Die Flüchtlingszuwanderung hat das Potenzial, dem kommenden Mangel an jungen Arbeitskräften in den alternden europäischen Volkswirtschaften entgegenzuwirken. Nimmt man die in der Vergangenheit beobachtete Arbeitsmarktintegration von ehemaligen Flüchtlingen als Anhaltspunkt, dürfte die Schweiz dieses Potential jedoch nicht ausschöpfen, wie dieser Beitrag zeigt. Einige Ökonomen haben breitenwirksam darauf hingewiesen, dass die Flüchtlingszuwanderung aus Syrien, dem Irak, Afghanistan und anderen Krisengebieten eine willkommene Verjüngungskur für die alternden Bevölkerungen in den europäischen Ländern darstellt, welche dem kommenden Fachkräftemangel und den Finanzierungsproblemen der Altersvorsorge dieser Volkswirtschaften entgegenwirken könnten. Das grundsätzliche Potential dafür wäre in der Tat vorhanden. So waren in der Vergangenheit rund 60% der Flüchtlinge in der Schweiz unter 30 Jahre alt, und rund zwei von drei Personen im Asylbereich befanden sich im erwerbsfähigen Alter (18–65 Jahre). Zudem sind drei von vier Flüchtlingen Männer, die in den Herkunftsländern der Flüchtlinge eine deutlich höhere Erwerbsbeteiligung aufweisen als die Frauen. Allerdings gibt es bei der Arbeitsmarktintegration der Flüchtlinge nicht zu unterschätzende Hürden. Schwer dürften die fehlenden Sprachkenntnisse der Flüchtlinge wiegen.
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Die Flüchtlingszuwanderung hat das Potenzial, dem kommenden Mangel an jungen Arbeitskräften in den alternden europäischen Volkswirtschaften entgegenzuwirken. Nimmt man die in der Vergangenheit beobachtete Arbeitsmarktintegration von ehemaligen Flüchtlingen als Anhaltspunkt, dürfte die Schweiz dieses Potential jedoch nicht ausschöpfen, wie dieser Beitrag zeigt.
Einige Ökonomen haben breitenwirksam darauf hingewiesen, dass die Flüchtlingszuwanderung aus Syrien, dem Irak, Afghanistan und anderen Krisengebieten eine willkommene Verjüngungskur für die alternden Bevölkerungen in den europäischen Ländern darstellt, welche dem kommenden Fachkräftemangel und den Finanzierungsproblemen der Altersvorsorge dieser Volkswirtschaften entgegenwirken könnten. Das grundsätzliche Potential dafür wäre in der Tat vorhanden. So waren in der Vergangenheit rund 60% der Flüchtlinge in der Schweiz unter 30 Jahre alt, und rund zwei von drei Personen im Asylbereich befanden sich im erwerbsfähigen Alter (18–65 Jahre). Zudem sind drei von vier Flüchtlingen Männer, die in den Herkunftsländern der Flüchtlinge eine deutlich höhere Erwerbsbeteiligung aufweisen als die Frauen.
Allerdings gibt es bei der Arbeitsmarktintegration der Flüchtlinge nicht zu unterschätzende Hürden. Schwer dürften die fehlenden Sprachkenntnisse der Flüchtlinge wiegen. Eine neue Studie von Dominik Hangartner und Lukas Schmid[ 1 ] , welche den Einfluss der Sprache auf die Erwerbstätigkeit von Flüchtlingen anhand von Personendaten aus dem Schweizer Asylprozess untersucht, zeigt, dass vorläufig aufgenommene Personen, welche die Sprache des lokalen Arbeitsmarktes sprechen, in den ersten fünf Jahren nach Zuwanderung eine um über 100% höhere Chance aufweisen erwerbstätig zu sein als Personen, welche die Sprache nicht beherrschen. Die Studie nutzt die Praxis der Schweizer Behörden aus, Asylsuchende ohne Rücksicht auf ihre (Sprach-) Kompetenzen auf die Kantone zu verteilen, wodurch französischsprachige Asylsuchende zufällig in der Welsch- oder Deutschschweiz landen.
