Tuesday , May 14 2024
Home / Ökonomenstimme / Das Trittbrettfahrer-Problem in der Flüchtlingsfrage: Ein Lösungsvorschlag

Das Trittbrettfahrer-Problem in der Flüchtlingsfrage: Ein Lösungsvorschlag

Summary:
Wie liessen sich die Flüchtlinge fair und effizient auf die europäischen Länder verteilen? Und wie liesse sich diese Verteilung am einfachsten implementieren? Dieser Beitrag liefert einen Lösungsvorschlag. Wir befassen uns in diesem Beitrag mit der Frage nach einer effizienten und fairen Verteilung der Flüchtlinge auf die europäischen Länder und erörtern, wie man diese Verteilung am einfachsten implementieren könnte. Andere, wichtige Bereiche wie verstärkte Hilfe in den Ursprungsländern, um die Zahl der Flüchtlinge zu verringern, sowie die Palette der notwendigen Anstrengungen zur Integration der anerkannten Flüchtlinge im aufnehmenden Land, werden nicht weiter erörtert. Innovative Lösungen werden benötigt: In Anbetracht der Situation muss man ein Abkommen finden, welches die Lasten möglichst fair verteilt. Wenn die Anreize für Trittbrettfahren zu hoch sind, müssen Gegenanreize gesetzt werden, zum Beispiel mit einem sogenannten Refunding Scheme, einem Konzept aus der Forschung über öffentliche Güter. Damit würden Registrierung und Bearbeitung der Asylanträge effizienter. Es bietet auch Anreize, sich zu beteiligen. Ein Refunding Scheme funktioniert wie folgt: Die teilnehmenden Länder speisen mit einer sogenannten "Anfangsgebühr" einen gemeinsamen Fonds, aus dem am Ende einer bestimmten Periode Rückerstattungen an die Teilnehmer finanziert werden.

Topics:
Hans Gersbach considers the following as important:

This could be interesting, too:

finews.ch writes Sergio Ermotti lässt die Standortfrage in der Luft schweben

finews.ch writes Instant Payment: Der Preiskampf hat begonnen

finews.ch writes Ebner & Co. geben Temenos-Aktienkurs Rückenwind

finews.ch writes Colombo Wealth: Übernahme und neuer Investmentchef

Wie liessen sich die Flüchtlinge fair und effizient auf die europäischen Länder verteilen? Und wie liesse sich diese Verteilung am einfachsten implementieren? Dieser Beitrag liefert einen Lösungsvorschlag.

Wir befassen uns in diesem Beitrag mit der Frage nach einer effizienten und fairen Verteilung der Flüchtlinge auf die europäischen Länder und erörtern, wie man diese Verteilung am einfachsten implementieren könnte. Andere, wichtige Bereiche wie verstärkte Hilfe in den Ursprungsländern, um die Zahl der Flüchtlinge zu verringern, sowie die Palette der notwendigen Anstrengungen zur Integration der anerkannten Flüchtlinge im aufnehmenden Land, werden nicht weiter erörtert.

Innovative Lösungen werden benötigt: In Anbetracht der Situation muss man ein Abkommen finden, welches die Lasten möglichst fair verteilt. Wenn die Anreize für Trittbrettfahren zu hoch sind, müssen Gegenanreize gesetzt werden, zum Beispiel mit einem sogenannten Refunding Scheme, einem Konzept aus der Forschung über öffentliche Güter. Damit würden Registrierung und Bearbeitung der Asylanträge effizienter. Es bietet auch Anreize, sich zu beteiligen.

Ein Refunding Scheme funktioniert wie folgt:

Die teilnehmenden Länder speisen mit einer sogenannten "Anfangsgebühr" einen gemeinsamen Fonds, aus dem am Ende einer bestimmten Periode Rückerstattungen an die Teilnehmer finanziert werden. Die Rückerstattung an ein Land richtet sich nach dessen Beitrag zur Problemlösung im Verhältnis zum Beitrag der übrigen Länder. Am Ende der Periode kann man auf zwei Arten vorgehen: Entweder die Länder zahlen wieder ein und der Prozess wird wiederholt, oder ein Teil des Fonds wird für zukünftige Auszahlungen zurückgehalten und es muss keine neue Einzahlung der Grundgebühr getätigt werden.

