Thursday , April 25 2024
Home / Ökonomenstimme / Chancengleichheit im Bildungssystem: Wie sich ein Mentorenprogramm auf die Schulwahl auswirkt

Chancengleichheit im Bildungssystem: Wie sich ein Mentorenprogramm auf die Schulwahl auswirkt

Summary:
Mangelnde Chancengleichheit beim Zugang zu höherer Bildung führt zu einer Verfestigung sozialer Ungleichheit: Kinder mit geringem sozioökonomischem Status wechseln trotz gleichem Notenschnitt seltener aufs Gymnasium als privilegiertere Gleichaltrige. Mit einer einfachen Intervention in Form eines Mentorenprogramms lässt sich diese Lücke jedoch spürbar verringern. Wie die meisten OECD-Staaten setzt auch Deutschland bei den weiterführenden Schulen auf ein mehrgliedriges System, bestehend aus Gymnasien und Gesamtschulen, an denen die allgemeine Hochschulreife erworben werden kann, sowie je nach Bundesland aus Haupt-, Real- und Sekundarschulen, die für eine nicht-akademische Berufsausbildung qualifizieren. BefürworterInnen halten diese Differenzierung für unverzichtbar, um eine

Topics:
Armin Falk, Fabian Kosse, Pia Pinger considers the following as important:

This could be interesting, too:

investrends.ch writes Susanne Kundert neu in der Geschäftsleitung der Globalance Bank

investrends.ch writes «Asiatische Aktien erreichen das Dividendenzeitalter»

investrends.ch writes Die Procimmo Group will ihre Beteiligung an Solutions & Funds verkaufen

investrends.ch writes Was ELTIF 2.0 für Private Credit-Investments in Europa bedeutet

Mangelnde Chancengleichheit beim Zugang zu höherer Bildung führt zu einer Verfestigung sozialer Ungleichheit: Kinder mit geringem sozioökonomischem Status wechseln trotz gleichem Notenschnitt seltener aufs Gymnasium als privilegiertere Gleichaltrige. Mit einer einfachen Intervention in Form eines Mentorenprogramms lässt sich diese Lücke jedoch spürbar verringern.

Wie die meisten OECD-Staaten setzt auch Deutschland bei den weiterführenden Schulen auf ein mehrgliedriges System, bestehend aus Gymnasien und Gesamtschulen, an denen die allgemeine Hochschulreife erworben werden kann, sowie je nach Bundesland aus Haupt-, Real- und Sekundarschulen, die für eine nicht-akademische Berufsausbildung qualifizieren. BefürworterInnen halten diese Differenzierung für unverzichtbar, um eine leistungsgerechte Förderung zu gewährleisten. KritikerInnen wenden ein, auf diese Weise werde schon in jungen Jahren soziale Ungleichheit zementiert.

Uns geht es in diesem Beitrag nicht darum, die Vor- und Nachteile des mehrgliedrigen Schulsystems zu bewerten. Wir wollen vielmehr wissen: Ist die Differenzierung tatsächlich leistungsgerecht? Welche Rolle spielt der familiäre Hintergrund bei der Entscheidung für die weiterführende Schule? Und wie lässt sich Chancengleichheit wirksam fördern?

Innovativer Datensatz: briq family panel

Datengrundlage unserer Studie (Falk et al. 2020) ist das briq family panel (bfp), eine jährliche Wiederholungsbefragung von rund 700 Familien aus dem Großraum Köln-Bonn mit unterschiedlichem sozioökonomischem Hintergrund, gemessen am Einkommen und Bildungsstand der Eltern sowie an deren Alleinerziehendenstatus. Das Besondere an dieser Erhebung: Eine zufällig ausgewählte Teilgruppe der Kinder aus den sozial benachteiligten Familien nahm im Grundschulalter ein Jahr lang an dem Mentorenprogramm „Balu und Du“ teil. Freiwillige MentorInnen, meist Studierende, unternahmen mit den Kindern einmal pro Woche verschiedene interaktive Aktivitäten – von Gesprächen über gemeinsames Lesen, Sport und Kochen bis hin zum Zoobesuch.

Aufgrund der Randomisierung können wir den kausalen Effekt dieses Mentorenprogramms auf die Persönlichkeitsentwicklung und den schulischen Werdegang der teilnehmenden Kinder ermitteln. Hinsichtlich des Wechsels auf die weiterführende Schule gibt die jährliche Befragung der Kinder und ihrer Eltern nicht nur Aufschluss über die schulischen Leistungen und die gewählte Schulform, sondern auch über den zugrundeliegenden Entscheidungsprozess.

