Von Dr. Alexander Fink, Universität Leipzig, Senior Fellow des IREF – Institute for Research in Economic and Fiscal Issues und Fabian Kurz, Doktorand der Volkswirtschaftslehre. Berlin ist sexy – keine Frage. Die Vorzüge Berlins lockten von 2011 bis 2017 jährlich etwa 40.000 neue Einwohner an. Neuankömmlinge können sich sogleich auf ein Erlebnis der besonderen Art freuen: die Berliner Verwaltung. Ob Wohnsitz oder Auto anmelden, Heirat oder neuer Personalausweis – Berliner müssen warten, oft mehrere Wochen, bis sie einen Termin bei der zuständigen Stelle bekommen. Zur Verwaltung Berlins titelt der Tagesspiegel: „Jeden Tag eine neue Katastrophe“. Der umtriebige Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer spottet gar: „Vorsicht, Sie verlassen den funktionierenden Teil Deutschlands!“ Die Gründe für
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Von Dr. Alexander Fink, Universität Leipzig, Senior Fellow des IREF – Institute for Research in Economic and Fiscal Issues und Fabian Kurz, Doktorand der Volkswirtschaftslehre.
Berlin ist sexy – keine Frage. Die Vorzüge Berlins lockten von 2011 bis 2017 jährlich etwa 40.000 neue Einwohner an. Neuankömmlinge können sich sogleich auf ein Erlebnis der besonderen Art freuen: die Berliner Verwaltung. Ob Wohnsitz oder Auto anmelden, Heirat oder neuer Personalausweis – Berliner müssen warten, oft mehrere Wochen, bis sie einen Termin bei der zuständigen Stelle bekommen. Zur Verwaltung Berlins titelt der Tagesspiegel: „Jeden Tag eine neue Katastrophe“. Der umtriebige Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer spottet gar: „Vorsicht, Sie verlassen den funktionierenden Teil Deutschlands!“
Die Gründe für das Berliner Verwaltungsdesaster werden häufig in der zu dünnen Personaldecke der Verwaltung gesehen und zur Lösung des Schlamassels eine Aufstockung des Personals gefordert. Doch Berlin setzt seit Jahren mit deutlichem Abstand mehr Personal in der Verwaltung ein als jedes andere Bundesland, die anderen beiden Stadtstaaten eingeschlossen. Nicht Personalnot, sondern eine schlechte Organisation scheint das Problem zu sein.
Mehr Personal nicht unbedingt schlecht
Ein relativ hoher Personaleinsatz ist nicht unbedingt schlecht. Wie Unternehmen müssen auch staatliche Organisationen abwägen, wie viel Personal sie einsetzen, um Leistungen zu erbringen. Führt ein hoher Einsatz von Personal etwa zu schnelleren Verwaltungsverfahren, profitieren die Bürger unmittelbar davon und ein hoher Personaleinsatz kann gerechtfertigt sein.
Niemand setzt mehr Personal als Berlin ein
Stadtstaaten wie Berlin nehmen auch Aufgaben wahr, die in anderen Bundesländern von kommunalen Verwaltungen übernommen werden. Für einen sinnvollen Vergleich aller Bundesländer müssen daher bei Flächenstaaten auch die Stellen der kommunalen Gebietskörperschaften berücksichtigt werden. Ein Blick auf diese aggregierte Beschäftigungsstatistik des öffentlichen Dienstes offenbart, dass Berlin im Vergleich der Bundesländer relativ zur Einwohnerzahl am meisten Personal einsetzt.
Im Jahr 2017 beschäftigten das Land Berlin und die 12 Berliner Bezirke pro 1.000 Einwohner das Äquivalent von gut 50 Vollzeitmitarbeitern, während das Land Schleswig-Holstein und seine Kommunen mit gut 37 Vollzeitmitarbeitern auskamen.
Zwar ging der Personaleinsatz bis zum Jahr 2008 zurück. Trotzdem wurden auch bei diesem Tiefstand in Berlin 5 Vollzeitstellen pro 1.000 Einwohner mehr eingesetzt als im zweit personalintensivsten Bundesland, nämlich Sachsen-Anhalt. Seit 2008 wurden in Berlin umgerechnet gut 20.000 zusätzliche Vollzeitmitarbeiter im öffentlichen Dienst eingestellt. Das Berliner Bevölkerungswachstum der letzten Jahre hat deshalb nicht dazu geführt, dass dort heute weniger Angestellte im öffentlichen Dienst pro 1.000 Einwohner eingesetzt werden. Vielmehr ist der Personaleinsatz gestiegen und hat sich auf einem hohen Niveau stabilisiert. Ein „Kaputtsparen am Personal“ lässt sich aus diesen Daten nicht ableiten.
Sonderrolle Stadtstaat?
Gewiss ist Berlin als Stadtstaat in einer Sonderrolle. So kann eingewendet werden, dass Berlin das Nachbarland Brandenburg teilweise mit Verwaltungsaufgaben mitversorgt. Doch dies gilt ebenso für Hamburg und Bremen. Der Stadtstaat Bremen kommt mit deutlich weniger Personal aus als Berlin und liegt im Mittelfeld aller Bundesländer.
Auch der Abstand Berlins zum zweitplatzierten Bundesland, Hamburg, ist beachtlich. Berlin setzt pro 1.000 Einwohner knapp 6 Vollzeitmitarbeiter beziehungsweise 13 Prozent mehr Personal ein als Hamburg.
