Deutschland kann gleich zwei Probleme gleichzeitig lösen: Höhere öffentliche Ausgaben für Investitionen würden den Leistungsbilanzüberschuss dämpfen - und daneben auch noch die Gefahr einer Rezession abwenden. Der Wissenschaftliche Beirat des Bundeswirtschaftsminister Altmaier stellte eine Studie zum deutschen Leistungsbilanzüberschuss vor. Das Ergebnis der Untersuchung: Deutschland steht kein Instrument zur Verfügung, um den hohen Leistungsbilanzüberschuss abzubauen. Dieser Befund löst Verwunderung aus. Mit 8 Prozent in Relation zum Bruttoinlandsprodukt hat Deutschland den höchsten Leistungsbilanzüberschuss der Welt. Seit der Finanzkrise ist dieser Überschuss ein ständiges Thema internationaler Organisationen wie des Internationalen Währungsfonds. Bereits unter Präsident Obama
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Deutschland kann gleich zwei Probleme gleichzeitig lösen: Höhere öffentliche Ausgaben für Investitionen würden den Leistungsbilanzüberschuss dämpfen - und daneben auch noch die Gefahr einer Rezession abwenden.
Der Wissenschaftliche Beirat des Bundeswirtschaftsminister Altmaier stellte eine Studie zum deutschen Leistungsbilanzüberschuss vor. Das Ergebnis der Untersuchung: Deutschland steht kein Instrument zur Verfügung, um den hohen Leistungsbilanzüberschuss abzubauen. Dieser Befund löst Verwunderung aus.
Mit 8 Prozent in Relation zum Bruttoinlandsprodukt hat Deutschland den höchsten Leistungsbilanzüberschuss der Welt. Seit der Finanzkrise ist dieser Überschuss ein ständiges Thema internationaler Organisationen wie des Internationalen Währungsfonds. Bereits unter Präsident Obama wurde die deutsche Bundesregierung immer wieder aufgefordert einen Beitrag, diesen Überschuss abzubauen, zu leisten. Da hat sich viel Verärgerung – nicht zuletzt bei der US-Administration gegenüber Deutschland aufgebaut. Präsident Trump rechtfertigt nun seine geplanten protektionistischen Maßnahmen gegenüber Deutschland mit diesem hohen Leistungsbilanzüberschuss. Die G20 hat die „globalen Ungleichgewichte“ und damit den deutschen Leistungsbilanzüberschuss zum zentralen Thema der diesjährigen Präsidentschaft Japans gemacht. Gleichzeitig empfiehlt der Wissenschaftliche Beirat des Bundeswirtschaftsministeriums nichts zu unternehmen, weil die deutsche Politik nichts tun könne. Wirklich? Ein kluger Rat war dies freilich nicht.
Ein Leistungsbilanzüberschuss ergibt sich aus der Differenz zwischen den deutschen Exporten gegenüber den deutschen Importen. Deutschlands Exporte sind zu hoch und seine Importe zu niedrig. Will man den Überschuss abbauen, so kann man versuchen die Exporte zu reduzieren und/oder die Importe auszudehnen.
Zunächst zur Importseite: Die Ausdehnung der Importe kann relativ leicht dadurch erreicht werden, wenn der Staat öffentliche Investitionen tätigt. Erstaunlicherweise zieht die Studie des wissenschaftlichen Beirats diese einfache und offensichtliche Maßnahme zum Abbau des Leistungsbilanzüberschuss gar nicht in Betracht. Denn der deutsche Leistungsbilanzüberschuss ergibt sich über die volkswirtschaftliche Gesamtrechnung aus der Differenz zwischen Sparen und Investieren. Der Leistungsbilanzüberschuss entsteht, weil zu viel gespart und zu wenig investiert wird. Der deutsche Staat spart (die schwarze Null) und auch die deutschen Unternehmen investieren viel weniger als in Frankreich oder Italien wie Guntram Wolff von Bruegel in einem von mir herausgegebenen Sammelband zeigt.[ 1 ] Investitionen sind jene Nachfragekomponente einer Volkswirtschaft, die die höchsten Importe (von Vorleistungen) bewirken. Werden Straßen erneuert dann werden Baumaschinen benötigt zu deren Produktion ausländische Vorleistungen importiert werden. Von jedem zusätzlichen Euro, den der Staat für öffentliche Investitionen ausgibt, werden durchschnittlich 30 Prozent für Importe von Vorleistungen ausgegeben. Dadurch reduziert eine Ausweitung der öffentlichen Investitionen automatisch den Leistungsbilanzüberschuss.
