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Die Modern Monetary Theory und die keynesianische Debatte in den USA

Summary:
In der New York Times[ a ] wurde Modern Monetary Theory (MMT) von der Wirtschaftsjournalistin Jeanna Smialek jüngst als „the buzziest economic idea in decades“ beschrieben. Die Sicht der keynesianischen US-Ökonomen um Summers, Krugman und Furman auf der einen Seite und MMT auf der anderen widersprechen sich fundamental, wobei die Realität die Thesen der MMT stützt. Die zentrale These der MMT ist, dass die Lehrbücher der Makroökonomik und der Finanzwissenschaft die fiskalische Sequenz umkehren. In der Realität erzeugen Zentralbanken Reserven für Banken, wenn der Staat Geld ausgibt. Staatsfinanzierung funktioniert immer über Geldschöpfung, was den Begriff der „Staatsfinanzierung“ ein Stück weit ins Abseits stellt. Mit Finanzierung ist ja üblicherweise gemeint, dass ein Einkommen

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In der New York Times[ a ] wurde Modern Monetary Theory (MMT) von der Wirtschaftsjournalistin Jeanna Smialek jüngst als „the buzziest economic idea in decades“ beschrieben. Die Sicht der keynesianischen US-Ökonomen um Summers, Krugman und Furman auf der einen Seite und MMT auf der anderen widersprechen sich fundamental, wobei die Realität die Thesen der MMT stützt.

Die zentrale These der MMT ist, dass die Lehrbücher der Makroökonomik und der Finanzwissenschaft die fiskalische Sequenz umkehren. In der Realität erzeugen Zentralbanken Reserven für Banken, wenn der Staat Geld ausgibt. Staatsfinanzierung funktioniert immer über Geldschöpfung, was den Begriff der „Staatsfinanzierung“ ein Stück weit ins Abseits stellt. Mit Finanzierung ist ja üblicherweise gemeint, dass ein Einkommen erzielt wird, um gewisse Ausgaben zu tätigen – eben zu „finanzieren”.  Steuerzahlungen und Staatsanleihenkäufe durch Banken reduzieren die Menge an Geld und dienen nicht der Finanzierung. Der Staat will an die Güter und Dienstleistungen des privaten Sektors und an unsere Arbeitskraft – und nicht unser Geld.

Geld ist nur Mittel zum Zweck. Der Staat organisiert und ordnet die Wirtschaft, indem er sein Geld einsetzt. Die staatliche Zentralbank dient dabei üblicherweise als Hausbank der Bundesregierung. Sie sorgt dafür, dass eine Zahlungsunfähigkeit de facto ausgeschlossen ist. Die einzige Ausnahme ist die EZB, welche die griechische Regierung Anfang der 2010er Jahre hängen ließ, wobei sie das aber wohl nicht wiederholen wird. Es gibt also keine Begrenzung der Staatsausgaben an sich. Nominal kann eine Regierung ausgeben, was sie wünscht. Die Realität mit Hyperinflationen in Venezuela, Libanon und Zimbabwe zeigt deutlich, dass dies auch für Währungssysteme außerhalb der USA gilt. Den Regierungen in diesen Ländern geht das Geld nicht aus. Das Problem ist die Begrenzung durch die verfügbaren Ressourcen, nicht ein Mangel an Geld.

MMT widerspricht gängigen Aussagen von Ökonomen

Damit widersprechen sich MMT und die Ökonomen aus dem linken Spektrum der USA, die einen Einfluss auf die Wirtschaftspolitik der Regierung ausgeübt hatten. Jason Furman beispielsweise war in der Regierung Obama Vorsitzender des Council of Economic Advisors. Reuters berichtete im Juni 2008[ b ]:

„'One of the important lessons he's drawn from Bob Rubin is the importance of fiscal discipline,' Furman said, adding that Obama agrees with a key pillar of 'Rubinomics' -- the idea that lower deficits can help bring down long-term interest rates, which in turn is favorable to economic growth.”

Eine derartige Aussage ist mit MMT inkompatibel. Die Zentralbank bestimmt immer den kurzfristigen Zins und kann, sofern sie es wünscht, alle längerfristigen Zinsen bzw. Verzinsungen kontrollieren. Japan zeigt gerade, wie es gemacht wird[ c ].

Paul Krugman schrieb 2019 in der NY Times[ d ]: „But what matters for government solvency isn’t the absolute level of debt but its level relative to the tax base“. Auch diese Aussage ist mit der MMT nicht übereinzubringen. Es gibt keine „government solvency“, denn eine Regierung kann in eigener Währung nicht zahlungsunfähig werden. Die Federal Reserve Bank ist eine staatliche Institution, genauso wie die Bundesregierung der USA. Letztere kann die Gesetze bezüglich der Zentralbank mit einer einfachen Mehrheit ändern. Es ist ganz klar, dass die Zentralbank es niemals zulassen würde, der US-Bundesregierung den Geldhahn abzudrehen.

