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Die langfristigen Probleme einer Nullzinspolitik

Summary:
Die Nullzinspolitik der EZB ist nicht für die "armen Sparer" das Problem, wie oftmals zu hören ist. Wie dieser Beitrag zeigt, besteht das Problem darin, dass die Reduktion der Zinsen die Investitionen nicht ankurbeln wird, solange die Fiskalpolitik restriktiv bleibt. Die Europäische Zentralbank (EZB) hat nun den Leitzins auf null gesenkt. Die Kritik der deutschen Medien war weitestgehend unverständlich. Die EZB hat ein Inflationsziel von knapp unter 2%, und wenn sie das nicht erreicht dann senkt sie den Zins – solange, bis die Inflation wieder in Richtung Zielmarke steigt. Da dies aber nicht der Fall war und auch nicht ist, war eine Zinssenkung nun wirklich nicht überraschend. Die Warnung vor einer "Blase" erscheint etwas seltsam, denn dass die Zinssenkungen einer Zentralbank bei einer gegebenen Kreditnachfrage zu mehr Investitionen führen, ist doch genau so vorgesehen (Stichwort: Taylor-Regel). Man fragt sich, wo die Medien und die von ihr zitierten Beobachter die letzten 20 Jahre verbracht haben. Und weiterhin könnte man fragen, warum denn diese Beobachter nicht vor den Immobilienblasen in Spanien und Irland warnten? Die Politik der Europäischen Zentralbank darf und soll kritisiert werden, aber es muss eine Kritik sein, die auf wissenschaftlichem Fundament steht.

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Die Nullzinspolitik der EZB ist nicht für die "armen Sparer" das Problem, wie oftmals zu hören ist. Wie dieser Beitrag zeigt, besteht das Problem darin, dass die Reduktion der Zinsen die Investitionen nicht ankurbeln wird, solange die Fiskalpolitik restriktiv bleibt.

Die Europäische Zentralbank (EZB) hat nun den Leitzins auf null gesenkt. Die Kritik der deutschen Medien war weitestgehend unverständlich. Die EZB hat ein Inflationsziel von knapp unter 2%, und wenn sie das nicht erreicht dann senkt sie den Zins – solange, bis die Inflation wieder in Richtung Zielmarke steigt. Da dies aber nicht der Fall war und auch nicht ist, war eine Zinssenkung nun wirklich nicht überraschend. Die Warnung vor einer "Blase" erscheint etwas seltsam, denn dass die Zinssenkungen einer Zentralbank bei einer gegebenen Kreditnachfrage zu mehr Investitionen führen, ist doch genau so vorgesehen (Stichwort: Taylor-Regel). Man fragt sich, wo die Medien und die von ihr zitierten Beobachter die letzten 20 Jahre verbracht haben. Und weiterhin könnte man fragen, warum denn diese Beobachter nicht vor den Immobilienblasen in Spanien und Irland warnten?

Die Politik der Europäischen Zentralbank darf und soll kritisiert werden, aber es muss eine Kritik sein, die auf wissenschaftlichem Fundament steht. Für die Sparer einen risikolosen Zins zu fordern, der für Nichtkonsumieren belohnt, ist ohne makroökonomische Begründung nur ein moralisierendes Geschwurbel. Die Problematik der "armen Sparer" ist auch keineswegs neu, allerdings riecht sie stark nach Vertretung von Partikularinteressen. In Sachen Verteilung geht es einigen nur um die Verteilung des Kuchens (und daher den Zins), nicht aber über dessen Größe (welche u.a. von den Investitionen abhängt). Was also könnte es durch den Nullzins der EZB für makroökonomische Probleme geben?

Die Zinssenkung der EZB soll ja den Unternehmen helfen, die sich – Sicherheiten und Bonität vorausgesetzt – jetzt billiger verschulden können. Damit sinken die Kosten der Unternehmen. Um die für die Durchführung der Investition wesentliche Rendite zu bestimmen, müssen wir auf mögliche Sekundärwirkungen achten. Die Rendite ist das Fachwort für das Verhältnis der Einzahlungen zu den Auszahlungen einer Kapitalanlage. Kostet mich eine Investition €100 und führt diese dann Ende des Jahres zu Einzahlungen von €110, dann beträgt die Rendite €110/€100=11%. Anders ausgedrückt: für jeden investierten Euro bekomme ich €1,10 zurück. Liegt diese Rendite höher als der Zins, dann sollte ich die Investition durchführen.

