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2020: Das Jahr, in dem Europa über die Begrenzung der Erderwärmung entscheidet

Summary:
Die Umsetzung der Pariser Klimaziele ist notwendig und technologisch möglich. Karl Aiginger möchte Europa dabei in der Führungsrolle sehen und skizziert was hierfür zu tun ist.[ 1 ] Europa muss die Führungsrolle übernehmen Das Paris-Ziel 2050 – die Eingrenzung des Temperaturanstieges auf weniger als 2 Grad – ist weder mit der derzeitigen EU-Strategie noch mit den Ambitionen der Mitgliedsländer erreichbar. Politische Eingriffe durch Steuern und Staatsausgaben gehen oft in die falsche Richtung. So wird beispielsweise durch hohe Steuern auf Arbeit einseitig die Arbeitsproduktivität erhöht, während die Ressourcenproduktivität durch geringe Steuern auf Energie und Subventionen für fossile Energieträger abgebremst wird. Daher muss sowohl die europäische Politik als auch die Politik

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Die Umsetzung der Pariser Klimaziele ist notwendig und technologisch möglich. Karl Aiginger möchte Europa dabei in der Führungsrolle sehen und skizziert was hierfür zu tun ist.[ 1 ]

Europa muss die Führungsrolle übernehmen

Das Paris-Ziel 2050 – die Eingrenzung des Temperaturanstieges auf weniger als 2 Grad – ist weder mit der derzeitigen EU-Strategie noch mit den Ambitionen der Mitgliedsländer erreichbar. Politische Eingriffe durch Steuern und Staatsausgaben gehen oft in die falsche Richtung. So wird beispielsweise durch hohe Steuern auf Arbeit einseitig die Arbeitsproduktivität erhöht, während die Ressourcenproduktivität durch geringe Steuern auf Energie und Subventionen für fossile Energieträger abgebremst wird. Daher muss sowohl die europäische Politik als auch die Politik der Mitgliedsländer umdenken. Die neue EU-Kommission, Gewinne grüner Parteien und das Engagement der Jugend, aber auch von Firmen und Zivilbevölkerung werden die politische Umsetzung begünstigen. Allerdings sind die aktuell diskutierte Erhöhung des Einsparungsziels bei Treibhausgasemissionen auf 40 oder 50% und die jüngste Budgeteinigung für 2020 bezüglich Klimaausgaben zu wenig ambitioniert. Ebenso die derzeit in Arbeit befindlichen nationalen Energie- und Klimapläne (NEKP). Darüber hinaus erreichen die meisten europäischen Länder die unzureichenden Vorgaben nicht und es gibt Rückschläge durch Populismus, Nationalismus und die anhaltende Nutzung von Kohle.

Da aber die USA aus der Klimapolitik aussteigt und China bei seinen Auslandsinvestitionen keine Umweltziele verfolgt und viele neue Kohlekraftwerke errichtet, kann und muss Europa eine Führungsrolle übernehmen. Dies würde auch seine politische und wirtschaftliche Position stärken und Europa eine Mitsprache bei der neuen Weltordnung ermöglichen.

Eine strategische Gestaltung mit Einbezug von Lernprozessen, Zivilgesellschaft und Wirtschaftspartnern kann dies zu einem wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Vorteil machen. Ein Europäischer Green Deal oder das Ziel, Europa zur ersten klimaneutralen Region der Welt zu machen, wie es im Programm der neuen EU-Kommissionspräsidentin steht, geht in diese Richtung, ist aber noch an der Umsetzung zu messen.

Probleme, Chancen und Konsequenzen einer europäischen Initiative

Ziel der Klimapolitik ist es, die Erderwärmung auf weniger als zwei Grad zu beschränken und gleichzeitig den Wohlstand zu steigern. Der europäische Weg setzt dabei auf individuelle Wahlfreiheiten, Solidarität unter den Regionen, Zusammenarbeit mit globalen Partnern und möglichst wenig Einschränkungen und Verbote. Letztere werden umso notwendiger, je mehr Egoismen, Ungleichheit und Nationalismus es gibt und je später das Verhalten der Menschen und die Politik auf die größte Herausforderung unserer Generation reagieren.