Larry Summers und Jason Furman schrieben 2019 gemeinsam einen Artikel[ e ], in denen sie den Politikern rieten: „But they shouldn’t ignore fiscal constraints entirely.“ Fiskalische Grenzen? „Low interest rates mean that governments can sustain higher levels of debt, since their financing costs are lower.“ Auch dies ist mit der Modern Monetary Theory nicht vereinbar. Es gibt keine fiskalischen Grenzen, die Grenzen sind real. Die US-Regierung kann nur das kaufen, was sie für US-Dollar im In- und Ausland bekommt. In diesem Fall ist es fast alles, was auf dieser Welt gehandelt wird. Daraus folgt nicht, dass sie das tun soll.

MMT widerspricht gängigen Annahmen der Wirtschaftspolitik

MMT macht der Frage nach der Finanzierung von Staatsausgaben den Garaus. Die Zentralbank schöpft im Auftrag der Bundesregierung Geld, sofern das im Haushalt so festgeschrieben ist. Es gibt nur dieses Staatsgeld. Es gibt kein Steuerzahlergeld. Wer mit Steuerzahlergeld argumentiert, befindet sich auf der Seite von Margaret Thatcher, die keine Ökonomin war. Trotzdem übernehmen viele ihre Erzählung, dass „der Steuerzahler“ die Quelle unseres Geldes ist. Ein Blick auf unsere Euro-Scheine zeigt, dass die falsch ist. Das Monopol auf die Geldschöpfung hat in der Eurozone das Eurosystem: die EZB und die nationalen Zentralbanken. Reuters zitierte EZB-Präsidentin Christine Lagarde im November 2020[ f ] mit folgenden Worten: „As the sole issuer of euro-denominated central bank money, the Eurosystem will always be able to generate additional liquidity as needed”.

Die Pandemie hat sehr deutlich gezeigt, dass sehr hohe Defizite und hohe Staatsschulden kein Problem an sich sind. 2020 war geprägt von Disinflation und Deflation. 2021 war dann ein Jahr der wirtschaftlichen Erholung, in dem die Energiepreise wieder in Richtung der Vorkrisenwerte kletterten, nachdem beispielsweise der Erdölpreis im Frühjahr 2020 kurzfristig sogar negativ war. Die Warnungen der US-Ökonomen wie Furman, Summer und Krugman vor fiskalischen Grenzen, hohen Defiziten, die hohe Zinsen auslösen, und die Betonung von Niedrigzinsen für hohe Staatsschulden haben empirisch nicht gehalten.

Die Diskussion um r<g, um Wachstumsraten (g) und Zinsen (r) und deren Entwicklung, hat mit einer Nachhaltigkeit von Staatsfinanzierung nichts zu tun. Diese Debatten übersehen häufig, dass in der Eurozone einzig das Verhalten der EZB darüber bestimmt, ob eine „Staatsverschuldung” nachhaltig ist oder nicht. Unterstützt die EZB durch Anleihenkäufe (und seien sie auch nur angekündigt) eine nationale Regierung, ist jeder Schuldenstand „nachhaltig” – auch der griechische, der letztes Jahr bei über 200% des BIP lag. Unterstützt die EZB die Regierung nicht, können selbst 10% zu viel sein.

Wer also behauptet, die MMT wäre nichts Neues, oder würde nur keynesianische Wirtschaftspolitik wiedererfinden, der irrt. Die MMT ist ein Bilanzansatz der Makroökonomie, auf dessen Basis sich Wirtschaftspolitik ganz anders darstellt. Der Staat bestimmt mit seinen Steuersätzen und Ausgaben die Wirtschaft viel stärker, als viele Keynesianer das annehmen. Dabei ist er, anders als private Unternehmen, nur dann in seinen Ausgaben eingeschränkt, wenn politische Regeln dies bestimmen. Mit Zinsen und Wachstumsraten hat dies nichts zu tun. Übrigens verstand schon Keynes, dass der Staat als Schöpfer des Geldes in seinen Ausgaben nicht beschränkt ist, und ließ „Die Staatliche Theorie des Geldes“ von Georg Friedrich Knapp ins Englische übersetzen.

Bohan, Caren (2022), Obama seeks to counter anti-business image, 27.06.2008, https://www.reuters.com/article/idUSN27329166[ b ]

Ehnts, Dirk (2022), Modern Monetary Theory: eine Einführung, Springer

FT (2022), Bank of Japan defends bond-yield target against rising market pressure, 10.02.2022, https://www.ft.com/content/253df366-707b-4a45-8eb4-f245e08fa370[ c ]

Furman, Jason und Lawrence Summers (2019), Who’s Afraid of Budget Deficits?, http://larrysummers.com/2019/01/28/whos-afraid-of-budget-deficits/[ e ]

Knapp, Georg Friedrich (1905), Die Staatliche Theorie des Geldes, Duncker und Humblot

Krugman, Paul (2019), Melting Snowballs and the Winter of Debt, 09.01.2019, https://www.nytimes.com/2019/01/09/opinion/melting-snowballs-and-the-winter-of-debt.html[ g ]

Reuters (2020), ECB can't go bankrupt even it suffers losses, 19.11.2020, https://www.reuters.com/article/us-ecb-policy-bonds-idUSKBN27Z12S[ f ]

Smialek, Jeanna (2022), Is This What Winning Looks Like?, 06.02.2022, https://www.nytimes.com/2022/02/06/business/economy/modern-monetary-theory-stephanie-kelton.html[ a ]

©KOF ETH Zürich, 14. Apr. 2022

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