Eine Stützung von Unternehmen, die infolge des Angriffskriegs Russlands in Schräglage geraten sind, ist gut gemeint. Doch die Transformation der kommenden Jahrzehnte birgt noch ganz andere Verwerfungen. Stützungsmaßnahmen sollten den ordnungspolitischen Rahmen nicht vernebeln und Unternehmen nicht ermutigen, nur noch auf Sicht zu fahren. Die Transformation steht erst an ihrem Beginn Deutschland spürt nicht nur die Folgen des Angriffskriegs Russlands. Deutschland befindet sich vielmehr inmitten einer Transformation, die einer industriellen Revolution nicht nachstehen wird. Bis ins Jahr 2045 wollen wir klimaneutral wirtschaften. Bis dahin müssen wir einen demographisch bedingten Schwund von 10 bis 15 Prozent unserer Arbeitskräfte bei einem Aufwuchs der Rentnergeneration um ein
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Eine Stützung von Unternehmen, die infolge des Angriffskriegs Russlands in Schräglage geraten sind, ist gut gemeint. Doch die Transformation der kommenden Jahrzehnte birgt noch ganz andere Verwerfungen. Stützungsmaßnahmen sollten den ordnungspolitischen Rahmen nicht vernebeln und Unternehmen nicht ermutigen, nur noch auf Sicht zu fahren.
Die Transformation steht erst an ihrem Beginn
Deutschland spürt nicht nur die Folgen des Angriffskriegs Russlands. Deutschland befindet sich vielmehr inmitten einer Transformation, die einer industriellen Revolution nicht nachstehen wird. Bis ins Jahr 2045 wollen wir klimaneutral wirtschaften. Bis dahin müssen wir einen demographisch bedingten Schwund von 10 bis 15 Prozent unserer Arbeitskräfte bei einem Aufwuchs der Rentnergeneration um ein Drittel verkraften.
Zusammen mit technologischen und sozialen Innovationen wird die Transformation bewirken, dass unsere Wirtschaft im Jahr 2050 völlig anders aussehen wird als heute. Sie muss wesentlich nachhaltiger wirtschaften und deutlich produktiver werden. Die Politik möchte die Transformation ermöglichen – ja, sogar beschleunigen. Auf diesem Weg wird es eine Menge großer Verwerfungen geben.
Staatliche Stützungspolitik in Zeiten der Transformation
Wie klingt es also, wenn der Staat aufgrund aktueller Entwicklungen mit hohem Einsatz staatlicher Finanzmittel die Auswirkungen von Schocks zu mildern versucht? Nach dem Entlastungspaket hat die deutsche Bundesregierung kürzlich ein Hilfsprogramm für energieintensive Industrien[ a ] im Umfang von 5 Milliarden Euro gestartet. Diese Maßnahme ist Teil eines „Schutzschirms[ b ]“, mit der die Bundesregierung „besondere Härten zielgerichtet abfedern und existenzbedrohende Situationen für einzelne Unternehmen vermeiden“ möchte.
Ja, der Staat hat eine gewisse Rolle, die gesamtwirtschaftliche Stabilität zu wahren. Ökonomen sprechen von systemischen Krisen, wenn die Schräglage eines oder mehrerer Unternehmen solche starke Ausstrahlungseffekte hätte, dass größere Teile der Wirtschaft ins Trudeln kommen könnten. Diese Logik fand bei der globalen Finanzkrise im Jahr 2008 Anwendung, als sich der Bund mit Eigenmitteln unter anderem an der Commerzbank beteiligte. Anders war es in der Corona-Krise. Dort hatten Unternehmen umfangreiche Kompensationen erhalten, um die Wirtschaft über die Phasen der Lockdowns “einfrieren” zu können, also die ökonomischen Implikationen eines gesundheitspolitisch motivierten Grundrechtseingriffs abzufedern.
Aber nein – der russische Angriffskrieg ist anders gelagert. Er hat Rohstoffpreise vervielfacht und bewirkt Verwerfungen in Lieferketten und Absatzmärkten der Unternehmen. Diese Schocks treffen in erster Linie diejenigen Unternehmen, die eine hohe Abhängigkeit von Geschäftsbeziehungen in Russland hatten. Wenngleich diese Schocks massiv sind, neu sollten diese Risiken für die betroffenen Unternehmen nicht sein. Das Risikomanagement der Unternehmen, die nun in erster Linie betroffen sind, hatten das eingetretene Szenario auf ihrem Schirm. Oder sollten es gehabt haben. Verantwortlichkeit für unternehmerisches Handeln ist eine Maxime, die nicht durch staatliche Krisenintervention weichgespült werden darf.
Eigenverantwortung trotz Zeitenwende
Neben der Frage, was der Staat in der heutigen Situation leisten soll, ist auch zu fragen, was der Staat leisten kann. Es geht nicht nur um den Krieg. Die Transformation wird in den kommenden Dekaden hohe öffentliche Mittel verschlingen und – zusammen mit langfristigen Belastungen aus dem demografischen Wandel – die fiskalische Leistungsfähigkeit des Bundes stark beschränken. Allein in den letzten zwei Jahren ist die Staatsverschuldung um ein Fünftel oder rund 5.000 Euro pro Kopf gestiegen. Wie sollen zukünftige Generationen unter den erschwerten Bedingungen diese Belastungen erwirtschaften? Der nächste Schock kommt bestimmt. Mehr Eigenverantwortung ist angesichts der Zeitenwende unabdingbar.
Der Staat sollte sich daher entscheiden, welche Stützungspolitik er in Zeiten der Transformation fahren will und kann, und diese Strategie konsequent verfolgen, selbst und gerade in Momenten der Krise. Ordnungspolitik lebt davon, Rahmenbedingungen festzusetzen, auf welche sich die privaten Akteure verlassen können. Ad hoc Schutzschirme und Stützungsmaßnahmen vernebeln den ordnungspolitischen Rahmen und ermutigen Unternehmen das Fahren auf Sicht in der Hoffnung, im Nebel nicht gegen eine Mauer prallen. Das kann in Beliebigkeit staatlichen Handelns und Kurzsichtigkeit unternehmerischen Handelns enden.
Der Artikel wurde nach der Veröffentlichung durch den Autor leicht angepasst.
©KOF ETH Zürich, 26. Jul. 2022