Die Klimastrategie von Paris bedeutet, dass es ab 2050 keine Nettoemissionen von Treibhausgasen mehr geben kann. Die CO2 Emissionen müssen um 80% reduziert werden, angesichts der steigenden weltweiten Wirtschaftsleistung sind das 90-95% pro Outputeinheit. Weil eine Reserve für technisch unveränderbare Prozesse etwa in der Industrie, für Krisengebiete und für Notfälle erforderlich ist, verlangt diese radikale Reduktion eine fast vollständige Entkarbonisierung von Verkehr, Bau und Energieerzeugung. Trotzdem ist Klimaneutralität bis 2050 erreichbar, besser wäre es jedoch schon 2040, deutliche Fortschritte müssen in jedem Fall schon 2030 gelungen sein. Neue Technologien machen diese Strategie möglich, doch die Wirtschaftspolitik sowie Firmen- und Verbraucherverhalten müssen sich entscheidend verändern. Die Jugend verlangt und lebt diese Veränderungen teilweise bereits, vorausschauende Firmen versuchen das in ihre Strategien einzubauen.

Eine Vorreiterrolle Europas bedarf neuer Technologien und entschlossener Politik. Sie ist - strategisch geplant - kein Nachteil für die Wirtschaft, sondern ein Vorteil. Eigene Technologien können entwickelt und dann anderen Ländern angeboten werden. Schäden an Infrastruktur und Gesundheit können durch die Vorreiterrolle vermieden werden, die Lebenserwartung steigt. Da Klimaschäden weit überproportional die Lebensbedingungen von Bezieherinnen und Beziehern niedriger Einkommen verschlechtern, macht ein stärkeres Engagement für Klimaschutz auch sozial Sinn. Die Vorreiter der Klimapolitik innerhalb Europas – die skandinavischen Länder und die Schweiz – fahren sowohl nach breiten Wohlfahrtskriterien als auch bezüglich BIP und Beschäftigung gut und haben ihre Abgaben- und Schuldenquote begrenzt oder gesenkt

Europa ist allerdings selbst – trotz niedrigerer Pro-Kopf-Emissionen und höherer Energieeffizienz verglichen mit den USA – nicht auf „Pariskurs“. Schon die Ziele der EU und der Mitgliedsländer sind bei weitem zu wenig ambitioniert. Einsparungen von 30% oder 40% und auch Nachbesserung auf 50% sind zu wenig. Dazu kommt, dass die Ziele nicht immer eingehalten werden, sodass die Emissionen von Ausnahmejahren abgesehen nicht signifikant sinken. Die derzeit in Ausarbeitung befindlichen „Nationalen Energie- und Klimapläne“ entsprechen nicht dem in Paris vereinbarten Ziel. Die programmatischen Ansätze der neuen EU-Präsidentin und der vorgeschlagene Europäische Green Deal lassen die Absicht zu einem Strategiewechsel erkennen, dieser muss allerdings auch implementiert werden (Aiginger 2019). Zurzeit verschärft die Wirtschaftspolitik das Klimaproblem durch weitgehenden Verzicht auf Abgaben für Energie- und Ressourcenverbrauch bei gleichzeitigen Subventionen für fossile Energie und landwirtschaftliche Produktion mit hohem Düngemittel- und Pestizideinsatz.

Die Führungsrolle ist kein Nachteil sondern Chance für die „Wettbewerbsfähigkeit“

Die Analyse ermittelt fünf Voraussetzungen (Prinzipien) einer ambitionierten Klimastrategie.

Erstens müssen Emissionen teurer werden und klimaverträgliches Verhalten verbilligt werden. Für diese „Bepreisung“ stehen mehrere Möglichkeiten zur Verfügung, bei denen internationale Koordinierung von Vorteil ist. Dabei ist eine stufenweise und antizipierbare Steigerung des Emissionspreises notwendig.