Der wichtigste Punkt ist der Verteilungsschlüssel für die Rückerstattung, der jedes Land nach seinem Leistungsanteil belohnt. Deshalb hat jedes Land einen Grund, sich um eine Lösung des Problems zu bemühen. Jedes Land entscheidet jedoch autonom, wieviel es zur Lösung beitragen möchte.

Die Gebühr jedes Landes wird in den Verhandlungen zur Etablierung des Systems so festgelegt, dass sie auch Anreize zur Teilnahme bietet. Sobald das System etabliert ist, funktioniert es ohne weitere Verhandlungen oder Diskussionen über das Erreichen nationaler Ziele. Das Refunding Scheme benötigt keine Anpassung der Gesetzgebung einzelner Länder: Welche Gesetzgebung die einzelnen Länder anwenden, um das Problem zu lösen, ist nicht von Belang.

1. Sovereignty (Souveränität): Jedes Land behält sein eigenes Asylverfahren und seine eigene Gesetzgebung. Welcher Asylantrag angenommen oder abgelehnt wird, ist Sache dieses Landes. Wichtig ist einzig, die Anzahl und das Resultat der Verfahren zu dokumentieren. Sie geben gewissermassen das Ausmass des "Abtragens" des Problems an.

Leistung könnte wie folgt gemessen werden:

(i) Wie viele Personen sind im Land registriert worden?

(ii) Auf wie viele Anträge wurde gar nicht eingegangen?

(iii) Wie viele Verfahren wurden vollständig durchgeführt, bzw. wie viele Personen wurden als Flüchtlinge anerkannt und wie viele abgelehnt?

Denkbar wären Kreditpunkte: Ein Anerkennungsverfahren, auf das nicht eingegangen wurde, brächte am wenigsten Punkte, ein vollständiges Verfahren, das in Ablehnung mündet, etwas mehr, und ein Verfahren mit Anerkennung als Flüchtling und Familiennachzug am meisten. Die Skala ist beliebig differenzierbar und erweiterbar. Wichtig ist, dass all Länder nachweisen können, wie viele Kreditpunkte sie in einer Periode erarbeitet haben.

2. Financing (Finanzierung): Die Finanzierung des Fonds müsste durch Beiträge der einzelnen Länder erfolgen. Da die Beiträge zurückerstattet werden – allerdings im Verhältnis der Leistungsanteile –, wäre das System in der Summe budget-neutral. Mittelfristig könnte für ein europaweites Refunding Scheme auch auf bereits bestehende EU-Fonds zurückgegriffen werden.

3. Compliance (Konformität): Nur wer Flüchtlingsanträge bearbeitet und das Punktesystem anwendet, hat eine Chance auf Rückerstattung. Die erarbeiteten Punkte werden von einer unabhängigen Instanz zertifiziert, welche daraufhin die Rückerstattungen nach einer Formel vornimmt, die jedes teilnehmende Land im Verhältnis zu dessen Anteil an der Lösung des Problems belohnt. Diese unabhängige Instanz muss mit der Kompetenz betraut werden, die Gebühren einzuziehen, den Fonds zu verwalten, die Anstrengungen der einzelnen Länder zu evaluieren und die Rückerstattungen zu tätigen.

4. Participation (Teilnahmebereitschaft): Für die Verhandlungen über die Speisung des Fonds durch Beiträge einzelner Länder sind verschiedene Faktoren wichtig. Einige Länder sind attraktiver für Flüchtlinge oder stärker an einer Lösung der Flüchtlingsfrage interessiert als andere. Einheitliche Regeln zur Berechnung der Anfangsgebühr könnten deshalb einzelne Länder von einer Teilnahme abhalten, so dass es notwendig sein könnte, Teilnahmegebühren unterschiedlich zu gestalten.

5. No-Manipulation (Nicht-Manipulierbarkeit): Wie bei jedem Verteilungssystem für Flüchtlinge muss sichergestellt werden, dass Flüchtlinge – sind sie einmal von einem Land als solche anerkannt – nicht ins Nachbarland weiterziehen, oder gar dazu ermutigt werden. Es sollte keine Gründe geben, Flüchtlinge schnell aufzunehmen, um Kreditpunkte zu erhalten, und sie dann ebenso schnell an andere Länder weiterzureichen. Um diese unerwünschte Mobilität einzuschränken, könnte man zum Beispiel festlegen, dass nur in demjenigen Land Anspruch auf Sozialleistungen besteht, in dem das erste Anerkennungsverfahren als Flüchtling angefangen hat.

