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Der selbstbestimmte Bürger muss mehr Wolf als Schaf sein

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Photo: M L from Unsplash (CC 0) Die politische Linke hat sich über die Zeit dem konservativen Menschenbild angepasst: Viele von ihnen glauben, dass der Einzelne kurzsichtig und eigensüchtig sei, weshalb es der ordnenden Hand des Staates bedürfe. Wenn sich Pessimismus und politischer Gestaltungswille treffen, wird es eng für die Sache der Freiheit. Steuern, Verbote, Bürokratie? Das ist fortschrittliche Politik! Der Niedergang der Sozialdemokratie in Deutschland und weltweit hat wilde Debatten losgetreten: Sollte man den „dänischen Weg“ gehen und gesellschaftspolitisch einen deutlichen Rechts-Schwenk vollziehen? Sollte das Thema Umwelt stärker auf die Agenda, um die grüne Konkurrenz einzudämmen? Oder doch lieber Industriepolitik? Eine Ausweitung des Wohlfahrtsstaates, um die Scharte der

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Die politische Linke hat sich über die Zeit dem konservativen Menschenbild angepasst: Viele von ihnen glauben, dass der Einzelne kurzsichtig und eigensüchtig sei, weshalb es der ordnenden Hand des Staates bedürfe. Wenn sich Pessimismus und politischer Gestaltungswille treffen, wird es eng für die Sache der Freiheit.

Steuern, Verbote, Bürokratie? Das ist fortschrittliche Politik!

Der Niedergang der Sozialdemokratie in Deutschland und weltweit hat wilde Debatten losgetreten: Sollte man den „dänischen Weg“ gehen und gesellschaftspolitisch einen deutlichen Rechts-Schwenk vollziehen? Sollte das Thema Umwelt stärker auf die Agenda, um die grüne Konkurrenz einzudämmen? Oder doch lieber Industriepolitik? Eine Ausweitung des Wohlfahrtsstaates, um die Scharte der „neoliberalen Agenda“ zwischen 1980 und 2010 endgültig wieder auszuwetzen? Ein Feld, auf dem man den Grünen den pflanzlichen Aufstrich vom Brot nehmen könnte, wäre womöglich eine Renaissance des Obrigkeitsstaates. So scheint das zumindest Hans Peter Bull, ehemaliger Innenminister Schleswig-Holsteins, zu sehen. Letzte Woche veröffentlichte er in der Süddeutschen Zeitung einen Artikel unter der Überschrift „Das Land braucht mehr Verbote“. Er beklagt darin, dass die Begriffe Steuererhöhung, Verbot und Bürokratie heutzutage im politischen Diskurs verpönt seien. Er dagegen wünscht sich einen starken Staat, der massiv umverteilt und unerwünschtes Verhalten einschränkt – im Namen einer „fortschrittlichen Politik“.

Welche Einstellung seinen Forderungen zugrunde liegt, offenbart Bull im dritten Absatz seines Artikels überdeutlich: „Wer … darauf setzt, dass alle Menschen freiwillig ihre Lebensweise ändern, auf Komfort verzichten und Opfer für die Allgemeinheit erbringen, hat einen erheblichen Teil der Mitmenschen aus dem Blick verloren“. Die meisten Menschen wissen nicht, was gut für sie ist, und sind letztlich unfähig zur Empathie und Solidarität. Das ist die Begründung, die Politiker wie Robespierre und Lenin genutzt haben, um ihr Tun zu rechtfertigen. Es ist die fatale Mischung aus linkem Weltverbesserungswillen und konservativem Misstrauen gegenüber dem Menschen; eine sehr unbekömmliche Mischung zweier schon in sich problematischer Weltsichten.

Als die Linke die Emanzipation verriet

Die Linke hat auf diesem Gebiet eine sonderbare Wandlung durchgemacht. Sie stand anfangs durchaus in der Tradition der Aufklärung; also der Vorstellung, dass der Mensch die Fähigkeit besitzt und die Möglichkeit haben sollte, sich „aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit“ zu befreien. Das emanzipatorische Element stand auch am Beginn der Arbeiterbewegung. Der Arbeiter sollte ermächtigt werden, sein Leben selbst in die Hand zu nehmen, er sollte sich nicht nur von der Unterdrückung durch Ausbeuter befreien, sondern auch die paternalistischen Fesseln von Staat und Kirche abwerfen. Folgerichtig setzte man sich dann auch für die Emanzipation der Frau und anderer unterdrückter Gruppen ein. Man verachtete die uralten Narrative, die behaupteten, es müsse eine Obrigkeit geben, die dem Leben der Menschen Richtung und Sinn verleiht. Stattdessen waren sich diese Menschen sicher, dass ein einfacher Arbeiter oder eine Frau sehr wohl Verantwortung für ihr Leben übernehmen könnte und sollte.

Im Laufe des 19. Jahrhunderts und ganz besonders seitdem sie im 20. Jahrhundert vielerorts Regierungsverantwortung übernommen hat, ist die Linke scharf rechts abgebogen. Der Staat, den ihre intellektuellen Vorfahren noch mit größter Skepsis gesehen hatten, wurde für sie zum Mittel der Wahl. In ihrer Begeisterung für diese Machbarkeits-Maschine übertrafen sie oft die Konservativen. Ein Metternich und ein Bismarck würden sich verwundert die Augen reiben, wenn sie heutzutage mitansehen könnten, wie sich die Nachfolger ihrer schärfsten Gegner zu den Herolden eines starken, ordnenden, invasiven und omnipräsenten Staates gewandelt haben. Wer im heutigen modernen linken Spektrum glaubt denn noch an das Individuum? Gar an die Fähigkeit des „kleinen Mannes“, sein Leben im Griff zu haben und dabei auch noch verantwortlich mit Mitmenschen und Umwelt umgehen zu können? Die Linke hat den Glauben an den Menschen verloren und ihn durch ein tiefgehendes Vertrauen in die herrschende Klasse ersetzt. An die Stelle von Emanzipation ist ein geharnischter Paternalismus getreten.