Neben der Sprache dürften weitere Hürden einer zügigen Arbeitsmarktbeteiligung von Flüchtlingen im Weg stehen. Zu beachten ist erstens, dass viele Flüchtlinge aufgrund traumatischer Erfahrungen in den Herkunftsländern psychische und physische Beeinträchtigungen aufweisen, die eine rasche Eingliederung in den Arbeitsmarkt erschweren. Möglicherweise werden auch kulturelle Barrieren die Arbeitsmarktintegration erschweren. Auch die im Vergleich zur ansässigen Bevölkerung geringen schulischen Kompetenzen und die fehlende Anerkennung der Abschlüsse der Flüchtlinge dürften eine rasche Arbeitsaufnahme behindern. Zudem fehlt den ankommenden Personen das persönliche Netzwerk, das normalerweise die Arbeitsmarkteingliederung von Zuwanderern erleichtert. So existiert in der Schweiz nur eine kleine Diaspora der Herkunftsländer der neuen Flüchtlinge.
Regulatorische Hürden zur Beschäftigung von vorläufig Aufgenommenen
In der Schweiz stehen einer raschen Arbeitsmarkteingliederung der Flüchtlinge allerdings auch rechtliche und regulatorische Hürden im Weg. Das gilt im besonderen Ausmass für die so genannten „vorläufig Aufgenommenen“. Den Status vorläufig Aufgenommen erhalten Personen, deren Asylgesuch zwar abgelehnt wurde, deren Wegweisung allerdings technisch unmöglich, unzulässig oder unzumutbar ist. Diesen Status dürfte gut die Hälfte der Asylsuchenden erhalten, die in letzter Zeit in die Schweiz gekommen sind und die hier bleiben dürfen. Im Gros der Fälle dürfte sich die Wegweisung aufgrund einer Kriegssituation in den Herkunftsländern als unzumutbar erweisen. Dabei ist der Ausdruck „vorläufig Aufgenommen“ de facto eine Fehlbezeichnung: 90% dieser Personen verbleiben trotz negativen Asylentscheids langfristig in der Schweiz. Wegen der rechtlich vorläufigen Natur des Aufenthalts wird den vorläufig Aufgenommen der Arbeitsmarktzugang in der Schweiz in vielerlei Hinsicht erschwert. So müssen die Flüchtlinge eine Sonderabgabe von 10% des Lohnes an die Migrationsbehörde abliefern, was die Anreize für vorläufig Aufgenommen senkt, eine Erwerbstätigkeit zu suchen, statt von der Sozialhilfe zu leben.
Für die meisten vorläufig Aufgenommenen ist die Arbeitsaufnahme auch bewilligungspflichtig und muss vom potentiellen Arbeitgeber beantragt werden. Zwar werden dabei unter anderem die Lohn- und Arbeitsbedingungen überprüft, was die Flüchtlinge vor Sozial- und Lohndumping schützen soll. Ob diese Massnahme den Betroffenen hilft, ist allerdings fraglich, denn sie könnte viele Firmen aufgrund mangelnder Erfahrung mit dem administrativen Prozess vor der Anstellung von vorläufig Aufgenommenen abschrecken. Zudem ist es vorläufig Aufgenommenen faktisch ausgeschlossen, in einem anderen Kanton als dem Wohnkanton eine Stelle zu suchen. Schliesslich haben verschiedene Seiten wohl zurecht darauf hingewiesen, dass die Ausdrücke „vorläufig Aufgenommen“ und „Wegweisung“ stigmatisierend wirken könnten und dazu führen könnten, dass Firmen auf eine Anstellung verzichten, weil sie das Risiko nicht eingehen wollen, dass sie ihre neue Arbeitskraft schon nach kurzer Zeit wieder verlieren.
Tiefe Arbeitsmarktintegration ehemaliger Asylsuchender
Alles in allem führen diese Faktoren dazu, dass die Erwerbsbeteiligung von anerkannten Flüchtlingen und Personen im Asylprozess in der Schweiz in der Vergangenheit äusserst tief war. Dies galt auch im internationalen Vergleich – trotz eines ansonsten sehr integrativen Arbeitsmarkts mit einer auch im internationalen Vergleich hohen Erwerbsbeteiligung von Immigranten. Im letzten Jahr gingen gerade einmal 2 von 100 Asylsuchenden einer Erwerbstätigkeit nach. Vor der Hintergrund, dass der Asylprozess im Schnitt ein Jahr und in einigen komplexen Fällen mehrere Jahre dauern kann, ist die tiefe Arbeitsmarktintegration von Asylbewerbern eine nicht zu unterschätzende Belastung für die Betroffenen und eine grosse Hypothek bei der späteren Integration jener Flüchtlinge, die im Land bleiben dürfen.
