchliche Beobachtungen zu immunisieren.

Die stärkste Kritik an den Modellannahmen auch aus den Reihen der Ökonomen selbst betraf in den letzten Jahren die Rationalitätsannahme. Paradoxerweise unterstützte gerade diese scheinbar so zentrale Kritik die Selbstimmunisierung der ökonomischen Forschung gegenüber jeder Empirie, denn Kritik an der Rationalitätsannahme unterstellt dem Forschungsobjekt Mensch implizit irrationale Handlungsweisen. Irrationales Handeln aber lässt sich (anders als Handeln unter unvollständiger Information) möglicherweise psychologisch, kaum aber sozialwissenschaftlich erklären. In jedem Fall scheint die Unterstellung von Irrationalität die stark normative Ausrichtung weiter Teile der Ökonomie weiter zu rechtfertigen, denn mit der Fokussierung der Kritik auf die Rationalitätsannahme ist es ein leichtes, das Handeln aller Menschen, deren Ziele sich mit dem Ziel der Einkommensmaximierung nicht in Einklang bringen lassen, als irrational oder wirtschaftlich irrelevant zu betrachten. Die Menschen handeln aber in aller Regel durchaus rational (wenn auch unter den Bedingungen unvollständiger Information). Tatsächlich resultiert das Problem einer gegenüber gesellschaftlichen Entwicklungen blinden Ökonomie vielmehr aus ihren Annahmen bezüglich der Ziele und Zielsysteme der Menschen und aus ihrem Vertrauen in die Vollständigkeit der Märkte.

Die Wünsche und Ziele der Menschen

Das Ziel der Einkommensmaximierung kann nur dann zum primären Ziel jedes rational handelnden Menschen erklärt werden, wenn die Märkte sowohl vollständig als auch vollkommen sind. Ist das nicht der Fall, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass es andere primäre Ziele gibt, also andere Ziele, die nicht ihrerseits durch den Erwerb eines möglichst hohen Einkommens zu erfüllen sind. Das eröffnet Raum für  Zweifel an der postulierten absoluten gesellschaftlichen Effizienz der Marktwirtschaft, so dass die Frage, ob die gesellschaftliche Wohlfahrt nicht möglicherweise durch eine Änderung des gesellschaftlichen Referenzsystems erhöht werden könnte, keinesfalls als irrational abgetan werden kann. Und es ist erklärbar, wenn diese Frage vor allem von denen gestellt wird, deren Einkommensmaximierungsmöglichkeiten aufgrund verschiedener Restriktionen, die in vielen ökonomischen Modellen wenig Beachtung finden, in der real existierenden Marktwirtschaft beschränkt sind.

Weil die Märkte nicht nur nicht vollkommen, sondern auch nicht vollständig sind, steht auch der wohlfahrtsmaximierende Charakter des herrschenden Produktionsregimes in Frage. Viele Produkt- und Dienstleistungsbündel lassen sich innerhalb des gegebenen technologischen Regimes nicht durch individuelles Handeln und die nicht-kooperative Koordination am Markt realisieren, obwohl sie möglicherweise die Gesamtwohlfahrt erhöhen würden. Das aktuelle technologische Regime ist stark durch historisch determinierte Pfadabhängigkeiten bestimmt. Dann aber können gerade Personen mit einem kulturellen Referenzsystem, das vom durch die westeuropäische Entwicklung geprägten abweicht, mit Recht fragen, ob nicht andere Koordinationsmechanismen als der Markt zum Beispiel ressourcenschonendere oder kulturell komplementärere Produktionsregime ermöglichen und so die gesellschaftliche Wohlfahrt erhöhen könnten.

Es ist also nicht grundsätzlich irrational, wenn manche Menschen die ökonomisch hinterlegte Maxime zunehmender Liberalisierung ablehnen. Von diesen Menschen wird die Liberalisierung nicht als eine Erweiterung ihres durch weiter bestehende ökonomische und soziale Restriktionen begrenzten Möglichkeitenraums erlebt. Ganz im Gegenteil wird die Marktwirtschaft zunehmend als ein geradezu totalitäres System der Alternativlosigkeit wahrgenommen, das zudem aufgrund der historischen Entwicklung stark durch westeuropäische Ziele und Werte geprägt ist, und in dem der gesamtgesellschaftliche Reichtum zwar die Konsummöglichkeiten der Besitzenden erhöht, in dem aber gleichzeitig durch die Dominanz ökonomischer Argumente der gesellschaftliche Handlungsspielraum schrumpft.

Anforderungen an die Ökonomie als positive Sozialwissenschaft

Die Mitverantwortung der Ökonomie für die problematische politische Entwicklung liegt damit vor allem in ihrem allzu sehr vereinfachenden Menschenbild begründet, das seinerseits nur für Analysen im idealisierten Markt eine ausreichende Grundlage bietet. Damit missachtet die ökonomische Forschung philosophisch und psychologisch besser unterlegte Menschenbilder, nach denen die Fähigkeit zur (Mit-)Gestaltung der eigenen Umwelt einen wichtigen Teil der „conditio humana“ ausmacht. Ein wichtiger Faktor menschlichen Wohlbefindens ist außerdem in der gegenseitigen Gewährung von Schutz vor den allgegenwärtigen Bedrohungen der Umwelt zu sehen. Indem die Ökonomie den vollkommenen Markt postuliert, negiert sie diese Schutzbedürftigkeit des Menschen; indem sie den vollständigen Markt voraussetzt, eliminiert sie Elemente wie Kreativität, Gestaltung und Kultur aus ihrem Konzept. Damit wurde möglicherweise ein Grundstein gelegt für eine Ablehnung des Liberalismus durch diejenigen, die sich in diesen elementaren Grundbedürfnissen nicht verstanden fühlen.

Der Wunsch der Menschen nach Gestaltungsfähigkeit zumindest ihrer (gewählten) Vertreter erklärt die Begeisterung für die scheinbar starken Männer und Frauen populistischer Bewegungen. Der autoritäre Stil wird vor diesem Hintergrund eher als Versprechen denn als Drohung wahrgenommen, weil genau diese effektive hierarchische Koordination zugunsten gemeinsamer Ziele abseits der durch den Markt vorgegebenen Pfade den Menschen gefehlt hat.

Weil die Wirtschaft also offensichtlich nicht losgelöst von den weiteren gesellschaftlichen Rahmenbedingungen verstanden werden kann, muss eine positive Ökonomie neben Märkten und Unternehmen auch noch weitere Organisationen und Institutionen in ihren Erklärungsmodellen berücksichtigen; sie muss außerdem das tatsächliche Verhalten der Menschen weniger als Anomalien denn als zu erklärende Beobachtungen begreifen. Erst wenn die ökonomische Forschung so zu einer besseren empirischen Fundierung und einer stärkeren sozial- und humanwissenschaftlichen Unterfütterung ihrer Theorien gelangt, kann sie möglicherweise ihrer Verantwortung gerecht werden und im Kampf gegen die sozialen und wirtschaftlichen Verwerfungen der Gegenwart Wege zu einer gesellschaftlich selbstbestimmten Entwicklung aufzeigen.

©KOF ETH Zürich, 23. Nov. 2016

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