Die Auswirkungen einer Zinssenkung auf die Rendite sollte so sein, dass eine Zinssenkung die Auszahlungen reduziert, da die Zinskosten wesentlich sind. Angenommen, wir haben ein Investitionsprojekt mit Auszahlungen in Höhe von €102 und Einnahmen in Höhe von €102,05, dann wäre bei einem Zins von 2,05% die Rendite der Investition genau 0. Wir nehmen vereinfachend an, dass sich das Unternehmen Geld zum Leitzins plus 2% leihen kann. Durch eine Zinssenkung auf 0,0% müsste nun die Rendite auf 0,05% steigen, und so lohnt sich dann die Investition. Allerdings gilt dies nur bei unveränderten Einzahlungen.

Der Leitzins der Eurozone ist allerdings auch ein wesentlicher Bestimmungsfaktor der Verzinsung und der Zinsen von Staatsanleihen. Sinkt der Zins, dann "spart" der Staat Geld, da er für die Zinsen der Staatsanleihen nicht mehr soviel zahlen muss. Die andere Seite der Medaille ist allerdings, dass damit die Haushalte weniger Zinseinkünfte haben. Dies ist ja von vielen Medien aufgegriffen worden ("Enteignung der Sparer!"), allerdings wurde mit der Moralkeule argumentiert und nicht mit der Makroökonomie. Die Haushalte haben also weniger Einkommen, wenn der Staat geringere Zinsen zahlt. Wenn die Haushalte geringere Einkommen haben, werden sie dann nicht auch ihre Ausgaben einschränken? Sehr wahrscheinlich lautet die Antwort auf diese Frage: ja. Je nachdem, in welchem Ausmaß die meist relativ wohlhabenden BesitzerInnen der Staatsanleihen diese Einkommen verausgabt hätten, werden die Ausgaben für Konsumgüter fallen. Ist dies mit gleichbleibenden Einzahlungen unseres Investors vereinbar? Aus gesamtwirtschaftlicher Sicht lautet die Antwort nein.

Wenn eine Zinssenkung die Auszahlungen um x% verringert, dann wird die gleiche Zinssenkung über die verringerten Einkommen der Haushalte zu einer Senkung der Einzahlungen führen. Es wird davon ausgegangen, dass der Staat die Zinssenkungen gerne mitnimmt und eine "schwarze Null" schreibt, anstatt die Staatsausgaben so zu erhöhen, dass das Defizit des Staates unverändert bleibt. Wie hoch ist dann der Effekt auf die Einkommen der Haushalte und damit auf die Einzahlungen der Investition? Bei einer Staatsverschuldung von null wäre der Effekt nicht vorhanden. Bei einer Staatsverschuldung von 100% des Bruttoinlandproduktes (BIP) würde der Effekt die Einkommen der Haushalte reduzieren. Jetzt müssen wir noch eine Annahme treffen, in welcher Höhe Einkommen für den Konsum verausgabt wird. Ein Wert von 0,8 für die marginale Konsumneigung erscheint realistisch. Eine Reduzierung des Konsums um einen Euro verringert dann den Konsum um €4, da die Einschränkung der Ausgaben des Einen zu verringerten Einkommen des Anderen führt, der wiederum ebenfalls seinen Konsum um 0,8 multipliziert mit der Verminderung des Einkommens reduziert. Nach mehreren Runden Multiplikatorrechnung kommen wir auf einen Wert von €4.

Nun könnte eingewandt werden, dass der Multiplikator geringer sein muss, da hauptsächlich die relativ Wohlhabenden betroffen sind von den geringeren Zinserträgen. Wenn dies so wäre, dann hätte eine Zinssenkung keine Auswirkungen auf die Rendite von Investitionsprojekten und die "Enteignung der Sparer" wäre ohne makroökonomische Auswirkungen. Da allerdings nur in der ersten Runde die Konsumneigung etwas niedriger sein dürfte, können wir entgegenkommend mit einem Multiplikator von zwei arbeiten. Der reiche Besitzer der Staatsanleihen verkonsumiert also nur einen unterdurchschnittlichen Teil seines Einkommens. Bei einer Staatsverschuldung in Höhe von 100% des BIP würde also eine Zinssenkung um 1% zu einer Reduktion des Konsums um 2% führen. Liegt die Staatsverschuldung bei 50% (150%), dann wird der Konsum um 1% (3%) reduziert.