Zweitens sind die Forschungsanstrengungen zu erhöhen und auch finanziell zu unterstützen, um die Einstiegskosten in neue Technologien zu verringern.

Drittens sollte der zusätzliche Aufwand der Strategie für die Öffentlichen Budgets, für Unternehmen und Konsumenten nicht durch eine Erhöhung der Abgabenquote finanziert werden, weil diese in Europa schon höher ist als in allen anderen Kontinenten und Ländergruppen. Das ist mittels einer Durchforstung der Budgets und der existierenden Regulierungen möglich, viele Subventionen begünstigen fossile Energie und große wenig nachhaltige landwirtschaftliche Betriebe. Eine Finanzierung von Klimainvestitionen durch neue Fonds, grüne Produkte und Anlagemöglichkeiten ist anzustreben, die  Europäischen Investitionsbank muss zur „Klimabank“ werden.

Viertens müssen internationale Handels- und Investitionsabkommen stärker Klimaaspekte berücksichtigen, ökologische Standards upgraden und ihre Einhaltung verbindlich machen. Grenzausgleichssteuern (Border Taxes) sollten dabei ein nachrangiges Instrument sein. Fünftens muss das Ausbildungs- und Weiterbildungssystem zu Verhaltensänderungen beitragen. Populistischen Rückfällen von der Leugnung des Klimawandels bis zur Ausnutzung des Umweltbewusstseins für Protektionismus muss begegnet werden.

Strategie muss sich an breiten Wohlfahrtszielen orientierten

Es soll ein systemischer Ansatz verfolgt werden, der versucht, die Notwendigkeit und Auswirkung jeder Handlung auf andere einzubeziehen und aus Zusammenarbeit zu profitieren.

Klimapolitik ist ein Suchprozess mit großer Unsicherheit und kann nicht top down und durch Verbote und Regulierungen stattfinden, sondern benötigt dezentrale Entscheidungen und Experimente.

Der Staat kann durch Beschaffungspolitik, vorbildlichem Verhalten und Unterstützung neuer Technologien eine entscheidende Rolle spielen. Fehllenkungen des technischen Fortschritts, der aktuell primär Arbeitskräfte einspart, müssen hin zu einer effizienteren Nutzung von Ressourcen, durch Energieeffizienz und Kreislaufwirtschaft korrigiert werden. Schulen, Medien und Zivilgesellschaft müssen beteiligt werden,

Externe Partnerschaften mit östlichen Nachbarn aber auch Afrika, und Kooperation mit China und den Teilen der USA, die der Klimapolitik trotz Widerstands der Regierung einen hohen Stellenwert geben, sollen forciert werden. Der Einbezug der Emerging Countries wird nicht leicht sein, weil in diesen Regionen noch Armutsbekämpfung und Energieknappheit einen höheren Stellenwert haben, verglichen mit Klimafragen. Allerdings sind die Klimaziele unerreichbar, wenn der Aufholprozess ärmerer Länder mit der gegenwärtigen Technologie der Industrieländer stattfindet

Zusammenfassend ist die Beschränkung der Klimaerwärmung auf 2 Grad notwendig und technologisch möglich. Aber heute ist kein Land auf Kurs und die aktuellen Umweltziele der Europäischen Politik sind – trotz einiger Nachbesserungen – bei weitem zu wenig ambitioniert. Europa soll die Führungsrolle übernehmen, erstens hat es dafür eine historische Verantwortung durch bisher große Ausschöpfung der Reserven unseres Planeten, zweitens weil sie keine andere Region übernimmt und drittens weil damit auch ein Wohlfahrtsgewinn für Europa und die Durchsetzung seiner Werte in der Neuordnung der Globalisierung leichter wird. Bis zur nächsten Klimakonferenz in Glasgow sollte sichtbar sein, ob der geplante „European Green Deal“ in diese Richtung wirkt.


©KOF ETH Zürich, 8. Jan. 2020

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