Dazu kommt noch, dass öffentliche Investitionen derzeit sehr angesagt sind. Die deutsche Konjunktur trübt sich ein. Der chinesische Motor brummt nicht mehr so wie in der Vergangenheit, was Deutschland besonders trifft. Denn seit der Finanzkrise allein haben sich die deutschen Exporte nach China fast verdreifacht. Damit kann in Zukunft nicht mehr gerechnet werden. Es besteht die Sorge, dass Deutschland in eine Rezession fällt. Ein vorsorgender Staat sollte in so einer Situation aktiv werden und den Konjunkturabschwung abmildern, indem er mehr investiert. Neueste wissenschaftliche Studien zur Fiskalpolitik bei Nullzinsen kommen zum Schluss, dass seit Ausbruch der Finanzkrise eine Ausweitung öffentlicher Investitionen deutlich wirksamer geworden ist. Denn der bei öffentlichen Investitionen normalerweise auftretende Verdrängungseffekt von privaten Investitionen (crowding-out) bleibt bei Nullzinsen aus, was den Staatsmultiplikator steigen lässt.
Deutschland hätte auch die Option an den Exporten anzusetzen und seine Währung aufzuwerten. In einer Währungsunion hat Deutschland zwar keine Kontrolle über den Wechselkurs des Euro. Deutschland kann jedoch über eine fiskalische Aufwertung denselben Effekt erzielen wie eine Wechselkursaufwertung. Bei einer Wechselkursaufwertung verteuern sich die Exporte und verbilligen sich die Importe, wodurch es zu einem Rückgang des Leistungsbilanzüberschusses kommt. Eine fiskalische Aufwertung kann durch einen Mix von Steuern erreicht werden. Eine Senkung der Mehrwertsteuer in Kombination mit einer Erhöhung der Einkommenssteuer ist äquivalent zu einer Aufwertung einer Währung.
Diese Maßnahmen wären insofern gerechtfertigt als Deutschland Mitte der 2000er Jahre solch einen Mix von Steuern eingeführt hat, der einer fiskalischen Abwertung entsprach. Fabio Ghironi von der University of Washington und Benjamin Weigert von der Deutschen Bundesbank zeigen in einem Beitrag in dem von mir herausgegebenen Buch, dass Deutschland im Jahr 2008 die Einkommenssteuersätze von 57% auf 47.5% und die Unternehmenssteuern von 56.8% auf 29.4% gesenkt hat, während die Mehrwertsteuer von 16% auf 19% erhöht wurde.[ 2 ] Dies entsprach einer massiven fiskalischen Abwertung Deutschlands, die die deutschen Exporte verbilligte und die Importe verteuerte und somit zum Leistungsbilanzüberschuss beitrug. Deutschland könnte diesen fiskalischen Wettbewerbsvorteil von Mitte 2000 durch einen fiskalischen Wettbewerbsnachteil heute nachträglich korrigieren.
Zwischen diesen beiden Optionen ist eine Ausweitung der öffentlichen Investitionen vorzuziehen. Denn in Zeiten einer sich abschwächenden Konjunktur ist eine fiskalische Aufwertung, die dämpfend auf die Konjunktur wirkt, zu riskant. Aber die Option nichts zu tun kann sich Deutschland angesichts der Gefahr für den Multilateralismus nicht leisten. Der wissenschaftliche Beirat sollte das wissen.
Eine gekürzte Version dieses Artikels erschien bereits in der WELT unter dem Titel „Jetzt ist für den Staat genau die richtige Zeit, mehr zu investieren“.
©KOF ETH Zürich, 30. Aug. 2019