Variante: Refunding Scheme mit Länderpatenschaft

Man könnte sich grundsätzlich noch ganz andere Formen von Refunding Schemes vorstellen, auch wenn sie innerhalb des aktuellen rechtlichen Rahmens nicht möglich sind. Eine einfachere Variante des Refunding Schemes würde es zum Beispiel erlauben, auf das Punktesystem auf Verfahrensniveau zu verzichten, und stattdessen die Flüchtlinge nach ihrem Ursprungsland einzustufen. Dieser Variante liegt die Beobachtung zugrunde, dass Flüchtlinge am ehesten in ein Land gehen wollen, in dem sie Freunde oder Verwandte haben. Man könnte sich also ein System vorstellen, dessen simpelste Variante in einer Art "Länderpatenschaft" besteht.

Zuerst würde je nach politischer Situation jedem potentiellen Ursprungsland eine gewisse Anzahl Punkte zugeteilt. Nehmen wir theoretisch an, im Ursprungsland A ist die Situation so untragbar, dass eine hohe Zahl von Flüchtlingen zu erwarten ist, zum Beispiel 1'000'000 Personen. Aus Ursprungsland B sind nur 500'000 Personen zu erwarten. Dann würde Ursprungsland A mit doppelt so vielen Punkten gewertet wie Ursprungsland B.

Übernimmt nun Patenland A die Flüchtlinge von Ursprungsland A und ein zweites europäisches Land die Flüchtlinge von Ursprungsland B, hat Patenland A Anspruch auf eine doppelt so hohe Rückerstattung. Der Nachteil dieses Systems liegt auf der Hand: Ein Flüchtling von Ursprungsland A hätte nur im Patenland Anrecht auf ein Verfahren. Es könnte auch sein, dass Ursprungsländer, aus denen Flüchtlinge kommen, die schwer zu integrieren sind, keine Patenländer finden. Das könnte zu einer Art "Flüchtlinge zweiter Klasse", i.e. ohne Patenland führen.

Die Vorteile sind aber ebenfalls zu beachten:

  • Dass ein Flüchtling nur im Patenland Anspruch auf ein Verfahren hat, könnte einen Einfluss auf die Anzahl der Flüchtlinge haben: Wer um keinen Preis in das Patenland gehen will, wird sich das Auswandern zweimal überlegen. Auch würde damit jedes Verfahren nur ein einziges Mal geführt – und zwar im Patenland. Das würde die Verfahrenskosten grundsätzlich senken.
  • Das Patenland müsste sich lediglich mit der Kultur, mit dem Schul- und Berufsbildungssystem sowie mit den allgemeinen Eigenarten derjenigen Ursprungsländer befassen, für welche es die Patenschaft übernommen hat. Das würde einen Teil der Integrationsschwierigkeiten mildern, welche ein angenommener Asylantrag mit sich zieht – und die Kosten wiederum senken.
  • Die Kosten der Integration würden auch dadurch gesenkt, dass ehemalige Flüchtlinge aus dem Ursprungsland sich an der Integration ihrer Landsleute im Patenland beteiligen.
  • Auch hätte die Bevölkerung des Patenlandes wohl weniger Mühe, sich mit einer begrenzten Anzahl neuer Kulturen und Sprachen auseinanderzusetzen. Das würde die allgemeine Stimmung gegenüber Flüchtlingen positiv beeinflussen.
  • Auch wären die Anreize für ein Patenland grösser, sich im Ursprungsland für bessere Verhältnisse einzusetzen, sei es politisch oder wirtschaftlich, und so den Flüchtlingsstrom einzudämmen.
  • Ein wichtiger Aspekt dieser Patenschaften ist der "First-come-first-serve"-Effekt, der die Teilnahme am Refunding Scheme fördern würde: Es stünde jedem Land frei, zuerst eine Patenschaft für diejenigen Ursprungsländer zu übernehmen, deren Bürger leichter zu integrieren scheinen, oder welche ein Ausbildungsniveau anbieten, welches dem Arbeitsmarkt des Patenlandes nützlich sein könnte.

Fazit

Der Einsatz eines Rückerstattungssystems, um dem Trittbrettfahrerproblem in der Flüchtlingsfrage entgegenzuwirken, mutet zuerst fremd an. Doch die vorgeschlagene Lösung verspricht effizientere und fairere Lösungen als die bisher unternommenen Versuche mit Kontingenten.

©KOF ETH Zürich, 24. Mär. 2016

Leave a Reply

Your email address will not be published. Required fields are marked *