Vergleich mit Hamburg: Mehr Personal, mehr Leistung?
Für die Verwaltung der Verkehrs- und Nachrichteninfrastruktur werden mehr als doppelt so viele Beschäftigte pro 1.000 Einwohner eingesetzt als in Hamburg. Es könnte sein, dass Berlin seinen Bürgern eine bessere und umfangreichere Infrastruktur zu Verfügung stellt als Hamburg. Dann wäre ein höherer Personaleinsatz durchaus gerechtfertigt. Es ist schwierig den Umfang und die Qualität beider Stadtstaaten im Bereich Verkehr anhand eines Indikators zu vergleichen. Doch es gibt Indizien, dass die zusätzlichen Beschäftigten in Berlin im Bereich Verkehr nicht mehr Dienstleistungen bereitstellen, als ihre Kollegen in der Hansestadt.
So muss Hamburg 2.485 Brücken instand halten, das sind 1,4 Brücken pro 1.000 Einwohner, während in Berlin 916 Brücken, also 0,3 Brücken pro 1.000 Einwohner unterhalten werden müssen. Die Berliner Verkehrsgesellschaft beförderte im Jahr 2017 pro Einwohner Berlins 294 Fahrgäste. Der Hamburger Verkehrsverbund beförderte pro Einwohner Hamburgs 426 Fahrgäste im Jahr 2017. Berlin betreibt allerdings mehr Flughäfen. Hamburg hat nur einen funktionierenden Flughafen, Berlin zwei und den BER.
Im Bereich Soziales setzt Berlin 1,7 Vollzeitmitarbeiter pro 1.000 Einwohner mehr ein als Hamburg. Dies ist zunächst nicht verwunderlich, da die Berliner im Vergleich zu den Hamburgern weniger wohlhabend sind und die Arbeitslosenquote höher ist. Während die Arbeitslosenquote in Berlin um 28 Prozent höher ist als in Hamburg, wird in Berlin 83 Prozent mehr Personal im Bereich Soziales eingesetzt. Auch wenn als Indikator für den Umfang der im Bereich Soziales erbrachten Leistungen die Hartz-4-Quote Berlins, die gut 50 Prozent über dem Niveau von Hamburg liegt, herangezogen wird, setzt Berlin für Soziales überproportional mehr Personal ein als Hamburg.
Doppelzuständigkeit und Schwächen in der internen Verwaltung
Berlin setzt in vielen Bereichen mehr Personal ein als Hamburg, ohne seinen Bürgern erkennbar bessere Dienstleistungen bereit zu stellen – zahlreiche Beispiele sprechen für das Gegenteil. Berliner Verwaltungsangestellte sind wohl kaum weniger begabt oder fleißig als ihre Kollegen in Hamburg, München oder Mainz. Naheliegender ist es, dass ihre Produktivität durch eine mangelhafte Organisation ausgebremst wird.
Eine mangelhafte Organisation offenbart sich beispielsweise in Doppelzuständigkeiten. Für den Bereich Verkehr sind in Berlin teilweise sowohl Polizei als auch das Ordnungsamt zuständig. Auch die Zuständigkeiten zwischen Senat und Bezirksverwaltungen sind in Berlin nicht optimal verteilt. So dauert die Einrichtung eines Zebrastreifens drei Jahre und bedarf 18 Verfahrensschritten, weil Prüfvorgänge sich doppeln und zwischen den verschiedenen Verwaltungsebenen abgestimmt werden müssen.
Im Vergleich zu Hamburg setzt Berlin im Bereich innere Verwaltung gut 3 Vollzeitstellen weniger ein. Die innere Verwaltung übernimmt Aufgaben und stellt Ressourcen bereit, die für die Funktion der Verwaltung essentiell sind. Sie ist unter anderem für Personalfragen, Haushalts- und Rechnungswesen, Controlling, Beschaffung und Kosten-Nutzen-Analysen verantwortlich. Vielleicht sollte Berlin an genau dieser kritischen Stelle der inneren Organisation mehr und anderswo weniger Personal einsetzen.
Dass es auch in Berlin besser geht, zeigt das Land übrigens auf der Einnahmenseite. In der Finanzverwaltung setzt Berlin pro 1.000 Einwohner fast eine halbe Vollzeitstelle weniger ein als Hamburg, dennoch können sich die Berliner über eine relativ schnelle Bearbeitung freuen. Nur das Saarland bearbeitet Steuererklärungen schneller als die Berliner Verwaltung. Wo ein Wille ist, scheint auch in Berlin ein Weg zu sein.
Verwaltung: Berlin kann es auch!
Die gute Nachricht: Der Stadtstaat Hamburg zeigt, dass es möglich ist, unter ähnlichen Bedingungen wie in Berlin mit weniger Personal staatliche Dienstleitungen tendenziell höherer Qualität bereitzustellen.
Der Ruf nach (noch) mehr Personal für die Berliner Verwaltung ist politisch nachzuvollziehen, aber nicht zielführend. Nicht die Ausstattung mit Personal, sondern die Organisation des Arbeitseinsatzes der Mitarbeiter scheint das Problem zu sein. Berlin sollte sich zum Ziel nehmen, von den Vorteilen des deutschen Föderalismus zu profitieren, indem die Stadt von anderen Bundesländern lernt, wie Verwaltungsverfahren besser organisiert werden können.