Die Auswertung zeigt zunächst: Die Wahrscheinlichkeit, aufs Gymnasium zu wechseln, ist für sozial benachteiligte Kinder um 31,1 Prozentpunkte geringer als für Gleichaltrige mit hohem sozioökonomischem Status. Dieser Befund allein ist noch kein Beleg für mangelnde Chancengleichheit, zumal die Diskrepanz auf eine Vielzahl von Faktoren zurückzuführen sein kann, etwa auf Unterschiede in der Leistungsbereitschaft. Vergleichen wir jedoch Kinder mit gleichem Notendurchschnitt, bleibt immer noch eine Differenz von über 21,7 Prozentpunkten. Die Lücke in der Wahrscheinlichkeit das Gymnasium zu besuchen bleibt auch mehrere Jahre nach dem Schulwechsel bestehen und vergrößert sich sogar leicht, was auf eine geringe Aufwärtsmobilität im Schulsystem hindeutet.

Kausale Effekte des Mentorenprogramms

Uns hat nun besonders interessiert: Verbessert das Mentorenprogramm die Chancen der teilnehmenden Kinder? Tatsächlich erhöht sich deren Wahrscheinlichkeit, aufs Gymnasium zu wechseln, um elf Prozentpunkte. Der Abstand zu SchülerInnen mit hohem sozioökonomischem Status schrumpft also um ein Drittel bzw. sogar um rund die Hälfte, wenn man den Notendurchschnitt berücksichtigt.

Dieser positive Effekt ist umso bemerkenswerter, wenn man bedenkt, dass es bei dem Mentorenprogramm gar nicht um eine gezielte Verbesserung der schulischen Leistungen ging, sondern vielmehr um die psychosoziale Entwicklung und „informelles Lernen“ im Sinne einer Erweiterung des persönlichen Horizonts. Aus früheren Auswertungen des bfp (Kosse et al. 2020) wissen wir beispielsweise, dass sich die teilnehmenden Kinder deutlich prosozialer verhielten, was für den späteren Bildungs- und Arbeitsmarkterfolg vorteilhaft ist. Eine Gymnasialempfehlung, bei der neben den Schulnoten auch die Persönlichkeit eine Rolle spielt, wird dadurch ebenfalls wahrscheinlicher.

Zudem erfüllen die MentorInnen, die alle selbst Abitur gemacht und meist bereits ein Studium aufgenommen haben, eine wichtige Vorbildfunktion, gerade für Kinder aus eher „bildungsfernen“ Elternhäusern. Das führt zum einen dazu, dass diese Kinder eher eine Gymnasialempfehlung bekommen. Zum anderen sind die Eltern, die oft kaum Berührungspunkte mit einer akademischen Ausbildung hatten, dadurch eher geneigt, ihr Kind sogar auch entgegen einer anderslautenden LehrerInnenempfehlung am Gymnasium anzumelden.

Führt dies womöglich dazu, dass die „falsche“ Entscheidung getroffen wird und die Kinder auf dem Gymnasium überfordert sind? Unsere Daten sprechen dagegen: Auch nach fünf bis sechs Jahren an der weiterführenden Schule kommt es bei den AbsolventInnen des Mentorenprogramms weder häufiger zu Nichtversetzungen oder zum Schulformwechsel, noch haben sie weniger Spaß an der Schule als andere GymnasiastInnen.

Fazit

Unsere Studie liefert also eine schlechte und eine gute Nachricht: Zum einen hängt die Wahl der weiterführenden Schule in hohem Maße vom sozioökonomischen Status der Eltern ab. Zum anderen lässt sich dieser Nachteil mithilfe von Interventionen im Kindesalter – wie dem hier untersuchten Mentorenprogramm – spürbar verringern. Ein solches Programm bleibt mit rund 1.000 Euro pro Kind und Jahr in einem überschaubaren Kostenrahmen und wäre relativ problemlos weiter ausbaubar. Angesichts der zu erwartenden Bildungsrenditen wäre das Geld nicht nur aus sozialpolitischer, sondern auch aus wirtschaftlicher Sicht eine lohnenswerte Investition in die Zukunft unserer Gesellschaft.

Falk, A., Kosse, F., Pinger, P. (2020). Mentoring and Schooling Decisions: Causal Evidence. IZA Discussion Paper No. 13387. http://ftp.iza.org/dp13387.pdf[ a ]

Kosse, F., Deckers, T., Pinger, P., Schildberg-Hörisch, H., Falk, A. (2020). The Formation of Prosociality: Causal Evidence on the Role of Social Environment. Journal of Political Economy, 128 (2), 434-357. https://doi.org/10.1086/704386[ b ]

©KOF ETH Zürich, 9. Sep. 2020

Leave a Reply

Your email address will not be published. Required fields are marked *