Adam Smith, der Menschenfreund

Am kommenden Sonntag jährt sich zum 196. Mal der Geburtstag des großen Menschenkenners und Menschenfreundes Adam Smith. Anders als seine französischen Kollegen war dieser schottische Aufklärer durchaus skeptisch bezüglich der Fähigkeiten des Menschen: er kannte die Grenzen unserer Vernunft – und deshalb auch ganz besonders die Grenzen jener Vernunft, die sich aufschwingt, besser und klüger zu sein als andere, also der Vernunft von Politkern und Bürokraten. Zugleich war er aber auch zutiefst davon überzeugt, dass der Mensch von Natur aus ein auf Gemeinschaft ausgerichtetes Wesen ist und dass in dieser „interpersonellen Vernunft“, wie sie Hayek nannte, das Geheimnis seines Erfolgs liegt. So schrieb er in seinem Werk „Theorie der ethischen Gefühle“:

„Man mag den Menschen für noch so egoistisch halten, es liegen doch offenbar gewisse Prinzipien in seiner Natur, die ihn dazu bestimmen, an dem Schicksal anderer Anteil zu nehmen, und die ihm selbst die Glückseligkeit dieser anderen zum Bedürfnis machen, obgleich er keinen anderen Vorteil daraus zieht als das Vergnügen, Zeuge davon zu sein. … Und so kommt es, dass, viel für andere und wenig für uns selbst zu fühlen, unseren selbstischen Neigungen im Zaune zu halten und unseren wohlwollenden die Zügel schießen zu lassen, die Vollkommenheit der menschlichen Natur ausmacht, und allein in der Menschheit jene Harmonie der Empfindungen und Affekte hervorbringen kann, in der ihre ganze Würde und Schicklichkeit gelegen ist.“

„Das Gefühl der Verbundenheit mit dem ganzen Universum“

Wie anders klingen diese Zeilen als die bitteren Worte des alten Sozialdemokraten, der die kalte und durchdringende Macht des Staates ausweiten möchte, um nun endlich eine bessere Welt zu erschaffen. Der vorsichtige Optimismus und die unprätentiöse Menschenliebe der Schottischen Aufklärer gründet nicht zuletzt in dem Bewusstsein, dass die Genialität und Energie, die sich aus der ungelenkten, freiwilligen Kooperation von Menschen ergibt, am Ende mehr zu einer besseren Welt beiträgt als jede noch so gut gemeinte staatliche Maßnahme. Armut hierzulande und weltweit, der menschliche Anteil am Klimawandel, adipöse Kinder und einsame Alte – all das sind massive Probleme, denen wir uns dringend stellen müssen. Wer die Lösung beim Staat sucht, verdrängt freilich, dass es auch Staaten waren, die Minderheitenrechte beschnitten, Großunternehmen bevorzugt, Kriege angezettelt, Innovationen verhindert, Generationensolidarität verdrängt und Atomkraftwerke gebaut haben.

Es ist an der Zeit, den Menschen wieder etwas zuzutrauen. Das Grundproblem unserer Zeit ist nicht die mangelnde Verantwortlichkeit der Menschen, sondern dass der Staat dem Menschen die Selbstverantwortung abgenommen und abtrainiert hat. In uns steckt nämlich durchaus das Bewusstsein, dass wir unser eigenes Leben in die Hand nehmen sollten und auch eine Verpflichtung gegenüber anderen Menschen haben. Aber in dieses Bewusstsein muss man hineinwachsen, man muss es sich aneignen – indem man Verantwortung zugetraut bekommt und übernimmt. Am kommenden Donnerstag ist noch ein 196. Geburtstag: des großen schottischen Philosophen Adam Ferguson, der kurz nach seinem Namensvetter Smith zur Welt kam. Seine Sicht des Menschen sollte sich die Linke zu Herzen nehmen, wenn sie ihr altes emanzipatorisches Erbe doch einmal auszumotten gedenken sollte. Er sah in uns Menschen ein „Prinzip der Liebenswürdigkeit, das keine einseitigen Unterscheidungen kennt und an keine Grenzen gebunden ist. Es kann seine Wirkung über das uns persönliche bekannte Umfeld hinaus ausdehnen. Es kann uns, zumindest in unserem Denken und unseren Vorstellungen, das Gefühl der Verbundenheit mit dem ganzen Universum gewähren.“

Der große Vordenker des starken Staates, Thomas Hobbes, hatte recht, als er feststellte, dass der Mensch dem Menschen ein Wolf sei – denn Wölfe sind Rudeltiere, die miteinander kooperieren zum Besten der Herde. Was die Befürworter des starken Staates tatsächlich wollen, sind Schafe, die mitlaufen. Der Bürger im 21. Jahrhundert muss wieder weniger Schaf und mehr Wolf werden: mehr eigenverantwortliche Kooperation und freiwillige Solidarität als blindes Folgen. Das wäre auch eine spannende Agenda für eine Linke, die ihre emanzipatorischen Wurzeln wiederentdeckt.

Clemens Schneider
Clemens Schneider, born in 1980, co-founded the educational project „Agora“ Summer Academy and the blog „Offene Grenzen“ („Open Borders“). From 2011 to 2014 he held a scholarship by the Friedrich Naumann Foundation and held responsible positions there organizing several seminars and conferences. He is active as blogger and speaker and is in constant contact with the young members of the pro-liberty movement.

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