Deren Arbeitsmarktintegration fällt denn auch ernüchternd aus. So lag die Erwerbstätigenquote der vorläufig Aufgenommenen selbst fünf Jahre nach Einreise gemäss einer auf Registerdaten basierenden Studie von KEK und B,S,S. (2014)[ 2 ] gerade einmal bei 17%. Die Erwerbstätigenquote von anerkannten Flüchtlingen – Personen also, deren Asylgesuch stattgeben wurde – lag gemäss den Auswertungen zu jenem Zeitpunkt zwar etwas höher, blieb mit 33% aber immer noch weit hinter der Erwerbstätigenquote anderer Zuwanderkategorien zurück.
Nur 1 von 10 ehemaligen Asylsuchenden nach fünf Jahren erwerbstätig
Die tiefe Erwerbsbeteiligung von Flüchtlingen hat Auswirkungen darauf, wie gross der erwartete Beitrag ist, den der gegenwärtige Flüchtlingsstrom zur Lösung des Fachkräftemangels in der Schweiz leisten dürfte. Das illustriert das folgende Rechenbeispiel: Nehmen wir der Einfachheit halber an, dass im laufenden Jahr eine historisch nie dagewesene Zahl von 100 000 Flüchtlingen einen Asylantrag in der Schweiz stellt. (Zum Vergleich: 2015 stellten knapp 40 000 einen Asylantrag in der Schweiz.) Bei den zuletzt beobachteten Anerkennungs- und Schutzquoten dürften davon ungefähr 55 000 Personen längerfristig in der Schweiz sein, je ungefähr die Hälfte als anerkannte Flüchtlinge und als vorläufig Aufgenommene. Nimmt man die in der Vergangenheit realisierten Erwerbstätigenquoten von Flüchtlingen als Anhaltspunkt, dürften gemäss einer kruden aber eher optimistischen Überschlagsrechnung gerade einmal 10 700 Personen fünf Jahre nach Einreise eine Stelle im Schweizer Arbeitsmarkt haben (siehe Tabelle 1).
Tabelle 1: Effekt einer hypothetischen Zuwanderung von 100 000 Asylsuchenden anfangs 2016 auf Erwerbstätigenzahl 2016–2021
Ende 2016 hätten gar nur 2250 Personen der 100 000 Asylsuchenden eine Stelle – eine direkte Konsequenz der tiefen Erwerbstätigenquote der Asylsuchenden und der Tatsachen, dass ein Asylverfahren im Schnitt rund ein Jahr dauert. Das Rechenbeispiel illustriert, dass der Effekt, den Flüchtlingszuströme auf die Erwerbstätigenzahl in der Schweiz haben, bei der gegenwärtigen Arbeitsmarktintegration der Flüchtlinge kurzfristig und mittelfristig sehr bescheiden ist. Gleichzeitig illustriert es, dass die Flüchtlingszuwanderung aufgrund der geringen Arbeitsmarktwirkung auch kaum negative Auswirkungen auf die Löhne und die Beschäftigung der Ansässigen ausüben dürfte – falls solche Verdrängungseffekte überhaupt vorkommen: eine Frage, worauf die vielen existierenden wissenschaftlichen Studien zum Thema keine eindeutige Antwort liefern.
Tiefe Arbeitsmarktintegration bedeutet hohe gesellschaftliche Kosten
Die geringe Arbeitsmarktintegration von ehemaligen Flüchtlingen in der Schweiz hat allerdings eindeutige Auswirkungen auf die zu erwartende Fiskalbilanz der Flüchtlingszuwanderung: Denn die Erwerbstätigkeit ist methodenübergreifend der zentrale Faktor, der die Fiskalbilanz von Zuwanderung bestimmt. Statt Steuern zu zahlen, sind erwerbslose Flüchtlinge von staatlichen Transferleistungen abhängig. Das spiegelt sich in der Sozialhilfestatistik im Asylbereich des Bundesamts für Statistik. Gemäss dieser bezogen 2014 vier von fünf Personen im Asylprozess – Asylsuchende plus vorläufig Aufgenommene – Sozialhilfe. Die involvierten Beträge sind für die öffentliche Hand beträchtlich. So errechnete eine Studie des B,S,S. zu Kosten und Nutzen der Arbeitsmarktintegration der vorläufig Aufgenommenen kürzlich, dass es die verschiedenen öffentlichen Budgets ungefähr 35 000 Franken pro Jahr und Person kostet, wenn ein vorläufig Aufgenommener erwerbslos statt zu 100% erwerbstätig ist.
