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Fluch und Segen von Transparenz in der öffentlichen Beschaffung

Summary:
Transparenz bei öffentlichen Beschaffungen ist sinnvoll, doch totale Transparenz ist kontraproduktiv, wie dieser Beitrag zeigt. Öffentliche Aufträge machen einen ansehnlichen Teil der Wirtschaftsleistung in Deutschland aus – sie stehen für rund 14 Prozent unseres Bruttoinlandprodukts.[ 1 ] Mehr als 250?000 öffentliche Stellen kaufen hierzulande Güter und Leistungen für den Staat ein. Das bedeutet aber nicht, dass dabei stets wirtschaftlich und untadelig gehandelt wird. Eine gesteigerte Effizienz bei der Auftragsvergabe könnte Ausgaben in Milliardenhöhe einsparen – zu Gunsten des Steuerzahlers. Die Anfälligkeit der Verwaltung für Korruption erfordert es zudem, die Vergabe und das Management öffentlicher Aufträge durch Behörden und Öffentlichkeit prüfen zu können. Der Flughafen Berlin-Brandenburg, das Bahnprojekt Stuttgart 21 oder die Hamburger Elbphilharmonie zeugen trefflich davon, zu welchen Unregelmäßigkeiten im Vergabeprozess, zu welchen Zeitverzögerungen und Kostensteigerungen es bei öffentlichen Vergabe- und Planungsprozessen kommen kann. Im Mittelpunkt des Vergaberechts in Deutschland und der Europäischen Union steht seit den Siebzigerjahren das Streben nach Transparenz. Die EU und nationale Gerichte interpretieren die Transparenzauflagen als Mittel zum Schutz der Verfahrensrechte von Firmen, die an öffentlichen Ausschreibungen teilnehmen.

Topics:
Vitali Gretschko, Albert Sanchez Graells considers the following as important:

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Transparenz bei öffentlichen Beschaffungen ist sinnvoll, doch totale Transparenz ist kontraproduktiv, wie dieser Beitrag zeigt.

Öffentliche Aufträge machen einen ansehnlichen Teil der Wirtschaftsleistung in Deutschland aus – sie stehen für rund 14 Prozent unseres Bruttoinlandprodukts.[ 1 ] Mehr als 250?000 öffentliche Stellen kaufen hierzulande Güter und Leistungen für den Staat ein.

Das bedeutet aber nicht, dass dabei stets wirtschaftlich und untadelig gehandelt wird. Eine gesteigerte Effizienz bei der Auftragsvergabe könnte Ausgaben in Milliardenhöhe einsparen – zu Gunsten des Steuerzahlers. Die Anfälligkeit der Verwaltung für Korruption erfordert es zudem, die Vergabe und das Management öffentlicher Aufträge durch Behörden und Öffentlichkeit prüfen zu können. Der Flughafen Berlin-Brandenburg, das Bahnprojekt Stuttgart 21 oder die Hamburger Elbphilharmonie zeugen trefflich davon, zu welchen Unregelmäßigkeiten im Vergabeprozess, zu welchen Zeitverzögerungen und Kostensteigerungen es bei öffentlichen Vergabe- und Planungsprozessen kommen kann.

Im Mittelpunkt des Vergaberechts in Deutschland und der Europäischen Union steht seit den Siebzigerjahren das Streben nach Transparenz. Die EU und nationale Gerichte interpretieren die Transparenzauflagen als Mittel zum Schutz der Verfahrensrechte von Firmen, die an öffentlichen Ausschreibungen teilnehmen. Die EU-Kommission hat es daher privaten Bietern mit Verweis auf die EU-Grundrechtecharta erleichtert, gegen eine vermeintlich unlautere Behandlung in Vergabeverfahren juristisch vorzugehen. Dies entlastet unterfinanzierte öffentliche Kontrollinstanzen und erlaubt eine effektive Selbstkontrolle des Marktes.

Das aber reicht vielen Experten nicht aus. Die Transparenz öffentlicher Vergabeverfahren soll nun weiter erhöht werden. Es gibt den Plan der EU-Kommission, spezielle Vergaberegister über den gesamten Verlauf öffentlicher Ausschreibungen anzulegen. Spätestens 2018 soll es so weit sein. Durch die neuen Register würden alle Vergabedokumente im Internet kostenfrei für jedermann und zu jeder Zeit zugänglich. Dies gilt insbesondere für die technischen Dokumente, die hochsensible Produktinformationen beinhalten können, und die kommerziellen Gebote der beteiligten Unternehmen.

Macht das uneingeschränkt Sinn? Zweifel daran sind angebracht. Im Namen der Transparenz würden nach der Vergabe die Bedingungen und Preise für öffentliche Aufträge offengelegt und Bietern vertrauliche Marktinformationen wie die gebotenen Preise und technischen Dokumente ihrer Konkurrenten bereitgestellt.

So wird es möglich, dass öffentliche Auftraggeber unwissentlich den Wettbewerb schädigen und Kartelle begünstigen. Kartelle gründen sich häufig auf Preisabsprachen. In einem stabilen Kartell müssen dessen Mitglieder die Einhaltung von Kartellstrategien überprüfen und Abweichungen bestrafen können – was durch Vergaberegister erheblich vereinfacht würde, da ersichtlich wird ob ein Kartellmitglied sich an die Preisabsprache hält oder nicht. Kartelle aber sind volkswirtschaftlich schädlich, da sie zu höheren Preisen und geringerer Produktqualität führen. Die große Zahl an Fällen von Angebotsabsprachen auf öffentlichen Vergabemärkten zeigt, welch ernstzunehmendes Problem Kartelle auch in Deutschland darstellen.

Um es klar zu sagen: Transparenz ist wichtig, aber exzessive Transparenz kann kontraproduktiv sein. Nicht ohne Grund enthält die EU-Richtlinie zur öffentlichen Beschaffung einige Ausnahmen von bestehenden Transparenzregeln. Sie erlauben es etwa, vertrauliche Informationen, wie die technischen Dokumente und die abgegebenen Preise zurückzuhalten, die den Wettbewerb im Markt verzerren könnten. Aufgrund der rechtlichen Unsicherheit zögern öffentliche Auftraggeber jedoch, solche Maßnahmen zu ergreifen. Hier sollte die Politik für mehr Rechtssicherheit sorgen und die bestehenden Regeln konkretisieren.

Des Weiteren sollte sie beim Aufbau der neuen Online-Vergaberegister einen differenzierten Ansatz wählen. Solche Register können zwar einen Beitrag leisten, bei der öffentlichen Auftragsvergabe den Aufsichtsorganen und Rechnungshöfen die Kontrollarbeit zu erleichtern. Das bedeutet aber nicht, der Öffentlichkeit und allen Marktteilnehmern einen Echtzeitzugang zu den Detailinformationen zu gewähren. Sinnvoller sind Regeln, die den jeweiligen Grad und Zeitpunkt des Zugangs für den Privatsektor, die akademische Welt und die breite Öffentlichkeit bestimmen. Ein verzögerter Zugang zu Informationen würde Kartelle destabilisieren. Firmen, die von den Kartellstrategien abweichen, könnten dann länger von Abweichungsgewinnen profitieren, sodass die Abweichung profitabler würde.

Wer hingegen die totale Offenlegung von Vergabeprozessen fordert, riskiert negative Folgen für Wirtschaft und Verbraucher – verzerrte Preise, geringere Qualität und erhöhte Kosten für die Durchsetzung des Wettbewerbsrechts.


©KOF ETH Zürich, 19. Dez. 2016

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