Tabelle 1: Staatsverschuldung in Prozent vom BIP

GEO/TIME 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014
Eurozone 68,5 78,3 83,8 86,0 89,3 91,1 92,1
Belgien 92,4 99,5 99,6 102,2 104,1 105,1 106,7
Deutschland 65,0 72,5 81,0 78,4 79,7 77,4 74,9
Estland 4,5 7,0 6,6 5,9 9,5 9,9 10,4
Irland 42,4 61,8 86,8 109,3 120,2 120,0 107,5
Griechenland 109,4 126,7 146,2 172,0 159,4 177,0 178,6
Spanien 39,4 52,7 60,1 69,5 85,4 93,7 99,3
Frankreich 68,1 79,0 81,7 85,2 89,6 92,3 95,6
Italien 102,3 112,5 115,3 116,4 123,2 128,8 132,3
Zypern 45,1 53,9 56,3 65,8 79,3 102,5 108,2
Lettland 18,7 36,6 47,5 42,8 41,4 39,1 40,6
Litauen 14,6 29,0 36,2 37,2 39,8 38,8 40,7
Luxemburg 14,4 15,5 19,6 19,2 22,1 23,4 23,0
Malta 62,7 67,8 67,6 69,8 67,6 69,6 68,3
Niederlande 54,5 56,5 59,0 61,7 66,4 67,9 68,2
Österreich 68,5 79,7 82,4 82,2 81,6 80,8 84,2
Portugal 71,7 83,6 96,2 111,4 126,2 129,0 130,2
Slowenien 21,6 34,5 38,2 46,4 53,7 70,8 80,8
Slowakei 28,2 36,0 40,8 43,3 51,9 54,6 53,5
Finnland 32,7 41,7 47,1 48,5 52,9 55,6 59,3

Quelle: Eurostat[ a ]

Tabelle 1 zeigt die aktuellen Quoten der Staatsverschuldung in Prozent vom BIP für die Länder der Eurozone. Damit bei einer Investition die Rendite nicht einbricht in Folge einer Zinssenkung der EZB, müsste nach den obigen Annahmen die Staatsverschuldung unter 50% liegen. Das wäre aktuell in Estland, Lettland, Litauen und in Luxemburg der Fall (fett markiert). Die wirtschaftliche Expansion in Ballux (Baltikum+Luxemburg) müsste die bremsende Wirkung der Zinssenkung im Rest der Eurozone überkompensieren, aber das kann sie wohl nicht (keines der Länder ist größer als Berlin). In Spanien, Italien und Frankreich liegt die Staatsverschuldung bei etwa 100% des BIP, in Deutschland etwas darunter. Aufgeweicht werden könnte diese Rechnung nur dann, wenn die Länder ihre Staatsausgaben erhöhen, um so die Zinssenkungen zu kompensieren. Davon ist momentan jedoch nicht auszugehen.

Wirtschaftspolitisch steuert die Eurozone auf den Abgrund zu. Durch quantitative Easing kann der Wechselkurs des Euros gesenkt werden, um einen Teil der Arbeitslosigkeit ins Ausland zu exportieren. Dies allerdings war schon in den vergangenen Jahren die Wachstumsstrategie, und der Einbruch der Nachfrage im Rest der Welt steht damit in direktem Zusammenhang. Eine Reduzierung der Zinsen wird die Investitionen jetzt nicht ankurbeln und mittelfristig die Lage eher verschlimmern, solange die restriktive Fiskalpolitik fortgesetzt wird. Die Politik sollte nun umdenken – die Zeit des Sparens ist vorbei. Nachfrage entsteht durch Kaufkraft, und die kann der Staat durch zusätzliche Ausgaben und Steuersenkungen schaffen. Dies wird auch die Renditen nach oben ziehen. Die so ansteigenden Investitionen erhöhen dann mittelfristig die Produktivität. Sollte der Stabilitäts- und Wachstumspakt einer solchen wirtschaftspolitischen Lösung im Weg stehen, sollte man ihn erstmal ignorieren und später reformieren.

©KOF ETH Zürich, 22. Mär. 2016

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