Berücksichtigt man die direkten fiskalischen Kosten, die die Nicht-Erwerbstätigkeit von Flüchtlingen für die Gesellschaft hat und rechnet die weiteren Nutzen einer Erwerbstätigkeit für die Flüchtlinge und die Gesellschaft hinzu – u. a. einfacherer Spracherwerb, soziale Integration, tiefere Kriminalität, kleinerer Betreuungsaufwand – so wird offensichtlich, dass die Arbeitsmarktintegration von Flüchtlingen aus wirtschafts-, integrations- und finanzpolitischer Sicht zu fördern ist. Das ist eine der wenigen Schlussfolgerungen, die unter Migrationsökonomen unbestritten ist.
Grosse Kantonsunterschiede in der Arbeitsmarktintegration von Flüchtlingen
Massnahmen zur besseren Arbeitsmarktintegration von Personen im Asylprozess und von anerkannten Flüchtlingen sind deshalb angezeigt. Zu begrüssen ist es aus dieser Perspektive, dass der Bund einen erneuten Anlauf zur Etablierung einer Integrationsvorlehre unternommen hat (in der Öffentlichkeit inhaltlich fälschlicherweise „Flüchtlingslehre“ genannt). Auch die Arbeitsmarktintegration von Personen, deren Asylentscheid noch nicht gefallen ist, sollte gefördert werden – gerade bei jenen Asylsuchenden, die gute Aussichten auf einen längeren Verbleib in der Schweiz haben. Eine einfache und sehr wahrscheinlich kosteneffiziente Massnahme wäre es zudem, französischsprachige Zuwanderer gezielt in den französischsprachigen Landesteil zuzuteilen.
Ganz allgemein sollten die Arbeitsmarktkompetenzen der Zuwandernden vermehrt in die Verteilung der Flüchtlinge einfliessen. Schliesslich sind bestehende regulatorische Hürden beim Arbeitsmarktzugang von vorläufig Aufgenommenen konsequent abzubauen. Dass diese Hürden einen Einfluss auf ihre Arbeitsmarktintegration haben, suggerieren einerseits die Resultate einer kürzlich vom Ifo-Institut in Deutschland zusammen mit Randstad durchgeführte Umfrage. In dieser gaben die befragten deutschen Unternehmen regulatorische Hürden als einer der Hauptgründe an, warum sie auf die Anstellung von Flüchtlingen verzichten.
Dass Politikmassnahmen die Arbeitsmarktintegration von Flüchtlingen beeinflussen können, suggerieren andererseits auch die grossen kantonalen Unterschiede in der Erwerbstätigenquote von Flüchtlingen. Denn die Kantone unterscheiden sich deutlich in den Hürden, die sie den Flüchtlingen zur Arbeitsaufnahme in den Weg stellen beziehungsweise in der Unterstützung, die sie ihnen zur Arbeitsaufnahme bieten. So dürfte unter anderem erklärt werden können, warum gemäss Asylstatistik im Jahr 2015 im Kanton Obwalden rund 55% der vorläufig Aufgenommenen und 5% der Asylsuchenden erwerbstätig waren, während es im Kanton Jura nur 17% der vorläufig Aufgenommen und gar kein Asylsuchender waren. Da die Verteilung der Flüchtlinge auf die Kantone zufällig geschieht, sind diese Kantonsunterschiede auf die Situation in den beiden Kantonen zurückzuführen. Umgekehrt bedeutet dies: Die Frage, welchem Kanton ein Flüchtling zugeteilt wird, kommt für seine Chancen auf eine erfolgreiche Arbeitsmarktintegration einer Lotterie gleich.
- 1 Dominik Hangartner und Lukas Schmid (2016): Sprache und Arbeitsmarkterfolg. Wie beeinflussen die Sprachkenntnisse die Erwerbstätigkeit on Migranten? Unpubliziertes Manuskript.
- 2 KEK – CDC Consultants und B,S,S. Volkswirtschaftliche Beratung (2014): Erwerbsbeteiligung von anerkannten Flüchtlingen und vorläufig Aufgenommenen auf dem Schweizer Arbeitsmarkt, Studie im Auftrag des Bundesamtes für Migration (BFM).